Ueber kranke und gesunde Nerven

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ueber kranke und gesunde Nerven
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 627–628
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[627] Ueber kranke und gesunde Nerven. Ueber die Nervosität unserer Zeit ist schon viel geschrieben worden. Jedermann kennt das düstere Bild, welches ernste Forscher vor uns entrollt haben, indem sie die Folgen der ruhelosen Jagd nach Erwerb, des unaufhörlichen Kampfes ums Dasein schilderten. Bleich, verdrossen, aufgeregt, unstät erscheinen die Menschen der modernen Civilisation, sie sind von „nervöser Schwäche“ befallen und geben dem Geschichtschreiber Recht, der von einem „nervösen Zeitalter“ spricht. Es ist darum mehr als je geboten, daß die Grundlehren einer vernünftigen Lebensweise, die jenem Uebel abhelfen kann, die größte Verbreitung finden, daß die Ursachen der Nervosität auch für die große Masse aufgedeckt und Mittel zu ihrer Verhütung bekannt werden.

Dieses wichtige Ziel verfolgt ein nicht umfangreiches, aber überaus klar und überzeugend geschriebenes Werk von Professor Dr. Freiherr von Krafft-Ebing, welches unter dem Titel „Ueber kranke und gesunde Nerven“ soeben im Verlage der H. Laupp’schen Buchhandlung in Tübingen erschienen ist.

Es enthält eine Reihe wichtiger und beachtenswerther Rathschläge für alle Diejenigen, die durch geistige Arbeit sich ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Sie werden in dem Werkchen über die Diätetik der geistigen Arbeit und die Diätetik der Erholung überraschende Aufschlüsse finden und zum Theil nach den Regeln des Verfassers ihre Lebensweise einrichten können. Leider nur zum Theil, denn für die große Masse sind die Forderungen, welche die Wissenschaft stellt, vorläufig unerfüllbar. Aber bei einigem guten Willen ließe sich Vieles erreichen, ohne die [628] Einrichtungen unseres wirthschaftlichen Lebens umzugestalten, und Krafft-Ebing giebt selbst einige Winke, die in den maßgebenden Kreisen Beachtung finden sollten. Wir bringen im Nachstehenden nur einige Auszüge, die wir dem Kapitel „Die Diätetik der Erholung“ entnehmen.

Nach einer Reihe von Arbeitstagen, sagt der Verfasser, muß eine längere Arbeitspause folgen. Das haben die Menschen schon früh erkannt. Diesem Bedürfniß entspricht die uralte wohlthätige, auf göttliches Gebot zurückgeführte Sitte, einen Tag in der Woche als Ruhetag zu halten. An dieser ehrwürdigen Institution festzuhalten, hat die moderne Gesellschaft guten Grund. Leider fehlt sie vielfach darin, daß der Erholungstag mit Beschäftigungen zugebracht wird, die keine Erholung sind. In der Volkserziehung müßte darauf hingewirkt werden, daß der Sonntag auch wirklich ein Tag der Erholung und Ruhe für Geist und Körper sei, nicht ein Tag der Orgien und der Völlerei, des nervenzerrüttenden Hazardspiels und Trinkens.

Aber selbst der gut zugebrachte Sonntag genügt nicht für den geistigen Arbeiter im modernen Kulturleben. Er bedarf einer längeren Zeit der Erholnng und Rast alljährlich, um leistuugsfähig zu bleiben. Diese Zeit des Urlaubs, des Ausruhens sollte dem geistigen Arbeiter nicht zu knapp zugemessen sein. Vier Wochen sind eine bescheidene Forderung für Den, welcher überdies in den hygienisch schlechten Bedingungen der Großstadt, des Bureau, des Komptoirs 11 Monate des Jahres zubringen muß.

Diese Zeit des Urlaubs muß aber richtig angewendet werden, um Erfolg zu gewähren, sie muß dem beschaulichen ruhigen Genuß der Natur gewidmet sein, nicht dem Herumreisen im halben Welttheil mit Kurierzügen und Nachtfahrten.

Die Bedeutung der Ferien und des Landaufenthalts für die Erhaltung der geistigen Leistungsfähigkeit ist noch lange nicht in dem Maße gewürdigt, als es nöthig wäre. Der Lehrer sollte pekuniär so gestellt sein, daß er nicht seine Feier- und Ferialtage mit Stundengeben zubringen müßte. Die Behörden sollten einsichtsvoll genug sein, ihren geistigen Arbeitern alljährlich ein paar Wochen der Erholnng zu gönnen.

Wer nach solcher Sommerfrische gestärkt zu seinem Berufe zurückkehrt, leistet ganz Anderes als vorher und wird viel später pensionsbedürftig.

Der Staat hätte, ganz abgesehen von der humanitären Seite der Frage, ein Interesse, wenn er seinem verdienten Subalternbeamten Zuschüsse zur Bestreitung seines Sommeraufenthaltes böte und an geeigneten Orten, wie er ja vielfach Freibäder und Freiplätze besitzt und Beamten zukommen läßt, Erholungsorte für solche errichtete.

Wichtig sind auch die Bemerkungen des Verfassers über die fehlerhafte Erziehung der Jugend, die so oft den Grund zur Nervosität legt. Möchten sie in weitesten Kreisen Beachtung finden!