Unser Märchenbild
[568] Unser Märchenbild. (Abbildung S. 557.) Illustrationen zu deutschen Classikern sind in die Mode gekommen; warum soll nicht auch das große Gemälde seine Motive aus den Phantasieschöpfungen unserer Dichter wählen? Hier ist eine Fundgrube für den Maler, deren reichlichere Ausnutzung um so dringender anzurathen ist, als die Stoffarmuth unserer Genremalerei fast sprüchwörtlich geworden ist. Um wie viel mehr muthet doch ein Bild an, dessen Gegenstand uns von der Lectüre her vertraut ist und die fruchtbarsten Vergleichungen zuläßt zwischen der Auffassung des Malers und der unserigen, als irgend ein Sujet, in welches man sich oft genug erst mühsam vertiefen muß, um Freude daran zu gewinnen. Und auf der andern Seite: wie vielfach würden jene Gemälde die Beschäftigung mit bisher unbekannten poetischen Schöpfungen veranlassen! Eine Kunst wurde so der andern zu Nutzen unserer Volkserziehung die Hand reichen. Das vorgeschlagene Bündniß ist um so gerechtfertigter, als unsere populären Classikerausgaben die Beschaffung der Texte wie nie zuvor auch dem wenig Bemittelten erleichtern. In wie vielen Händen befinden sich nicht heute die drolligen Märchenerzählungen des alten Schalks Musäus – und wie werth sind sie noch heute, gelesen zu werden! Möchte das anmuthige Bild der „Nymphe des Brunnens“, welche der edlen Frau Mathilde tröstend den glatten Bachkiesel überreicht, damit sie durch Hinabwerfen desselben in den Brunnen dereinst die wunderbare Freundin zur Pathe des zu erwartenden Töchterchens bitten lasse, recht viele unserer Leser wieder einmal zu jenen munteren Erzeugnissen eines sonnig-heiteren Dichtergemüths führen, deren Reiz, eben weil sie uns so frisch und gesund ansprechen, noch lange nicht verwelken wird.