Veile und das Gefecht vom 8. März

Textdaten
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Autor: Otto Günther
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Titel: Vom Kriegsschauplatz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 252–254
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Vom Kriegsschauplatz.
Veile und das Gefecht vom 8. März.

Nach dem ewigen Schneesturme und den eisigen Regenschauern war endlich einmal ein Tag gekommen, der das Nahen des Frühlings ahnen ließ, als ich in einem unter unsäglichen Schwierigkeiten aufgetriebenen gliedermarternden hohen holsteiner Stuhlwagen von Kolding gen Veile fuhr. Die jütische Ostküste ist ein reizender Fleck Erde und wird’s immer mehr, je weiter man sich von der eintönigen flachen nordschleswigschen Landschaft entfernt. Der Boden erhebt sich zu ganz stattlichen Hügeln, die mannigfache höchst anmuthige Thäler und Thälchen durchschneiden, und wird in der Umgebung von Veile selbst wahrhaft romantisch. Wie ein Eiland stieg tief zu meinen Füßen der an sich unbedeutende Ort aus einem kleinen Landsee auf, welcher durch Canäle mit der malerischen Einbucht der Ostsee, dem Veiler Fjord, in Verbindung gebracht ist.

Wie blau, wie friedlich lag das Meer; wie still und heimelig lockte der See; wie anmuthig waren die Linien der freilich noch unbelaubten Buchengehölze und der dunkelen Fichtenbestände, die aus dem Grunde bis zu dem Rücken der Höhen aufsteigen, welche den Thalkessel einfassen; – wie schön mußte es hier erst sein, wenn ringsum das junge saftige Sommergrün die freundlichen Landhäuser und Gehöfte umrahmt und umflüstert! Einen Augenblick hatte ich vergessen, wie entsetzlich diese liebliche Idylle aus ihrer träumerischen Ruhe gescheucht worden war, welches blutige Schauspiel sich vor wenig mehr denn acht Tagen hier inmitten des „jütischen Paradieses“ abgespielt hatte, – aber nur einen Augenblick. Die Erinnerungen an das Gefecht vom 8. März drängten sich immer mehr und immer schauerlicher zusammen auf der Straße, die ich dahin rumpelte; das dumpfe Gedröhn, das von Osten, von Fridericia, her an mein Ohr schlug, mehr als Alles aber das finstere, mißtrauische, feindselige Gebahren der Menschen, denen ich unterwegs begegnete oder die ich in den ärmlichen Schenken traf, vor denen unsere Gäule auf der drei Meilen langen Tour verschnaufen mußten – für uns selbst war an Verpflegung und Erquickung in diesen elenden schmutzigen Herbergen nicht zu denken – mahnten mich eindringlich daran, daß es keine Luftfahrt war, auf der sich der pflichtgetreue Berichterstatter der Gartenlaube befand, den vielmehr lediglich sein Beruf, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, was er schildert, weiter nordwärts im verheerten, ungastlichen jütischen Lande trieb.

Welches furchtbare Bild aber bot sich mir erst, als ich von dem letzten steilen Hange in die Stadt hinabkam! Da standen viele Häuser ohne Dach, anderen fehlten große Stücke der Vorderwand, fast in keiner der nördlichen Gassen war noch ein Fenster zu bemerken, die Schornsteine überall herabgerissen, – so hatte das dänische Geschütz hier gewüthet, das die heranbrausenden Sturmcolonnen der Oesterreicher begrüßte.

Der Tag von Veile ist einer der blutigsten des gegenwärtigen Feldzugs gewesen, doch abermals zum glänzenden Triumphe der österreichischen Tapferkeit und Kriegstüchtigkeit geworden, wie es überhaupt scheint, als seien die kaiserlichen Truppen bestimmt, überall da in den Vordergrund zu treten, wo es gilt, im Kampfe mit der blanken Waffe, Mann gegen Mann, den eigentlichen Heldenmuth an den Tag zu legen, während die Preußen ihre Erfolge bis jetzt fast ausschließlich der Ueberlegenheit ihrer schnellfertigen und weittragenden Geschosse verdanken.

Das Gefecht vom 8. März mit seinem in heller Nachmittagsstunde entbrannten grausigen Straßen- und Barrikadenkämpfe, an denen sich die fanatischen Bürger, ja halbschürige Buben betheiligten; das endliche Erstürmen der nördlichen Hügel, von wo aus, hinter Gräben und Holzverhauen, eine dänische Batterie ihre explodirenden Shrapnels dem von den südlichen Höhen anrückenden und die Stadt kämpfend durchrennenden neunten österreichischen Jägerbataillon und den Regimentern Hessen und Belgien entgegensandte; wie eine Abtheilung der letzteren selbst eine Stelle des Fjords durchwatete, um dem Feinde von rechts in die Flanke zu fallen und ihn in seiner stärksten Position, in einem Hohlwege, anzugreifen, durch welchen sich die Straße nach Horsens zieht, – das Alles haben die Tagesblätter zweifelsohne bereits mehr oder minder ausführlich und mit größerer oder geringerer objectiver Treue berichtet; ich will also in weitere Einzelheiten dieses unter der persönlichen Führung des verehrten „Vater Gablenz“ errungenen neuen Sieges der österreichischen Waffen nicht eingehen. Nur die Bemerkung sei mir verstattet, daß der kriegsschauplätzliche Künstler diesen letzgenannten entscheidenden Act des blutigen Werkes, das Gemetzel in der Schlucht auf der Horsenser Chaussee, zum Gegenstände seines schmerzlich lebensvollen und traurig wahren Bildes gewählt hat.

Es war ein schwerer Moment, als die österreichischen Bataillone über einen den gedeckten dänischen Kanonen völlig offenen morastigen Anger in diese Schlucht eindrangen, von einem unaufhörlichen Kleingewehrfeuer umwettert, welches der Feind aus seinen Verhauen auf sie niederhageln ließ. Doch vorwärts geht es, immer vorwärts, achtlos der Cameraden, die ringsum stürzen; plötzlich erschallt ein donnerndes Hurrah und das Bajonnet beginnt zu arbeiten. Abermals Hurrah und wiederum Hurrah, die Kanonen schweigen, und in tollen Sätzen, immer um sich hauend und stechend, springen die Löwenmuthigen rechts und links die steilen schlüpfrigen Abhänge hinan, wo sich hinter Erdwällen und Barrikaden die dänischen Schützen geborgen hatten. Da hielt der Feind nicht länger Stand und begann eiligst Fersengeld zu geben. Er hatte schwere Verluste gehabt, obschon den Oesterreichern, die nur 4000 Mann zählten, fast um die Hälfte überlegen und in einer außerordentlich günstigen Stellung, die er für unnehmbar gehalten haben mochte. Welchen heilsamen Schrecken die kühnen, unermüdlichen und blitzschnellen Oesterreicher dem „tappern Landsoldaten“ abermals eingejagt haben, läßt sich denken. „Alles in der Welt, nur nicht wieder diesen Weißröcken gegenüber, die den hellen Gottseibeiuns im Leibe haben!“ – so haben sich mehrfach gefangene Dänen geäußert. – Leider war inzwischen die Nacht hereingebrochen, so daß die Verfolgung des unaufhaltsam fliehenden Feindes nicht energisch betrieben werden konnte; sonst dürfte kaum ein Mann des dänischen Corps entkommen sein.

Beim Eindringen in den beschriebenen Engpaß war es auch, wo im gegenwärtigen Kriege der erste Schleswig-Holsteiner sein jugendliches Heldenleben im Kampfe gegen den verhaßten Unterdrücker zum Opfer brachte. Bei Veile fiel der Oberlieutenant im österreichischen Regimente „König von Belgien“ Hugo Rathlev, ein Sohn des derzeitigen Amtmanns in Kiel, des Justizraths Rathlev.

Zwar noch zu jung, um sich an der ersten Erhebung der Herzogthümer im Jahre 1848 thätig betheiligen zu können, fand er sich doch durch dieselbe in seiner von Kindheit an genährten Neigung zur Kriegerlaufbahn bestärkt und endlich 1856 die Gewährung seiner langgehegten Wünsche. Der damals achtzehnjährige

[253]

Das Gefecht in der Schlucht auf der Horsenser Chaussee bei Veile.
Originalzeichnung unsers Specialartisten Otto Günther.

[254] Jüngling trat als Cadet in das österreichische Heer ein, um 1859, als eben creirter Lieutenant, den zweiten italienischen Feldzug mitzumachen. Am Tage von Solferino war es ihm vergönnt, einen besonders wichtigen Punkt, den Meierhof von San Martino, ohne dazu befehligt zu sein, mit Sturm zu nehmen, eine große Anzahl Gefangener zu machen und mit dieser Position den linken Flügel der Benedek’schen Truppenaufstellung vor Umgehung durch die Franzosen zu bewahren. Der sichere militärische Blick und die That des jungen Officiers blieben nicht unbeachtet; der Orden der eisernen Krone wurde sein nächster Lohn. 1863 zum Oberlieutenant befördert, sah er 1864 das heißeste Sehnen seines deutschen Herzens gestillt, als er mit seinem Regimente, demselben, welches der tapfere Herzog Wilhelm von Württemberg befehligte, in der Brigade Nostiz zum Kampfe ausziehen durfte gegen den niederträchtigen Vergewaltiger seines schönen Heimathlandes.

Im Gefechte von Oeversee, am 6. Februar, an welchem das Regiment „König von Belgien“ bekanntlich einen so ruhmvollen Antheil nahm, stand Rathlev zum ersten Male dem Landesfeinde gegenüber. Aber leider sollte seinem Thatendurst vorerst ein energisches Halt! geboten sein. Wie seinen Commandeur, den Herzog Wilhelm von Württemberg, so verwundete eine dänische Kugel auch den kühn voranstürmenden Jüngling. Sie drang in den rechten Oberschenkel ein, traf aber zum Glück das in der Hosentasche verwahrte Portemonnaie, worin sich merkwürdiger Weise ein dänischer Reichsthaler befand. An diesem prallte das Geschoß ab und verursachte somit nur eine Contusion, die freilich ziemlich schwerer Art war. Einige seiner Leute wollten ihn vom Schlachtfelde nach dem Verbandplatze tragen. „Nehmt zunächst die dort fort,“ rief Rathlev mit matter Stimme, indem er auf mehrere neben ihm hingestreckte gemeine Soldaten wies. „Seht Ihr denn nicht, daß sie schwerer blessirt sind, als ich es bin?“ Und der menschenfreundliche Officier harrte trotz der heftigsten Schmerzen ruhig aus auf dem Platze, wo er lag, bis jene armen Verwundeten in Sicherheit gebracht waren.

Erst kurz vor dem Treffen bei Veile war Rathlev wieder zu seinem Regimente gestoßen. Die sorgenden Eltern, in deren Hause er gepflegt worden war, wollten den kaum geheilten und noch nicht völlig erstarkten Sohn nicht schon wieder aus ihrer Obhut entlassen; allein die heilige Sache, der sein ganzes Denken und Trachten galt, trieb ihn unwiderstehlich fort zu neuem Strauß wider den glühend gehaßten Dänen.

Schon auf dem Marsche nach Veile scheint ihn eine bei dem Soldaten so oft sich erfüllende Todesahnung beschlichen zu haben. Einem Cameraden machte er seine Uhr zum Geschenke und einem andern trug er auf, nach der Affaire sofort seine Eltern von seinem Befinden zu unterrichten, da er selbst es wahrscheinlich nicht mehr können werde. Wahrhaft ergreifend und rührend aber war der Abschied von seinem treuen Diener. Er führte diesen hinter eine am Wege stehende Scheune, händigte ihm die ganze Baarschaft ein, die er bei sich trug, und küßte ihn mit den Worten: „Diesen Kuß bringst Du meinen geliebten Eltern und Geschwistern, wenn ich nicht mehr bin.“

An der Einnahme von Beile selbst hatte das Regiment „Belgien“ keinen Theil gehabt. Erst gegen vier Uhr Nachmittags erhielt es Befehl, durch die Stadt vorzurücken nach dem vom Feinde besetzten Nordrande des Thales. Kaum aus dem Orte, wurden die „Belgier“ von einem mörderischen Feuer empfangen. Eine offene sumpfige Wiese mußte, wie oben erwähnt, zuerst passirt werden, bevor man das Defilé erreichte, und hier, dicht am Eingange des letztern, stürzte Rathlev, immer an der Spitze seines Zuges, lautlos zu Boden. Ein Camerad bückte sich zu dem Gefallenen nieder und entdeckte, daß eine Kugel durch den Kronenorden geschlagen und diesen in die linke Brust des heldenmüthigen Officiers gebohrt hatte. Man hielt ihn, der sich nicht mehr regte, für todt und ließ ihn darum liegen, um im entsetzlichsten Kugelregen weiter zu stürmen. Nachdem aber die Abtheilung sich eine etwas gedeckte Stellung erobert hatte, liefen zwei Grenadiere – Saffran und Tschatter sind die Namen dieser Braven – aus eigenem Antriebe nach der „Hospitalwiese“ zurück, um nach ihrem geliebten Oberlieutenant zu sehen. Sie hörten sein leises Athmen und trugen ihn, mit ihren Leibern ihn deckend, durch das heftigste Feuer langsam und vorsichtig in ein unfernes Haus. Der Schwerverwundete, der, ungeachtet seiner Leiden und seines Blutverlustes, sich noch lebhaft für den Gang des Gefechtes interessirte und erst, als er von dem glücklichen Ausgange desselben vernommen, in’s Verbandhaus schaffen ließ, lebte noch bis zum Morgen des andern Tages, wo er, um neun Uhr, umstanden von treuen Waffengenossen, den letzten matten Odemzug that. – Am zehnten März wurde die theuere Leiche nach Kolding geführt, von hier aber durch zwei von Rathlev’s Brüdern nach Kiel gebracht, wo man sie am 15. März neben einem im letzten Kriege vor Friedrichsstadt gefallenen Officiere, welcher der Familie verwandt gewesen war, in ihr finstres Bett legte.

Es war ein endloser Zug, welcher dem blumengeschmückten Sarge des Tapfern folgte, den Grenadiere und Kürassiere abwechselnd zur Ruhestätte trugen. Officiere, Magistralsmitglieder, Bürgerdeputationen, die Professoren der Universität, die Liedertafel mit ihrer roth-blau-weißen Fahne, die Studenten mit ihren verschiedenen Bannern und unzählige Andere gaben, trotz des schrecklichen Sturms und Regens, dem für das Vaterland gebliebenen jungen Landsmanne das Geleite. Wohl blieb kein Auge thränenleer, als der schwarze Schrein in die dunkle Gruft gesenkt wurde, wohl ward selbst da und dort ein lautes Schluchzen vernehmbar, als die üblichen Ehrenschüsse in dreimaliger Wiederholung über das Grab knatterten, und doch will es mich dünken, ist er glücklich zu preisen, der vorzeitig dahingeraffte junge Held, daß ihm erspart bleibt, das leider kaum mehr zweifelhafte Endziel des Kampfes zu sehen, in dem er mit der vollen Begeisterung seines frischen patriotischen Herzens das Schwert geschwungen hatte, – daß er nicht, gleich uns Andern, gewahren muß, wie trotz all’ des vergossenen Blutes, trotz der Hunderte und Aberhunderte von Opfern, die sich fortan mit verstümmelten Gliedern und zerfetzten Leibern durch ein armes Leben schleppen müssen, trotz der Millionen, die aus den Taschen des Volkes für den Krieg genommen worden sind, trotz des unzweideutig und energisch genug ausgesprochenen Willens der ganzen Nation, trotz alledem vielleicht erst französische Diplomatenkünste sein urdeutsches Heimathland deutschen Mächten zum Trotz befreien müssen.