« §.28 Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs §.30 »
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Textdaten
Autor: Johann Christoph Harenberg
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Titel: Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs ...
Untertitel: §.29 - Wie die Seuche der verdorbenen Einbildung von einem Menschen.
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Erscheinungsdatum: 1733
Verlag: Johann Christoph Meißner
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Erscheinungsort: Wolfenbüttel
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Quelle: Digitalisat des Göttinger Digitalisierungszentrums bzw. bei Commons
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§. XXIX.

[107] Wenn die Phantasie bey einem Menschen verdorben ist und derselbe allerley wunderliche Bewegungen macht, so von andern, sonderlich Weibern und Kindern, die von zarten Gewebe der Saft-Gefässe sind, angesehen werden, so entstehen gleiche Eindrückungen in dem Gehirne der Zuschauer. Der Eindruck ist desto stärcker, je schwächer die Gefäße der Zuschauenden und derer, so sich die wunderlichen Geberden in einer lebhaften und von einem starcken Affect begleiteten Einbildung vorstellen. Es ist ein bekanntes Exempel, daß eine schwangere Frau, so zu Paris einen Verdammten hatte rädern gesehen, nachhero ein Kind zur Welt gebohren, in welchen [108] die Knochen an denen Orten, an welchen der arme Sünder mit dem Rade durchstossen worden, nicht zusammenhingen. Es fällt mir ein ander Exempel bey, so sich näher mit unserm Vorhaben reimet. Bey dem Ende des abgewichenen Jahrhunderts funden sich einige Weiber zu Toluse in der Landschaft Langedoc, so zum öftern, sonderlich in der Kirche, plötzlich auf die Erde fielen, schluckten, sich auf die Seiten warfen, Nadeln und Stücke von allerhand Bändern durch den Mund ausspien, und selbst in der Einbildung stunden, daß sie besessen wären. Die Obrigkeit des Orts sandte einige Naturkündiger und Aertzte, unter welchen Franciscus Bayle war, an die unglückseligen. Nach geschehener Untersuchung der Sache wurde wahrgenommen, (z)[1] daß das erste Weib solchen Zufall von einem symptomate hypochondriaco-epileptico bekommen, ihr aber eingebildet habe, daß sie eine Besessene wäre. Sie hatte in der Heftigkeit des übeln Zufalls Nadeln und allerley Unreinigkeiten eingeschlungen, und wuste nachhero, da sie selbige ausbrach, selbst nicht, wie sie in ihren Leib gekommen. Von diesem Weibe hatte sich das Unglück zu andern Weibern, so ihre Bekantinn besucht, fortgepflantzet. Denn da die Leute von allen Orten zusammen liefen, um die Gebehrden desienigen Weibes, welche am [109] ersten mit solchen Zufällen behaftet war, in genauen Augenschein zu nehmen, und zugleich mit anhaltenden Gedancken die Kranckheit, welche sie für eine satanische hielten, ihnen vorstelleten, sind in denen theils zarten, theils zähen Fäsern des weiblichen Gehirns solche Eindrückungen geschehen, welche mit Furcht und Verwunderung vergesellschaftet gewesen. Die lebhaftigen Vorstellungen von den Gebehrden des für besessen gehaltenen Weibes haben nach und nach das Gehirn der Umstehenden also geändert, daß sie denselben zu ähnlichen Gebehrden Anlaß gegeben. Nach und nach ist diese phantastische Seuche weiter fortgepflantzet, und, weil die erste Phantastin in dem Tempel am meisten ihre unordentlichen Gebehrden zu Tage gelegt, haben die angesteckten nachher an diesem Orte, der ihre gehabte Eindrückung vornehmlich veruhrsachet, gleiche Gebehrden bezeiget. Als vor einigen Jahren auf dem Eichsfeld in der Stadt Worbs die Priester von einer vermeinten Besessenen sieben Teufel austreiben wollen, und einige neugierige Weibgens die wunderbahren Gebehrden derselben zum öftern anschaueten, wurden albereits einige von den Zuschauerinnen in den Anfang gleicher Gebehrden gesetzt, und es war der heilsamste Weg, daß man die Zuschauerinnen zurück hielte. Was soll ich von den Weibern und Männern sagen, welche vor Zeiten in den Festen des Wein-Gotts und der grossen Mutter der Götter durch den Schall der erschütterten und scharf-klingenden musicalischen [110] Werck-Zeuge, wie auch durch die Gebehrden der sich schier toll stellenden Priester, ausser sich gesetzet wurden? HORATIVS vergleicht den Zorn, wodurch man ausser sich selbst kommt, mit diesen Zustande der feyrenden, und räumet der Wuht der Zornigen einen geringen Vorzug ein.

Er sagt Lib. I. Carm. Od. XVI.

 Non Dindymene, non adytis quatit
Mentem sacerdotum incola Pythius,
Non liber aeque: non acuta
Sic geminant Corybantes aera,
Tristes ut irae.

Die Thone gewisser Lieder und musicalischer Instrumenten haben in einige Gemühter solchen Eindruck, dergleichen die Lieder und Verse ohne die Melodeyen nimmermehr haben würden. Die alten Lacedemonier hatten dieserwegen fast alle Music verbohten, damit nemlich ihre Unterthanen nicht zur veränderlichen und beweglichen Phantasey gewehnet werden mögten. Was eine lebhafte und fliessende Vorstellung ungescheuter und artiger Redner durch ihre Eindrückungen vermöge, ist alzubekannt. Es giebet Leute, welche mit grosser Hertzhaftigkeit und eindringender Gebehrden beten können, und dadurch gantze Schaaren an sich ziehen, und mit Irrthümern anstecken. Die Phantasey hat eine grosse Kraft auf beyden Seiten, zm guten (aa)[2] und zum bösen, und lassen [111] sich desto mehr Menschen dadurch regieren, je grösser der Hauffe ist, welche den Grund ihrer Handlungen von der Nachahmung hernehmen, und so weit sich nach den Empfindungen der Thiere richten. (bb)[3]


  1. (z) Descripsit haec ipse FRANCISCVS BAYLE in Opusculis Tolosae 1701. 4. editis Conf. ACTA Eruditorum Lips. latin. 2. 1703. M. Febr. p. 78. sqq.
  2. (aa) Dieses siehet man bey den lebhaften Vorstellungen [111] der himmlischen Freude des Vergnügens in GOTT etc. bey einfältigen und ungelehrten Leuten.
  3. (bb) M. GEORGIVS HENRICVS RIBOVIVS, doctor eeclesiæ in paucissimis solidissimus, in Diss. de Anima brutorum, quam Hieronymo Rorario subiuoxit, §. 254. p. 808. sqq.