Textdaten
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Autor: Elisabeth Bürstenbinder
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Titel: Verdächtig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41–43, S. 672–676, 692–695, 706–711
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[672]

Verdächtig.

Von E. Werner.

Nun sitzen wir schon drei volle Tage hier und warten auf das Attentat, und die Mordsgeschichte will noch immer nicht losgehen! Herr Sebald, ich glaube wahrhaftig, man hat Sie genarrt und Seine Excellenz den Herrn Hofmarschall dazu!“

„Still, Haller, nicht so laut! Sie vergessen immer, daß wir Vorsicht zu beobachten haben, die äußerste Vorsicht – merken Sie sich das!“

Die beiden Sprechenden befanden sich in dem Gärtchen eines Dorfwirthshauses, das die Aussicht auf einen bergumkränzten See gewährte. Es war eine kleine anmuthige Ortschaft, tief in den Bergen gelegen, wohin der Strom der Reisenden den Weg noch nicht gefunden hatte. Das einzige sehr bescheidene Wirthshaus war größtentheils auf den Verkehr aus der Umgegend angewiesen und beherbergte nur hin und wieder einzelne Touristen, die von der großen Heerstraße ablenkten, aber auch bald wieder gingen, um berühmtere und großartigere Landschaftspunkte aufzusuchen. Der Herr, der seit mehreren Tagen hier wohnte, hatte sich dem Wirthe gegenüber gleichfalls als einen Vergnügungsreisenden bezeichnet, der in Begleitung seines Dieners eine Tour durch das Gebirge machte, das Gespräch aber, das die Beiden mit vorsichtig gedämpfter Stimme führten, schien auf einen ganz anderen Reisezweck zu deuten.

Herr Sebald warf einen argwöhnischen Blick ringsum, obgleich sich auf dem offenen Rasenfleck, den nur einige Obstbäume zierten, kein Lauscher verbergen konnte, und fuhr dann im Flüstertone fort:

„Wir werden möglicher Weise die ganze Woche hier bleiben müssen, bis sich irgend etwas Verdächtiges zeigt, und zeigen wird es sich, das ist zweifellos. Excellenz sagten mir beim Abschiede ausdrücklich: ,Es ist eine sehr wichtige Angelegenheit, die ich in Ihre Hände lege, lieber Sebald, sie erfordert die höchste Geschicklichkeit und vor allen Dingen die höchste Diskretion. Ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen nähere Informationen geben zu können, aber es wird genügen, Ihren Eifer anzuspornen, wenn ich Ihnen sage, daß es sich um ein Attentat gegen das durchlauchtige Fürstenhaus handelt, das um jeden Preis verhindert werden muß’ – das war mir genug.“

„Das ist aber verdammt wenig,“ meinte Haller bedenklich. „Wie sollen wir denn den Attentäter fassen, wenn wir nicht einmal sein Signalement haben?“

„Wir sollen ihn überhaupt gar nicht fassen, sondern vorläufig nur beobachten. Der Herr Hofmarschall scheint sich die eigentliche Leitung der Sache persönlich vorbehalten zu wollen. Er weilt nur drei Stunden von hier im Bade, wir haben sofort Bericht zu erstatten, wenn irgend etwas Verdächtiges passirt, und dann die Ordre abzuwarten.“

„Es passirt aber absolut nichts in diesem elenden kleinen Bergnest, wo Jeder den Anderen von Kindesbeinen an kennt. Wenn man nach Jemand fragt, bekommt man die ganze Lebensgeschichte bis zum Urgroßvater hinauf zu hören, und was wir in den drei Tagen an Fremden zu sehen bekamen, war auch nicht der Rede werth. Ein Pferdehändler, zwei Bauern und ein Reisender für Kognak und Spiritussen – schauderhaft solide Leute! Nicht einen Einzigen davon konnte man beim Kragen nehmen.“

Die letzten Worte klangen sehr wehmüthig, aber der Vorgesetzte schüttelte unzufrieden den Kopf.

„Beim Kragen nehmen! Das ist das A und O Ihrer Weisheit, und das kann doch schließlich jeder Gendarm. Observiren sollen wir, vigiliren, kombiniren, um den Verbrecher herauszufinden, das Ergreifen versteht sich dann von selbst. Excellenz haben ausdrücklich gewünscht, daß ich einen sicheren, zuverlässigen Mann mitnehme, für alle Fälle, und ich habe Sie gewählt, Haller, ich hoffe, Sie werden mein Vertrauen rechtfertigen.“

„An mir soll’s nicht fehlen!“ brummte Haller, „wenn wir nur erst irgend etwas Verdächtiges in Sicht bekämen!“

Er blickte mit äußerst gelangweilter Miene auf den See hinaus, die anmuthige Landschaft interessirte ihn nicht im Mindesten, da sie leider nicht verdächtig war.

„Halt – da kommt etwas!“ rief Sebald plötzlich und deutete auf die Straße, die sich von den Bergen in das Thal herabsenkte. „Ein Reisewagen!“

„Ja, aber es sind nur zwei Damen darin.“

„Gleichviel, wir dürfen auch den kleinsten Umstand nicht außer Acht lassen – observiren wir!“

Er zog ein kleines Fernglas hervor und begann eifrig den Wagen und dessen Insassen zu beobachten. Es war ein einfacher offener Landauer, dem die hinten aufgeschnallten Koffer ein noch harmloseres Aussehen gaben, und die beiden Damen, welche den Vordersitz einnahmen, eine ältere und eine jüngere, hatten augenscheinlich keine Ahnung davon, daß sie der Gegenstand einer so angestrengten Aufmerksamkeit waren, sie führten ein lebhaftes Gespräch mit einander.

„Ich begreife Dich wirklich nicht, Valeska,“ sagte die Aeltere. „Wie kannst Du Dich bei einer solchen Kleinigkeit so erregt und verletzt zeigen? Wenn Herr von Below nun auch wirklich unseren Reiseplan kennt –“

„So wird er uns folgen und mir wie gewöhnlich nicht von der Seite weichen! Du weißt, daß mir dies Mal unendlich viel daran lag, unsere Reise überhaupt nicht bekannt werden zu lassen, es sollte Niemand darum wissen, ich habe Dich ausdrücklich darum gebeten – und jetzt erst erfahre ich, daß Du es ihm trotzalledem verrathen hast.“

Die junge Dame, die in ziemlich erregtem Tone diesen Vorwurf aussprach, war eine schlanke, auffallend schöne Erscheinung, in einem einfachen, aber sehr gewählten Reise-Anzuge. Das zarte, etwas bleiche Antlitz besaß jenen Reiz, den die Schönheit allein nicht zu geben vermag, den Reiz des Seelenvollen, und die dunklen Augen hatten einen eigenthümlich ernsten sinnenden Ausdruck, wie man ihn selten bei einem Mädchen von zwanzig Jahren findet.

„Aber wie kann ich denn einen Reiscplan verrathen, den ich selbst nicht kenne?“ vertheidigte sich die Begleiterin. „Bis zu dieser Minute weiß ich noch nicht, wohin wir eigentlich gehen, ich weiß nur, daß der Wagen uns nach Seefeld bringen wird, das doch jedenfalls nur eine Reisestation ist, und das habe ich allerdings Herrn von Below mitgetheilt. Er war so bestürzt über die plötzliche Abreise, so trostlos, daß ich es wirklich nicht über das Herz bringen konnte, ganz zu schweigen, und er hatte sich schon in aller Morgenfrühe aufgemacht, um selbst den Blumenstrauß zu bringen, den Du beim Erwachen auf dem Balkon finden solltest.“

„Leider! Denn bei dieser Gelegenheit sah er den Wagen vor der Thür stehen und erfuhr die Abreise. Nun, hoffentlich folgt er uns nicht auf dem Fuße, und wir haben wenigstens für [673] den Augenblick Ruhe vor ihm. Später – mag er meinetwegen kommen.“

„Wirklich? Also hast Du nichts dagegen, wenn er uns dann folgt?“

„Nein, liebe Tante.“

„Gott sei Dank!“ sagte die Tante aufathmend. „Ich fürchtete schon, Du wolltest mit dieser Flucht in die Berge es ihm unmöglich machen, seine Bewerbung fortzusetzen. Valeska, bedenke, welches Los Du mit der Hand dieses Mannes zurückweisest! Er ist reich und unabhängig, ist Freiherr von altem Adel, Majoratsherr –“

„Und Du möchtest um jeden Preis einen Freiherrn von altem Adel zum Neffen haben,“ warf Valeska lachend ein.

Die alte Dame gerieth etwas in Verlegenheit bei dieser wohlgegründeten Behauptung, faßte sich aber rasch und entgegnete mit großer Würde: „Ich möchte das einzige Kind meines seligen Bruders geliebt und glücklich sehen!“

„Geliebt – vielleicht! Aber glücklich mit einem Manne wie Kuno von Below –?“

„Weßhalb nicht? Er ist ein guter Mensch.“

„Gewiß, aber auch nichts weiter. Harmlos und gutmüthig wie ein Kind und dabei unglaublich hartnäckig in seinen Neigungen, wie alle beschränkten Menschen. Wenn ich ihn zweimal fortschicke, so kommt er zum dritten Male wieder und fängt genau da wieder an, wo er das lezte Mal aufgehört hat. Solche Männer liebt man nicht.“

„Aber man heirathet sie bisweilen.“

„Wenn man um jeden Preis eine sogenannte Partie machen will, allerdings. Ich habe meine eigenen Ansichten in diesem Punkte.“

„Ja, das weiß der Himmel!“ seufzte die alte Dame. „Thörichte überspannte Ansichten, die niemals der Wirklichkeit Rechnung tragen. Weil Du eine gefeierte Künstlerin bist und das Publikum Dich auf Händen trägt, bildest Du Dir ein, es müsse im Leben zugehen, wie in Deinen Rollen. Du träumst von irgend einer idealen, romantischen Liebe, und weil der arme Below diesem Jdeal nicht entspricht, wird er verächtlich bei Seite geschoben, und doch ist er von allen, die Dich umschwärmen und Dir huldigen, der Einzige, der Dir mit einem wirklich ernsten Antrage naht.“

„Ich bedaure trotzdem, die Ehre dieses Antrages ablehnen zu müssen. Gieb Dir keine Mühe, Tante! Ich weiß es, Du bist im Komplott mit Below, er hat an Dir eine unermüdliche Bundesgenossin, aber es ist umsonst, ich bleibe bei meinem Nein.“

Die Erklärung klang entschieden genug, aber die alte Dame ließ trotzdem ihren Lieblingsplan nicht fahren. Sie hatte es sich nun einmal in den Kopf gesezt, die Tante des besagten Majoratsherrn zu werden, und da weder das Majorat noch der alte Adel sonderlichen Eindruck auf die eigensinnige Nichte machten, so wurde der Angriff von einer anderen Seite versucht.

„Mein liebes Kind, ich habe ja doch nur Dein Glück, Deine Zukunft im Auge. Ich weiß es ja, wie wenig Du mit Deinem reizbaren Stolze, mit Deinen idealen Anschauungen für dies Leben geschaffen bist, das Vielen so beneidenswerth erscheint und unter seinen Blumen doch so viele Dornen birgt. Ich fürchte, Du hast das längst selbst eingesehen und stehst doch erst im Anfange Deiner Künstlerlaufbahn. Du besitzest nichts als Dein Talent und daß auch dies nicht im Stande ist, Dich vor Kränkungen [674] und Anfendungen zu bewahren, das, dächte ich, hättest Du im letzten Winter erfahren, als Prinz Leopold Dich in so entschiedener Weise auszeichnete.“

„Tante, ich bitte Dich!“ unterbrach das junge Mädchen sie mit glühenden Wangen.

„Ja, ich weiß, Du willst nichts mehr davon hören, die Sache ist ja längst zu Ende, ich erwähne sie auch nur, um Dich daran zu erinnern, wie schutzlos, wie gefährdet Deine Stellung nach allen Seiten hin ist, trotz des unangetasteten Rufes, den Du Dir bewahrt hast. Die Welt glaubt es selten, daß eine junge Schauspielerin zu stolz ist, um die Liebe eines Fürsten anzunehmen, der ihr seine Hand nicht bieten kann. Auch Seine Durchlaucht der Herzog schien ernstliche Besorgnisse zu hegen, er schickte seinen Bruder Hals über Kopf auf Reisen und Du warst eine Zeit lang in völliger Ungnade bei den höchsten Herrschaften.“

„Was Dir jedenfalls schmerzlicher gewesen ist, als mir,“ warf Valeska mit leisem Spotte ein.

„Ja, Du nahmst die Sache unglaublich leicht und die Ungnade war doch augenfällig. Wärst Du nicht so unersetzlich beim Schauspiel gewesen, ich glaube, es hätte Dir Deine Stellung am Hoftheater gekostet. Erst als man sah, daß Du in Deiner Zurückhaltung beharrtest, und daß der Prinz keinen Versuch zu einer Wiederannäherung machte, wurdest Du theilweise wieder zu Gnaden angenommen, aber mit der einstigen Vorliebe des Hofes für Dich ist es vorbei.“

„Das habe ich erfahren,“ sagte Valeska mit aufwallender Bitterkeit. „Früher wurde ich überall geschätzt und bevorzugt, jetzt läßt man jeder Kränkung, jeder Intrigue gegen mich freien Spielraum, und bisweilen ist es mir vorgekommen, als wünsche man meine freiwillige Entfernung. Nun, vielleicht ist dieser Wunsch seiner Erfüllung näher, als man glaubt.“

„Willst Du etwa Deinen Kontrakt lösen?“ fragte die alte Dame. „Das wäre eine Uebereilung, die Bedingungen sind glänzend, das Publikum vergöttert Dich und wohin Du auch gehen magst, Du findest überall neue Intriguen und neue Kämpfe. Kind, Du verzehrst Dich so in einem solchen Leben, ich weiß, wie sehr Du darunter leidest, und es kostet Dir doch nur ein Wort, Dich von dem allen frei zu machen. Wie glücklich würde Herr von Below sein, wenn er Dich der Bühne entführen dürfte!“

Sie war glücklich wieder bei dem alten Thema angelangt, aber diesmal zuckte Valeska nur ungeduldig die Achseln, und sich abwendend blickte sie in die Landschaft hinaus. Der Wagen rollte jetzt in schnellem Trabe bergabwärts, in der Tiefe schimmerte die klare Fluth des Bergsees, die kleine Ortschaft schmiegte sich malerisch an die grünen Vorberge des Ufers, und in dem hellen Sonnenschein leuchteten die weißen Mauern eines Kirchleins, das auf einer Anhöhe über denn Dorfe lag und soeben seine helle Glockenstimme erhob, um sie weit hinauszuschicken in die stille Bergeseinsamkeit. Wie grüßend stiegen die Klänge empor zu dem jungen Mädchen, dessen Augen auf jenen weißen Mauern hafteten, und das weit vorgebeugt den Tönen lauschte, und dabei strahlten die schönen dunklen Augen plötzlich auf, als sei es wirklich ein Gruß aus theurem Munde, der dort emporklang.

Die alte Verwandte gab, als sie keine Antwort erhielt, mit einem Seufzer das Thema auf, das so gar keinen Anklang fand, und wandte ihre Aufmerksamkeit gleichfalls denn Thale zu.

„Das ist also Seefeld!“ begann sie von Neuem. „Wie kommst Du nur auf diesen weltentlegeneu Ort? Das kleine Gasthaus da unten sieht mehr als bescheiden aus, es wird uns kaum eine passende Unterkunft für die Nacht gewähren können.“

„Das ist auch nicht nöthig, denn wir werden im Pfarrhause absteigen.“

„Bei dem Pfarrer von Seefeld? Mein Gott, woher kennst Du ihn denn?“

„Durch Zufall, und ich denke jetzt von seiner freundlichen Einladung Gebrauch zu machen, wenn auch nur für einige Stunden.“

Die alte Dame richtete sich empor und maß ihre Nichte mit einem argwöhnischen Blick.

„Valeska, Du verbirgst mir etwas! Ich habe Dich stets begleitet und müßte von dieser Bekanntschaft wissen. Was soll überhaupt dieser ganze geheimnißvolle Ausflug bedeuten? Wir sitzen ruhig in der Sommerfrische und richten uns auf wochenlangen Aufenthalt ein, da auf einmal beschließest Du die Abreise, die in aller Stille und Heimlichkeit vor sich geht. Niemand soll davon wissen, Niemannd unfer Reiseziel erfahren, Du bist ganz außer Dir darüber, daß Herr von Below es kennt, und jetzt hast Du hier, in diesem kleinen Bergdörfchen, Beziehungen, von denen ich nie etwas gehört habe. Dahinter steckt irgend etwas und mir verbirgst Du es, mir, die Mutterstelle bei Dir vertritt, die Dich liebt wie ein eigenes Kind! Womit habe ich das verdient?“

Sie schien sich die Sache in der That zu Herzen zu nehmen, denn es glänzten Thränen in ihren Augen, aber Valeska lächelte nur und legte beschwichtigend die Hand auf ihren Arm.

„Meine liebe Tante, ich weiß es, Du bist herzensgut und hast überhaupt nur einen einzigen Fehler – Du kannst nicht schweigen! Das hat sich wieder gezeigt, als Below Dich mit Fragen und Bitten bestürmte. Also mußt Du wenigstens mir gestatten, zu schweigen. Du wirst ja schließlich erfahren, um was es sich handelt. Laß Dich immerhin überraschen.“

Sie hatten jetzt das Thal erreicht, und der Wagen rollte durch die Dorfstraße. Die Damen bemerkten beim raschen Vorbeifahren kaum die beiden Fremden im Garten des Wirthshauses, und diese, die wohlweislich das Fernglas bei Seite gelegt hatten, schienen auch ihrerseits den Wagen nicht zu beachten, kaum aber war er vorüber, so blickten sie sich mit dem Ausdruck der Ueberraschung an, und Haller sagte halblaut. „Das war ja – Fräulein Blum!“

„Valeska Blum,“ bestätigte Sebald, „der gefeierte Stern unseres Hoftheaters! Wie kommt sie hierher in dies abgelegene Bergdörfchen? Das ist doch merkwürdig.“

„Der Wagen hält drüben vor dem Pfarrhause,“ berichtete Haller, der an den Gartenzaun getreten war, „und da erscheint auch Seine Hochwürden in eigener Person, um die Damen zu ennpfangen.“

„Noch merkwürdiger! Was hat die junge Schauspielerin bei dem Pfarrer zu thun? Das ist kein Verwandtschafts- oder Freunndschaftsbesuch, der Empfang des geistlichen Herrn ist ja ungemein respektvoll. Wahrhaftig, sie treten in das Haus, die Koffer werden abgeladen – Haller, das müssen wir observiren!“

„Aber eine herzogliche Hofschauspielerin und ein hochwürdiger Priester können doch nicht verdächtig sein,“ wandte der Untergebene ein, „die helfen sicher nicht bei einenn Attentat gegen das fürstliche Haus. Ich glaube, Seine Durchlaucht und Seine Excellenz nähmen uns selber beim Kragen, wenn wir Fräuleln Blum zu nahe kämen! Sie steht in großer Gunst bei Hofe, zumal bei der Frau Herzogin.“

Sebald zuckte mit überlegener Miene die Achseln.

„Nichts ist unverdächtig, Alles muß observirt werden – merken Sie sich das! Und was die Gunst der höchsten Herrschaften betrifft, so ist es vorbei damit, seit Prinz Leopold der schönen Valeska in so auffallender Weise huldigte, daß man bei Hofe ernstlich besorgt wurde, die ganze Residenz sprach ja davon.“

„Nun ja, der Prinz war verliebt – das ist doch am Ende kein Unglück.“

„Bei einem Fürsten, der sich eben standesgemäß vermählen soll, ist es allerdings ein Unglück, wenn er sich ernstlich verliebt, und Prinz Leopold war auf dem besten Wege dazu. Es ist ja ein offenes Geheimniß, daß er sich entschieden geweigert hat, die längst beschlossene Brautfahrt an den verwandten königlichen Hof zu machen, daher die allerhöchste Ungnade! Der Herzog schickte ihn schleunigst auf Reisen, das heißt in die Verbannung, es drohte ein unheilbares Zerwürfniß in der fürstlichen Familie – und das Alles um dieser Valeska Blum willen.“

„Nun, hübsch genug ist sie, daß auch ein Prinz ihretwegen einen dummen Streich machen kann,“ erlaubte sich Haller zu bemerken, aber diese unpassende Aeußerung zog ihm eine Rüge seines Vorgesetzten zu.

„Haller, ich zweifle nicht an Ihrer Loyalität, aber ich bitte mir aus, daß Sie Ihre Ausdrücke geziemender wählen. Man spricht nicht von ‚dummen Streichen‘, wenn von einem Mitgliede des Fürstenhauses die Rede ist. Uebrigens war diese Passion des Prinzen sehr vorübergehend, er ist selbstverständlich zur Besinnung gekommen und wird sich dem Befehl des Herzogs fügen, seine Vermählung mit der Prinzessin Marie ist beschlossene Sache.“

„Und Fräulein Blum?“

„Nun, sie wird natürlich den fürstlichen Verehrer sehr ungern verloren haben, übrigens soll sie sich in der ganzen Angelegenheit sehr taktvoll benommen haben, so heißt es wenigstens, aber ich traue dieser jungen Dame mit ihrer gefährlichen Schönheit nicht, mir ist sie verdächtig, sehr verdächtig. Zuerst versucht sie, einen [675] Prinzen des regierenden Hauses in ihre Netze zu ziehen, und als ihr dies nicht gelingt, taucht sie urplötzlich hier in Seefeld auf, gerade hier, wo das Attentat gegen das Regentenhaus gesponnen wird. Ich ahne da einen geheimnißvollen Zusammenhang – die Sache kann sich furchtbar enthüllen.“

„Gott steh’ uns bei! Sie glauben doch nicht, daß sie selbst die Attentäterin ist?“ rief Haller entsetzt.

„Ich glaube nichts, ich kombinire nur. Man hat Beispiele in der neueren Geschichte – haarsträubende Beispiele! Blicken Sie nur nach Rußland hinüber! Jedenfalls werde ich mit aller Energie observiren.“

Und damit trat Herr Sebald gleichfalls an den Gartenzaun und begann das Pfarrhaus zu beobachten, als habe er die Gabe, durch geschlossene Thüren und Fenster hindurch zu sehen.

Er konnte sich jedoch nicht lange dieser Beschäftigung hingeben, denn jetzt kam ein zweiter Wagen von der anderen Seite her, wo die Straße am See entlang führte, ein leichtes offenes Gefährt, in dem sich nur ein einzelner Herr befand. Der Wagen hielt vor dem Gasthause und der Reisende stieg aus; es war ein noch ziemlich junger Mann, der trotz seiner Civilkleidung in Haltung und Aussehen den Soldaten nicht verleugnen konnte, aber entschieden den vornehmeren Ständen angehörte. Er streifte mit einem raschen, scharfen Blicke die beiden Fremden, kehrte ihnen dann aber gleichgültig den Rücken und verlangte in kurzer, befehlender Art ein Zimmer von dem herantretenden Wirth, dem er gleich darauf in das obere Stockwerk folgte, wo die Gastzimmer lagen.

Kaum war er verschwunden, so richtete sich Sebald, der beim Herannahen des Wagens seinen Platz unter dem Apfelbaume wieder eingenommen hatte, empor und sagte halblaut, aber mit Nachdruck: „Haller – der Mensch ist verdächtig.“

„Ja, Herr Sebald, aber vornehm. Das ist kein Pferdehändler, und der reist auch nicht für Kognak und Spiritus.“

„Um so schlimmer – um so besser, wollte ich sagen, denn die Sache fängt jetzt endlich an, sich zu entwickeln. Gehen Sie auf Ihren Posten und bringen Sie mir so bald als möglich Nachricht.“

Der Untergebene gehorchte, er hatte regelmäßig bei der Ankunft von Fremden den Wirth auszufragen, was ihm auch bei der Redseligkeit desselben ohne große Mühe gelang. Als angeblicher Diener durfte er eher Neugier zeigen, als sein Chef, bei dem jede Erkundigung aufgefallen wäre. Auch jetzt entledigte er sich seines Auftrages zur Zufriedenheit und kehrte nach kaum zehn Minuten mit dem Rapport zurück.

„Nun?“ fragte Sebald gespannt. „Was ist mit dem Fremden? Woher kommt er? Wohin geht er? Was will er hier? Berichten Sie!“

„Er hat sich vorläufig ein Zimmer geben lassen.“

„Das ist unverdächtig – nun weiter.“

„Dann hat er nach einem andern Herrn gefragt, mit dem er hier zusammentreffen will und den er hier zu finden glaubte.“

„Das ist sehr verdächtig! Jedenfalls ein Helfershelfer! Und dann?“

„Zuletzt hat er sich nach dem Pfarrhause erkundigt und die Absicht ausgesprochen, dem Herrn Pfarrer einen Besuch zu machen.“

Sebald fuhr vom Stuhle auf mit triumphirender Miene.

„Haller – ich glaube, wir haben ihn!“

„Den Attentäter?“

„Wenigstens einen von der Bande, denn hier handelt es sich zweifellos um eine ganze Verbrecherbande. Es kann unmöglich Zufall sein, daß ein einfacher Dorfpfarrer in ein und derselben Stunde zwei so räthselhafte Besuche empfängt. Vielleicht ist er ein blindes Werkzeug der Verschwörer, dem man die Augen öffnen muß, vielleicht auch nicht, jedenfalls findet im Pfarrhause eine verdächtige Zusammenkunft statt. Haller – ich sage Ihnen, wir werden einen großen Fang thun!“

„Ja, und dann nehmen wir sie allesammt beim Kragen!“ ergänzte Haller mit großer Befriedigung, indem er seinem voranschreitenden Chef in das Haus folgte. – Es war inzwischen Mittag geworden, auf der Fluth des Sees flimmerte es wie von tausend leuchtenden Funken, und heiße Sonnengluth lag auf den Bergen ringsum, sogar in den Wäldern, welche die Höhenzüge bedeckten, machte sich die Schwüle der Mittagsstunde geltend.

Unter dem schattigen Laubdache schritten zwei Wanderer dahin, sie verfolgten einen schmalen Waldpfad, der in ziemlich steiler Windung bergabwärts führte und nur bisweilen, wenn die Bäume sich lichteten, einen Blick auf den See gewährte, der noch in ziemlicher Tiefe lag.

Die beiden jungen Männer mochten in dem gleichen Alter stehen, am Ende der Zwanzig. Der Eine, eine kräftige Gestalt, mit einem hübschen, unendlich gutmüthigen, aber ziemlich einfältigen Gesicht, trug einen eleganten Touristenanzug, schien aber sehr erhitzt und ermüdet zu sein. Er trocknete sich wiederholt mit dem Taschentuche die Stirn und sagte ärgerlich: „Dieser verwünschte Wald! Eine volle Stunde bin ich darin umher geirrt, ohne Weg und Steg zu finden, Gott sei Dank, daß ich wenigstens einen Menschen fand, der sich meiner annimmt und mich zurechtweist. Der Kukuk hole diese grüne Wildniß, die noch immer kein Ende nehmen will!“

Der Gefährte lächelte. Es war eine hochgewachsene Erscheinung, mit blondem Haar und Bart und einem Antlitz, das freilich nicht so hübsch wie das seines Begleiters, aber dafür um so anziehender war. Trotz seiner Jugend zeigte es feste, männlich ernste Züge, und Haltung und Sprache machten den gleichen Eindruck.

„Die grüne Wildniß ist trotzdem sehr romantisch,“ erwiderte er, mit einem Blick auf den sonnendurchleuchteten Wald, der in träumender Mittagsstille ruhte.

„Ja, aber man verläuft sich in dieser Romantik, man arbeitet sich durch die Gebüsche, stolpert über Baumwurzeln und kommt dabei immer weiter ab vom Ziele. Nennen Sie das etwa ein Vergnügen? Hätte ich nur die Fahrstraße verfolgt, dann wäre ich jetzt längst in Seefeld, aber ich scheute die Sonnengluth, und der Kutscher behauptete, daß der Waldweg viel näher und angenehmer sei. Er hat natürlich geschlafen, was ich allerdings auch that, und da passirte dann das Unglück. Wir lagen plötzlich im Graben sammt dem Wagen, der ein Rad gebrochen hatte, während wir mit dem bloßen Schrecken davon kamen.“

„Es war jedenfalls eine Nachlässigkeit des Kutschers. Waren Sie allein mit ihm?“

„Ja, ich habe meinen Diener bei diesem Ausfluge nicht mitgenommen. Dabei fällt mir ein, daß ich mich Ihnen noch nicht genannt habe: Freiherr Kuno von Below, Majoratsherr auf Waltersberg.“

Er gab diese Erklärung mit einer gewissen Feierlichkeit und schien befremdet, daß sie so wenig Ehrfurcht erweckte. Der Fremde nahm in der That nicht viel Notiz davon, er neigte nur leicht das Haupt und sagte artig, aber sehr ruhig: „Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr von Below. Jedenfalls war es ein Glück, daß der Unfall droben auf der Höhe stattfand, wo die Straße eben hinläuft, bei der Hinabfahrt hätte er verhängnißvoll werden können.“

„Wenn die Geschichte nur nicht gerade heute passirt wäre!“ seufzte der Majoratsherr. „Ein Sturz in den Graben – ein zerbrochener Wagen – Verirren im Walde – das sind Alles schlimme Vorbedeutungen, und die kann ich gerade jetzt nicht brauchen. Ich bin nämlich auf der Brautfahrt!“

„Ah so! Ich gratulire!“

„Ich danke! Das heißt, eigentlich kann ich den Glückwunsch noch nicht annehmen, denn die Sache ist noch keineswegs in Ordnung.“

„Wieso? Stellen sich der Verbindung Hindernisse entgegen?“

„Ja, das größte Hinderniß ist die Braut selbst – sie will mich nämlich nicht.“

Um die Lippen des Reisegefährten zuckte es bei diesem naiven Geständniß wie mühsam unterdrücktes Lachen, aber er bezwang sich und entgegnete ernsthaft:

„Das ist aber unglaublich!“

„Nicht wahr?“ fragte Herr von Below treuherzig. „Und ich lege ihr doch Alles zu Füßen, was ein Mädchenherz nur wünschen kann. Waltersberg ist eine der schönsten Besitzungen, mit Schloß und Park und Waldungen, ich würde meiner Frau keinen Wunsch versagen, ich würde sogar die Wintermonate mit ihr in der Residenz zubringen, wenn sie sich von ihren gewohnten Umgebungen nicht trennen will.“

„Dann lebt Ihre Auserwählte also in der Residenz? Vermuthlich eine Dame des Hofes?“

[676] Herr von Below gerieth einen Moment lang in Verlegenheit bei dieser mit voller Sicherheit ausgesprochenen Voraussetzung, faßte sich aber schnell und antwortete tapfer: „Nein – eine Künstlerin!“

Jetzt stutzte der junge Fremde und blieb plötzlich stehen.

„Eine Künstlerin? Doch nicht etwa vom Hoftheater?“

„Ganz recht. Sie werden sie jedenfalls kennen, da Sie in unserer Residenz bekannt zu sein scheinen. Fräulein Valeska Blum, der Abgott des Publikums, ein Talent ersten Ranges und dabei eins der liebenswürdigsten Mädchen – kurz ein Engel!“

[692] Der Fremde preßte die Lippen zusammen, sein Gesicht hatte sich auffallend verfinstert, seine Hand ballte sich und die Augen blitzten so zornig auf, als habe er Lust, den enthusiastischen Verehrer der schönen Schauspielerin den Abhang hinunterzuwerfen, den sie gerade passirten, aber ein Blick auf das harmlos gutmüthige Gesicht des Sprechenden brachte ihn zur Besinnung. Er zuckte nur die Achseln und ging dann weiter vorwärts, ohne eine Antwort zu geben.

Herr von Below bemerkte das nicht, er war sehr mittheilungsbedürftig und es störte ihn durchaus nicht, daß der Zuhörer, den er in seine Herzensangelegenheiten einweihte, ein ganz Fremder war. Er schwatzte vergnüglich weiter.

„Sie wundern sich darüber, nicht wahr? Ja, ich muß es auch von meiner ganzen Verwandtschaft hören, daß es eine Mißheirath ist, wenn ein Freiherr von Below sich mit einer jungen bürgerlichen Schauspielerin vermählt, aber ich mache mir gar nichts daraus. Valeska Blum ist von tadellosem Rufe, aus guter Familie – ihr Vater war Professor am Gymnasium der Residenz – und sie lebt mit einer alten Verwandten in einer Weise, daß selbst die schlimmste Klatschsucht ihr nichts vorwerfen kann – ich heirathe sie unter allen Umständen.“

„Aber ich denke, die Dame will Sie nicht,“ warf der Reisegefährte ein, der seine augenblickliche Erregung überwunden hatte und die Sache jetzt von der komischen Seite zu nehmen schien.

„Ja, sie hat mich allerdings schon zweimal abgewiesen, und ich glaube, sie ist nur deßhalb so Hals über Kopf nach Seefeld gereist, weil sie fürchtet, ich käme zum dritten Male – aber ich komme doch! Die Tante, das alte Fräulein Blum, hat mir die Spur verrathen, und da bin ich ihnen schleunigst nachgefahren.“

„Das ist in der That eine bewundernswerthe Konsequenz!“

Der Majoratsherr merkte nicht die Ironie in diesen Worten, er nahm die Bemerkung wörtlich und fühlte sich geschmeichelt dadurch.

„Ja, konsequent bin ich, das ist wahr,“ entgegnete er mit Selbstgefühl. „Das ist eine meiner Haupteigenschaften, und deßhalb kümmere ich mich auch nicht um die Proteste all der Vettern und Basen, obgleich sie mir mit der allerhöchsten Ungnade drohen. Man wird bei Hofe allerdings eine derartige Heirath ungern sehen.“

„Gewiß,“ sagte der junge Fremde mit einem eigenthümlich bitteren, fast schneidenden Tone. „Unser Hof stellt in solchen Fällen die Ahnentafel als unverbrüchliches Gesetz auf, aber das Herz ist ein Revolutionär, es wirft bisweilen Ahnen und Traditionen und Hausgesetze über den Haufen und erkämpft sich triumphirend sein Recht.“

„Ganz meine Meinung!“ stimmte Herr von Below bei. „Sie haben das sehr schön ausgedrückt. Sie gefallen mir überhaupt. Wer sind Sie denn eigentlich? Vermuthlich ein Maler.“

„Ich – nein! Weßhalb?“

„Weil Sie so auf die Waldromantik versessen sind. Ich finde sie sehr unbequem, das heißt in der Wirklichkeit, auf den Bildern habe ich nichts dagegen einzuwenden.“

„Sie sind im Irrthum,“ sagte der Fremde mit einem flüchtigen Lächeln. „Ich bin kein Künstler, ich stand bisher in der Armee und gedenke, mich jetzt der Landwirthschaft zu widmen.“

Der Majoratsherr wurde aufmerksam. Landwirthschaft! Das war sein Fach, das interessirte ihn, und er sah sich seinen Begleiter darauf hin genauer an. Der junge Mann sah ganz anständig aus, er hatte sogar etwas Vornehmes, allerdings wanderte er zu Fuß, war also jedenfalls ein armer Schlucker, dem seine Reisekasse nicht erlaubte, einen Wagen zu benutzen, aber das störte nicht das Wohlwollen, das Kuno von Below für ihn empfand, ihm gefiel die männlich ernste Erscheinung, und dann hatte sich der Fremde so freundlich seiner angenommen und sich erboten, ihn auf den rechten Weg zu bringen, ohne zu wissen, daß er die Ehre hatte, den Majoratsherrn von Waltersberg zu führen.

„Also Landwirth!“ wiederholte er. „Und Sie haben vermuthlich noch keine Stellung, da Sie eben erst vom Militär entlassen sind. Haben Sie denn auch etwas Ordentliches gelernt?“

„Nun, ich hoffe es wenigstens.“

„Dann will ich Ihnen einen Vorschlag machen – kommen Sie zu mir nach Waltersberg. Im Herbst wird dort der Posten des zweiten Inspektors frei, eine sehr gute Stellung. Dreihundert Gulden Gehalt, freie Station und eine Gratifikation zu Weihnachten. Was meinen Sie dazu?“

Ueber die Lippen des Fremden ging wieder ein verdächtiges Zucken, als kämpfe er mit einem unwiderstehlichen Lachreiz.

„Sie sind sehr gütig, Herr von Below, ich fürchte nur –“

„Nun, was Ihnen noch fehlt, können Sie ja lernen!“ unterbrach ihn Below, der sich veranlaßt fühlte, der Bescheidenheit des jungen Mannes zu Hilfe zu kommen. „Mein erster Inspektor ist sehr tüchtig und wird Sie schon in die Schule nehmen. Etwas derb ist er allerdings, die feinen wildledernen Handschuhe, die Sie da [694] tragen, wird er Ihnen zum Beispiel gleich abgewöhnen, dergleichen ist nicht Mode bei uns. Er wird überhaupt Einwendungen machen, weil ich Sie so ohne alle Zeugnisse und Empfehlungen nehme, aber Sie gefallen mir und das ist die Hauptsache. – Da stehen wir schon wieder vor einem Stück Ihrer verwünschten Romantik! Sollen wir etwa da hinunter?“

Die letzten Worte galten dem Wege, der sich plötzlich steil in eine äußerst malerische Schlucht hinabsenkte. Herr von Below, der kein Bergsteiger war, blieb bedenklich stehen, aber sein Begleiter ermuthigte ihn.

„Es ist die letzte Schwierigkeit, die Sie zu überwinden haben, dort unten treffen wir auf die Fahrstraße. Stützen Sie sich auf meine Schulter, so, auf diese Weise wird es gehen.“

„Ja, so geht es!“ sagte der Majoratsherr sehr befriedigt, da der neue Inspektor sich als ein äußerst brauchbarer und gefälliger Mensch erwies, „Sie scheinen ja sehr vertraut mit den Bergen zu sein und stammen vielleicht auch aus dieser Gegend. Wo sind Sie denn eigentlich geboren?“

„Auf der Rosenburg, in der Nähe der Residenz.“

„Ah, das herzogliche Lustschloß! Da sind Sie vermuthlich der Sohn des Kastellans oder etwas dergleichen.“

Der Gefragte machte eine leichte Bewegung mit dem Haupte, die eben so wohl eine Bejahung als eine Verneinung sein konnte, Herr von Below nahm sie für das erstere und klopfte seinen Begleiter freundlich auf die Schulter.

„Das ist mir lieb, ich lege Werth darauf, wenn meine Leute aus anständiger Familie sind, ich habe Ihnen das gleich angesehen.“

„Sie können außer Sorge sein, meine Familie ist durchaus anständig,“ versetzte der junge Fremde lächelnd. „Aber da ist endlich die Fahrstraße! Sie können jetzt den Weg nicht mehr verfehlen, dort liegt Seefeld, das Sie in einer halben Stunde erreichen, die Straße führt geradewegs hinein. Ich werde auf dem Waldpfade bleiben.“

„Gehen Sie lieber die Fahrstraße,“ sagte der Majoratsherr, dem es langweilig war, den Rest des Weges allein zurückzulegen, und der Lust zu noch fernerem Schwatzen verspürte. „Sie wollen ja auch nach Seefeld und dabei können Sie mir auch meinen Plaid tragen, er wird mir in der Sonnengluth beschwerlich werden.“

Damit nahm er seinen Plaid von der Schulter und wollte ihn ohne Weiteres dem neuen Inspektor einhändigen, da trat dieser plötzlich einen Schritt zurück und sich zu seiner vollen Höhe aufrichtend, maß er den jungen Freiherrn mit einem ganz seltsamen Blick.

„Ich bedaure, Herr von Below, ich habe Eile und ziehe den kürzeren Weg vor. Auf Wiedersehen in Seefeld!“

Er lüftete leicht den Hut und mit einer Handbewegung, die zwar freundlich, aber so unendlich vornehm war, als entlasse er den Majoratsherrn von Waltersberg, schritt er in den Wald zurück und verschwand zwischen den Bäumen.

Kuno von Below stand mitten auf der sonnigen Fahrstraße, mit seinem Plaid in der Hand und einem höchst verblüfften Gesicht. Es dauerte einige Minuten, ehe er die Sache überhaupt begriff, dann aber schüttelte er den Kopf und sagte halblaut:

„Ich wollte, ich hätte ihn nicht als Inspektor engagirt – dem Menschen fehlt der Respekt!“

Damit trat er unter fortgesetztem Kopfschütteln den Weg an und langte denn auch nach manchem vergossenen Schweißtropfen glücklich in Seefeld an.

Sebald und sein Untergebener befanden sich noch immer in dem Gärtchen, das den Vorzug hatte, nach allen Seiten hin einen freien Ueberblick zu bieten. Sie hatten sich dort das Mittagsmahl auftragen lassen, um in unverdächtiger Weise ihren Wachposten behaupten zu können, denn die Verdachtsgründe mehrten sich zusehends. Der Fremde, der eine Stunde nach den Damen eingetroffen war, hatte sich gleichfalls in das Pfarrhaus begeben und war noch nicht wieder zum Vorschein gekommen, da man aber dort füglich nicht eindringen konnte, so blieb vorläufig nichts übrig, als „mit aller Energie zu observiren“.

Gerade in dies Observiren hinein gerieth nun Kuno von Below, der erhitzt, ermattet und sehr übellaunig vor dem Wirthshause anlangte und sofort ein neues Beobachtungsobjekt für die beiden Beamten wurde. Diesmal übernahm es Sebald selbst, den neuen Ankömmling auszuforschen, er stieß wie zufällig in der Gartenthür mit ihm zusammen und entschuldigte sich dann mit aller nur möglichen Höflichkeit. Er bedaure unendlich, den fremden Herrn gestoßen zu haben, es sei durchaus nicht seine Absicht gewesen, er bitte tausend Mal um Verzeihung.

Herr von Below, dem nach der Respektlosigkeit, die er soeben erfahren hatte, diese Höflichkeit sehr wohlthat, nahm die Entschuldigung an, und das war der Eingang zu einem Gespräche, das mit einer Bemerkung über die Schönheit des Sees und seiner Umgebungen begann, dann allmählich auf die Fragen nach dem Woher und Wohin überging und im Ganzen nur ein vorsichtiges Ausforschen war.

Die Vorsicht war bei dem jungen Manne nun gerade nicht nöthig, denn dieser erzählte sofort, auf die erste Frage hin, seine ganze Leidensgeschichte, mit allen möglichen Details, schalt auf den Kutscher, der versprochen hatte, mit den Pferden und dem Koffer sofort nach Seefeld aufzubrechen, und noch immer nicht da war, und erkundigte sich endlich, ob nicht zwei Damen, in einem offenen Landauer, mit verschiedenem Reisegepäck hier vorgefahren und abgestiegen seien.

Sebald horchte auf. Auch dieser Mensch war verdächtig, auch er suchte Jemand in diesem abgelegenen Orte, aber der Beamte war zu gut geschult, um seinen Triumph über diese neue Entdeckung auch nur mit einem Worte zu verrathen, er gab im Gegentheil mit größter Artigkeit die gewünschte Auskunft.

„Zwei Damen? Eine ältere und eine jüngere – ganz recht! Sie sind vor einer Stunde hier vorübergefahren, aber ich sah sie drüben am Pfarrhause aussteigen, wo sie sich jedenfalls noch befinden. Vermuthlich eine Reisebekanntschaft, die Sie dort aufsuchen wollen?“

„Natürlich werde ich sie aufsuchen!“ rief Herr von Below. „Ich muß nur erst Toilette machen – mein Gott, jetzt fällt es mir erst ein, daß ich meinen Koffer nicht bei mir habe! Ich kann mich nicht umkleiden und in dem Aufzuge kann ich mich doch unmöglich präsentiren!“

Die Waldromantik hatte in der That dem eleganten Touristenanzug arg mitgespielt. Die hellen Beinkleider trugen die mißfarbenen Spuren des feuchten und stellenweise sumpfigen Waldbodens, mit dem der Majoratsherr beim Stolpern einige Male in Berührung gekommen war; die Gebüsche und Dorngesträuche, durch die er gekrochen, hatten seinen Rock auch nicht geschont, und an dem rechten Aermel klaffte ein großes Loch, das ihm ein tückischer Ast gerissen hatte. Er sah erst jetzt die ganze Größe des Unheils und blickte entsetzt darauf nieder.

„Mein Koffer! Wo ist mein Koffer?“ wiederholte er verzweiflungsvoll. „Der verwünschte Kutscher wird nicht darauf geachtet haben, er kann verloren, gestohlen sein, und ich stehe hier mit verdorbenen Beinkleidern und einem Loch im Aermel! Wo ist der Wirth? Ich will einen Boten hinaufschicken, ich muß meinen Koffer haben!“

Sebald versuchte, ihn zu beruhigen und ihm klar zu machen, daß der Kutscher, der für den zerbrochenen Wagen erst Hilfe herbeiholen müsse, sich dabei verspätet haben könne, aber Herr von Below hörte nicht darauf. Die Vorstellung, daß seine Reisegarderobe verloren sei und er keine Toilette machen könne, brachte ihn ganz außer sich. Er rief nach dem Wirthe und verlangte schleunigst einen Boten und ein Zimmer, um seinen Anzug wenigstens einigermaßen zu ordnen.

Glücklicher Weise war beides zu haben; der Wirth, hocherfreut über diesen ungewöhnlich lebhaften Zuspruch, lief eiligst die Treppe hinauf, um das letzte seiner Gastzimmer in Stand zu setzen, der Majoratsherr lief ihm ebenso eilig nach, ohne sich von Sebald zurückhalten zu lassen, der das Gespräch fortzusetzen versuchte; das vernichtende Bewußtsein, mit einem Loch im Aermel dazustehen, ließ ihn vorläufig die Menschennähe fliehen, aber man hörte es noch, wie er anfing, dem Wirthe genau dieselbe Geschichte des Unfalls, mit einigen Variationen zu erzählen.

Sebald kehrte inzwischen in den Garten zurück, wo sein Untergebener anscheinend mit dem Abräumen des Tisches beschäftigt war, und sagte leise, aber triumphirend:

„Haller – jetzt habe ich ihn!“

„Schon wieder einen Verdächtigen?“ fragte Haller, der sich in bescheidener Entfernung gehalten, aber doch die ganze Verhandlung mit angehört hatte.

[695] „Vielmehr den Hauptverdächtigen! Es ist zweifellos jener Helfershelfer, der erwartet wird, nach dessen Ankunft man sich so angelegentlich erkundigte. Sie hören es ja – er will gleichfalls in das Pfarrhaus.“

„Aber er will erst Toilette dazu machen, und das ist doch nicht nothwendig bei einer Verschwörung. Herr Sebald, der junge Mensch ist nicht gefährlich, er schwatzt ja fortwährend, von einem zerbrochenen Wagen und einem neuen Inspektor und einer verfluchten Waldromantik – alles durch einander, so daß man nicht klug daraus wird, aber Unheil richtet der gewiß nicht an – dazu ist er viel zu dumm!“

Sebald zuckte die Achseln, wie er es stets that, wenn der Untergebene sich heraus nahm, anderer Meinung zu sein.

„Haller, ich gebe mir nun schon so lange Mühe, Sie für den höheren Dienst auszubilden, aber Sie bleiben immer noch in den Anfängen stecken, Sie haben gar kein Talent zum Kombiniren. Sehen Sie denn nicht, daß diese so geflissentlich zur Schau getragene Einfalt nur eine Maske ist, um unverdächtig zu erscheinen? Ich sage Ihnen, dieser junge Mann mit seiner allerdings meisterhaft ausgeübten Verstellungskunst ist sehr gefährlich, viel gefährlicher als jener Andere, der uns mit seinen Civilkleidern zu täuschen glaubt und doch in jedem Worte, jeder Bewegung den Soldaten verräth. Die Gefährlichste von allen aber ist diese Valeska Blum, zu der sie beide wollen und die dort im Pfarrhause einen ganzen Kongreß von Verdächtigen um sich zu versammeln scheint.“

„Aber eine Dame!“ wandte Haller ein. „Ein junges Mädchen!“

„Das sind die Schlimmsten, denken Sie an Rußland! Welche Rolle spielen die Frauen dort bei den Verschwörungen, was liegt alles in ihren Händen! doch genug davon – wir müssen jetzt auf alle Gefahr hin eine Rekognoscirung des Pfarrhauses vornehmen. Ich muß auf der Stelle Seiner Excellenz Bericht erstatten und möchte doch irgend ein greifbares Resultat melden. Wir machen einen Spaziergang nach jener Seite hinüber, Sie tragen mir das Buch und den Feldstuhl nach, vielleicht gelingt es uns, noch irgend einen Einblick zu erhalten.“

Der Plan wurde ausgeführt, fünf Minuten später schritt Herr Sebald, mit einem großen Sonnenschirm, das Fernglas an einem Lederriemen über der Schulter, so harmlos und würdevoll nach dem Seeufer, als sei es wirklich nur seine Absicht, die Landschaft zu bewundern, Haller folgte mit Buch und Feldstuhl, und Beide schienen nur nach einer passenden Stelle zu suchen, wo sie sich niederlassen konnten.

Das kleine Pfarrhaus neben der Kirche lag mit seinen grünen Läden und blanken Fenstern so freundlich und idyllisch da, als sei es ganz unfähig, etwas so Finsteres, Blutiges, wie eine Verschwörung, in seinem Innern zu bergen. Von der Frontseite war es nicht anzugreifen, weil dort die feindliche Rekognoscirung sofort bemerkt worden wäre, aber seine Rückseite lehnte sich an die Mauer des Friedhofes, den man ganz unverdächtig betreten konnte.

Das geschah denn auch, Sebald und sein Begleiter besichtigten mit großem Interesse die einzelnen Grabstätten, lasen die Inschriften und rückten dabei immer weiter gegen die Mauer vor, die gerade dort am Pfarrhause von dichtem Hollundergebüsch beschattet war. Unmittelbar über demselben befand sich ein Fenster, das offen stand und den Einblick in ein kleines, sehr einfach eingerichtetes Gemach gewährte, das aber augenblicklich als Fremdenzimmer benutzt zu werden schien, denn es stand ein sehr eleganter Handkoffer auf dem kleinen Tischchen.

Das Zimmer war leer, aber gerade jetzt hörte man, wie ein Schlüssel umgedreht und die Thür geöffnet wurde. Sebald gab seinem Untergebenen einen Wink, und beide glitten lautlos und schnell in das Hollundergebüsch, das sie vollständig verbarg, während sie sich an die Mauer lehnten. Sehen konnten sie hier allerdings nichts, aber wenn das Fenster nicht geschlossen wurde, so mußten sie hören, was man dort oben sprach.

Das Glück begünstigte sie in der That. Die Eintretenden mochten wohl einen Blick auf den Friedhof geworfen und ihn leer gefunden haben, denn das Fenster blieb offen, und die Sprechenden schienen sogar in unmittelbarer Nähe desselben ihren Platz zu nehmen, so daß jedes Wort laut und deutlich zu den Lauschenden herniederklang.

[706] Es ist umsonst, Warnstedt,“ sagte eine Stimme, ein schönes klangvolles Organ. „Alles, was Sie mir da vorhalten und zu bedenken geben, habe ich mir längst selbst gesagt. Trotz alledem bin ich entschlossen, nicht länger zu zögern, alle gütlichen Mittel sind erschöpft, uns bleibt nur noch ein Gewaltstreich übrig, wenn wir überhaupt zum Ziele gelangen wollen.“

„Aber sollte denn keine andere Lösung möglich sein?“ ließ sich eine zweite Stimme vernehmen, in der die beiden Lauscher sofort die kurze, militärische Sprechweise des Fremden wieder erkannten, der im Gasthause abgestiegen war, nur klang seine Sprache jetzt sehr gemildert, fast unterwürfig. „Ich gestehe es offen, daß ich erschrak, als ich den Brief erhielt, der mich hierher rief, und [707] erfuhr, um was es sich handelte. Ich hatte immer noch gehofft, daß ein vorläufiges, wenn auch nur scheinbares Sichfügen, ein ruhiges Abwarten –“

„Abwarten?“ unterbrach ihn der Erste mit aufwallender Heftigkeit. „Ich dächte, wir hätten lange genug gewartet, so lange, daß auch nicht ein Tag mehr zu verlieren ist. Der Herzog beschleunigt die Verhandlungen mit dem königlichen Hofe in einer Weise, daß uns überhaupt keine Wahl mehr bleibt, wir müssen ihnen um jeden Preis zuvorkommen. Man legt es förmlich darauf an, mich zum Aeußersten zu treiben – nun wohl, man wird dies Aeußerste haben!“

„Aber ein solcher Gewaltstreich kann unabsehbare Folgen nach sich ziehen,“ wandte der Andere ein. „Ich bitte noch einmal, bedenken Eu –“

„Still, keine Namen und keine Titulaturen!“ unterbrach ihn sein Gefährte, indem er die Stimme etwas senkte, „vergessen Sie nicht, daß wir allesammt inkognito hier sind. Ich täusche mich durchaus nicht über die Folgen, aber ich bin entschlossen, sie zu tragen. Es wird eine Explosion bei Hofe geben, und dabei wird Manches mit in die Luft fliegen, was felsenfest zu stehen schien, aber gleichviel! Es handelt sich um das heiligste Recht des Menschen, und das werde ich offen vor aller Welt vertheidigen, wenn ich es mir auch erst im Geheimen erkämpfen muß. Werden Sie mir Ihren Beistand versagen, Warnstedt?“

„Nein, gewiß nicht!“ klang die Antwort ohne Zögern und in voller Bestimmtheit. „Ich habe es für meine Pflicht gehalten, zu warnen und meine Bedenken nicht zu verschweigen. Wenn aber Ihr Entschluß unabänderlich gefaßt ist – ich bin zu jedem Dienste bereit.“

„Auch auf die Gefahr hin, daß die Folgen Sie mittreffen – möglich ist das immerhin.“

„Auf jede Gefahr hin!“

„Ich danke Ihnen, Warnstedt! Ich wußte es ja, daß ich auf Sie rechnen konnte, und Sie sind der Einzige, dem ich unbedingt vertraue. Ich fürchte, man hat eine Ahnung von meinem Vorhaben, denn ich fühle mich beobachtet, überwacht und kann mich selbst nicht mehr auf meine nächste Umgebung verlassen. Ein Verrath könnte unsern Plan noch im allerletzten Moment gefährden, es gilt, mit einem einzigen Schlage all diesen Machinationen ein Ende zu machen.“

„Man ahnt etwas von Ihrem Vorhaben?“ Die Frage klang sehr bedenklich. „Dann freilich wird Ihre plötzliche Abreise nicht unbemerkt bleiben.“

„Wahrscheinlich nicht, aber man weiß vorläufig nicht, wo ich bin, und wenn man es erfährt, wird es zu spät sein. Ich bin gestern Abend abgereist, ohne jede Begleitung, und habe auf einer kleinen Zwischenstation die Bahn verlassen, um Postpferde zu nehmen, auch diese habe ich auf der vorletzten Station zurückgelassen und den Rest des Weges zu Fuße zurückgelegt. Valeska hat ähnliche Vorsichtsmaßregeln genommen, und ich halte es für unmöglich, daß man sofort unsere Spur findet, es müßte denn sein, daß meine in der letzten Zeit äußerst lebhafte Korrespondenz mit dem Pfarrer von Seefeld verdächtig erschienen wäre.“

„Und Seine Hochwürden ist wirklich bereit? Ich gestehe, daß ich noch daran gezweifelt habe.“

„Er ist es! Mein alter Freund und Lehrer wird mir seine Hilfe nicht versagen. Es hat allerdings einen Kampf gekostet, er hatte noch mehr Bedenken zu überwinden als Sie, aber schließlich ergab er sich doch. – Es bleibt also bei der festgesetzten Stunde, wir finden uns heut Abend zusammen.“

„In der Dorfkirche?“

„Nein, in der kleinen Kapelle, dort auf dem Hügel. Sie liegt einsamer und abgeschlossener, und vom Garten des Pfarrhauses können wir unbemerkt dorthin gelangen. Es soll jedes Aufsehen im Dorfe vermieden werden, deßhalb haben wir auch die Abendstunde gewählt. Also seien Sie pünktlich, die Damen werden gleichfalls um sieben Uhr bereit sein.“

Es folgte noch eine Versicherung der Pünktlichkeit und eine kurze Verabschiedung, dann schien einer der Sprechenden sich zu entfernen, der andere blieb noch eine Weile, man hörte es, wie er im Zimmer auf und nieder ging, dann wurde die Thür zum zweiten Male geöffnet und geschlossen und darauf trat vollständige Stille ein.

Die beiden Lauschenden verharrten noch einige Minuten auf ihrem Posten, dann trat Sebald unter dem Schutze der Gebüsche vorsichtig den Rückzug an, ihm nach drückte sich sein Gefährte an der Mauer entlang, bis sie die Kirche erreichten, deren Pfeiler sie deckten; von hier aus war es ein leichtes, auf die andere Seite zu gelangen und dort den Ausgang zu nehmen. Bald standen die Beiden wieder am Seeufer und traten den Rückweg nach dem Dorfe an.

Sebald warf einen Blick auf die sonnige, aber ganz menschenleere Dorfstraße und wandte sich dann zu seinem Untergebenen.

Jetzt haben wir ihn, Haller – den Hauptattentäter!“

Haller hatte bisher nur innerlich geschaudert, weil er keine Bewegung machen durfte, um sich nicht zu verrathen, jetzt schauderte er noch nachträglich draußen im hellen Sonnenschein.

„Ja, Herr Sebald, setzt haben wir ihn, und die ganze Mordbande dazu. Aber das ist so gräßlich, was wir da mit angehört haben!“

Sebald zuckte nur die Achseln, die Höhe, auf der er stand, vermochte selbst dieser Einblick in die tiefste Tiefe menschlicher Verderbtheit nicht zu erschüttern.

„Ich war darauf gefaßt, aber freilich, auch meine Befürchtungen sind noch übertroffen worden. Das ist ja kein bloßer Versuch zum Hochverrath, das ist eine vollständig organisirte Verschwörung! Ein Gewaltstreich gegen das fürstliche Haus – man schreckt nicht vor dem Aeußersten zurück – man will die unabsehbarsten Folgen auf sich nehmen –“

„Und am herzoglichen Hofe soll es eine Explosion geben, Alles soll in die Luft fliegen!“ fiel Haller entsetzt ein. „Wenn man nur wüßte, wo sie das Dynamit verborgen haben.“

„Jedenfalls hier im Pfarrhause, man wird schleunigst Haussuchung halten müssen. Es ist ja kein Zweifel mehr, daß auch der Pfarrer mit im Einverständniß ist. Ich glaubte anfangs, er sei ein blindes, unfreiwilliges Werkzeug, das man schonen könne, jetzt zeigt es sich, daß sie ihn ganz in ihre Netze gezogen haben, und das ist das Fürchterlichste. Ein Priester, ein berufener Vertheidiger des Altars und des Thrones, Mitglied einer Dynamitverschwörung! Was sind das für Zustände, wohin werden wir noch kommen! Das geht ja ärger zu in unserem armen Vaterlande, als drüben in Rußland!“

Haller stimmte mit einem düsteren Kopfnicken bei und warf einen Blick nach dem Pfarrhause zurück, das so viel Entsetzliches in seinem Schoße barg.

„Wenn wir den Hauptmann der Bande nur zu Gesicht bekommen hätten! Wir durften uns leider nicht rühren, aber seine Stimme erkenne ich sofort wieder. Ist das ein blutdürstiges Ungeheuer! Der Andere gab sich alle Mühe, ihn davon abzubringen, aber er hörte ja gar nicht darauf. Der will gleich mit Dynamit vorgehen und Alles in die Luft sprengen!“

„Ja wohl, und dabei dieser entsetzliche Fanatismus! Sprach dieser Mensch nicht gar von einem heiligen Rechte, das er vertheidigen müsse? Also heut Abend findet die geheime Zusammenkunft der Verschwörer statt.“

„Und noch dazu in einer Kirche!“

„Weil sie sich dort am sichersten glauben. In der kleinen Kapelle droben sucht sie Niemand, auch die Damen werden dabei sein, Sie hörten es ja.“

„Und das nennt sich auch noch Damen!“ murmelte Haller wüthend. „Dies weibliche Mordgesindel! Und dabei ist diese Valeska Blum so hübsch, so hübsch –“

Er brach mit einem Seufzer ab, der Vorgesetzte nickte bedeutsam.

„Ja, es ist eine schöne, schillernde Schlange, die bisher über ihre Gefährlichkeit zu täuschen wußte, aber ich habe sie von Anfang an erkannt, mir war sie von vornherein verdächtig. Doch jetzt gilt es zu handeln! Vor allen Dingen muß Seine Excellenz benachrichtigt werden. Ich setze sofort das Telegramm auf, Sie werden es nach der Telegraphenstation tragen, zu Fuß, denn es fällt auf, wenn Sie einen Wagen nehmen. In einer halben Stunde können Sie dort sein und in einer weiteren halben Stunde ist die Depesche in den Händen des Herrn Hofmarschalls. Er wird uns sofort auf demselben Wege die Antwort zugehen lassen.“

„Aber die Hilfsmannschaften kann er uns doch nicht per Draht zugehen lassen,“ meinte Haller bedenklich, „und die brauchen wir unter allen Umständen. Drei Verschwörer, die jedenfalls ganz mit Waffen gespickt sind, zwei Frauenzimmer, die zweifellos auch Revolver führen und Hochwürden der Herr Pfarrer obendrein – die kann ich allein doch nicht sämmtlich beim Kragen nehmen.“

[708] „Das wird sich finden. Im schlimmsten Falle müssen uns die Bauern Hilfe leisten, sie hängen treu an ihrem Fürstenhause, und wenn sie von einem Attentat hören, stürzen sie sich mit uns vereint auf die Verschwörer. Haller, das wird ein großer Moment werden! Wir haben sie entdeckt, wir retten das Fürstenhaus und verdienen uns den Dank des ganzen Landes.“

„Und vielleicht auch einen Orden und eine Gehaltszulage,“ meinte der Untergebene, der die Sache mehr von der praktischen Seite nahm.

„Das versteht sich! Doch da sind wir am Wirthshause, ich werde sofort schreiben.“

Sie zogen sich in ihr Zimmer zurück und Sebald warf rasch das Telegramm auf das Papier.

„Das Gesuchte gefunden – alle Voraussetzungen bestätigt – heute Abend eine Zusammenkunft geplant – Erbitte sofort Verhaltungsregeln.“

Er faltete das Blatt zusammen und übergab es seinem Vertrauten.

„Hier ist die Depesche! Eilen Sie, fliegen Sie und warten Sie auf der Station selbst auf Antwort, die umgehend eintreffen wird. Ich bleibe inzwischen hier und – observire.“

Haller gehorchte, er eilte die Treppe hinunter in der besten Absicht, zu fliegen, mußte aber seinen Schritt mäßigen, denn er mußte an dem Zimmer des Herrn von Below vorüber, der den Wirth zu sich hatte rufen lassen und jetzt laut und jammervoll darüber lamentirte, daß sein Koffer noch immer nicht da sei und er keine Toilette machen könne.

„Gott steh’ uns bei, der will wirklich erst Toilette machen zur Verschwörung!“ dachte Haller, während er verstohlen ein Kreuz schlug. „Ich glaube, das passirt selbst in Rußland nicht. Herr Sebald hat Recht – es sind schreckliche Zustände in unserem armen Vaterlande!“ –

Es war Abend geworden. die Landschaft stand im goldigen Lichte der niedergehenden Sonne, aber während sich schon die ersten bläulichen Schatten auf den Spiegel des Sees legten, weilte der Sonnenschein noch auf den Bergen und die weißen Mauern des Bergkirchleins schimmerten rosig in jenen Strahlen. Soeben klang das Abendläuten von dort hernieder, so mild und feierlich, als künde es nur Frieden und Segen.

Seefeld hatte zum Glück keine Ahnung von Dem, was sich dort oben begab, von der geplanten Entweihung des heiligen Ortes. Die Dörfler, die eben von der Arbeit zurückgekehrt waren, beteten andächtig ihren Abendsegen und setzten sich dann zum Essen nieder. Alles befand sich in den Häusern, und es fiel Niemand ein, dem Pfarrhause oder dessen Umgebung irgend eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Nur Sebald befand sich wieder auf seiner Beobachtungsstation. Er war ganz angegriffen von dem unaufhörlichen Observiren, aber das Bewußtsein der Pflicht und die Schwere der Verantwortung ließen ihn jede Ermüdung überwinden. Haller hatte in der That die telegraphische Antwort zurückgebracht, die an Energie nichts zu wünschen übrig ließ. Der Herr Hofmarschall trug dem furchtbaren Ernste der Lage volle Rechnung, er kam selbst und zwar mit Extrapost, um persönlich die Sache zu leiten, und konnte jetzt in jeder Minute eintreffen. Bis dahin lautete der Befehl für die beiden Beamten auf strengste Zurückhaltung: sie sollten sich nicht rühren, aber den zu beobachtenden Gegenstand nicht einen Moment aus den Augen lassen. Jedenfalls folgten die Hilfsmannschaften Seiner Excellenz auf dem Fuße, es stand zwar nichts davon in der Depesche, die kurz und in äußerst vorsichtigen Ausdrücken gehalten war, aber es verstand sich von selbst.

Sebald hatte inzwischen mit aller Umsicht die nöthigen Anstalten getroffen. Droben auf dem Hügel stand Haller als Wachtposten, was ihm durch die waldige Umgebung der Capelle sehr erleichtert wurde. Sein Vorgesetzter hatte ihm selbst einen Platz ausgesucht, wo er in völliger Verborgenheit Alles beobachten konnte, und ihm nochmals die äußerste Vorsicht eingeschärft, es kam Alles darauf an, die Verschwörer sicher zu machen, damit sie ahnungslos in die Falle gingen.

Inzwischen war auch Herr von Below von seinen Aengsten erlöst und glücklich wieder in Besitz seines Koffers gelangt. Der Kutscher hatte es vorgezogen, den Wagen in einem nahen Gehöfte ausbessern zu lassen, so gut dies möglich war, aber darüber waren Stunden vergangen, und da die Fahrt auch einige Zeit in Anspruch nahm, so war er erst gegen Abend mit Wagen und Koffer in Seefeld angelangt, zur großen Genugthuung des Majoratsherrn, der sich bisher, im Hinblicke auf seinen zerrissenen Rock, freiwilligen Stubenarrest auferlegt hatte. Jetzt stürzte er sich mit größter Eile in die schleunigst ausgepackte neue Toilette, was ihn aber nicht hinderte, seinem Anzuge besondere Sorgfalt zuzuwenden. Die Uhr der Dorfkirche schlug gerade sieben, als er das Haus verließ, um nun endlich drüben im Pfarrhause den so lange aufgeschobenen Besuch zu machen.

„Der ist pünktlich!“ sagte Sebald, der ihn dort eintreten sah. „Und er hat wirklich einen nagelneuen Anzug angelegt zu dieser schrecklichen Berathung. Wahrhaftig, der Cynismus der jetzigen Generation übersteigt alle Grenzen!“

Er verfolgte ungeduldig den Zeiger der Uhr, der immer weiter vorrückte, und zerbrach sich dabei den Kopf, wo er die Stimme des Hauptmannes der Verschwörung schon gehört hatte. Fremd war ihm dies schöne klangvolle Organ nicht, es hatte schon einige Male sein Ohr berührt, aber wo und bei welcher Gelegenheit, das wußte er nicht. Vergebens rief er sich alle Verbrechen und Processe. die im Herzogthume vorgekommen waren, in das Gedächtniß zurück, seine Erinnerung ließ ihn diesmal völlig im Stich.

Eine weitere Viertelstunde war vergangen, da endlich zeigte sich drüben auf der Fahrstraße ein Wagen, eine Extrapostchaise, die im schnellsten Trabe herankam. Dem Postillion mußte wohl ein reichliches Trinkgeld versprochen sein, denn er jagte, was die Pferde nur laufen konnten, die Thiere dampften, als er sie vor dem Gasthause anhielt.

Sebald, der in dem Insassen des Wagens längst den Hofmarschall erkannt hatte, stand bereits da, um ihn ehrerbietigst zu empfangen, aber ein unmerklicher und doch bedeutsamer Wink verbot ihm, hier besonderen Respekt zu zeigen. Der alte Herr stieg rasch aus und trat mit ihm seitwärts in den Garten.

„Nun, wie steht es?“ fragte er hastig und leise.

„Ganz nach Wunsch, Excellenz,“ erklärte Sebald mit dem ganzen Selbstbewußtsein eines Mannes, der eine große That vollbracht hat. „Ich halte die sämmtlichen Fäden in der Hand und habe mir auch nicht einen einzigen entschlüpfen lassen. Wie die Maßregeln auch genommen werden mögen, wir bleiben auf jeden Fall Herren der Situation.“

„Das ist mir lieb,“ sagte der Hofmarschall, sichtlich beruhigt. „Ihre Depesche hat mir allerdings schon das Nöthigste gemeldet, jetzt zu den Details! Er ist also wirklich hier?“

„Er? Ja wohl, sie sind sämmtlich hier und wähnen sich vollkommen sicher, aber sie sind bereits in der Falle!“

Die Excellenz runzelte die Stirn und nahm eine sehr vornehme Miene an.

„Sebald, Sie scheinen zu vergessen, von wem Sie sprechen! Wählen Sie Ihre Ausdrücke respektvoller.“

Sebald sah äußerst verwundert aus bei dieser Zurechtweisung. Es kam ihm sonderbar vor, daß für die Attentäter Respekt verlangt wurde, und gar noch von Seiten des Herrn Hofmarschalls, aber er ließ die seltsame Aeußerung auf sich beruhen und erkundigte sich nun seinerseits, ob die nöthigen Hilfsmannschaften unterwegs seien, und wann sie eintreffen würden. Jetzt war die Reihe des Erstaunens an Seiner Excellenz.

„Hilfsmannschaften? Weßhalb denn? Und wozu?“

„Um die Bande dingfest zu machen. Es sind drei Verbrecher. Dann noch die beiden Frauen und ich fürchte, der Pfarrer wird auch Widerstand leisten. Denen sind ich und Haller allein nicht gewachsen.“

Der Hofmarschall blickte den Sprechenden an, als glaube er, dieser sei nicht recht bei Sinnen.

„Bande – dingfest machen – wovon reden Sie denn eigentlich?“

„Von den Hochverräthern, die ich entdeckt habe.“

„Hier in Seefeld?“

„Allerdings! Excellenz gaben mir ja selbst die nöthigen Weisungen, ich bin ja einzig und allein deßwegen hierher beordert.“

In dem Gesichte des Hofmarschalls zeigte sich das äußerste Befremden, zugleich aber ein lebhafter Unwille.

„Das scheint ein heilloser Irrthum zu sein! Darauf also bezog sich Ihre Depesche? Sie sind wahrscheinlich einer falschen [710] Spur nachgegangen und haben all Ihre Wachsamkeit an eine Kleinigkeit verschwendet, während ich mich in einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit auf Sie verließ.“

„Es ist keine Kleinigkeit,“ vertheidigte sich Sebald mit tiefgekränktem Selbstbewußtsein. „Eine Dynamitverschwörung!“

„Was?“ rief der Hofmarschall, entsetzt auffahrend. „Dynamit?“

„Man will eine Explosion im herzoglichen Palais veranlassen, die ganze durchlauchtigste Familie soll in die Luft gesprengt werden, auch der verwandte königliche Hof scheint bedroht zu sein, denn es war auch von ihm die Rede.“

Die Excellenz war kreidebleich geworden und mußte sich auf einen Gartenstuhl niederlassen.

„Sebald, das sind ja furchtbare Enthüllungen! Haben Sie Beweise dafür?“

„Die unwiderleglichsten. Mit meinen eigenen Ohren hörte ich, wie die Verbrecher von ihren blutigen Plänen sprachen.“

„Dann hatten Sie allerdings Recht, alles Andere in den Hintergrund zu stellen, wenn es das Leben der fürstlichen Familie gilt! Wo sind denn die Attentäter?“

„Dort oben,“ erklärte Sebald, nach dem Hügel hinaufzeigend. Der Hofmarschall sprang vom Stuhle auf, ihm schien jetzt plötzlich ein Licht aufzugehen.

„Was? In der Kirche?“

„Ja, aber fürchten Sie nichts. Excellenz, sie sind überwacht. Haller steht dort oben Posten und sorgt dafür, daß sie ungestört bleiben bis –“

„Mensch, das sollte ja gerade verhindert werden!“ rief die Excellenz verzweiflungsvoll. „Sind Sie denn von Sinnen, daß Sie auch noch Schutzwachen ausstellen dazu?“

„Aber wir mußten sie doch erst in die Falle locken! Die Kirche hat nur einen einzigen Ausgang, wenn er rechtzeitig verschlossen und besetzt wird, so sind sie gefangen, denn durch die hochgelegenen Fenster können sie nicht so ohne Weiteres ausbrechen. Die Bauern leisten uns jedenfalls die nöthige Hilfe, ich werde das Dorf alarmiren –“

„Hören Sie auf! Sie bringen mich um mit Ihren Albernheiten!“ unterbrach ihn der Hofmarschall wüthend. „Ich muß auf der Stelle hinauf! Ich thue Einspruch im Namen des Herzogs, Seine Durchlaucht haben mir unbedingte Vollmacht gegeben.“

Damit eilte er hinaus und an dem erstaunten Wirthe vorüber, der erschienen war, um der Extrapostchaise eine Verbeugung zu machen, und jetzt erst deren Insassen zu Gesichte bekam. Sebald folgte bestürzt, denn die Excellenz war ihm völlig unbegreiflich. Was sollte denn ein Einspruch im Namen des Herzogs nützen bei Menschen, die sich mit Mordplänen gegen das ganze fürstliche Haus trugen?

Am Fuß des Hügels trafen sie mit Herrn von Below zusammen, der sehr mißmuthig dort herumstrich. Er hatte Niemand im Pfarrhause angetroffen, aber gehört. daß die Damen noch hier seien, und suchte sie jetzt auf dem vermeintlichen Spaziergange, plötzlich aber blieb er stehen und rief in höchster Ueberraschung!

„Excellenz – Sie hier?“

„Herr von Below – wie kommen Sie nach Seefeld?“ rief der Hofmarschall ebenso überrascht.

Sebald stutzte, ihm begann doch eine Ahnung aufzudämmern, daß die Sache nicht ganz in Ordnung sei. Sollte er sich in diesem jungen Manne doch geirrt haben?

„Ich bin auf der Reise,“ erklärte der Majoratsherr, „aber wohin wollen Sie denn so eilig, Excellenz?“

„Ich – ich will den Sonnenuntergang nicht versäumen,“ versetzte der Gefragte, indem er begann den Hügel zu ersteigen, so rasch es seine Kräfte erlaubten.

„O, da gehe ich mit!“ rief Herr von Below, der glücklich war. daß er wieder Jemand zum Schwatzen hatte. „Der Sonnenuntergang ist so romantisch! Freilich, mir ist die Romantik übel bekommen, denken Sie nur, Excellenz, mein Wagen –“ und damit fing er an, die Geschichte zum dritten Male zu erzählen, noch ausführlicher als die beiden ersten Male, und hörte nicht wieder auf, bis man oben auf der Höhe war.

Der Hofmarschall hörte gar nicht darauf, aber er war so schnell aufwärts gestiegen, daß er stehen bleiben mußte, um Athem zu schöpfen, und da tauchte plötzlich Haller aus den Gebüsche auf und machte seine unterthänigste Meldung.

„Sie sind wirklich drinnen. Excellenz! Und einen Kasten haben sie mit in die Kirche geschleppt, jedenfalls voll Dynamik. Nur der dritte Verschwörer fehlt, der sich so dumm anstellte und immer nach seinem Koffer schrie –“

Er verstummte, denn urplötzlich tauchte der Vermißte, der einige Schritte zurückgeblieben war, vor ihm auf, und zwar unmittelbar hinter dem Rücken Seiner Excellenz. Diese Nähe schien dem braven Haller so bedenklich. daß er alle Vorsicht vergaß und eine Bewegung machte, um den Attentäter beim Kragen zu nehmen, aber der Hofmarschall bemerkte das und fuhr ihn zornig an:

„Was fällt Ihnen ein? Halten Sie etwa den Freiherrn von Below, den Majoratsherrn von Waltersberg, auch für einen Verschwörer?“

„Ich ein Verschwörer? Mein Himmel, das ist mir ja noch niemals passirt, dafür bin ich noch nie gehalten worden!“ rief Kuno von Below mit einem Gesicht, das diese Versicherung allerdings glaubhaft erscheinen ließ. Haller war bestürzt zurückgewichen und starrte mit offenem Munde erst den Majoratsherrn und dann seinen Vorgesetzten an, dem jetzt auch sein fataler Mißgriff klar wurde. Aber der Hofmarschall ließ ihnen keine Zeit zur ferneren Aufklärung, er schritt rasch die steinernen Stufen hinauf und öffnete die Thür der Kirche. Herr von Below, der jetzt doch endlich merkte, daß irgend etwas Besonderes vorging, schloß sich ihm neugierig an, und hinter ihnen traten die beiden Beamten ein.

Die sinkende Sonne warf ihre letzten Strahlen durch die Kirchenfenster und erfüllte das kleine Gotteshaus noch mit leuchtendem Glanze. Der goldig rothe Schein umfloß die ehrwürdige Gestalt des alten Priesters, der im vollen Ornate vor dem Altar stand, und lag wie verklärend auf den Häuptern des jungen Paares, das sich soeben von den Knieen erhoben hatte. Neben einem hochgewachsenen Manne mit blondem Haar und Bart und ernsten Zügen stand eine junge Braut, im einfachen weißen Gewande, von dem duftigen Schleier umwallt, den Myrthenkranz in den dunklen Haaren. Sie barg gerade in diesem Moment ihr Haupt an der Brust ihres Gatten, der sie mit voller Innigkeit an sich zog.

„Zu spät! Also ist es doch geschehen!“ murmelte der Hofmarschall, dem ein einziger Blick gezeigt hatte, daß die Ceremonie bereits vorüber war. Er sah jetzt auch die beiden anderen Personen zur Seite des Altars, einen Herrn in straffer militärischer Haltung und eine alte Dame, die ganz in Thränen und Rührung zerfloß, sie hatten offenbar der eben vollzogenen Trauung als Zeugen beigewohnt.

Das Oeffnen der Thür machte die in der Kirche Befindlichen aufmerksam, sie blickten dorthin und sahen eine Gruppe, die völlig vernichtet schien durch den Anblick, der sich ihr bot. Der Ruhigste war noch Herr von Below, weil er die Sache einfach nicht begriff. Er sah Valeska Blum, seine angebetete Valeska, die er um jeden Preis heirathen wollte, als Braut an der Seite eines Anderen, und dieser Andere war – sein neuer Inspektor!

Sebald dagegen war in tödlichem Schrecken zusammen gefahren, denn ihm ward erst jetzt die ganze Größe seines Irrthums klar, jetzt wußte er auch auf einmal, wo er jene Stimme schon gehört hatte, und das Entsetzen über seine eigene Blindheit entriß ihm einen halblauten Ausruf:

„Prinz Leopold!“

Das Brautpaar wandte sich jetzt auch um und die Stirn des jungen Fürsten verfinsterte sich, als er die Eindringlinge gewahrte, dann aber richtete er sich hoch und stolz auf, und seiner Gattin den Arm reichend, führte er sie gerade dem Hofmarschall entgegen.

„Sieh da, Excellenz, sind Sie gekommen, uns Ihren Glückwunsch zu unserer Vermählung abzustatten?“ fragte er mit kühler Höflichkeit. „Sie kommen gerade zu rechter Zeit.“

„Durchlaucht!“ murmelte Jener ganz fassungslos. „Ich kam im Auftrage Ihres herzoglichen Bruders und werde nicht umhin können, ihm zu melden –“

„Das ist nicht nöthig, denn das habe ich bereits selbst gethan,“ unterbrach ihn Leopold. „Der Brief. worin ich dem Herzog das Geschehene mittheile, ist bereits geschrieben und sollte in einer Stunde abgehen. Da Sie einmal hier sind, Excellenz, so darf ich Sie wohl bitten, die Beförderung zu übernehmen und ihn in die Hände meines Bruders zu legen.“

Der Hofmarschall verbeugte sich schweigend, er sah. daß jeder Einspruch hier zu spät kam, aber seine Verneigung galt nur dem Prinzen allein, er ignorirte absichtlich die junge Frau an dessen Seite.

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