Textdaten
<<< >>>
Autor: Julius Stinde
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vergiftete Luft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 166-167
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[166]
Vergiftete Luft.


Lange bevor die Forscher im Besitze der Hülfsmittel waren, welche die Grenzen der Beobachtung heutzutage in ungeahnter Weise erweiterten, nannten schon die Italiener die Luft, welche zur wärmeren Jahreszeit aus den pontinischen Sümpfen aufsteigt oder über den feuchten Reisfeldern der Lombardei schwebt, die Malaria, das heißt: schlechte Luft. Die Erfahrung hat gelehrt, daß das Verweilen in solcher Luft böse Fieber zur Folge hat, die gar häufig mit dem Tode enden, und daher sucht man sie zu meiden, so weit es die Verhältnisse zulassen. Trotzdem aber fordert die Malaria alljährlich ihre Opfer, weder Hoch noch Niedrig verschonend. Italien ist jedoch nicht das einzige Land, dessen feuchte Niederungen die Malaria erzeugen, sondern fast überall, wo die Bedingungen zu Fäulniß organischer, namentlich thierischer Substanzen vorhanden sind, also in Sümpfen, austrocknenden Seen, moorigen Lachen etc., kann sich ein Gift bilden, das der Luft mitgeteilt und auf dem Wege der Athmung in den Körper aufgenommen wird, um daselbst eine Wirkung zu üben, die, je nach der Art des Giftes und der Disposition des Befallenen, sich in verschiedener Form äußert.

Im Gegensatz zu den Ansteckungsstoffen, welche ein erkrankter Organismus erzeugt, hat man die dem Erdboden entsteigenden Luftgifte mit dem Namen der Miasmen belegt, und eine Reihe hervorragender Forscher ist bemüht, das eigenartige Wesen derselben zu ergründen.

Diese Aufgabe ist nicht so einfach, wie sie beim ersten Anblicke erscheinen möchte; sie erfordert die peinlichste Sorgfalt und kritische Aufmerksamkeit, damit keine Täuschungen unterlaufen, die zu falschen Schlüssen Veranlassung geben. Beschäftigen wir uns einmal näher mit einer solchen Untersuchung der Luft auf fremde Bestandtheile, und zwar auf solche Bestandtheile organischer Natur, welche von den Medicinern als Krankheitserreger angesehen werden.

Wir haben zu diesem Zwecke nicht nötig, einen Abstecher nach den pontinischen Sümpfen zu machen, sondern die Luft dumpfer Felder bietet uns schon brauchbares Material; ja die Luft eines gewöhnlichen Zimmers oder die der Gasse wird sich bei genauer Prüfung selten als frei von gewissen Fremdkörpern zeigen, deren Unschädlichkeit berechtigtem Zweifel unterliegt.

Wie aber fangen wir nun die Fremdkörperchen, die so klein sind, daß sie selbst bei starker Vergrößerung durch das Mikroskop kaum wahrgenommen werden können?

Da wir noch kein Netz besitzen, dessen Maschen so fein sind, um damit Sonnenstäubchen aus der Luft zu fischen, müssen wir uns eines anderen Mittels bedienen, das zum erwünschten Ziele führt. Dieses Mittel ist – die Thaubildung.

In jeder Luft mittlerer Temperatur befinden sich reichliche Mengen von Wasserdampf, oder, wie wir ihn im täglichen Leben nennen, Wasserdunst. Bringen wir nun einen kalten Gegenstand in die wärmere, mit Wasserdampf geschwängerte Luft, so schlägt sich das Wasser in Gestalt kleiner Thautropfen an demselben nieder, wie zu seinem Aerger jeder Brillentragende erfährt, der im Winter aus dem Freien in ein warmes Gemach tritt. Der sich verdichtende Wasserdunst reißt dabei die winzigen Körperchen mit sich und überliefert sie in den Thautröpfchen dem Forscher zur weiteren Prüfung.

In der Praxis bedient man sich zum Fang der Sonnenstäubchen – so wollen wir die zahllosen Arten von Fremdkörpern nennen, welche in der Luft aufzutreten pflegen – kleiner trichterförmiger Glasgefäße, oder der bekannten röhrenförmigen Reagenzgläschen, die das unentbehrliche Handwerkszeug des Chemikers bilden. In ein solches Gefäß werden einige Gramme Glaubersalz gegeben, auf welches man, nachdem das Gefäßchen mit einem weichen Leder sauber abgetrocknet wurde, etwas Salzsäure gießt. Das Glaubersalz löst sich rapide in der Salzsäure und absorbirt bei diesem Vorgange die Wärme aus seiner nächsten Umgebung, und zwar in dem Maße, daß die Temperatur mehrere Grad unter den Nullpunkt herabsinkt. Sofort beginnt der Wasserdunst der Luft sich auf der Oberfläche des Glases in Gestalt von Tröpfchen – Thaubildung – niederzuschlagen; die Tröpfchen werden zum Tropfen, der sich an der Spitze des Gesäßes ansammelt und nun auf eine reine Glasplatte gebracht werden kann.

Die mikroskopische Untersuchung dieses Tropfens läßt hierauf mit Leichtigkeit die gröberen Verunreinigungen der Luft erkennen: Trümmer von Pflanzen und Thierkörpern, Blütenstaub, Sand und Gesteinstrümmer, Pflanzenfasern, Pilzsporen u. dergl. m., allein sie ist nicht im Stande, die feinsten Keime der mikroskopisch kleinen Organismen zur Wahrnehmung zu bringen, welche als die wahren Attentäter auf Gesundheit und Leben zu betrachten sind. Das etwaige Vorhandensein dieser Keime muß daher auf einem Umwege ermittelt werden, und zwar geschieht dies durch Aussaat und Cultur. Zu diesem Zwecke wird zerhacktes Fleisch oder Blutflüssigkeit, oder sonst eine passende organische Substanz mit Wasser gekocht und die erhaltene Flüssigkeit in dünnwandige Glasfläschchen filtrirt, die etwa bis zur Hälfte angefüllt sein dürfen. Der Hals [167] der Fläschchen ist lang und dünn und wird oben zugeschmolzen. In einem geeigneten Apparat werden dieselben nun wenigstens mehrere Stunden erhitzt und zwar einige Grad über den Siedepunkt des Wassers, um Alles, was Leben oder Lebenskeim heißt, durch die Hitze zu zerstören. Sobald die Fläschchen dann bis auf Blutwärme abgekühlt sind, wird die Spitze abgebrochen und ein wenig von dem gesammelten Thau hineingegeben. Dünne Haarröhrchen aus Glas, die kurz vorher ausgeglüht waren, taucht man in den zu untersuchenden Tropfen, von dem ein Theil nach dem physikalischen Gesetze der Haarröhrchenanziehung aufgesogen wird. Dieses Röhrchen wird rasch in die Glasflasche geworfen, welche sofort wieder in der Flamme der Gebläselampe zugeschmolzen werden muß. Etwa fünf Flaschen werden als Saatäcker benutzt und in der beschriebenen Weise mit Aussaat versehen, während fünf andere unberührt bleiben, um zur Controlle zu dienen.

Enthielt nun die zu untersuchende Luft Keime von Fäulniß erregenden Organismen, so trübt sich der Inhalt der Flaschen nach einigen Tagen, und wenn dann ein Tröpfchen der trüben Flüssigkeit mit dem Mikroskop geprüft wird, so zeigen sich in demselben Millionen jener Organismen, die wegen ihrer Stäbchenform Bakterien (siehe Nr. 4 d. J.) genannt worden sind. Die gesammelten Keime, welche als solche mit absoluter Sicherheit nicht unterschieden werden konnten, haben sich in der Nährflüssigkeit zu ausgebildeten Individuen ihrer Gattung entwickelt und eine Nachkommenschaft erzeugt, deren Anzahl eine erschreckende ist und die rückwärts darauf schließen läßt, daß ihre Keime in der Luft vorhanden waren, welche zur Untersuchung diente. Tritt ferner in den zugeschmolzenen, nicht geöffneten Fläschchen keine Trübung – keine Entwickelung von Organismen ein, so erhält dieser Schluß eine zweite, durch das Experiment erhärtete Begründung.

Diese Methode leidet nun aber freilich an einem großen Fehler, der darin seinen Grund hat, daß beim Abbrechen der Spitze etwas Luft in das Fläschchen dringt und daß diese Luft Keime enthalten kann, welche sich entwickeln, und deshalb kann eine Luft, welche keine Keime enthält, in den Verdacht der Schädlichkeit gelangen, welchen sie von Rechtswegen nicht verdient. Ferner ereignet es sich, daß in den Controllflaschen trotz aller Vorsichtsmaßregeln die Entwickelung von Organismen stattfindet, ein Umstand, der nur dadurch erklärt werden kann, daß Keime in die Flüssigkeit hineingeriethen, welche die Siedhitze vertrugen, ohne der Zerstörung anheim zu fallen.

Professor Cohn in Breslau hat gefunden, daß Keime von Bacillus (einer Bakterienart) eine dreitägige Erwärmung auf achtzig Grad ertragen können, ohne das Vermögen der Weiterentwickelung einzubüßen. Andererseits zeigte Herr A. Frisch, daß auf Bakterien und andere niedere hierher gehörende Organismen eine Kälte von siebenundachtzig Grad unter dem Gefrierpunkt in keiner Weise vernichtend einwirkte. Im Gegenteil, die Bakterien vermochten, nachdem das Gemach von fester Kohlensäure und Aether, welches den erwähnten Kältegrad erzeugt, aufgethaut war, fröhlich in geeigneter Nährflüssigkeit weiter zu vegetiren.

Nun sind die Bakterien, Vibrionen und andere ähnliche Organismen, welche pflanzliche und thierische Substanzen in Fäulniß versetzen, noch durchaus nicht als die alleinigen Krankheitserreger anzusehen, zumal sie nicht unter allen Umständen, sondern nur dann schädlich wirken, wenn im lebenden Körper solche Bedingungen vorhanden sind, welche ihre Weiterentwickelung befördern.

Die Miasmen des gelben Fiebers, des Wechselfiebers, der Malariakrankheit, des Typhus, der Cholera sind noch nicht mit genügender Sicherheit ermittelt, man weiß vorläufig nur, daß die Luft sie übertragen kann, daß sie die Luft vergiften. Es werden jedoch die Wege, welche zur Auffindung der Bakterien dienen, auch hier zu Resultaten führen, zumal angenommen werden muß, daß die Miasmen organisirt sind, sich weiter entwickeln und gezüchtet werden können, denn dieselben Desinfectionsmittel, welche die Bakterien und Consorten tödten, pflegen auch die Miasmen unschädlich zu machen.

Von Wichtigkeit ist nun weiter die Frage: auf welche Weise die schädlichen Organismen aus faulenden Flüssigkeiten, aus den Sümpfen, Gräben und Cloaken in die Luft gelangen, denn an die Beantwortung derselben knüpfen sich die Maßregeln, welche zum Schutze gegen das Luftgift in Betracht gezogen werden können.

Herr E. Frankland hat zu diesem Zwecke Untersuchungen angestellt, welche auf folgenden Beobachtungen fußen:

Der Ausbruch der asiatischen Cholera in Southampton im Jahre 1866 wurde von Professor Parkes auf die Verbreitung von inficirter Cloakenflüssigkeit durch die Luft zurückgeführt, da nachweisbar die Entleerungen einiger mit einem Dampfschiffe gelandeter Cholerakranker in den Abzugscanal gelangt waren. In diesem Falle wurde die Verbreitung des Giftes durch das Auspumpen der inficirten Flüssigkeit und das Entleeren derselben in einen offenen Canal von acht Fuß Länge veranlaßt. In den anliegenden reinen und luftigen Häusern brach wenige Tage, nachdem das Pumpen begonnen, eine heftige Epidemie asiatischer Cholera aus, an der 107 Personen starben. Gleichwohl wurde das Auspumpen während 14 Tagen Tag und Nacht hindurch fortgesetzt. Schließlich brachte man an die Stelle der offenen Leitung eine geschlossene Eisenröhre, und von diesem Tage an nahm die Zahl der Erkrankungen ab, sodaß innerhalb einer Woche nach dem Bedecken der Leitung die Epidemie erloschen war.

In diesem Falle war die Verbreitung des Giftes in der Luft nicht schwer zu erklären, aber keineswegs wurde damit die Frage gelöst, auf welche Weise kleine Organismen oder die Keime derselben aus stehendem, ruhigem Wasser den Weg ist die Luft finden, da ihnen Flugapparate selbstredend fehlen. Herr Frankland bediente sich zur Beantwortung dieser Frage eines Stoffes, der mit Leichtigkeit in den kleinsten Mengen erkannt werden kann und zwar durch den Spectral-Apparat. Es war dies das Chlorlithium, von dem eine Spur die Flamme roth färbt und im Spectroskop eine charakteristische rothe und eine gelbe Linie erkennen läßt. Er löste das Salz in Wasser auf, welches sich in einem Becherglase befand, und rührte es mit einem Stäbchen heftig um. Wenn nur ein hunderttausendstel Milligramm Chlorlithium in die Luft übergegangen wäre, hätte es im Spectroskop erkannt werden müssen. Es zeigte sich jedoch keine Spur desselben. Selbst als ein kräftiger Luftstrom – dem Winde gleich – über die Chlorlithium-Lösung geleitet wurde, ergab sich, daß wohl das Wasser der Lösung verdunstete, aber kein Lithium mit fortgerissen wurde. Hierauf warf Herr Frankland Marmorstücke ist die Lösung und fügte Salzsäure hinzu, worauf sich Kohlensäure entwickelte, die in Gestalt neuer Blasen an die Oberfläche drang. Sofort ließ sich Lithium in der Luft oberhalb des Gefäßes erkennen, ja es gelang, diese Luft durch einen schwachen Zug einundzwanzig Fuß weit fortzuführen, ohne daß der Gehalt an Lithium merklich abgenommen hätte.

Wenn wir eine in Fäulniß begriffene Flüssigkeit betrachten, so finden wir, daß sie meistens Gasblasen entwickelt, schaumig ist und sich daher ähnlich verhalten muß, wie die Chlorlithium-Lösung in dem letztgenannten Versuche des Herrn Frankland. Es kommt also darauf an, daß zur Fäulniß geeignete Flüssigkeiten aus dem Bereiche menschlicher Wohnungen geleitet werden, ehe sie wirklich in Fäulniß gerathen, Gasblasen entwickeln und die in ihnen enthaltenen Organismen, Keime etc. der Luft übermitteln. Somit giebt Frankland’s Untersuchung einen Fingerzeig für die Anlage von Canalisationen, bei denen jedes Stagniren ihres Inhaltes vermieden werden muß.

Ferner ist die Entwässerung sumpfiger Gegenden ein Gegenstand, der Aufmerksamkeit verdient, sobald in der Nähe derselben sich Wohnstätten der Menschen befinden. In wärmeren Strichen hat sich der Anbau eines australischen Baumes, des Eucalyptus globulus (siehe „Gartenlaube“ 1876, Nr. 5), in Sümpfen bewährt, denn dieser rasch wachsende Baum verwandelt in kurzer Zeit den Sumpf in einen luftreinigenden Wald. Auch unsere bekannte Sonnenblume ist hier zu nennen, indem sie ungesunde Sumpfstrecken zeitweilig in Culturland umwandelte. Frische, kräftige Vegetation arbeitet der Vermehrung niederer Organismen entgegen, da sie die Stoffe in ihren Kreislauf zieht, welche jene zu ihrer Existenz bedürfen, und so das Recht des Stärkeren zur Geltung bringt. Der Boden der Urwälder entwickelt in den ersten Jahren seiner Urbarmachung fiebererzeugende, den Ansiedlern oft verderblich werdende Miasmen, weil das bisherige Verhältniß zwischen Bodenfeuchtigkeit und der Vegetation gestört wurde. Sobald aber Getreide und Culturpflanzen gedeihlich sprießen, stellt sich die alte Ordnung wieder ein, Gifte und Gegengifte liegen in der Natur neben einander; die Aufgabe des Menschen ist, beide zu erkennen, damit er dem einen wehre, indem er sich das andere dienstbar macht.

Julius Stinde.