Die Gründung der französischen Kolonie in Berlin

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Autor: G. Schubert
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Titel: Die Gründung der französischen Kolonie in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 676, 678–679
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ansiedlung von Hugenotten in Berlin und anderen Orten in Preußen
Muret, Eduard: Geschichte der Französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen, unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Gemeinde ; aus Veranlassung der Zweihundertjährigen Jubelfeier am 29. Oktober 1885, UB Greifswald
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Die Gründung der französischen Kolonie in Berlin.

In den Septembertagen des Jahres 1685 herrschte ungewöhnliche Aufregung in der stillen Gemeinde, welche eine kleine Anzahl in Berlin lebender französischer Protestanten schon seit Jahren gegründet hatte. Die Mitglieder derselben waren zum Theil freiwillig nach Deutschland gekommen, um hier im Dienste des Hofes oder als Gewerbetreibende Unterhalt zu finden, zum Theil hatten sie nothgedrungen vor etwa 15 Jahren ihre Heimath verlassen, um den Verfolgungen zu entgehen, die sie dort um ihres Bekenntnisses willen erleiden mußten. Unter dem gerechten Scepter des protestantischen Fürsten durften sie hier in Ruhe und Frieden ihren Gottesdienst abhalten und ungehindert ihren Beschäftigungen nachgehen. Jetzt aber ergriff bange Sorge ihre Gemüther; vom alten Vaterlande drang schlimme Kunde in ihre neue Heimath. Am 25. September des genannten Jahres saßen die Mitglieder der Gemeinde in ernster Berathung beisammen und trugen folgende inhaltschwere Zeilen in ihre Protokolle ein: „Das Konsistorium war heute ausnahmsweise versammelt, um für die Bedürfnisse der armen französischen Flüchtlinge zu sorgen, die täglich in großen Massen ankommen und wahrscheinlich noch zahlreicher werden durch die heftige Verfolgung, der unsre Brüder ausgesetzt sind.“

Kostüm einer Réfugié-Dame.

Was die im Rath Versammelten befürchteten, sollte sich bald bewahrheiten. Denn was ihre Glaubensbrüder einst in blutigen Kämpfen errungen: die dürftige Anerkennung ihrer Menschenrechte, welche in dem Edikte von Nantes den gesetzgeberischen Ausdruck gefunden hatte, war rettungslos verloren. Wieder einmal schritt die Macht vor dem Rechte in der Weltgeschichte, und ein Gesetz, das Hunderttausende schützen sollte, hatte in den Augen der Stärkeren nur die Bedeutung eines vergilbten Pergamentstreifens. Als die Mitglieder der damaligen Berliner Gemeinde Frankreich verlassen hatten, waren die Bedrückungen, mit denen man den Nachkommen der Hugenotten das Leben schwer machen wollte, noch recht kleinlicher Art. Es waren lauter Chikanen, die damals der Stärkere ins Werk setzte. Man verbot den Reformirten, ihre Psalmen zu singen, sowohl in ihren Werkstätten als auch vor den Thüren ihrer Häuser. Ja, ihr Gesang mußte selbst in der Kirche verstummen, wenn eine Procession vorüberging; ihre Beerdigungen durften nur bei Tagesanbruch oder spät am Abend stattfinden, und nie mehr als zehn Personen sollten das Leichengefolge bilden. Ihre Hochzeiten durften nur in den durch das Römische Kirchenrecht festgesetzten Zeiten abgehalten werden, und der Hochzeitszug sollte nur aus zwölf Personen bestehen.

Durch diese Vorschriften, auf deren Handhabung streng geachtet wurde, konnten jedoch nur die Schwächsten eingeschüchtert werden. Darum stieg bald das Maß der Verfolgung, bis diese endlich zu einer wahren Hetzjagd ausartete. Wo das Wort des Priesters die Ketzer nicht zu bekehren vermochte, wo das Geld zur Verleugnung des Glaubens keine rechte Lockung abgab, dorthin wurde als letztes Mittel die rohe Soldateska der damaligen Zeiten geschickt. Und das half schon mehr, die Dragoner Ludwig’s XIV. brachen bei Tausenden und aber Tausenden den Widerstand; denn sie wußten in kürzester Zeit Haus und Hof zu Grunde zu richten, sie schleppten die bei ihrem Glauben beharrenden Männer ins Gefängniß, eskortirten die Frauen ins Kloster. Diesen schauerlichen Spuren des religiösen Fanatismus folgten gemeine Leidenschaften und niedrige Habgier. Schrieb doch am 21. September 1681 eine der berüchtigten Damen Frankreichs, Frau von Maintenon, an ihren Bruder, der soeben eine Gratifikation von 800 000 Livres erhalten hatte: „Lieber Bruder, ich bitte Dich, wende dieses erhaltene Geld nützlich an. In Poitou kann man jetzt Land für nichts haben; die Verzweiflung der Hugenotten wird bald zwei Drittel der Provinz zum Verkauf bringen. Du kannst Dir daher mit Leichtigkeit ein gar schönes Besitzthum in Poitou erwerben.“[1]

Während die Sieger also die Beute theilten, flohen Scharen der Bedrängten in die benachbarten Länder, und viele lenkten ihre Schritte nach der Hauptstadt des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, von dessen edler Gesinnung ihre in der Mark weilenden Genossen ihnen schon früher berichtet hatten. Aber die Meisten von ihnen hatten nur das nackte Leben gerettet, und die kleine französische Gemeinde in Berlin sah sich bald der nöthigsten Hilfsmittel entblößt. In dieser Bedrängniß beschloß das französische Konsistorium in Berlin am 25. September 1685, dem Kurfürsten ein Gesuch zu unterbreiten, in welchem dasselbe die Noth der Gemeinde darlegte und unterthänigst um Ueberweisung von leer stehenden Wohnungen an die Flüchtlinge bat. Schon in wenigen Tagen, am 1. Oktober 1685, erfolgte eine gnädige Antwort, in der mehr bewilligt wurde, als das Gesuch forderte. Friedrich Wilhelm ertheilte dem französischen Konsistorium die Erlaubniß zu einer Hauskollekte und erließ gleichzeitig an das deutsche Konsistorium den Befehl, die Geistlichen der Mark aufzufordern, von den Kanzeln herab ihren Gemeinden das große Elend der ihres Glaubens wegen Vertriebenen zu schildern und sie zur Mildthätigkeit zu ermahnen. Er selbst gab 2000 Thaler zur Berliner Hauskollekte.

Während in dieser menschenfreundlichen Weise ein deutscher Fürst für das Wohl der französischen Flüchtlinge sorgte, beschloß Ludwig XIV. den Federzug zu führen, der allein genügte, ewige Schande an seinen Namen zu ketten. Das vergilbte Pergament, das den Namen eines seiner königlichen Vorgänger trug, war ihm, dem Hüter des Rechts, im Wege; es vertrug sich nicht mit den rechtlosen Zuständen, die in Frankreich herrschten, und so unterzeichnete er am 18. Oktober 1685 den Widerruf des Ediktes von Nantes.

Der Pöbel verstand es, das königliche Wort in praktische That zu übersetzen, und noch an demselben Tage wurde die [678] reformirte Kirche zu Charenton niedergerissen. Nun waren die Hugenotten rechtlos, vogelfrei.

Die Ausübung des reformirten Kultus ward in ganz Frankreich untersagt und der Privatgottesdienst bei Todesstrafe und Güterkonfiskation verboten. Alle nicht von katholischen Geistlichen eingesegneten Ehen wurden für nichtig erklärt und die Kinder aus solchen gewaltsam in die Klöster gebracht. Dazu kam die harte Bestimmung, nach welcher die reformirten Prediger binnen 14 Tagen das Land verlassen, oder zwischen Bekehrung und Galeerenstrafe wählen sollten, das Auswandern der Protestanten selbst war aber bei lebenslänglicher Galeerenstrafe und Güterkonfiskation verboten. Den jedes Rechtsschutzes beraubten Unglücklichen blieb nur die Wahl zwischen Unterwerfung, heimlicher gefahrvoller Flucht bei Zurücklassung ihres ganzen Besitzes, oder Verfolgung und Tod. Die Grenzen, Meeresküsten und Häfen wurden auf das Schärfste bewacht, man zwang die Landleute, ihre Arbeit mit Häscherdiensten zu vertauschen; mit Hunden wurden die Flüchtlinge gehetzt. Das grausame Geschäft der Verfolgung wurde um so lieber betrieben, als für jeden Fang bei der Ketzerjagd eine Belohnung ausgesetzt war. Tausende und aber Tausende endeten ihr Leben auf dem Schaffot, in den Galeeren oder dumpfen Gefängnissen, wenn sie nicht als edles Wild an der Grenze niedergeschossen worden waren – ein Schrei der Entrüstung ging durch das ganze protestantische Europa.

Aber das Unrecht sollte nicht leichten Kaufes triumphiren, es sollte beschämt werden vor dem Richterstuhl der Weltgeschichte, durch eine That, die weit hinausleuchtet über Menschenalter und Jahrhunderte. Wenige Tage nach dem Widerruf des Ediktes von Nantes erschien am 29. Oktober 1685 ein anderes, das Edikt von Potsdam, durch welches der große Kurfürst den bedrängten Glaubensgenossen gastfrei seine Staaten öffnete.

Im Hinblick auf die mangelhaften Kommunikationsmittel jener Zeit erscheint es wunderbar, mit welcher Schnelligkeit dieser kurfürstliche Erlaß in ganz Europa bekannt wurde. Trotz aller Verbote und der von gegnerischer Seite ausgehenden Behauptung, das Potsdamer Edikt sei eine Fälschung, wurde es hauptsächlich von der Schweiz aus in vielen tausend gedruckten und geschriebenen Exemplaren durch Frankreich verbreitet, und von den Verfolgten zweifelte Niemand an seiner Echtheit.

Zur Kennzeichnung des Geistes, von welchem das Potsdamer Edikt beseelt ist, möge die Einleitung zu demselben hier Platz finden.

„Wir Friedrich Wilhelm,“ heißt es darin, „thun kund und zu wissen, nachdem die harten Verfolgungen und rigoureusen proceduren, womit man eine zeithero in dem Königreich Frankreich wider Unsere der Evangelisch-reformirten Religion zugethane Glaubens-Genossen verfahren, viel Familien veranlasse, ihren Stab zu versetzen, und aus selbigen Königreich in andere Lande sich zu begeben, daß wir dannenher aus gerechten Mitleiden, welches wir mit solchen Unsern, wegen des heiligen Evangelii und dessen reiner Lehre angefochtenen und bedrengten Glaubensgenossen billig haben müssen, bewogen werden, vermittels von Uns eigenhändig unterschriebenen Edickts denselben eine sichere und freye retraite in alle unsere Lande und Provincien in Gnaden zu offeriren, und ihnen daheneben kund zu thun, was für Gerechtigkeiten, Freyheiten und Praerogativen Wir ihnen zu concediren gnädigst gesonnen seyen, umb dadurch die große Noth und Trübsal womit es dem Allerhöchsten nach seinem allein weisen unerforschlichen Rath gefallen, einen so ansehnlichen Theil seiner Kirche heimzusuchen, auf einige Weise zu subleviren und erträglicher zu machen.“

Die „Gerechtigkeiten, Freyheiten und Prärogativen“, welche den Fremdlingen geboten wurden, waren so ungewöhnliche und reiche, daß die Brandenburger theilweise mit Neid und Mißgunst auf die französischen Einwanderer blickten, indeß hatte der edle Kurfürst in dem Edikt angeordnet, daß den Glaubensgenossen „Frantzösischer Nation nicht das geringste Uebel, Unrecht oder Verdruß zugefügt, sondern vielmehr im Gegentheil alle Hilfe, Freundschaft, Liebes und Gutes erwiesen werden solle.“

In Frankfurt am Main, Amsterdam und Hamburg waren auf Anordnung Friedrich Wilhelm’s allgemeine Sammelplätze eingerichtet, von wo man die Flüchtlinge weiter dirigirte. An der brandenburgischen Grenze wurden sie von besonders dazu ernannten Kommissaren in Empfang genommen und mit Allem versehen, was sie bis an den Ort ihrer künftigen Niederlassung bedurften. Sie erhielten „wüste Plätze“ mit allen dazu gehörigen Gärten, Wiesen, Aeckern und Weiden, „ruinirte Häuser“ und „Holz, Kalk und andere Materialen zur Reparirung“ und eine sechsjährige Befreiung von allen „Auflagen, Einquartierungen und andern oneribus publicis“. Es war ein glücklicher Gedanke des großen Kurfürsten, die 20000 in Brandenburg eingewanderten Franzosen nicht einzeln im Lande ansiedeln zu lassen, sondern sie zu Kolonien zu vereinigen; so entstanden deren in Königsberg in Preußen, Magdeburg, Brandenburg, Halle, Prenzlow, Frankfurt an der Oder, Stendal, Cleve und Wesel.

Berlin bildete den Sammel- und Durchzugspunkt aller dieser Unglücklichen, und oft drohte in Anbetracht der großen Bedürfnisse der Wohlthätigskeitssinn zu erlahmen, stets aber wurde er von Neuem angefacht durch die edle Gesinnung, mit welcher der große Kurfürst Trost und Hilfe zu spenden wußte. Als einmal Herr von Grumbkow dem Herrscher gegenüber die gänzliche Erschöpfung der Mittel und die Unmöglichkeit, neu angekommenen Réfugiés Hilfe zu gewähren, betonte, soll Friedrich Wilhelm die denkwürdigen Worte gesprochen haben: „Nun, dann möge man lieber mein Silberzeug verkaufen, ehe man diese armen Leute ohne Unterstützung läßt.“

Unter dem Schutze eines so hochherzigen Fürsten wuchs die kleine französische Gemeinde zu jener französischen Kolonie in Berlin heran, die alle ihre gleichnamigen Schwestern bald an Bedeutung überragte. Friedrich Wilhelm sollte es selbst nicht vergönnt sein, die goldenen Früchte dieser Saat zu ernten. Die von ihm Geretteten sollten erst seinen Nachfolgern den schuldigen Dank mit Thaten entrichten.

Welchen Einfluß die französischen Kolonien auf Kunst, Wissenschaft, Handel und Industrie in der durch den Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Mark ausgeübt haben, ist durch die Geschichte längst festgestellt. Friedrich der Große sagt in seinen „Denkwürdigkeiten“: „Sie (die Hugenotten) halfen unsere verödeten Städte wieder bevölkern und verschafften uns die Manufakturen, welche uns mangelten“, und in einem Briefe des großen Königs an d’Alembert vom Jahre 1770 heißt es: „Erlauben Sie mir über den Widerruf des Ediktes von Nantes anders zu denken als Sie; ich danke Ludwig XIV. sehr dafür und würde seinem Enkel sehr danken, wenn er es ebenso machte.“

Diese Worte des weit hinausschauenden Staatsmannes können wir heute noch durch viele kleine kulturhistorische Züge bekräftigen, in denen sich der gute Einfluß der Eingewanderten widerspiegelt. Die damaligen Réfugiés sind keineswegs mit den französischen Emigranten auf gleiche Stufe zu stellen, die nach dem Sturze des bourbonischen Thrones hundert Jahre später Deutschland überschwemmten. Diese waren von der Verderbniß des Pariser Hofes und der Sittenfäulniß der höheren Klassen angekränkelt, jene aber waren ernste Männer, die um ihrer Ueberzeugung willen Noth und Leid im Leben, dabei aber Zucht und Sitte im Herzen trugen.

Die Herren und Damen aus besseren Familien, die lange noch ihre eigenartige Tracht beibehielten, waren gern am Hofe und in der vornehmen Gesellschaft gesehen und nahmen bald hohe Stellungen ein, während die Handwerker und Landbauer an vielen Orten neue Industrien, Gemüsezucht etc. ins Leben riefen.

Die französische Lieblingsspeise, die Suppe, war damals in der Mark, wo man stets Bier trank, so gut wie unbekannt; die Réfugiés haben ihr unter den Berlinern das Bürgerrecht verschafft. Sie führten auch das Weißbrot, das oft noch Franzbrot genannt wird, ein, und lange Zeit waren die kleinen Würste (saucisses, Saucißchen) beliebt, die ein Réfugié Braconnier fabricirte, während die Blutwürste zuerst „Französische Würste“ hießen. Die alte Dame Foucaut konnte sich später rühmen, die Hoftafel unter drei Regierungen mit frischen französischen Leberwürsten versorgt zu haben. Die französischen Kolonisten gründeten auch ein früher in Berlin unbekanntes Gewerbe, Speisewirthschaften, in denen stets verschiedene Braten, Geflügel und Wildpret fertig gehalten wurden, und wirkten reformirend auf die noch im Argen darniederliegenden Gasthöfe ein, indem sie z. B. zur Gründung des seiner Zeit berühmten Hôtels „Die Stadt Paris“ in der Brüderstraße Veranlassung gaben.

Getragen von dem Wohlwollen aller brandenburgischen Fürsten, gefestigt durch unzerreißbare Bande innerer Zusammengehörigkeit ist die französische Kolonie im Laufe zweier Jahrhunderte zu einem kräftigen mächtigen Baume herangewachsen, dessen Aeste und Zweige wegen der stattgefundenen Vermischung der Nationalitäten zwar nicht mehr den ausgeprägten ursprünglichen Typus zeigen, der aber noch lebenskräftig genug ist, viele Generationen in seinen Schatten zu nehmen.

[679] Ueber die aus dem Schoße der Kolonie hervorgegangenen Wohlthätigkeitsanstalten ließe sich eine besondere Geschichte schreiben, wir begnügen uns nur mit dem Hinweis auf die wichtigsten der jetzt bestehenden elf Anstalten, die einerseits der Erhaltung der Kirche, zum größten Theil aber der Fürsorge für die Armen aller Lebensstufen, vom Säugling bis zum Greise, dienen. Auf dem umfangreichen Terrain, Große Friedrichsstraße Nr. 129, erhebt sich inmitten herrlicher, von uralten Bäumen bestandener Gärten das im Jahre 1878 vollständig neugebaute Hospital, an dessen Eingangspforte die Statuen des Großen Kurfürsten und Friedrich’s des Großen prangen.

Das Hospital ist schon vor 1687 gegründet und verdankt seine wesentliche Förderung der Kurfürstin Dorothea, Gemahlin des Großen Kurfürsten, es bietet alten, schwachen und kranken Personen lebenslänglich ein freundliches Heim. Zu nennen ist ferner: das Pensionat, eine seit 1857 bestehende Anstalt, in welcher ältere Damen aus besseren Ständen (augenblicklich beträgt die Zahl 40) gegen Entrichtung eines Eintrittsgeldes Aufnahme bis an ihr Lebensende finden.

Unweit des Hospitals, ebenfalls in idyllischer, fast ländlicher Umgebung, erhebt sich fern vom Geräusch der Großstadt, das Hospiz. Diese Erziehungsanstalt vereinigt seit 1844 in sich das Waisenhaus (eröffnet 1725), Ecole de charité (eröffnet 1745) und das Kinderhospital; in diesen drei Instituten haben bis zur Gegenwart etwa 2500 Kinder, vom Säuglingsalter bis zum 16. Lebensjahre Unterricht und Erziehung erhalten.

Getreu den alten Traditionen, wird in diesen Anstalten die französische Sprache besonders gepflegt, indeß weht durch die ganze Kolonie ein von reinem Patriotismus getragener echt deutscher Geist, der in Dankbarkeit für das preußische Königshaus das Vaterland der alten Réfugiés längst vergessen hat.

Jetzt werden nach zwei Jahrhunderten an demselben Tage, an welchem das Edikt von Potsdam erlassen wurde, die Nachkommen der Flüchtlinge zu einer Festfeier zusammentreten, der auch das gesammte deutsche Volk mit ernster Theilnahme folgen wird. Denn unvergeßlich bleiben stets die Tage, an welchen der Geist der Nächstenliebe und der Duldung die Wunden heilte, welche der Haß geschlagen. Leuchtende Marksteine des Fortschrittes sind sie für Jeden, der mit forschenden Augen zurückschaut in die Nacht der vergangenen Jahrhunderte, und in den Jahrbüchern der Weltgeschichte gelten sie als hohe Festtage der Menschheit und Triumphtage des Lichts. G. Schubert.     



  1. Vergl. die hochinteressante Festschrift: „Geschichte der französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen“. Von Dr. Ed. Muret. In derselben ist auch eine ganzseitige Reproduktion des Kostüms einer Réfugié-Dame (Stadtanzug) enthalten, das wir in verkleinertem Format unsern Lesern vorführen. Das Originalkostüm befindet sich im königlichen Nationalmuseum zu München und ist Eigenthum des Prof. Dr. Paul von Roth in München.