Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland/Erster Abschnitt. Macht in die Ferne

Textdaten
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Autor: Oskar Wächter
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Titel: Erster Abschnitt. Macht in die Ferne
Untertitel:
aus: Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland
Seite 52–62
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: W. Spemann
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Djvu auf Commons
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[52]
II.
Macht in die Ferne.

Im Oktober des Jahres 1429 wurde zu Nürnberg eine gar stattliche Hochzeit gehalten. Der Ratsherr Tucher verheiratete seine jüngste Tochter Mechtild an den Bürgermeister Pferinger von Nördlingen. Aus weiter Ferne kamen die Gäste herbei. Die Herbergen waren von Pferden und Reisigen besetzt. Denn in jenen Zeiten des Faustrechts schien es nicht geraten, ohne Bedeckung zu reisen. Besonders lebhaft war es in der Herberge „zur goldenen Au“. Sie lag dicht am Thor, wo die Landstraße nach Nördlingen einmündete. Der geräumige Saal faßte kaum die Gäste, die ihr Mittagsbrot heischten und dem Würzburger Weine, der hier verzapft wurde, tüchtig zusprachen. Viele von ihnen schienen Kaufleute zu sein.

[53] An einem kleinen Tisch im Erker saß ein großer blonder Mann in bäuerlicher Tracht. Seine kleinen blauen Augen musterten mit scharfem Blicke die Gäste. Einer der Eintretenden schien seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er trug einen Jagdanzug und auf der Schulter die Büchse, die er an der Wand aufhing und sich nun dem Bauersmann gegenüber setzte mit leichtem Gruß. Beiden wurde das Mittagessen vorgesetzt. Der Jäger nahm das Messer, welches neben seinem Teller lag, auf und legte es so, daß es mit der Spitze gegen seine Brust zielte, und sah dabei seinen Nachbar an. Dieser legte in demselben Augenblick sein Messer in derselben Weise. Zwischen beiden entspann sich eine Unterhaltung. „Nach eurer Kleidung zu schließen,“ sprach der Jäger, „seid ihr nicht aus dieser Gegend.“ „So ist's,“ antwortete der andre; „ich komme vom Niederrhein und habe ein Geschäft hier in Nürnberg.“

Beide verzehrten schweigend ihr Mahl und leerten ihre Krüge. Der Jäger stand auf und trat zu seinem Gewehr. Der andre folgte ihm, trat neben ihn, legte seine rechte Hand auf des andern linke Schulter und sagte leise: „Ich grüß euch, lieber Mann, was fangt ihr hier an?“ Sofort legte der Jäger gleichfalls die [54] rechte Hand auf des Bauern linke Schulter und erwiderte, den andern Gästen unvernehmbar: „Alles Glücke kehren ein, wo die Freienschöppen sein!“ Darauf sprach der Jäger die Worte: „Strick, Stein“ und der andre sagte dazu: „Gras, Grein“.

„Erlaubt mir, daß ich euch begleite,“ sagte der Bauer und beide verließen den Saal und gingen schweigend ins Freie. Hier unter den Bäumen vor dem Thor nahm der Bauersmann wieder das Wort: „Es ist mir lieb, daß ihr ein Wissender seid. Könnt ihr hier abkommen?“

Darauf der Jäger: „Habe mich auch auf roter Erde zu Dortmund unter der Linde wissend machen lassen. Aber was ist euer Begehr?“

„Ich heiße Konrad Oilpe, wohne ganze nahe bei Dortmund und habe eine Sache an den Kuntz von Schweinsberg. Falls ihr den kennen möchtet?“

„Und ich bin Friedrich von Eberbach, ansässig zwei Stunden von hier auf Burg Eberbach. Den Schweinsberg kenne ich wohl und habe etlichemal ihn bei Gefreundten getroffen. Er ist kurzer Hand und macht nicht viel Worte.“

„Ist euch auch kund worden,“ begann Oilpe wieder, „daß Herr Kuntz vor nun gerade einem Jahr [55] zwei Kaufleute auf offner Straße überfallen, den einen erschlagen, den andern auf Lösegeld festgesetzt hat?“

„Habe davon vernommen,“ antwortete der von Eberbach. „Aber wie kommt ihr an die Sache? oder – sollte die heimliche Acht –?“

„Will es euch berichten,“ entgegnete Oilpe, „Herr Kuntz hat seinen Gefangnen drei Monate in einem abscheulichen Verlies festgehalten, bis endlich das Lösegeld – 300 Goldgulden – herbeigeschafft war. Danach hat der Eingekerkerte geklagt, aber gegen den mächtigen Raubritter kein Recht gefunden. Darüber ist er gestorben. Seine Witwe war mit einem Freischöffen verwandt und brachte die Sache vor den Freistuhl zu Dortmund. Sie wurde als Vehmwroge erkannt, die Ladung gegen den Angeklagten ausgefertigt und zweien Freischöffen überantwortet. Diese haben denn auch alsbald die Reise angetreten und da sie zu Nürnberg vernahmen, es sitze der Angeklagte auf einem Schloß, darein man ohne Sorg und Abenteuer nicht kommen möchte; so sind sie bei Nacht vor die Burg des Kuntzen geritten und haben aus dem Rennbaum drei Spähne gehauen und den Ladungsbrief in die Kerben gesteckt und dem Burgwächter zugerufen, sie hätten einen Königsbrief an das Thor [56] gesteckt und er sollte dem, der in der Burg ist, sagen, daß er seines Rechtstags warte an dem freien Stuhl bei den höchsten Rechten und des Kaisers Bann. Das habe denn auch der Burgwächter seinem Herrn berichtet mit großem Schrecken, der aber habe gespottet und gesagt: „Hans, meinst wohl, ich scheue die heilige Vehme? Die soll ihre Boten nicht wieder an mich schicken.“ Nun, ihr wisset, wie die Sache weiter verlaufen mußte. Der Geladne erschien nicht. Am letzten Termin hatte man auf ihn gewartet unter der Vehmlinde, bis die Sonne auf dem Höchsten gewesen. Als darauf der Freigraf gefragt, ob niemand von seinetwegen da sei, der ihn verantworten wolle zu seinem Rechte und seiner höchsten Ehre, und niemand vorgetreten, so wurde nun dem Beistand der Witwe gewiesen, daß er die Klage beweisen solle. Der hat denn auch sofort den feierlichen Eid geleistet auf des Freigrafen Schwert vor gespannter Bank mit zwei Eidhelfern, die beschworen, der Ankläger schwöre rein, nicht mein.

Es war aber zur gespannten Bank nicht bloß die nötige Zahl von sieben, es waren zwanzig Schöffen erschienen, und die haben einmütig auf des Freigrafen Frage das Urteil gesprochen, daß der Angeklagte [57] der That schuldig sei. Darauf hat der Freigraf den Kuntz von Schweinsberg vervehmt und gerufen: er weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Tieren und Vögeln in der Luft, ihn zu verzehren, und befehle seine Seele Gott im Himmel in seine Gewalt, wenn er sie zu sich nehmen will, und setze sein Leben und Gut ledig, sein Weib solle Witwe, seine Kinder Waisen sein. Darauf hat der Graf genommen den Strick von Weiden geflochten und ihn aus dem Gerichte geworfen und allen Freischöffen geboten und sie bei ihren Eiden und Treuen, die sie der heimlichen Acht gethan, ermahnt, sobald sie den vervehmten Mann bekommen, daß sie ihn henken sollen an den nächsten Baum, den sie haben mögen, nach aller ihrer Macht und Kraft.

Weil nun der Ankläger, der Freischöffe Niklas vom Steinhof, selber krank geworden und auf den Tod gelegen, hat er mir das Urteil der heimlichen Acht, vom Freigrafen ausgefertigt, zu vollziehen übergeben. Und so bin ich nun hier und ersuche euch bei eurem Eid, daß ihr mir Beistand thun wollet!“

„Weigern darf ich’s nicht,“ erwiderte Friedrich von Eberbach, „wiewohl es kein leichtes Werk sein wird. Auch müssen wir, wie ihr wisset, noch einen [58] Freischöffen suchen, da nur ihrer dreie miteinander nach Freistuhls Recht den Spruch vollziehen mögen.“

Oilpe ergriff die Rechte des andern und sagte: „Ich kann mich auf euer Wort verlassen. Auch wisset ihr, daß nach Freistuhls Recht, wenn ein Schöffe, den wir aufrufen, des Freigrafen Brief und Siegel siehet, er zur Hilfe verbunden ist, mag es auch gegen Freund und Bruder gehen. Ihr seid hier ortskundig. Suchet einen Wissenden, der uns guten Beistand leisten möge und Gelegenheit schaffen, daß wir den Vervehmten da antreffen, wo ein Baum in der Nähe ist.“

„Ihr möget unbesorgt sein,“ erwiderte Friedrich. „Gehet nur wieder in die Herberge zurück; dahin will ich euch ein Brieflein senden und euch bescheiden. Ich suche den Schweinsberg, gehe ins Tuchersche Haus und ehe die zweite Nacht kommt, werden wir den vervehmten Mann fest machen.“

Des andern Tages hielt der Ratsherr Tucher eine Jagd im Forst an der Pegnitz. Unter einem Zelt lagerte die Gesellschaft zum Morgenimbiß in fröhlicher Stimmung. Die Hörner riefen zum Aufbruch – schon sah man einzelne Rehe am Rand der Wiese vorübertreiben. Der Ritter von Schweinsberg, [59] ein starker rothaariger Mann, bestieg sein Pferd. Neben ihm hielt Friedrich von Eberbach. Beide ritten schweigend miteinander in den Wald. „Ihr wollt eine Sache mit mir ausmachen?“ begann der von Schweinsberg. „Ich habe nicht lange Zeit.“ „So gestattet mir, daß ich noch zwei Männer rufe, die auch zur Sache gehören,“ erwiderte Friedrich und stieß plötzlich zweimal in sein Jagdhorn. „Ich ersuche euch aber, mit mir abzusteigen, daß ihr einen Brief lesen möget, der euch nahe angeht.“

In diesem Augenblicke traten zwei Männer eilenden Schrittes heran, Konrad Oilpe und der Ratsherr Tucher. Oilpe näherte sich dem von Schweinsberg, indes Friedrich zum Ratsherrn sich stellte. Oilpe zog das Vehmurteil hervor und hielt es dem von Schweinsberg unter Augen. Dieser erblaßte, griff aber an sein Jagdgewehr und wollte sich zur Wehre setzen. Alsbald fand er sich von den ehernen Fäusten des Westfalen gepackt und an einen Baum gedrückt, daß er sich nicht zu rühren vermochte. Mit schäumendem Mund rief er: „Herr Ratsherr, schützt euren Gast vor meuchlerischem Überfall!“ Aber Tucher legte die Hand auf seinen Arm und sprach: „Hier ist kein Verrat! ihr seid der kaiserlichen Acht und dem Spruch [60] der heiligen Vehme verfallen. Dawider kann euch nicht die Stadt Nürnberg, noch ich als ein einzelner schützen. Auch bin ich als Schöffe dem Freistuhl pflichtig.“

Und in demselben Augenblick hatte Konrad Oilpe den aus Weiden geflochtenen Strick zur Hand, legte ihn unter Handreichung Eberbachs dem Vervehmten um den Hals und sie henkten den Mann an den Ast einer Eiche. Darauf zog Oilpe ein Messer hervor, das er neben den Geächteten in den Baum steckte.

Der Ratsherr aber ging zu seinen Gästen zurück und gab ihnen zu wissen, daß an der Eiche auf dem Niederbühl der von Schweinsberg durch die Vehme gerichtet sei.

Des andern Tages führte der Bürgermeister von Nördlingen seine junge Frau heim. Der Ratsherr Tucher und einige Freunde des Hauses gaben ihm das Geleite bis zur nächsten Station. Hier sollte der zweite Frühtrunk genommen werden; die warme Herbstsonne lockte die Gäste auf die Wiese vor dem Wirtshaus. Da saßen auch Friedrich von Eberbach und Konrad Oilpe. Beide erhoben sich. Eberbach ging auf den Ratsherrn zu, bot ihm den Willkomm [61] und sagte: „Es ist mir ganz erwünscht, daß ich euch noch einmal treffe, so unlieb es mir und zumeist wohl euch gewesen, daß ich bei der Hochzeit und dem gestrigen Jagen stören mußte. Daran aber trägt die Schuld mein Begleiter Konrad Oilpe, den ich euch hier vorstelle und der mich zum Dank noch ein Stück Weges begleitet hat.“

Tucher und Pferinger zeigten sich erfreut, einen Schöffen vom hochberühmten Dortmunder Freistuhl zu treffen und einen Vertrauten des angesehenen Freigrafen Konrad von Lindenhorst, konnten sie doch nicht wissen, ob nicht heute oder morgen die gewaltige Vehme auch über Nürnberg oder Nördlingen ihre Hand ausstrecken möchte.

„Noch habe ich ein besonderes Anliegen an euch,“ sagte Tucher zu Oilpe. „Ich weiß, was es auf sich hat, Freischöffe zu sein, und wünsche, daß auch mein Schwiegersohn von der heimlichen Acht aufgenommen werde. Auch der Rat zu Nördlingen wünscht dasselbe. Nur hat Pferinger noch immer gezögert, nach Westfalen zu reisen, war auch unsicher, an welchen Freistuhl er sich wenden möge.“ Pferinger bestätigte das und Oilpe bot ihm die Hand und sagte: „Nun, wohledler Herr Bürgermeister von Nördlingen, lasset [62] es nicht länger anstehen. Wenn der Mai ins Land kommt, so wollet euch aufmachen und nach Dortmund reisen; von da kommt ihr in zwei Stunden auf meinen Hof und sollet als Gast willkommen sein. Ich führe euch zum Freigrafen Lindenhorst und die Sache wird bald im reinen sein.“

Tucher forderte jetzt den Friedrich von Eberbach und Konrad Oilpe auf, noch mit der Frau Bürgermeisterin anzustoßen, die sich denn auch bald mit den Fremden im Gespräch befand. Als von der Reise Pferingers nach Westfalen die Rede war, meinte Eberbach scherzend, vorher müsse er sich versichern, ob seine junge Frau nicht neugierig sei, da er ja, wolle er wissend werden, mit hohem Eidschwur sein Leben verpfände, das Geheimnis der Vehme geheim zu halten „vor Weib und Kind, vor Sand und Wind“. Aber die Bürgermeisterin entgegnete: damit habe es keine Gefahr, dafür sei ihr Gemahl selbst Manns genug. Übrigens sei sie die Tochter eines Freischöffen und werde es für hohe Ehre achten, auch eines Wissenden Frau zu sein.