Ueber die Selbstverunstaltung der jetzigen jungen Männerwelt

Textdaten
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Autor: v. S.
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Titel: Ueber die Selbstverunstaltung der jetzigen jungen Männerwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 124-126
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ueber die Selbstverunstaltung der jetzigen jungen Männerwelt.

Schreiber dieses dankt dem Himmel, daß er kein junges Mädchen geworden, das sich, à tout prix, hätte verlieben müssen in einen Helden, irgend einen der heutigen Mode, wie sie sich auf Straßen und Plätzen, in Salons und Tabagien sehen lassen. Wir dürfen es mit diesen hochgebietenden Herren nicht verderben, daher wollen wir nur ganz leise auf ihre Schwächen antippen, immer nur in dem edlen Bestreben, ihnen zu zeigen, wie viel mehr Eindruck sie machen würden, wenn sie sich bestreben wollten, nur ein weniges von der albernen Unsitte der Mode, die das Häßliche auf den Thron setzt, der der Schönheit gebührt. Wir wollen uns erkühnen gegen drei Dinge zu Felde zu ziehen, gegen die „Brillen,“ die „Bärte“ und die „Cigarren!“ Der Himmel und alle schönen Frauen – ein zweiter Himmel also – mögen uns beistehen.

Ein vernünftiges Menschenantlitz.

Erstlich die Brille. Es ist eine unleugbare Thatsache, daß Viele, die jetzt Brillen tragen, es nicht thun, um besser sehen zu können, sondern lediglich, um eine Modethorheit mitzumachen. Wer wirklich eine Brille nöthig hat, verschiebt den Zeitpunkt, wo er sie aufsetzt, so lange wie möglich und aus sehr weisen Gründen, weil jedes schwachsehende Auge, so lange es nur irgend geht, nicht durch künstliche Mittel nicht noch schwächer gemacht werden soll. Die siebzehnjährigen jungen Burschen, die wir mit Brillengläsern herumlaufen sehen, wollen sich dadurch ein Ansehen von Alter und Gereiftheit geben, das ihnen doch Niemand glaubt. Sie verunstalten nur ihr Gesicht und verderben, wenn wirklich optisch geschliffene Gläser in der Brille stecken, ihre Sehkraft. Eltern und Erzieher können nicht genug gegen diesen Unsinn zu Felde ziehen. Eine Brille verunziert das Gesicht auf das widerwärtigste. Goethe gestand offen ein, daß er keine Brille sehen könne, weil sie ihm den Spiegel der Seele, das Auge, raube und durch einen falschen Glasschein die ganze Fülle und Schönheit gerade dieses edelsten und sprechendsten Theiles des menschlichen Antlitzes verdecke. Dies war eine Brille damaliger Zeit, aber wie viel mehr verhäßlichen die Brillen, wie [125] sie heutzutage Mode sind. Wir sagen Mode, denn ein Bedürfniß ist es auch hier – vielleicht in tausend Fällen einen ausgenommen – nicht. Die alten Brillen waren in Silber gefaßt, hielten auf dem Kopfe still, wenn sie einmal aufgesetzt waren, und durch das helle Metall wurde wenigstens keine störende Linie in’s Gesicht gebracht; die neumodischen sind in schwarzer Einfassung und bestehen in zwei Sorten, die gleich entstellend sind, in der sogen. „Kneifbrille“ und in dem „Nasenhalter.“ Die Kneifbrille besteht aus einem runden Glase und wird in die rechte Augenhöhle hineingedrückt und von den das Auge umschließenden Muskeln gehalten, also eingekniffen. Es läßt sich leicht denken, daß, um dieses häßliche Ding zu halten, man nothwendig eine Fratze schneiden muß, und unsere jungen Modenarren scheinen sich das Wort gegeben zu haben zu erforschen, wer von ihnen die ärgste Verzerrung zu Stande bringen kann. Schon mit einem Glase „fixirt“ zu werden hat für den, der betrachtet wird, etwas, wenn auch nicht Beleidigendes, doch jedenfalls Störendes und Unangenehmes.

Eine menschliche Carricatur.

Nun aber noch dazu diese ganz infame Grimasse zu sehen, dieses in allen Muskeln verzerrte Gesicht, das auf uns gerichtet ist, man muß gestehen, dies gibt dem Dinge etwas, das kaum zu ertragen ist. Man muß schnell wegsehen, um nur rasch den Eindruck dieses häßlichen Spektakels loszuwerden. Und dazu erniedrigt sich ein ursprünglich gutgeformtes Gesicht; denn fällt die Brille und ihr schwarzes Band ab, so kommen unverzerrt jugendliche und sogar oft hübsche Züge zum Vorschein.

Die Carricatur von der Seite.

Die zweite Art Modebrille ist der „Nasenhalter.“ Es ist dies dieselbe Brillensorte, die früher die alten Weiber trugen, und die in zwei Gläsern besteht, die mit einem Sattel verbunden auf den obern Theil der Nase festgeklemmt werden. Abgesehen davon, daß die Form der Nase nothwendig durch ein solches Gepäck, das man ihr aufladet, leiden muß, so will es auch hier die einfältige Mode, daß die Brilleneinfassung schwarz ist, und da die Gläser groß, rund und dicht bei einander sind, so erhält auch durch diese Brille das Gesicht einen fratzenhaften Ausdruck, aber noch bei weitem nicht so schlimm, als bei der Kneifbrille. Warum, wenn denn doch ein solcher Modeartikel soll in Gebrauch kommen, kehrt man nicht zu der Lorgnette zurück, die, zeitweise vor’s Auge gebracht, vollkommen, ohne das Gesicht zu entstellen, die Dienste leistete, die sie sollte, wenn überhaupt hier von einem Dienste, der dem schwachen Auge geleistet werden soll, die Rede ist.

Bartnarren.

Wir gehen zum Barte über. Die Engländer und dann die Franzosen, natürlich nach ihnen alle andern Nationen, haben schon seit zwanzig Jahren angefangen, den weitgehendsten Unfug mit den Bärten zu treiben. Als wenn im Barte an und für sich ein Symbol der [126] Männlichkeit und Würde läge! Napoleon hatte keinen, Goethe keinen, Kant, Lessing – sie waren alle unbebärtet und waren – Männer, die die Welt umgestalteten. Doch immerhin! Wem das Haar um Kinn und Wange Freude macht, möge nehmen was und wie viel die Natur ihm gibt. Doch immer die Schönheit beachtet! Barbaren wollen wir doch auf keine Art sein und heißen. Ein junger Mann mit vollem, aber in die Schranken der Schönheit gehaltenem Barte und der entsprechenden Kleidung, wie unsere Abbildung darstellt, ein ältlicher männlicher Kopf, ein sog. Apostelkopf, sind mit vollem Barte schön, auch bei dem Soldatenstande, besonders wenn der mittelalterliche Helm, der zugleich an den antiken, griechisch-römischen mahnt, auf dem Haupte sitzt, ist der volle Bart schön zu nennen, aber bei einem Frack, weißer Halsbinde und hellgelben Handschuhen ist er – lächerlich. Ein kleiner Lippenbart kann einem schönen jugendlichen Munde noch einen Reiz mehr geben, aber niemals kann ein kolossaler und nach allen Seiten hin sträubender Backenbart, oder ein grimassirter Kinnbart von enormer Länge die Zierde eines Gesichts sein. Schon wie viele einnehmende belebte und sprechende, feine Züge versteckt der dicke, wirre Bart um Mund und Wangen! Die Mundwinkel, die Oberlippe, das Lächeln, das die Wange rundet, alle diese Reize der Jugend, gehen durch den Bart dem Auge verloren. Die Bewegung des Kopfes wird ungeschickt, der Halskragen, das Halstuch, selbst der Rock, nichts kann so anliegen, wie es anliegen soll, und was muß es für den, der Reinlichkeit liebt, für eine Plage sein, täglich vier oder fünf Mal diese üppige Waldparthie mit Kamm und Scheere zu bearbeiten und sie in den gehörigen Schranken zu halten, die bei jedem Mittagsmahle das Ihrige, wie eine mitessende gefräßige Bestie, verlangt und zu sich nimmt. Nicht doch, wir verwerfen den Bart nicht, aber diese Uebertreibungen sind lächerlich und albern.

Nun zur Cigarre. An und für sich ist die Cigarre nicht entstellend, sie ist es weniger, als die Pfeife es bei unsern Alten war, besonders die kurze Art Pfeifen, die mit den Zähnen gehalten werden mußten, und Zähne, Lippen und Sprache zugleich entstellten. Jedoch hat die Mode auch hier ein Mittel gefunden, die Cigarre, im Bunde mit Bart und Brille, zu einem alle Schönheit, alle Natürlichkeit und jeden Reiz tödtenden kleinen Instrument zu machen. Hielte man die Cigarre ohne Zwang im Munde, so würde dem Ausdruck des Gesichts und des Mundes namentlich nicht so sehr geschadet; allein die Mode will, daß man seine Cigarre „mit Impertinenz“ rauche, das heißt, daß man dazu ein Gesicht schneide, das, in Worte übersetzt, etwa so lautet: „Ich bin der Erste in der Gesellschaft, alles Uebrige ist tief unter mir, ich rauche ein feines Blatt, und überhaupt – ich bin ein nobler und eleganter Herr!“ Mit diesem Ausdrucke wird die feine Cigarre an den Mund gebracht, dessen Lippen sich dabei höhnend und geringschätzend verziehen. Diese Grimasse gilt für vornehm. Wollte man ein feines Blatt rauchen und dabei artig, gegen seinen Nachbar nicht beleidigend, gegen alle Welt nicht herausfordernd sein, so wäre es nicht das feine Blatt, und es wäre nicht der noble Raucher. Die Stellung des Körpers ist dabei nie eine sitzende, sondern immer eine flegelhaft liegende, oder weithin ausgestreckte, wo möglich werden dabei kostbare Stoffe von Sopha’s und Stühlen mit Andenken der Stiefel bedacht. Die Cigarre auf diese Weise „in’s Gesicht gesteckt,“ macht einen schwarzen Strich mehr in dasselbe und harmonirt auch dergestalt mit dem schwarzen Bande, an dem das Augenglas hängt, und das sich über die Wange hinzieht. Nimmt man nun noch hinzu ein mit Bart überwachsenes Gesicht, in welchem zwei glitzernde Glasaugen blinken, so ist die wahrhaft scheußliche Karrikatur fertig, zu der sich unsere jungen Herren selbst herabdrängen und zwängen.

O, großer Apoll, du der du die ewige Jugend und Schönheit bist, errette uns von dem Uebel dieser abscheulichen Modenarrheiten!

v. S.