Urtheil einer deutschen Königin über Napoleon I.

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Urtheil einer deutschen Königin über Napoleon I.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 584
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[584] Urtheil einer deutschen Königin über Napoleon I. Heute, wo „der Neffe“ Besuche an deutschen Höfen macht, mit einem zweiten Kaiser Alexander von Rußland auf deutschem Boden zusammenkommt und deutsche Interessen verhandelt, von deutschen Fürsten begrüßt und bewirthet, heute, wo die St. Helena Medaille von Napoleon III. alten deutschen Kriegern dafür als Belohnung angeboten wird, daß sie einst Napoleon I. gegen Deutschland dienten und die Schmach und Knechtung Deutschlands mit ihrem Blute förderten, heute dürfte es an der Zeit sein, ein ungemein treffendes Urtheil einer edlen und hochgefeierten deutschen Fürstin, der unvergeßlichen Königin Louise von Preußen, über den Kaiser Napoleon I. wieder zu veröffentlichen, einem ihrer schönen und gemüthlichen Briefe an ihren Vater, den Großherzog Friedrich Franz von Meklenburg-Schwerin, vom Jahre 1808 entnommen. Es ist wahrlich gut gethan, dann und wann an solche orakelmäßige Aussprüche zu erinnern, sie werden im rastlos wilden Treiben der Gegenwart gar zu leicht vergessen.

Die hochsinnige Königin schreibt: „Es wird mir immer klarer, daß Alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Weltordnung leitet unverkennbar neue Weltzustände ein und es soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt hat und in sich selbst als abgestorben zusammenstürzt. Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrich des Großen, welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten, deshalb überflügelt sie uns.

Gewiß wird es besser werden: das verbürgt mir der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem, jetzt freilich glänzenden Throne sitzt. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, d. h. klug: und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie nun eben sind. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr bewundern. als man ihn lieben kann. Von seinem Glück geblendet, meint er Alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt. Ich glaube fest an Gott, also auch an eine sittliche Weltordnung. Diese aber sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht; deshalb bin ich der Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird.“

Welche goldnen Worte, werth, daß man sie in Stein und Erz grabe und auf Märkten und Straßen, an Palästen und Hütten in Deutschland aufstelle! So wahr, so herrlich, so prophetisch schrieb vor einem halben Jahrhundert eine deutsche Frau, eine deutsche Königin, und wie Vieles davon klingt, als wär’ es in unsern Tagen und auf unsere Zustände geschrieben!