Vergiftete Nadelhölzer
Vergiftete Nadelhölzer.
Es war im Hochsommer des Jahres 1890, als eine Kunde durch das Land ging, welche jeden Naturfreund mit Trauer erfüllen mußte.
In dem durch seine herrlichen Wald- und Gebirgsgegenden ausgezeichneten Bayerland waren Millionen von Raupen aufgetreten, welche sich die harten Nadeln der Fichten, Tannen und Kiefern zur Nahrung ausersehen hatten, und bald zeigten sich endlose Strecken vorher im prächtigsten Grün prangender Nadelwälder vollständig kahl gefressen, und die schlanken Kinder des Forstes streckten die ihres grünen Schmuckes entblößten Zweige trauernd zum Himmel.
Damit war nicht allein dem Walde sein schönster Schmuck geraubt, sondern der Bestand des Waldes selbst bedroht, insofern der seiner Nadeln (welche hier die Stelle der Blätter vertreten) beraubte Baum nicht mehr imstande ist, sich zu ernähren, und daher einem baldigen Siechthum, dem Hungertod verfällt.
Betrachten wir einmal das Blatt eines Laubbaumes, z. B. der Linde oder der Buche, so finden wir die Oberseite desselben gleichmäßig mit einer glänzenden Haut von meist dunkelgrünem Aussehen überzogen. Die Unterseite dagegen entbehrt dieses glänzenden dunkelgrünen Anblicks, erscheint mattgrün, und wenn wir genauer zusehen, so erkennen wir oft schon mit bloßem Auge, leichter und einfacher mit einem Vergrößerungsglas, eine ungeheure Anzahl kleiner Punkte, mit welchen die ganze Blattunterseite dicht besetzt ist. Nimmt man nun mit einem scharfen Rasiermesser ein kleines dünnes Stück der unteren Blattfläche hinweg und bringt es unter ein gutes Mikroskop, so lassen sich diese kleinen Punkte deutlich als ovale oder rundliche Zellgebilde – die Spaltöffnungen oder Poren – erkennen. Sie liegen einzeln zwischen den Zellen der Blattaußenhaut (Epidermis) und bestehen gewöhnlich aus zwei sogenannten „Schließzellen“, zwei aneinanderliegenden, halbrunden oder länglich halbrunden, mit Zellinhalt und meist einigen grünen Chlorophyllkörnern versehenen Zellen, welche in der Mitte ihrer aneinandergrenzenden Scheidewände eine längliche Spalte zwischen sich lassen.
Diese Spalten nun sind die Ausgänge der mit Luft erfüllten Gänge der inneren Gewebe, der „Intercellularräume“, die sich hier nach außen öffnen. Man könnte sie gewissermaßen die Mundöffnungen oder Nasenlöcher der Pflanzen nennen, denn sie sind es, welche den Hauptnahrungsstoff der Pflanze, die Kohlensäure, aus der Luft aufnehmen und den inneren grünen Geweben zuführen, in welchen dieselbe weiter zu festerer Nahrung verarbeitet wird.
[798] Die Natur hat hier einen äußerst sinnreichen Apparat geschaffen, indem diesen Schließzellen die Eigenschaft zukommt, sich unter dem Einfluß des Lichtes zu öffnen und zu schließen. Sobald nun die Kohlensäure durch die Spaltöffnungen in das Blattgewebe eingetreten ist, so trifft sie auf ein lockeres Gewebe, aus Zellen bestehend, welche reichlich wasserreiches Protoplasma und grüne Chlorophyllkörner enthalten. Es ist dies das sogenannte „Schwammgewebe“, welches das nun in Wasser gelöste Kohlelisäuregas aufnimmt und einem dichteren, oberhalb desselben liegenden, noch dichter erfüllten Zellgewebe, dem „Pallisadengewebe“, zuführt, in welchem hauptsächlich die Verarbeitung zu festen Nährstoffen, nämlich zu Stärke und Zucker, vor sich geht. Wir könnten deshalb das lockere Schwammgewebe des Blattes annähernd als Lunge und das dichtere Pallisadengewebe als Leber der Pflanze bezeichnen.
Eine weitere wichtige Aufgabe in der Ernährung der Pflanze ist dem Blatte zugetheilt durch die hier hauptsächlich stattfindende Verdunstung des Wasserdampfes (Transpiration), welche sowohl an der ganzen Außenfläche (Epidermis) desselben als auch durch die Spaltöffnungen sich vollzieht. Diese Verdunstung des Wassers aus dem Blattfleisch dient wesentlich mit zur Regelung des aufsteigenden Saftstromes, der Bewegung der von den Wurzeln angesaugten Flüssigkeit nach den Orten des Verbrauches hin. Dieser aufsteigende Saftstrom, welcher die mit dem Wasser aus dem Erdboden aufgenommenen und gelösten anorganischen Salze mit sich führt, hat seinen Weg vorwiegend im Holze des Stammes. Letzteres bildet einen Bestandtheil der Gefäßbündel, eines zusammenhängenden Systems in der ganzen Pflanze, welches, von allen feinsten Wurzelverzweigungen beginnend, durch Hauptwurzel, Stamm und Aeste in alle Blätter (hier die Rippen und Nerven darstellend) führt.
In der Pflanze sind mehrere Kräfte thätig, welche diese Bewegung des Wassers nach oben veranlassen.
Erstens der sogenannte „Wurzeldruck“; die Wurzel mit ihren zahlreichen kleinen Wurzelfasern saugt nämlich mit solcher Kraft das Wasser auf, daß sie selbst es schon auf eine beträchtliche Strecke in der Pflanze emporzutreiben vermag. Wir können dies beobachten bei manchen Bäumen, besonders bei der Birke, der Hainbuche, oder bei dem Weinstock vor der Belaubung im Frühling, wo beim Einschneiden in den Stamm der Saft lange Zeit aus der Wunde fließt.
Zweitens wirken umgekehrt die Blätter durch den Wasserverlust bei der Verdunstung, welcher Ersatz desselben von unten her nöthig macht, saugend auf die unter ihnen befindliche Wassersäule im Stamme. Durch diese Wasserbewegung und Verdunstung findet auch innerhalb der Pflanze eine gewisse Abkühlung statt, welche eine allzu große Erhitzung verhütet.
Wie nun schon oben erwähnt, findet die Verarbeitung der rohen Nährstoffe zu den organischen unmittelbaren Bestandtheilen der Pflanze, die sogenannte „Assimilation“, in den grünen Pflanzentheilen und vorzugsweise in den Blättern statt. Von den Blättern aus wandern die assimilierten Nährstoffe in die Zweige und weiter nach den Früchten und im Stamme abwärts nach den Wurzeln, überhaupt nach allen Organen, welche Nahrung bedürfen. Dies ist der sogenannte „absteigende Saftstrom“.
Hierfür genügt jedoch das Holz allein nicht, der absteigende Strom nimmt vielmehr seinen Weg zum größten Theile durch Bast und Rinde; namentlich finden sich in den weichen dünnwandigen Theilen des Bastes eigenthümliche Gefäße, die Siebröhren, welche durch eine besondere Wucherung ihrer durchlöcherten Querwände, den sogenannten Callus, wahrscheinlich ventilartige Wirkung zur Abwärtsleitung besitzen.
In Pflanzentheilen, welche im Wachsthum begriffen sind, werden nun diese frischgebildeten Nährstoffe zur Schaffung neuer Organe verwendet, in solchen dagegen, welche in einen Ruhezustand übergehen, werden sie in verschiedener chemischer Form in den Zellen als sogenannte Reserve-Nährstoffe aufgespeichert, hauptsächlich in den Samen, bald als Oel (z. B. beim Leinsamen), bald als Stärke (z. B. im Getreidekorn), in den Knollen, Wurzeln (Kartoffeln), ferner im Holze der Bäume und Sträucher, wo während des Winters das Mark und die Markstrahlen etc. reichlich mit Stärkemehl erfüllt sind. Mit dem Wiedererwachen der Vegetation vor dem Knospentrieb oder bei der Keimung des Samens verschwinden diese Reservenährstoffe wieder aus ihren Speicherräumen, indem sie zu dieser Zeit, in welcher die noch blattlose Pflanze ihre Nahrungsstoffe nicht selbst zubereiten kann, zur ersten Ernährung der neu sich bildenden Organe, der Knospen, verwendet werden.
Wir haben nun gesehen, welch’ wichtige Rolle die Blätter, beziehungsweise die mit Spaltöffnungen versehenen grünen Theile eines Baumes oder Strauches für die Ernährung des einzelnen Individuums spielen, und es ist daher leicht einzusehen, daß ein Baum, welcher aller oder des weitaus größten Theiles seiner Blätter in der für das Wachsthum wichtigsten Zeit beraubt wird, nicht mehr imstande ist, die für seine Ernährung nothwendige Menge organischer Substanz zu bilden, und auch durch die empfindliche Störung des regelmäßigen Verlaufs des Saftstromes verhindert wird, vorhandene Nährstoffe rasch an diejenigen Stellen der Pflanze hinzuführen, welche jener zur Neubildung einzelner Organe bedürfen. Zugleich wird infolge der mangelnden Abkühlung durch den auf- und absteigenden Saftstrom die Erhitzung durch die unmittelbare und mittelbare Bestrahlung der Sonne eine so große, daß eine Vertrocknung der sekundären Rindenschicht, welche für das Wachsthum von besonderer Bedeutung ist, wesentlich befördert wird.
Wie im komplizierten Baue eines mechanischen Triebwerkes das Fehlen eines Radzahnes Stillstand hervorbringt, so geräth hier die wunderbare Maschinerie des Pflanzenlebens ins Stocken, der Baum ist krank. Nur das Auftreten neuer Blätter könnte ihn retten und den Lebensstrom nach und nach wieder in seinen alten Gang bringen. Aber dazu fehlt eben die genügende Menge der zur Neubildung der Knospen und deren weiterer Ernährung bis zur selbständigen Assimilation nothwendigen Reservenährstoffe, denn der seiner Blätter oder Nadeln beraubte Baum war ja nicht imstande, solche zu bilden und für Nothfälle aufzuspeichern.
Während wir nun bei allen Laubbäumen beobachten, daß die Blätter im Herbste gelb werden und abfallen, der Baum selbst während der nun folgenden kalten Jahreszeit einen Ruhezustand durchmacht und gewissermaßen einen Winterschlaf hält, wissen wir von fast allen Nadelhölzern das Gegentheil. Diese behalten ihre harten, spitzen, nadelähnlichen Blätter auch während der strengsten Winterszeit, sie sind immergrüne Gewächse. Sie erfreuen das Auge des Wanderers durch ihr dunkles Grün in einer Zeit, in welcher die übrige Natur öde und still ein betrübendes Bild von der Vergänglichkeit alles Schönen auf Erden bietet.
Diese Eigenschaft des „ewigen Grünens^, welche die Nadelhölzer anszeichnet, hat nun in neuerer Zeit vielfach Veranlassung gegeben, die schlanken Kinder des Waldes als Zierde der städtischen Anlagen und Gärten zu verwenden, wo sie im Sommer zwischen dem hellgrünen Laube der Birken und Linden, dem dunkelrothen der Blutbuche entzückende Schattierungen hervorbringen. Und selbst wenn Schnee und Eis alles Leben in der Natur scheinbar ertötet haben, verweilt das Auge des Spaziergängers gern auf den oft groteske Figuren bildenden, schwer mit Schnee beladenen Zweigen des Fichten- und Föhrenbaumes.
Aber dem aufmerksamen Beobachter wird eines nicht entgehen: je dichter die Häuser emporsteigen um die grünen Oasen der Großstädte, je weiter hinaus die Stadt ihre Arme ausstreckt, und je mehr Reihen von Miethkasernen entstehen, umso spärlicher werden die Nadelbäume in den straßenumsäumten Anlagen, in [799] den Gärten vor und hinter den Häusern. Von Jahr zu Jahr wird der Spitzentrieb kümmerlicher, die Nadeln werden dürr und fallen ab, kahler und kahler strecken sich die Aeste empor, und schließlich kommt der Gärtner und haut den verdorrten Baum ab, und der hübsche Vorgarten, den sonst ein halbes Dutzend stattlicher Christbäume zierte, hat seinen schönen Winterschmuck eingebüßt, das weiße Leichentuch des Schnees deckt alles in gleichförmiger Oede.
Woher kommt dieses Absterben der Nadelbäume in den Stadtgärten, während doch die Laubbäume weiter gedeihen und verhältnißmäßig sogar prächtige Baumkronen entwickeln?
Gerade die Eigenschaft welche uns den Christbaum so lieb macht, nämlich daß er „zur Sommer- wie zur Winterszeit grün“ ist, bringt ihm Verderben, denn sein bitterster Todfeind ist der Schnee. Allerdings nicht der Schnee an und für sich, wie er draußen im endlosen Walde auf seinen Zweigen ruht, sondern der Schnee in der Stadt, der durch die Verbrennungsgase zahlloser Stadtessen verunreinigte Schnee.
Weitaus der größte Theil der Stadthaushaltungen heizt jetzt mit Steinkohlen. Zahllose Centner dieser schwarzen Diamanten gehen in Gas- und Rauchform täglich in die Luft der Städte über, und während im Sommer die Windströmungen diese Verbrennungsstoffe rasch hinwegführen und durch Vermischen mit überwältigenden Mengen atmosphärischer Luft so verdünnen, daß sie keinem organischen Wesen schädlich werden, ist es im Winter der Schnee, welcher in seiner unschuldigen Weiße begierig eines der schädlichsten Verbrennungsgase ansaugt und in sich aufspeichert. Um dies zu erklären, müssen wir uns ein wenig in das Labyrinth der chemischen Formeln wagen.
Alle Steinkohlen enthalten mehr oder weniger Schwefel, ihm verdanken die einzelnen Sorten das raschere oder kürzere Verbrennen. Sobald nun Schwefel verbrennt, geht er mit dem Sauerstoff der Luft eine direkte Verbindung ein, ein säuerlichschmeckendes, erstickendes Gas, aus einem Theil Schwefel (S) und zwei Theilen Sauerstoff (O) bestehend, die schweflige Säure (Schwefeldioxyd) (SO2). Tritt nun zu dieser schwefligen Säure (SO2) noch ein Molekül Wasser (H2O), so entsteht mit Hilfe des Sauerstoffs der Luft die Schwefelsäure (SO2 + H2O + O = H2SO4), eines der schärfsten Gifte, welches selbst schon in geringen Mengen alles organische Leben zerstört.
Der Schnee nun enthält eine eigenthümliche Verbindung, aus zwei Theilen Wasserstoff und zwei Theilen Sauerstoff bestehend, welche, auf künstlichem Wege hergestellt, in der Technik neuerer Zeit vielfach Verwendung findet. Diese Verbindung – Wasserstoffsuperoxyd genannt – findet sich in geringen Mengen in der Atmosphäre, im Regen, Thau und Schnee. Ihre chemische Zusammensetzung unterscheidet sich insofern von der des gewöhnlichen Wassers, daß sie ein Atom Sauerstoff (O) mehr als dieses enthält, wir schreiben daher seine chemische Formel H2O2. Das zweite Atom Sauerstoff im Wasserstoffsuperoxyd ist jedoch nur lose gebunden, weshalb diese Verbindung durch Wärme leicht in ihre Bestandtheile, nämlich Wasser und Sauerstoff, zerfällt. Diesem Verhalten nun verdankt das Wasserstoffsuperoxyd auch seine geschätzte Eigenschaft, leicht mit anderen Körpern neue Verbindungen einzugehen, und daher ist es erklärlich, daß der Schnee, in welchem vermöge der niedrigen Temperatur ein Zerfallen des Wasserstoffsuperoxydes verhindert wird, begierig das Verlangen zeigt, die beim Verbrennen des in den Steinkohlen enthaltenen Schwefels entstehende gasartige schweflige Säure anzusaugen und als Schwefelsäure aufzuspeichern (SO2 + H2O2 = H2SO4).
Ein Chemiker am hygieinischen Institut der Universität München, welches bekanntlich von Pettenkofer geleitet wird, hat es unternommen, diese Eigenschaft des Schnees, Schwefelsäure aufzuspeichern, Schritt für Schritt nachzuweisen[1]. Er entnahm aus dem Hofraum des genannten Instituts im Winter 1886 vom 6. bis 22. Februar eine bestimmte Menge Schnee und wies nach, daß der Gehalt an Schwefelsäure täglich zunahm. So fand er am 6. Februar in einem Kilogramm Schnee 6,96 Milligramm Schwefelsäure, am 10. Februar schon 32,80 Milligramm, am 12. Februar 40,60 Milligramm, am 14. Februar 48,40 Milligramm, am 16. Februar 62,20 Milligramm, am 22. Februar 91,50 Milligramm. Leider unterbrach hier starker Schneefall die interessante Untersuchungen. Während derselben Zeit entfernt von der Stadt auf freiem Felde aufgenommene Schneeproben waren ganz oder fast frei von Schwefelsäure.
Es mag hier noch bemerkt sein, daß das hygieinische Institut in München in einem noch wenig bebauten Stadttheile an der Theresienwiese liegt, der namentlich auch im Winter häufigen Süd- und Westwinden ausgesetzt ist und besonders im Jahre 1886 noch fast ringsum frei war.
Wenn man nun die immergrüne Eigenschaft der Nadelhölzer in Betracht zieht, so ist es leicht erklärlich, warum gerade diese rauhen Kinder des Waldes die Stadtluft nicht vertragen. Die bei den Fichten und Kiefern ringsum mit Spaltöffnungen versehenen Nadeln sind dem mit Schwefelsäure durchtränkten Schnee eben schutzlos preisgegeben. Die Laubbäume sind in der milderen Jahreszeit, in welcher die Natur schneefrei ist, vor den in den Regen übergehenden Verbrennungsgasen durch die glatte, mit gewissen Wachsarten getränkte Oberhaut ihrer Blätter geschütz, während sich bei ihnen fast ausnahmslos die Spaltöffnungen nur auf der Blattunterseite befinden. Luft und Wind trocknen
außerdem etwa auf den Blättern sitzenbleibende Wassertropfen rasch ab und verhindern eine Aufspeicherung der schwefligen Säure, so daß die Laubbäume ganz gut gedeihen, solange nicht übermäßiger Ruß oder Staub die Blätter dicht belegt und die kleinen Spaltöffnungen an der Unterseite verstopft. Aber selbst für diesen Fall hat die gütige Mutter Natur häufig Vorsorge getroffen, indem die Blattunterseite namentlich bei ganz jungen Blättern der neuen Triebe oft mit kleinen, dem bloßen
Auge nicht sichtbaren Haaren oder haarähnlichen Gebilden besetzt ist; sie dienen einestheils zum Schutze der Spaltöffnungen, anderntheils erfüllen sie oft drüsenartige Aufgaben, indem sie Körper,
welche durch den Stoffwechsel im Blatte entstanden und zur weiteren Ernährung der Pflanze nicht mehr nöthig sind, aufnehmen und ausscheiden.
Kündigt sich nun der Winter an, so sucht der Laubbaum sich seiner für eine kalte Temperatur nicht eingerichteten Blätter zu entledigen; er bildet, nachdem alle noch werthvollen Stoffe aus dem Blatte in den Stamm zurückgetreten sind, an der Ansatzstelle des Blattstiels am Zweige eine Korkschicht, welche, undurchlässig für den Saftstrom, den nun zur Winterruhe bereiten Baum hermetisch abschließt. Das vom Gesammtorganismus abgetrennte Blatt wehrt sich noch eine Zeitlang gegen sein Schicksal, es wird roth und gelb und dürr, fällt schließlich bei einem kräftigen Windstoß ab und giebt die Salze, welche es dem Boden entzogen hat und welche nun durch Fäulniß frei werden, der Mutter Erde wieder zurück.
[800] Anders der mit harten Nadeln an Stelle von Blättern bewehrte Zapfenträger. Seine durch eine dicke Epidermis geschützten Nadeln vermögen den Winterfrost unseres Klimas wohl zu ertragen, und nur sein Stoffwechsel wird infolge der geringeren Sonnenwärme ein langsamerer, die Farbe seines Grüns infolgedessen dunkler. Betrachten wir z. B. die Nadel einer Fichte (Pinus excelsa Lk.) mit einem guten Vergrößerungsglase, so bemerken wir ringsum an derselben in unregelmäßigen Zwischenräumen zahlreiche kleine, weiße Punkte. Es sind dies die Spaltöffnungen, in ihrer ovalen Gestalt deutlich zu erkennen, sobald man mit einem scharfen Rasiermesser ein kleines Flächenstückchen von der Nadel abhebt und unter das Mikroskop bringt. Ist nun im Winter der Zweig dicht mit Schnee bedeckt, so nimmt letzterer vermöge seiner oben erläuterten Ansaugungsfähigkeit die schweflige Säure der Verbrennungsgase aus der Luft auf, bildet mit derselben, wie gezeigt, Schwefelsäure und übermittelt sie mittels der Spaltöffnungen unmittelbar den Innenräumen des Nadelblattfleisches. Hier durchdringt sie die zarten Zellwände und tötet den Inhalt der einzelnen Zellen – das Protoplasma. Mit der Lebensfähigkeit des Zellinhalts hört auch seine Assimilationsfähigkeit auf, der Baum kränkelt und geht nach und nach zu Grunde, er stirbt an Vergiftung.
Wenn man sich eine Lösung von Schwefelsäure mit der oben angegebenen Stärke, z. B. 90 Milligramm auf 1 Liter Wasser, bereitet und in dieselbe einige Nadeln einer Fichte oder Föhre einlegt, so kann man das Zerstörungswerk des ätzenden Giftes genau verfolgen. Schon nach 24 Stunden zeigt ein dünner Querschnitt der betreffenden Nadel unter dem Mikroskop eine Verkohlung seines Zellinhalts, welcher jetzt anstatt des schön leuchtenden Grüns eine schmutzig braune Farbe angenommen hat, er ist getötet.
Wir besitzen daher in unseren Nadelhölzern gewissermaßen einen Gradmesser für die größere oder geringere Verunreinigung der Luft in Städten oder Stadttheilen, einen Gradmesser, der freilich sein gefährliches Amt mit einem langsamen Sterben bezahlen muß.
- ↑ Siehe Dr. Sendtner, „Bayer. Industrie- und Gewerbeblatt“ 1887.