Textdaten
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Autor: Gustav Kopal
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Titel: Ueber den Ocean
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 237-242
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: S. 237-242
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Ueber den Ocean.
Bilder von einem deutschen Schnelldampfer von Gustav Kopal. Mit Zeichnungen von Alex. Kircher.

Haben Sie gehört? Die ,Columbia‘ hat den besten Record! In 6 Tagen 7 Stunden 48 Minuten über den Oecan, noch dazu auf der ersten Reise; beste Fahrt und beste maiden-trip, die je gemacht worden sind, und die Engländer glänzend geschlagen – Hurrah für die ,Columbia‘!“

So ungefähr verbreitete sich, in jenem seltsamen Gemisch von Deutsch und Englisch, wie es der seemännischen Sprache eigen ist, am 27. Juli 1889 in Hamburg von Mund zu Mund lauffeuerartig eine frohe Kunde, welche die gewöhnlich so schwerbeweglichen Hansestädter ganz aus dem Häuschen brachte. Alles jubelte, nicht nur die „Lüüd vun de Waterkant“, die Leute von der Wasserseite, d. h. die unmittelbar am Schiffahrtsverkehr betheiligte Bevölkerung, und die Inhaber von Packetfahrtaktien, sondern auch ein jeder, der nur irgendwie vaterländischer Regungen fähig war.

In der That dürfen die Leistungen der beiden neuen Hamburgischen Doppelschraubenschnelldampfer, der Schwesterschiffe „Augusta Viktoria“ und „Columbia“, als ein sehr bemerkenswerther Fortschritt im neuzeitlichen Verkehrswesen betrachtet werden. Schon die erstere schlug den bisherigen besten Leistungsaufweis (sportsmännisch „Record“) der britischen Marine; nun hatte gar der andere Zwilling das unerhörte Glück, auf der Erstlingsfahrt, der „maiden-trip“, von welcher wegen der noch nicht eingearbeiteten Maschinerie gar nichts Besonderes erwartet wird, ganz Ungeahntes zu leisten: in der obenerwähnten Zeit von den Scilly-Inseln nach Amerika, in 6 Tagen 20 Stunden 18 Minuten von Southampton nach New-York – das war überhaupt noch nicht dagewesen.

Es handelt sich hier nicht etwa, wie es ängstlichen „Binnenländern“ vielleicht schaudererregend vorschweben dürfte, um ein tolles Wettfahren im Geiste der von Gerstäcker und anderen so lebhaft geschilderten Dampferrennen auf dem Mississippi. Schon seit zwölf Jahren hatten die Engländer ihre Fahrten mit sog. Schnelldampfern gemacht, und erst, als die Erfahrung lehrte, daß die raschen Reisen ihrer kürzeren Dauer halber die Gefahrensumme nicht vermehrten, sondern verminderten, entschloß sich die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt Akiengesellschaft“ zu dem wohlüberlegten Wagniß, auch ihrerseits fast neun Millionen Mark auf den Bau zweier Dampfer zu verwenden, die an Schnelligkeit und zugleich Sicherheit, sowie an Bequemlichkeit alles Vorhandene in Schatten stellen sollten. Ebenso nur nach reiflichem Erwägen entschied man sich für das erst auf wenigen ausländischen Fahrzeugen erprobte Doppelschraubensystem.

Schiffe mit zwei Schrauben hat es schon früher gegeben, indessen wurden diese von einer einzigen Maschine getrieben. Der große Fortschritt des neuen Systems aber liegt darin, daß bei ihm beide Schrauben je von ihrer eigenen Maschine bewegt werden. Nun liegt aber eine der Gefahren, denen Seedampfer ausgesetzt sind, in dem Unbrauchbarwerden der Maschine, welche den Koloß fast hilflos dem Spiel der Wellen preisgiebt. Das Doppelschraubensystem, wie es nebenbei bemerkt am 1. August 1888 von der englischen „Inman-Linie“ zuerst an einem New-York-Dampfer erprobt worden ist, beseitigt jene Gefahr fast völlig. Auch kann das Schiff dadurch, daß man beide Schrauben in entgegengesetzter Richtung arbeiten läßt, viel geschwinder als mit dem gewöhnlichen Mittel des Steuers, fast um seine eigene Achse, gedreht werden, und das ist unter Umständen sehr schätzbar.

Rettungsboot klar zum Aussetzen.

Was die Schnelligkeit betrifft, so ist Außerordentliches erreicht worden. Guter alter Fulton, der Du nach unsäglichen Mühen, allem Hohn trotzend, endlich im August 1807 den ersten Dampfer „Clermont“ der staunenden Mitwelt auf den Stromwellen des Hudson vorführen konntest, was würdest Du für Augen gemacht haben, wenn ein Prophet Dir geweissagt hätte, daß die Strecke, welche zu durchfahren der „Clermont“ damals 30 Stunden brauchte, jetzt in 3 Stunden zurückgelegt werden würde! Und selbst noch in neuerer Zeit, bis zur eigentlichen Einführung des Schnelldampferbetriebes 1880, galten 13 bis 14 „Knoten“, d. i. Seemeilen[1] in der Stunde, als eine Glanzleistung der Technik. Die „Columbia“ dagegen erzielte bei der Probefahrt 19, 19½ bis fast 21 Knoten; die „Augusta Viktoria“ durchlief am sechsten Tage der Erstlingsreise trotz wenig günstigen Seeganges 464 Seemeilen, das sind 19½ Knoten.

Hier möge bemerkt werden, daß in den Schnelldampfern die der Mehrzahl der Besucher riesenhaft erscheinenden Maschinen, deren 8 große Kessel 10160 Centner wiegen und während der Reise hin und zurück je 240 Eisenbahnwagenladungen Kohlen verzehren, demjenigen [238] Beschauer verhältnißmäßig klein dünken, der nur die von der älteren Technik hergestellten Motoren kennengelernt hat. Die neueste „Compound“-Maschine ist, ihrem Namen entsprechend, „compendiös“ und nimmt verhältnißmäßig wenig von dem kostbaren Raum des Dampfers in Anspruch. Trotzdem arbeitet sie kräftig genug, wenn man berücksichtigt, daß der Durchmesser der Kurbelwellen ½ Meter, das Gewicht jeder einzelnen derselben 900 Centner, dasjenige der beiden Schraubenwellen aber je 820 Centner beträgt. Das Gesammtgewicht beider Maschinen beläuft sich auf etwa 20000 Centner; sie entwickeln zusammen 13000 Pferdekräfte und die 48 Feuerungen münden in 3 Schornsteine von je 3,4 Metern Durchmesser.

Im Maschinenraum.

„Ich möchte zuerst die Maschine sehen,“ erklärte der Besucher eines solchen Seeriesen dem ihn führenden Schiffsoffizier.

„Welche?“ antwortete dieser. „Wir haben deren 40.“

„Ich meine die Dampfmaschine.“

„Nun ja, 40 selbständige Maschinen mit zusammen 82 Dampfcylindern.“ – Und da besah man die 11 „Bordmaschinen“ zum Ein- und Ausladen von Waren, die 4 Dynamomaschinen zur Speisung des elektrischen Lichtes, von denen immer 2 abwechselnd ununterbrochen arbeiten, da die unteren Räume auch den Tag über künstliches Licht erfordern; die 10 Dampfpumpen, von denen eine zur Speisung der an Bord befindlichen „Süßwasserstationen“, der Seewasser-Destillirvorrichtungen, bestimmt ist, ferner die 4 Dampfsteuerapparate, die für sich das Drehen des Steuerruders von Steuerbord nach Backbord oder umgekehrt in nicht ganz 5 Sekunden bewerkstelligen können; die Ankerwinden und noch eine Reihe anderer nützlicher Hilfskräfte gleichen Schlages, deren Aufzählung hier zu weit führen würde.

Wesentlich auch der Sicherheit, nicht nur der Schnelligkeit dient ein beträchtlicher Theil der erwähnten großen Masse von Maschinen schon aus dem Grunde, weil im Fall des Unbrauchbarwerdens einer derselben die anderen ihren Dienst selbständig versehen.

Der wachthabende Offizier auf der Kommandobrücke, den unser Hauptbild oben links zeigt, hat das in zahlreichen Seeromanen eine so große Rolle spielende Sprachrohr nicht nöthig; es würde auch bei einem Fahrzeuge von so gewaltigem Umfange allzu große Anforderungen an die menschliche Lunge stellen. Auf der Kommandobrücke befindet sich, neben drei Kompassen, eine sechsfache Telegraphie, je 3 Apparate auf Steuerbord und Backbord, also rechts und links von dem nach vorwärts Blickenden. Ein Zifferblatt auf jedem Apparat, ähnlich demjenigen einer Uhr, zeigt mit unfehlbarer Sicherheit nicht nur, ob ein Befehl dem Maschinisten richtig gegeben worden ist, sondern auch, durch die von letzterem bewirkte Stellung eines zweiten Zeigers, ob der Maschinist das Kommando richtig verstanden hat; zugleich ertönt ein entsprechendes Glockenzeichen. Zwei weitere Uhrenapparate stehen unmittelbar mit den Dampfcylindern in Verbindung und legen genau Rechenschaft über die Umdrehungen der Wellen, beziehungsweise der Schrauben ab.

Dampfsteuerapparat.

Im übrigen ist beim Bau wie bei der Einrichtung der Schnelldampfer nichts von dem versäumt worden, was die Erfahrung zu thun und zu lassen gebot. Die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actiengesellschaft, die seit 1847 besteht, seit 1856 die regelmäßige überseeische Dampferverbindung betreibt, erst mit 2, jetzt mit 40 großen Dampfern, hat hinreichende Erfahrungen selbst gemacht, neben den vielen guten auch vereinzelte trübe. Ohne Unglücksfälle geht es nun einmal bei Eisenbahn- und Dampferbetrieb nicht ab, und doch würde die Menschheit nicht zu Segelschiff- und Postwagenbeförderung zurückkehren wollen. Aber die empfangenen Lehren sind beherzigt worden. Beispielsweise kannte man schon vor Jahrzehnten die „Schotten“, die wasserdichten Wände, durch welche das Schiff in Einzelabtheilungen zerlegt wird; aber es ging mit ihnen mehrfach wie mit den Noththüren in Theatergebäuden: zum Oeffnen dieser, oder zum Schließen jener war in Nothfällen kein Mensch da. Jetzt hat man die Sache anders angefangen. Unsere Schnelldampfer sind nicht nur mit doppelten Bodenlagen versehen, sondern auch mit 11 bis zum Oberdeck durchgehenden eisernen Querschotten ausgestattet, somit in 12 wasserdicht getrennte Abtheilungen zerlegt. Die durch die Schotten führenden Thüren befinden sich über der Wasserlinie, bis auf einige Pforten im Maschinenraum, die, falls sich der untere Theil des Schiffes mit Wasser füllen sollte, mit wenigen Handgriffen von oben abgeschlossen werden. Die anderen vorhin erwähnten Thüren, deren eine unsere Abbildung „Gang im Zwischendeck“ vorführt, können im Nu geschlossen werden; durch 6 doppelte Hebel wird der Thürflügel an die Gummibekleidung des Thürrahmens gepreßt und somit auch über der Wasserlinie der vollständige Abschluß hergestellt.

Die zehn mächtigen Dampfpumpen des Schiffes fördern in der Minute 360 Hektoliter Wasser, würden somit innerhalb vier Stunden das Schiff ganz wieder auspumpen können, wenn es vollständig mit Wasser gefüllt wäre; eine Einzelabtheilung dürfte nur etwa 20 Minuten erfordern. Bemerkt zu werden verdient hier, daß auch die Dampfmaschinen vollständig wasserdicht von einander abgetrennt sind. Die Dampfpumpen können zugleich als [239] Feuerspritzen dienen; der Feuersgefahr wird überdies noch besonders dadurch begegnet, daß ein einziger Hebeldruck im Maschinenraum jede einzelne Schiffsabtheilung sofort unter Wasserdampf setzen kann.

Die Rettungsboote, gegenüber den plumpen Holzschaluppen

Gang im Zwischendeck.

älterer Zelt jetzt sehr vervollkommnet, sind aus Stahlblech gebaut, mit Luftkästen versehen und können, trotzdem ein jedes 60 bis 80 Personen aufzunehmen imstande ist, von wenigen Leuten sofort zu Wasser gebracht werden. Schon vor dem Antritt der Reise wird jedes Boot mit Mast, Segeln, Nahrungsmitteln und Wasser vollständig ausgestattet. Die Schnelldampfer des „Norddeutschen Lloyds“ in Bremen führen auch eine Anzahl Sheperdscher Patentflöße an Bord. Eine Korkweste, die mit Leichtigkeit einen Menschen über Wasser halten kann, erhält jeder Passagier beim Antritt der Reise verabfolgt. Endlich giebt es noch die Patentsegeltuchboote, die von geteertem und durchaus wasserdichtem Segeltuch angefertigt sind; für gewöhnlich zusammengelegt, haben sie das Aussehen einer großen Reisetasche. Im Falle der Gefahr werden durch wenige Handgriffe die Rahmen aufgeklappt, stählerne Spanten stellen sich selbstthätig auf, das Segeltuch wird straff angezogen, und das Rettungsboot für etwa 40 Personen ist fertig; es hat dann das Aussehen eines gewöhnliche Bootes.

Als Sicherheitsvorrichtung verdient auch noch die „Telegraphie nach Achter“ Erwähnung („achter“ plattdeutsch für „hinten“), welche u. a. beim Verlassen des Hafens und beim Einfahren in diesen zur Anwendung kommt. Zu älteren Zeiten stand unter besonderen Umständen bei schwierigem Fahrwasser

Ventilatoren auf Deck.


der Lootse vorn am Bug und signalisirte mittelst geschwenkter Fähnlein oder farbiger Laternen dem Manne am Steuer hinten („achter“) seine Befehle; ein System, welches auf großen Schiffen bei starkem Nebel keinen sicheren Verlaß bot. Auf den neueren Dampfern vermittelt ein eigener elektrischer Telegraph den Verkehr zwischen Vordersteven und der Kommandobrücke. Unsere Abbildung (S. 242) bietet den Vergleich zwischen älterer und neuer Zeit.

Auf demselben Bildchen ist links vom Beschauer ein Mörser sichtbar; dieser dient selbstverständlich nicht zu kriegerischen, sondern nur zu friedlichen Signal- und Salutzwecken. Zu Kriegszeiten würde übrigens wohl kaum ein feindliches Fahrzeug sich gelüsten lassen, die erfolglose Jagd hinter einem dieser Schnelldampfer her zu beginnen.

Für die Bequemlichkeit der Fahrgäste ist in so reichlichem Maße gesorgt wie kaum je zuvor; je größer ein Fahrzeug ist, um so leichter wird es, den Anforderungen in dieser Hinsicht zu entsprechen. Freilich hat auch die Größe ihre Grenzen. Bekannt ist der verunglückte Versuch der Engländer mit dem zuerst „Leviathan“, dann „Great Eastern“ genannten Riesen, der mit seinen 207 m Länge und 25,3 m Breite überall stecken blieb und kürzlich „geschlachtet“, d. h. als altes Eisen verkauft wurde. Die Größenverhältnisse der neuen Schnelldampfer sind bescheidenere. Die „Columbia“ ist nur 141 m lang und 17,7 m breit; die Tiefe vom Oberdeck bis zum Kiel beträgt 11,6 m; das „Deplacement“ (Verdrängung des Wassers durch den Schiffskörper) 10000 Tonnen. Von den fünf Verdecken: Promenade-, Ober-, Haupt-, Zwischen- und Orlogdeck, sind die vier letztgenannten aus Stahlplatten wasserdicht genietet und mit Holzplatten belegt. – Wie großmächtig sich nun auch ein solcher Seeriese ausnimmt, sei es am Tage bei hellem Sonnenschein, sei es zur Nachtzeit, welch er im Glanze seiner 800 elektrischen Glühlampen und seiner 10 großen Sonnenbrenner strahlt, der Raum an Bord ist doch stets weise einzutheilen und genau auszunutzen, denn außer Ladung und Vorräten muß Unterkunft geschaffen werden für 376 Passagiere I. Klasse, 126 II. Klasse, 400 III. Klasse, ferner für 6 Offiziere und 292 Mann Besatzung, einschließlich der 10 Maschinisten, 12 Assistenten und 80 Heizer, im ganzen also für 1200 Köpfe. Der Bequemlichkeitsbegriff kann hier also nur ein verhältnißmäßiger sein. Wer zuerst einen solchen Passagierdampfer betritt, der pflegt zwar die Pracht und die räumliche Ausdehnung der Speise- und Unterhaltungssäle der I. Klasse gebührend anzustaunen, aber später nimmt es ihn Wunder, daß selbst in den reich ausgestatteten Schlafkabinen für Familien die Betten übereinander angebracht sind. In dieser Hinsicht walten bei dem „schwimmenden Hotel“ ganz andersartige Verhältnisse ob, als bei demjenigen auf dem Festlande. So würde es beispielsweise auch ein Uneingeweihter kaum für möglich halten, daß in den drei Küchen an Bord neben den Dampfkochapparaten für die Zwischendeckspassagiere noch Raum ist für die Zubereitung der ausgesuchtesten Mahlzeiten für den Salon; kann sich doch der Küchenmeister kaum umdrehen. Indessen es geht alles, wenn man will. Wer aber die jetzigen hübschen Einrichtungen für Reisende III. Klasse, welche in Gruppen von 12 bis 18 Personen je eine Kammer zugewiesen erhalten, mit dem großen Gesammtraum des Zwischendecks alter Bauart vergleicht, der weiß nicht genug den Fortschritt der Neuzeit zu loben.

Die prachtvolle Ausstattung der Säle, der Lichtschachte und Treppenhäuser etc. lassen schon unsere Abbildungen erkennen. Hier ist wirklich nichts gespart worden, wenn man sich auch in richtiger Beschränkung vor überladenem Pomp gehütet hat. Wer Sinn hat für das deutsche Kunstgewerbe, der wird entzückt durch diese Räume wandeln; da finden sich Kabinettstücke der ausschmückenden Künste, die im Stile meist dem Barock und Rokoko huldigen. Besonders erwähnenswert dürften die Holzschnitzereiarbeiten, die Musikinstrumente und die Gemälde sein, welch letztere von Künstlern ersten Ranges herrühren. Das kostbare Mobiliar ist aus naheliegendem Grunde unverrückbar an dem Boden befestigt, ebenso sorgen entsprechende Einrichtungen bei den Mahlzeiten dafür, daß das „Schlingern“ des Schiffes nicht das Tafelgeschirr durcheinander wirft.

Die Säle und Kabinen zweiter Klasse sind etwas weniger reich, aber immerhin gleichfalls mit nicht geringen Kosten ausgestattet. Im Zwischendeck ist Sorge getragen, daß allen vernünftigen Anforderungen entsprochen werde; besonders praktische

[240]

Bilder von einem Ocean-Schnelldampfer.
Von Alex. Kircher.
Kommandobrücke. Promenadendeck. Lichtschacht im Speisesaal. Treppe zu den Sälen.
Schlafkabine. Musiksaal.

[242] Einrichtung hat das Zwischendeckshospital erhalten. - Ein wesentlicher Vorzug der großen Dampfer ist ihre ausgezeichnete Lüftung. Ueber 40 große Ventilatoren auf dem Oberdeck, wie sie auf unserer Abbildung (S. 239) ersichtlich sind, führen fortwährend Massen von frischer Luft in die unteren Räume. Die Luft- und Lichtschachte können selbst bei schlechtem Wetter offen gehalten werden; daneben sind noch mechanische Ventilatoren vorhanden, von denen jeder einzelne durch eine besondere kleine elektrische Maschine von einem durch Dampf getriebenen großen Elektricitätserzeuger in Gang gesetzt wird. So bietet denn auch in dieser Beziehung das heutige Zwischendeck selbst bei stürmischem Wetter einen erfreulichen Gegensatz zu den Höllenqualen vergangener Zeiten.

Die Hauptbequemlichkeit jedoch, auf welche die neuen Schnelldampfer mit dem stolzen „Uns kann keiner!" hinweisen dürften, liegt eben in der schnellen Fahrt begründet. Das weiß jeder, der jemals als Fahrgast das Weltmeer durchkreuzt hat. Die ersten

Telegraphie nach Achter.

Tage an Bord sind genußreich. Wie viele Stunden kann man nicht schon mit der Besichtigung der Schiffseinrichtungen angenehm und lehrreich zubringen! Dann dient als etwas schmerzlicher Zeitvertreib die Seekrankheit, gegen welche bekanntlich kein Kraut gewachsen ist; zum Glück hat sie noch nie einen Menschen das Leben gekostet und geht bald vorüber; ach, und wie prächtig ist nachher der Appetit der Genesenen! Nunmehr macht man Bekanntschaften, bei schlechtem Wetter in den Sälen, bei gutem auf dem Promenadendeck, wo sich prächtig wandeln, plaudern, beobachten und rauchen läßt und wo manche jüngere Dame derjenigen Unterhaltung pflegen kann, welche die Engländer mit dem unübersetzbaren Zeitwort „to flirt" bezeichnen und für welche das deutsche „liebeln" schon ein zu starker, derber Ausdruck ist. Da bilden sich Gruppen, später Parteien, es entstehen Freundschaftsbündnisse, die freilich oft nicht lange dauern, und selbst Verlobungen kommen vor, denen nicht selten die „Entlobungen" bald folgen; denn das „engagement“ der Engländer ist bekanntlich ganz anderer Art als der deutsche Brautstand. Außerdem aber sorgen Bücher, Musik, Skat und andere Spiele für Kurzweil.

So macht sich die Sache während der ersten Tage wunderschön.

Doch wenn die erste Woche zu Ende ist? - Ja, dann steigen Wolken am Horizont dieser Welt im Kleinen auf. Der Koch mag anfangen, was er will, der Inhalt seiner Fleischkammer hat trotz des Eisvorrathes den Jugendschmelz eingebüßt. Die freundlichen kleinen Hecheleien, welche man einem seiner Nächsten anvertraut, hat derselbe durch Vermittelung eines anderen Nächsten dem betreffenden Durchgehechelten mitgetheilt. Da giebt es kühle Blicke und spitze Redensarten. Aus Freundschaften werden Feindschaften. Die Bücher sind durchgelesen, neue Zeitungen werden schmerzlich vermißt; die Paradestücke der klavierkundigen Damen kennt man nunmehr schon auswendig, und selbst die Vorträge der von den Stewards gebildeten kleinen Schiffskapelle, welche zuerst auf dem Promenadendeck stürmischen Erfolg hatten, bieten keinen Reiz mehr. Der Geschäftsmann wird immer gespannter auf Nachrichten vom Gange seiner Unternehmungen. Doch wozu das Register noch lange fortführen? Aus allem Gesagten geht schon hervor: nach Ablauf der ersten Woche an Bord wird nach und nach das erst so begeistert gepriesene Schiff zum Gefängniß, und bleiern herrscht in demselben die Langeweile!

Und das ist denn auch der Hauptgrund, weshalb jeder, der zu öfterem Durchkreuzen des Atlantischen Oceans Anlaß hat, den Schnelldampfer wählen wird; denn über die hier gebotene Bequemlichkeit, so und so viel Tage und Stunden früher anzukommen, geht doch nichts. Mögen die Ueberfahrtspreise auch theurer sein, was schadet's? Es weiß ja jeder, daß nach einem althamburgischen Scherz die Buchstaben H A P A G auf der Flagge der „Hamburg - Amerikanischen Packetfahrt - Aktien - Gesellschaft" zugleich die sinnige Frage bedeuten: "Haben alle Passagiere auch Geld ?" Kostspielig ist so eine Reise, aber auch Zeit ist Geld, und die ersparten Reisetage sind Goldes werth!

Anmerkungen


  1. 1 Seemeile = 1855 Meter.