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Autor: Kurd Laßwitz
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Titel: Unverwüstlich
Untertitel:
aus: Seifenblasen. Moderne Märchen. S. 134–137.
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Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Leopold Voß
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Erscheinungsort: Hamburg und Leipzig
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Quelle: ULB Düsseldorf, Deutsches Textarchiv und Commons
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[134]

Unverwüstlich.




Was marterst du das arme Hirn
Mit Fragen und mit Schlüssen?
Komm her und laß dir von der Stirn
Die finstern Falten küssen!

5
Mit Sorgen hast du nachgedacht

Dem Laufe dieser Dinge
Und zweifelst, ob der Liebe Macht
Den Weltprozeß bezwinge?

     Wenn ich dir in die Augen schau’,

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Die lieben, klaren Augen,

Dann wissen wir ja ganz genau,
Warum wir für uns taugen.
Wir waren stets uns zugesellt,
Willst du dich recht entsinnen,

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Seitdem im Raum sich dehnt die Welt

Und seit die Zeiten rinnen.

     Ich glaube, daß du neben mir
Zum Centrum dich gerichtet
Zuerst, da als Atome wir

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Zur Sonne uns verdichtet.

Wir flogen dort schon Arm in Arm
Beim ersten Gravitieren,
Und wurden so gemeinsam warm
Und konnten oscillieren.

[135]

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     Und als der Nebelring in Glut

Geschleudert ward ins Weite,
Nicht sank uns der Atomen-Mut,
Du flogst mir zum Geleite.
Und als die Erde sich geballt,

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Da hielt es uns nicht länger,

Uns band der Liebe Vollgewalt
Im Molekül noch enger.

     Doch ach, entsetzlich war die Zeit!
Kaum mag ich mich erinnern;

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Wir wurden grausam bald entzweit,

Mich trieb es nach dem Innern,
Dann sucht’ ich, ach, von Ort zu Ort
Umsonst, die ich erkoren, —
Ich glaubte schon, es riß dich fort,

40
Als wir den Mond verloren.


     So lebten fern wir und allein
Millionen wohl von Jahren;
Mein Herz, mein Herz war ewig dein —
Erst spät hast du’s erfahren.

45
Als das Geschick von dir und mir

Sich endlich ließ erbitten:
In der Grauwacke krebsten wir
Als kleine Trilobiten.

     Als in der Kohlenformation

50
Wir dann uns wiederfanden,

Warst du ein Labyrinthodon,
Ich lag in deinen Banden.
Auf deinen holden Wickelzahn
Sang ich ein Lied alsbalde,

55
Sah ich dich mir von ferne nah’n

Im Sigillarienwalde.

[136]

     Im Trias und im Jura auch
Und im System der Kreide
Warst du nach treuer Liebe Brauch

60
Mir Trost und Augenweide.

Wir wurden endlich miocän
Und Säugetier-gestaltet;
Und selber in der Eiszeit Weh’n
Sind wir uns nicht erkaltet.

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     Und immer klüger wurden wir,

Als Jahr’ auf Jahre gingen;
Ich bin gewiß, nur neben dir
Konnt’ ich’s zum Menschen bringen.
Denkst du daran, wie um und um

70
Vor uns die Tiere zagten,

Als wir noch im Diluvium
Den Höhlenbären jagten?

     Mit meiner Axt von Feuerstein
Hab’ ich in jenen Tagen

75
Rhinocerosse kurz und klein

Zur Freude dir geschlagen.
In unsrer Höhle saßen wir
Aus Knochen Mark zu saugen,
Und schon wie heute sah ich dir

80
In die geliebten Augen.


     Und wo wir auch im Lauf der Zeit
Noch später uns getroffen,
Du warst allein in Lust und Leid
Mein Sehnen und mein Hoffen,

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Ob wir am heil’gen Nilusstrand

Zum Isissterne blickten,
Und ob wir im gelobten Land
Vom Stock die Traube pflückten;

[137]

     In Aphroditens heil’gem Hain

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In stillen Mondesnächten,

Wie in des Cirkus dichten Reih’n
Beim grimmen Todesfechten;
Nach blutiger Barbarenschlacht
Im Flammenschein der Städte,

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In deutscher Kirchen dumpfer Nacht

Bei Weihrauch und Gebete.

     Und heute wieder ganz modern
Lieb’ ich dich ohne Maßen.
Ich grüße höflich dich von fern,

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Treff’ ich dich auf den Straßen.

Dein Bild, gemalt vom Sonnenstrahl,
In meiner Tasche trag’ ich,
In Versen meine Liebesqual
Dir durch die Reichspost sag’ ich.

105
     Es zischt der Dampf, es saust das Rad,

Es regt sich ohne Endnis.
Es ringt die Welt mit Wort und That
Nach freier Selbsterkenntnis.
Und wenn zu neuem Leben wir

110
Hier wiederum erwachen,

Dann fahr’ ich durch die Luft mit dir,
Sturmgleich, im Flügelnachen!