Tragödien und Komödien des Aberglaubens/Tötende Geister

Textdaten
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Autor: C. Forst
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Titel: Tötende Geister
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 778–780
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Serie: Tragödien und Komödien des Aberglaubens
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Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Tötende Geister.
Von C. Forst.


Der Aberglaube, das düstere Erbe vergangener Jahrtausende, flackert noch immer in den Seelen civilisierter Menschen fort. Nur langsam weicht er der Aufklärung; mit tausend Scheinbeweisen sucht er sie zu widerlegen, ja mit listiger Art entreißt er der Wissenschaft ihre Waffen und versteht dieselben geschickt zu seinem Nutzen zu verwerten.

Gerade in der Neuzeit ist es durch ein eifriges Studium gelungen, in rätselhafte Zustände des Körpers und der Seele genauere Einblicke zu erhalten. Nach langem Streiten und Schwanken wurden endlich der Somnambulismus und der magnetische Schlaf in ihrem wahren Wesen erkannt; an Hypnotisierten erfuhr man, welche Macht die Erweckung einer bestimmten Vorstellung, die Suggestion, auf die Menschen ausübt. Wunder und Zeichen früherer Zeiten erschienen endlich als natürliche Vorgänge, die ein geübter Hypnotiseur bei einem dazu sich eignenden Menschen zu jeder Zeit hervorrufen kann. Aber der Aberglaube kehrt sich nicht daran; seine Jünger hypnotisieren gleichfalls, suggerieren fleißig die seltsamsten Dinge ihren willfährigen Medien und verblüffen durch ihre Leistungen die weniger erfahrenen und unterrichteten Zuschauer. So wird die Hypnotisierte zu einer Hellseherin erhoben und die Visionen, denen sie ausgesetzt wird, giebt man für Geistererscheinungen aus; man entdeckt prophetische Träume und bringt Beweise bei für Ahnungen der Seele.

Die bedauernswerten Verblendeten! Sie glauben wunder wie weit sie in ihrer Geheimwissenschaft fortgeschritten seien, und in Wirklichkeit sind sie lediglich Opfer einer Selbsttäuschung; die Geisterwelt, die sie scheinbar umgiebt, steckt nur in ihrem eigenen überreizten Gehirn, auf der vermeintlichen Höhe der Bildung stehen sie ganz im Banne des Aberglaubens und seufzen gleich den nackten Wilden auf der untersten Kulturstufe unter der peinigenden Gewalt der Dämonen, die ihre eigene Einbildungskraft entfesselt hat. Daß diese Wahngebilde dank der Macht der Suggestion recht gefährlich werden können, unterliegt keinem Zweifel, und für jeden Vernünftigen der seinen Geist und Körper nicht zerrütten will, sollte dies ein Grund sein, die verwegenen Versuche, in das Land der Geister einzudringen oder Hellseherei zu erlangen, zu unterlassen sowie andere von solchem Vorhaben fern zu halten; denn es giebt allerdings „tötende Geister“, wenn sie auch anders beschaffen sind, als die Abergläubischen meinen.

Daß aufregende, womöglich mit hypnotischen Experimenten verbundene Sitzungen mitunter ein tragisches Ende nehmen, ist wohl bekannt. Erst vor einiger Zeit hat sich auf dem oberungarischen [779] Schlosse Tucser ein Aufsehen erregender Unglücksfall ereignet. Man beschäftigte sich dort eifrig mit spiritistischen und hypnotischen Kunststücken, denn die Tochter des Schloßbesitzers Fräulein Ella v. Salamon stand im Rufe eines höchst begabten Mediums. Eines Tages wurde das Fräulein von einem Laien hypnotisiert und sollte als „Hellseherin“ über das Lungenleiden des schwer erkrankten Bruders des Hypnotiseurs nähere Angaben machen. In großem Erregungszustande entledigte sie sich der ihr gestellten Aufgabe; aber nachdem sie in gebrochenen Lauten erklärt hatte, daß das Schlimmste zu erwarten sei, sank sie mit einem heiseren Aufschrei vom Stuhle und war nach einigen Augenblicken tot. Es ist dies der erste Todesfall, der sich während der Hypnose ereignete, und man fragt sich, ob die Hypnose für sich ihn herbeigeführt haben könne, oder ob die Todesursache in der heftigen Gemütserregung, in welche die „Hellseherin“ versetzt wurde, zu suchen sei. Ein berühmter Fachmann, Prof. v. Krafft-Ebing, war geneigt, auf Grund der ersten Mitteilungen über diesen Vorfall, sein Urteil dahin zusammenzufassen, daß die ungeschickt von einem Laien unternommene Hypnotisierung und die suggestiv hervorgerufene heftige Gehirnerregung mit dem Tode in ursächlichem Zusammenhange stehen, daß aber eine durchaus krankhaft veranlagte, abnorm auf Reize reagierende Persönlichkeit im Spiele war, ein Wesen, das auch durch einen heftigen seelischen Schreck in wachem Zustande vom Tode hätte ereilt werden können. Einem sachverständigen Arzte wäre ein derartiger Unglücksfall nicht begegnet, meint Prof. v. Krafft-Ebing und fügt hinzu, daß Laien nicht hypnotisieren sollen, daß man mit der Hypnose nicht spielen und keine das Gemüt heftig bewegende Suggestionen geben darf.

Dieser Unglücksfall sollte aber für weitere Kreise auch in anderer Beziehung als Warnung dienen. Man sollte sich dabei erinnern, daß Gemütserregungen auch ohne Hinzutreten der Hypnose und Suggestion schwere Gesundheitsschädigungen und selbst den Tod verursachen können. Bekannt ist die Thatsache schon, aber leider nicht in vollem Umfange gewürdigt, denn wie häufig wird mit dem Erschrecken anderer Scherz getrieben! Nur selten hat der Spaßmacher eine Ahnung von den Folgen, die sein übel angebrachter Scherz nach sich ziehen kann. Der Unfug, mit Gespenstern zu spielen kommt z. B. in der Kinderstube oft genug vor; nur die wenigsten dürften aber wissen, daß vor nicht langer Zeit ein Mann des Todschlags angeklagt wurde, weil er, indem er einem Knaben als Gespenst erschien, dessen Tod durch Schreck veranlaßt hatte. Während des Bombardemeuts von Straßburg erkrankten viele Personen durch plötzlichen Schreck, der durch Einschlagen von Granaten in unmittelbarer Nähe erregt wurde; die Geretteten aus dem Ringtheaterbrande in Wien trugen vielfach nervöse und seelische Störungen davon. Furchtbar pflegt die Erregung des Gemüts den Menschen während der Erdbeben mitzuspielen. Ueber das Erdbeben auf der Insel Chios, das im Jahre 1880 gegen 14000 Häuser zerstörte und 3541 Menschen tötete, schrieb ein Arzt auf Chios, Dr. Schwarz: „Die heftigen, oft wiederholten Gemütsbewegungen haben viele nervöse Erkrankungen hervorgerufen. Mit Bedauern muß ich mitteilen, daß der größte Teil des jungen weiblichen Geschlechtes nach dem Beginne der Erdbeben erkrankte, und zwar teils an Epilepsie, teils an Krämpfen. Nach der ersten schrecklichen Katastrophe verließ die Mehrzahl der Bewohner die Stadt Chios; es blieb aber immer noch eine ziemliche Anzahl zurück. Wenn ein Menschenkenner jetzt diese elenden, mehr bläulich als rötlich gefärbten Antlitze erblickt, so muß ihn wundernehmeu, daß Furcht und Schrecken eine solche Verwandlung bewirken können.“

Wir wissen alle aus Erfahrung, daß schon bei leichteren Graden eines plötzlichen Erschreckens der Atem stockt und das Herz für einen Augenblick still steht. Der Schreck wirkt hemmend auf die Nervencentren, welche die Atmung und den Blutkreislauf regeln, und diese Hemmung kann so gewaltig sein, daß Atmung und Herz für immer stillstehen und in einem Augenblick der Tod eintritt. Eine Frau erschrak über einen neben ihr vom Straßendamme herabstürzenden Wagen und brach in demselben Augenblick tot zusammen; ein Pascher wollte über den Fluß setzen, als eine Patrouille der Grenzwächter auf seine Genossen ein heftiges Feuer eröffnete; voll Schrecken erreichte er noch das Ufer, stürzte aber dort, ohne die geringste äußere Verletzung, tot nieder.

Zumeist tritt in solchen Fällen der Tod durch Lähmung oder selbst Zerreißung des Herzens ein und ereilt auf diese Weise in der Regel Leute, die bereits herzkrank waren, obwohl auch ganz gesunde Personen in gleicher Art vom Schreck getötet werden können.

Bei weitem seltener kommt es vor, daß auch der Gegensatz vom Schrecklichen, eine plötzliche freudige Ueberraschung in derselben Weise dem Beglückten einen jähen Tod bringt. Eine Mutter glaubte, daß ihr Sohn bei einem Unglück getötet sei, der Totgeglaubte erscheint plötzlich vor ihr und mit einem Aufschrei sinkt sie tot in seine Arme. Die Eltern eines jungen Mädchens wollteu in die Heirat mit seinem Herzenserwählten aus Standesrücksichten nicht einwilligen; das Mädchen kränkelte infolgedessen und litt an „gebrochenem Herzen“; die Eltern gaben nach und wollten ihrem Kind eine freudige Ueberraschung bereiten. Der Weihnachtsabend war gekommen, man führte die Haustochter zum glänzenden Christbaume und neben diesem stand der Geliebte – ihr Christgeschenk. Die bereits durch Liebeskummer Erschöpfte konnte das Uebermaß des Glückes nicht ertragen; auch sie stürzte tot zu Boden.

Außer diesen blitzschnellen verderblichen Wirkungen heftiger Gemütserregungen kennt man auch langsamere, aber gleichfalls verhängnisvolle. Wie Gewissen und Furcht den Menschen töten können, möge nur an einem Beispiel gezeigt werden, das von Professor Bollinger in München beschrieben wurde. Ein Bauernknecht hatte in der Erregung einen Mitknecht derart verletzt, daß dieser nach tagelangem Krankenlager starb. Im Gefängnis wurde der Schuldige von Angst und Gewissesbissen geplagt, aß wenig, machte aber sonst den Eindruck eines völlig gesunden Menschen. Da kam der Tag, an welchem er vor den Geschworenen erscheinen mußte. Er wurde unwohl, und als er den Gerichtssaal betrat, sah er so schlecht aus, daß der Arzt seine sofortige Ueberführung ins Krankenhaus anordnen mußte. Die Arme und Beine waren blau und kühl, der Puls kaum zu fühlen. Im Krankenhause dauerte der Zustand fort und trotz aller ärztlichen Hilfe starb der Knecht nach kaum 24 Stunden.

Erschütternd ist auch die Wirkung des Heimwehs, das sich zu einer wirklichen körperlichen, mit Fieber verbundenen Krankheit entwickeln kann. Hat es diesen Grad erreicht, so hilft kein Arzneimittel mehr dagegen, unerbittlich führt es zum Tode und nur durch die Rückkehr in die Heimat kann Heilung erzielt werden.

Aus diesen und ähnlichen Beispielen kann man bereits ersehen, wie groß die Macht ist, die Geist und Gemüt auf den Körper ausüben. Seit uralten Zeiten hat man darum mit Recht in den Zuständen des Gemüts auch nach Ursachen von Gesundheit und Krankheit geforscht. In neuester Zeit hat man noch andere Wechselbeziehungen zwischen geistiger Thätigkeit und den Verrichtungen des Körpers entdeckt. Indem man Leute in Hypnose versetzte, konnte man bei ihnen durch Suggestion oder Erweckung bestimmter Vorstellungen die mannigfaltigsten Veränderungen in den Funktionen der Körperorgane, die sonst von Einflüssen des Willens unabhängig sind, hervorrufen. Fieber, blutige Male auf der Haut u. dergl. traten bei ihnen in der vom Hypnotiseur angegebenen Weise ein. Auf dieselbe Weise konnte man auch vermittelst der Suggestion eine Reihe nervöser Krankheitserscheinungen zu mehr ober weniger vollständigem Schwinden bringen. Man überzeugte sich ferner, daß zum Erwecken der Suggestion die Mitwirkung eines Hypnotiseurs nicht immer nötig ist, daß empfindliche Menschen sich selbst bewußt oder unbewußt die verschiedensten Dinge suggerieren können, und fand schließlich, daß Suggestionen auch ohne Zuhilfenahme des hypnotischen Schlafes in wachem Zustande verwirklicht werden.

Kann nun die Macht der Suggestion derart gesteigert werden, daß sie sogar den schlimmsten Ausgang, den Tod, herbeiführt? Wie unglaublich dies auch auf den ersten Blick erscheinen mag, man muß die Möglichkeit selbst dieser unheimlichen Wirkung der Suggestion zugeben. Professor v. Krafft-Ebing hält diese Behauptung aufrecht und führt folgenden Beweis für die Richtigkeit seiner Anschauung an. Eine höchst sensitive und hypnotisch in tiefen Somnambulismus versetzte Kranke seiner Klinik bekam unter der Selbstsuggestion, sich vergiftet zu haben und zu sterben, so bedenklichen Verfall der Kräfte, daß er sie in Hypnose versetzen und in diesem Zustande von ihrer Selbstsuggestion befreien mußte. Hier zeigte sich in klassischer Weise die Macht seelischer Einflüsse auf das körperliche Leben. Dieses Beispiel steht nucht vereinzelt da. Eine von dem Arzte Bertrand behandelte Somnambule hatte sich den Tod für einen bestimmten Zeitpunkt angesagt und siechte in bedenklichster Weise dahin. Bertrand suggerierte ihr nachdrücklich, daß das Vorausgesehene nicht eintreten würde, von da an stellten sich die erschöpften Kräfte wieder ein. Dr. A. A. Liebault hat in seinem Werke „Der künstliche Schlaf und die ihm ähnlichen Zustände“ eine Reihe von [780] Beobachtungen zusammengestellt, die weit schlimmere Fälle betrafen. Er erzählt, daß eine junge Engländerin infolge einer nächtlichen Vision zu der Ueberzeugung kam, daß sie an demselben Tage mittags sterben würde; sie traf demnach ihre Anordnungen und starb zu der angegebenen Stunde, trotz der Bemühungen zweier Aerzte, die erschienen waren um ihr die thörichte Vorstellung zu benehmen. Nach Angabe des Irrenarztes Brière de Boismont giebt es Familien, in denen jeder seinen Tod voraussagt. Liebault hat einen Geistlichen gekannt, der einer solchen Familie angehörte, auch selbst sein Lebensende angab und sich nicht irrte. Der Irrenarzt Josef Franck erzählt, daß er so viele Fälle erlebt habe, wo Menschen ihre Krankheit und ihren nahen Tod genau voraussagten, daß er zum Glauben an die Ahnungen der Seele genötigt sei.

Für uns ist es wohl zweifellos, daß ein von einer festen Vorstellung erfaßter Mensch seinen Organismus in Verwirrung bringt und im Sinne dieser Vorstellung verändert. Solche Einflüsse der Suggestionen wurden namentlich bei Geisteskranken beobachtet. Die Irren reden sich nämlich manchmal den Tod so nachdrücklich ein, daß sie ihren Körper in krankhafte Verhältnisse versetzen, deren Endergebnis unmöglich ausbleiben kann. „Wenn wir in unserer ärztlichen Praxis,“ berichtet Liebault, „heilbaren Schwerkranken begegneten, die immer wieder sagten, ich bin verloren, ich werde nicht wieder gesund werden, ich werde an dem und dem Tage sterben, so waren wir uns fast sicher, sie zu verlieren. Die Erinnerung an den Tod eines bereits bejahrten Mannes, der seit dem Tode seiner Frau melancholisch geworden war, ist uns stets im Gedächtnis geblieben. Von einer Lungenentzündung genesen, wiederholte er unaufhörlich, daß sein Lebensende nahe sei. Bei unserem letzten Besuche erwiderte er uns ironisch: ja, ich befinde mich besser, aber Sie werden mich nicht wiedersehen. Noch an demselben Tage traf er seine letzten Anordnungen und gab die Stunde seines Todes an. Durch den festgehaltenen Gedanken, zu sterben, hatte er seine Nervenkraft zu dem vorausgesehenen Augenblicke erschöpft.“

Durch diese Beobachtungen wird ein klares Licht auf die bekannten Ahnungen des eigenen Todes geworfen, die, wenn sie eintreffen, auf die Zeugen und die große Menge so verblüffend wirken und dem Aberglauben neue Anhänger zuführen.

Die betreffenden Kranken sahen nicht das Künftige voraus, die Dinge, die da kommen sollten, waren ihnen wie anderen Sterblichen völlig verhüllt, aber durch die Macht der Vorstellung führten sie das, was sie zu ahnen glaubten, herbei. Dieses Voraussagen des eigenen Todes ist keine Ahnung, man könnte es eher eine Art unbewußten Selbstmords nennen.

Die Wirkung der Selbstsuggestion wird besonders verhängnisvoll, wenn sie sich mit dem Gefühl der Furcht verbindet. So ist es zur Genüge bekannt, daß Menschen, die von einem der Tollwut verdächtigen Hunde gebissen wurden, unter Symptomen der Wasserscheu erkranken können, selbst wenn der Hund an dieser schrecklichen Krankheit nicht litt. Eine derartige falsche oder, wie man früher sagte, hypochondrische, auf Einbildung beruhende Tollwut ist öfters bei Menschen beobachtet worden.

Ein Arzt, der die Leiche eines an Wutkraakheit gestorbenen Mannes seciert hatte, wurde von einer solchen Furcht, sich angesteckt zu haben, befallen, daß er Appetit und Schlaf verlor; alle Flüssigkeiten erregten ihm Schrecken, und wenn er sich zum Trinken zwang, fühlte er den Schlund sich zusammenschnüren, als ob er ersticke. Drei Tage lang strich er durch die Straßen wie verzweifelt. Es gelang, den Kranken durch freundlichen Zuspruch von seiner Erregung zu befreien. Daß aber eine solche eingebildete Hundswut einen tödlichen Ausgang nehmen kann, beweist folgender Fall. Zwei Brüder wurden von einem tollen Hunde gebissen. Der eine mußte unmittelbar darauf nach Amerika verreisen und blieb gesund; der andere erkrankte inzwischen wirklich an dem schrecklichen Leiden und starb. Man verheimlichte dem abwesenden Bruder die wahre Todesursache. Nach langer Zeit kehrte er in seine Heimat zurück und erhielt durch Unbesonnenheit einer Person Kenntnis davon, daß sein Bruder der Tollwut erlegen war; durch diese Nachricht wurde er derart erschüttert, daß auch er erkrankte und unter allen Zeichen der Wasserscheu starb.

Ein Bundesgenosse der Suggestion ist ferner der Aberglauben selbst. Wer in seinem Banne steht, ist ein Sklave, ein willenloses Opfer verkehrtester Vorstellungen, die er mit vernüuftigen Gründen nicht zu widerlegen vermag. Diese Verquickung der beiden unheimlichen Mächte spielt namentlich im Leben der Naturvölker eine verhängnisvolle Rolle. Diese glauben fest an Dämonen und Zauberkünste und leben in steter Furcht vor Geistern und Geisterbeschwörern. Inmitten der Naturvölker gestalten sich darum Drohungen, die einem aufgeklärten Menschen geradezu lächerlich erscheinen, zu einer furchtbaren Waffe.

Unter den Eingeborenen der Sandwichinseln bestand eine religiöse Gemeinschaft, die sich den Besitz der Himmelsgabe zuschrieb, durch ihr Gebet die Feinde töten zu können. Wenn jemand sich ihren Haß zuzog, so zeigte sie ihm an, daß sie mit ihren Verwünschungen gegen ihn beginnen würde. Meist genügte diese Erklärung, um den Unglücklichen vor Schreck sterben zu lassen.

Auf den Hervey-Inseln benutzen Zauberer einen „Seelenfänger“, um die Seele ihres Feindes zu fangen. Es ist dies eine ungefähr drei Meter lange Schnur aus Kokosfasern, an welcher Schlingen befestigt sind. Man hängt dieses Gerät an einem Baume auf, an dem das Opfer vorüber muß. Erblickt nun der Betreffende die Schnur, so glaubt er fest, daß seine Seele in derselben hängen geblieben ist, und regt sich dadurch so auf, daß er krank wird vor Angst und Schrecken und bald stirbt. Die Eingeborenen selbst betrachten dieses Instrument als ein sicheres Mittel, um jemand aus der Welt zu schaffen. Hier haben wir also auf der untersten Kulturstufe ein Mordmittel, das durch einen „psychischen Insult“, wie sich die Wissenschaft ausdrückt, durch Suggerieren des bald eintretenden Todes den abergläubischen Nächsten zu töten vermag!

Verständlich wird uns die Möglichkeit solcher gewaltsamen Tötungen ohne Anwendung mechanischer Mittel, wenn wir uns in den Gedankenkreis der Naturmenschen versetzen. Sie haben keine Ahnung von natürlichen Ursachen der Krankheit; diese erscheint ihnen vielmehr stets als etwas Dämonisches, das von außen in den Körper hineinfährt und auch von Zauberern und Hexen gegen den Menschen losgelassen werden kann. Kein Wunder, daß bei den Naturvölkern Suggestionskrankheiten nicht selten sind und auch auf suggestivem Wege durch Medizinmänner geheilt werden.

Die Indianer in Victoria an der Westküste Nordamerikas glauben z. B., daß ein böser Dämon, ein „wilder Schwarzer“, dem Menschen das Nierenfett rauben könne und daß der also Beraubte dem sicheren Tode verfallen sei, wenn es dem Medizinmanne nicht gelingt, das Nierenfett dem Dämon im magischen Fluge abzujagen und es dem Kranken wieder an den rechten Ort zu setzen. Der Reisende Thomas war Zeuge einer solchen Kur. Ein Indianer war gerade auf der Jagd, als durch irgend einen Zufall die Vorstellung in ihm erweckt wurde, daß ihm der „wilde Schwarze“ sein Nierenfett gestohlen habe. Müde und schwach kehrte er in das Lager zurück. Der Mann schien totkrank und man rief den Zauberarzt herbei. Unter allerlei geheimnisvollen Ceremonien gelang es dem Heilkünstler, dem Dämon das Nierenfett abzujagen und es dem Kranken an die richtige Stelle zu setzen. Der Kranke erhob sich alsdann, zündete seine Pfeife an und rauchte ruhig in der Mitte seiner Freunde – er war geheilt.

Unter solchen Umständen kann der Medizinmann seinen Einfluß auf die Gemüter seiner Landsleute leicht mißbrauchen, was auch in der That oft genug vorkommt. Der Missionar Crosby berichtete, um nur noch ein Beispiel anzuführen, daß ein junger Indianer seiner Station in Vancouver einst einen Medizinmann neckte. Dieser rief ihm im Zorne zu: „Du wirst in sechs Wochen sterben!“ Der junge Mann ging, aber die Drohung des zauberkundigen Mannes lastete schwer auf ihm. Er wurde nach und nach fest überzeugt, daß der Zauberarzt ihm einen magischen Stein ins Herz geschossen habe, der seinen Tod unfehlbar herbeiführen müsse. Er wurde stiller und stiller und zuletzt wirklich krank; aller Zuspruch war vergeblich und der Lästerer starb noch vor Ablauf der sechswöchigen Frist.

Dieser Fall ist ebenso erklärlich wie das Sterben der Menschen, die den Seelenfänger erblickt haben. Hier wie dort sind Krankheit und Tod die Folgen einer Suggestion, und je mehr wir in den Berichten der Reisenden blättern, desto mehr drängt sich uns die Ueberzeugung auf, daß bei den Naturvölkern solche durch Suggestion bewirkte Leiden eine bei weitem wichtigere Rolle spielen als bei civilisierten Völkern, und während bei uns die Tötung durch „psychische Insulte“ zu den seltensten Ausnahmen gehört, kommt sie unter den armen Wilden häufig vor. Die Wahngebilde des Aberglaubens gestalten sich dort in der That zu unerbittlichen tötenden Geistern.