Topographia Circuli Burgundici: Camerich

Topographia Germaniae
Camerich (heute: Cambrai)
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aus: Matthäus Merian (Herausgeber und Illustrator) und Martin Zeiller (Textautor):
Merian, Frankfurt am Main 1654, S. 202–205.
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[202] Camerich / Cameracum, Camerick / Cambray, Von welcher weitberühmbten Bischofflichen Stadt einer sagt:

Cambracum, titulis auctam Imperialibus Urbem,
Commendant bellum, forma, Cathedra, situs.

Es haben solche Johannes Baptista Gramaye, Georgius Braun / im 4. und 5. seines Städtbuchs / Adrianus Romanus in Theatro Urbium, Newmäyer im Fürstlichen Sächsischen Reißbuch / pag. 246. Casparus Ens, in deliciis apodemicis per Germaniam, pag. 83. Golnizius in Itinerario Belgico-Gallico, pag. 148. seqq. und andere mehr / beschrieben. Wir wollen allein folgendes hieher setzen / weilen allbereit solche Stadt in dem Westphälischen Cräise / als dahin solche Reichs-Stadt / sampt ihrem Bischoffe / und Fürsten deß Reichs / eigentlich gehörig / (wiewol sie jetzt unter Spanischem Schutz / und zu desselben Königs Landen von vielen / wie oben im Eingang gesagt worden / gerechnet wird /) einkommen ist. Sie ligt sieben Niederländische Meilen von der Stadt Valensin / und achte oder eine gute halbe Tagreise von Peronne in Franckreich / deren Anfang und Ursprung man nicht weiß; aber wol dieses / daß Käyser Carl der Grosse sie mit einer Mauer umbgeben hat. Diese Schelde / oder Scaldis, laufft fast mitten dardurch. Hat einen lustigen Prospect; ist groß / und mit Mauren / und Thürnen / wol bevestiget. Ligt zum theil in einem Thal / oder Ebne / zum theil Berghänhig / und an einem Hügel. Hat breite Gassen 5. Thor / als / la Porte neuve, S. Sepulchre, Cantimpre, de Selle, de Malle, wie sie die Inwohner / so grob Frantzösisch da reden / nennen. Das Castell ligt nächst ander Stadt / doch etwas hoch / und ist gegen der Stadt mit Erden dermassen vergleichet / daß niemands hinauff / oder an der Stadt hingehen kan / daß man ihn auff den Wällen / oder auß dem bedeckten Weg / nicht solte sehen können. Gegen der Stadt seynd zwey Bollwerck / und gegen das Feld auch zwey: doch ist zwischen denselben beyden / über dem Graben / so trucken / ein starcker Ravelin / der verwahret das Thor daselbst / welches dahin gemacht / daß man Victualien / Hülff / und anders / ins Castell bringen kan. Die Bollwerck seyn auß den Streichen gezogen. Und ist dieses sehr veste Castell / oder Schloß / heutigs Tag mit Spanischem Volck besetzt / und wird so wol bewachet / daß die Frembden solches kaum ansehen dörffen. Und wann einer ein wenig still stehet / die Mauren / und Gräben / etwas besichtigen will / so ist er / wann er gleich nichts Böses im Sinn hat / in höchster Gefahr / daß er nicht durch das schiessen von dannen vertrieben / oder gar zu Boden gelegt werde. Es hat aufm Spitzen solches Berges / der H. Gaugericus, Bischoff allhie / dem H. Medardo zu Ehren / ein Closter erbawet / so jetzt ein Stifft / darinn 40. Canonici seyn / und daß der Zeit / weiln solches deß gedachten H. Gaugerici Reliquien hat / zu S. Gaugerico genannt wird. Und solches Kloster / und Stifft / ist auff dem gedachten Berg / biß auffs Jahr 1540. gewesen / in welchem Käyser Carl der Fünffte / an diesem Orth / wider der Frantzosen Außfäll / das besagte Schloß zu erbawen befohlen. Und seynd damaln die gemeldte Canonici Gaugericiani herunter in die Stadt-Pfarrkirchen zu S. Vedasto vorhin / jetzt aber zu S. Gaugerico genannt / gewandert. Die Bischöffliche Haupt-Kirch zu unser Frauen hat der Bischöffe / so in langer Ordnung / von dem H.  tt>Vedasto an / (so

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Camerich

[203] der erste Bischoff allhie / und nicht Diogenes, wie theils wollen / gewesen / und umbs Jahr 540. (sihe oben Atrecht /) gestorben /) nach einander gefolget seyn / Gräber / auch ein feines Uhrwerck / und ein fürtreffliche Tafel / so S. Lucas solle gemahlet haben / begreifft die Histori / wie die H. Jungfrau Maria / ihre Muhm / oder Basen / die alte Elisabeth / besuchet hat. Der Thurn an solcher Kirchen ist oben hinauß spitzig / wie ein Kegel / von Quadersteinen durchsichtig gebauet / und ein schönes Werck. Auff Königs Philippi II. in Spanien begehren / hat der Pabst diese Kirchen zu einer Ertz-Bischofflichen erhöhet / und Ludovicum Barlemontium zum ersten Ertz-Bischoffe allda gemacht: wie dann der Vorsteher derselben / als ein Ertz-Bischoff / und Hertzog / bey den Reichstägen erscheinet / hat im Fürsten-Rath sein Session, und Votum; und vorhin / dem in Anno 1521. gemachten Anschlag nach / geben 22. zu Roß / und 82. zu Fuß / Monatlichen einfachen Römerzug: jetzt gibt er nichts mehr. Die Stadt solte geben 2. zu Roß / und 18. zu Fuß: wolte aber folgender Zeit unter ihres Bischoffs Anschlag begriffen seyn. Anno 1613. hat Herr Johann Reinhard Ott / Ertz-Bischoff / und Hertzog zu Camerich / und Graff zu Cambresy, seine Gesandten bey dem Reichstag zu Regenspurg gehabt: deme Franciscus Vander-Burchius, succedirt hat. Daß aber Anno 1641. dieses Ertz-Bischoffs Gesandten / unter den andern / nicht gedacht wird / kan ich nicht wissen. Anno 1645. hat der König in Hispanien den Bischoff von Hertzogen-Busch / Namens Bergaine, so hiebevor Franciscaner Ordens gewesen / zum Ertz-Bischoffen von Cambray gemacht / Tom. 5. Theatr. Europ. fol. 695. b. welcher Fr. Josephus Bergaigne, Anno 1647. den 24. Octobr. zu Münster / als Spanischer Plenipotentiarius zu den Friedens-Tractaten / gestorben ist. Ausser dieser Ertz-Bischofflichen Kirch / hat es allhie auch 9. Pfarrkirchen / 3. Abbteyen / 3. Manns- und 3. Frauen-Klöster / 1. Jesuiter-Collegium, viel Spitäl / und dergleichen Häuser. Und ist unter den Abbteyen sonderlich die zu S. Auberto zu sehen / welcher allhie / und zu Atrecht / Bischoff / und der Hennegöwer Apostel gewesen / Anno 675. gestorben / und in S. Peters Kirchen / ausser der Stadt Camerich begraben worden / aber anjetzo in der Stadt / und in gemeldter Abbtey / darinn Canonici regulares seyn / ruhet. Und in solcher haben Ertzhertzog Albertus von Oesterreich / und die Infantin / als sie Anno 1600. allhie den Eyde geleistet / und ihnen hergegen huldigen lassen / ihr Losament gehabt. Besagte regulirte Chorherren / sampt ihrem Abbt / hat der H. Lietbertus, der 32. Bischoff allhie / so dem Gerardo I. succedirt / angeordnet; der auch das Benedictiner Closter zum H. Grab allda gestifftet hat. Unter den Spitälen ist das zu S. Lazaro berühmbt / und reich / so den Inheimischen / die den Aussatz haben / verordnet ist. Deß Ertz-Bischoffs Hof / oder Pallast / ist auch zu sehen: Item das Rahthauß auff dem Marckt / so von aussen alle der Geist- und Weltlichen Chur-Fürsten Wappen in Stein gehauen hat; in deren mitten Käyser Caroli V. Bildnuß mit dem Gülden Vlüß. Hat einen alten hohen Thurn / auff welchem viel kleine / und auch grosse Glocken hangen / welche / wann die Uhr schlagen will / zuvor ein Lied musiciren; die Stunden aber schlagen zween grosse Männer / mit Hämmern. Und an solchem Thurn stehen / auff beyden Seiten / zwey schöne neue Gebäu / nach der Baukunst verfertigt. Und vor solchem Rahthause ist allezeit eine Guardi von 50. Spanischen Soldaten. Die Herren deß Rahts tragen lange schwartze Röck / vornen herab mit Sammet gefüttert / auff dem Haupt aber ein schwartz Sammet Baretlein / dergleichen man sonsten in andern Städten nicht sihet. Es hat in der Stadt viel unterschiedliche Brucken / und Plätz / darauff man feil hat / darunter sonderlich ein gar grosser ist. Das Regiment betreffende / so ist zwar der Ertz-Bischoff nicht allein in dem Geistlichen / sondern auch in dem Weltlichen / Herr allda; gleichwol aber lebt er der Zeit unter der Cron Spanien Schutz / und ist [204] die Stadt / wie oben angedeutet / gleichsam in derselben Gewalt. Die Inwohner seyn reich / und treiben grosses Gewerb / sonderlich mit der überauß zarten Leinwat / so allhie gemacht / und nach der Stadt / das Kamerdoeck / oder Cammertuech genennet wird. Es haben etliche in acht genommen / daß jährlich allda auffs wenigste 60. tausent Stücklein derselben gemacht werden / deren eines fast auff 40. Niederländische Gulden geschätzet wird / also / daß die Summa deß Gelts sich auff die 2400. tausent Gulden belauffe. Bißweilen machet man auch Stücklein solcher subtilen Leinwat / von 22. Eln in der Länge / und am Gewicht von 6. 7. und auffs meiste von 8. Untzen / oder 16. Loth / deren eines gleichwol auf 300. Niederländische Gulden kommt. Sihe Thuanum libr. 89. Histor. und Meteranum lib. 15. Es haben obgedachter Braun lib. 4. auch andere mehr / und darunter Jacobus Meyerus in Annalibus Flandricis, an unterschiedlichen Orten / von dieser Stadt Zuständen / Glück / und Unglück / geschrieben. Wir wollen allein etlicher Geschichten gedencken / als / daß Anno 958. diese Stadt die Ungarn belagert / und alles in der Nachbarschafft verbrant haben. Anno 1102. hat Graff Robertus zu Flandern diese Reichs-Stadt / wie Sethus Calvisius in opere Chronolog. auß Sigeberto, und Baronio, schreibet / eingenommen / deßwegen ihm auch der Pabst Glück gewünscht. Aber der obgedachte sehr fleissige Flandrische Geschicht-Schreiber Meyerus sagt nur / daß der gemeldte Graff / der mit Käyser Heinrich dem Vierdten nicht Freund war / die Stadt belagert / und das Land herumb verwüstet habe / und daß gedachter Käyser denen von Camerich mit grosser Macht zu Hülff kommen seye. An. 1339. belagerte sie König Eduard aus Engelland / weiln solche Stadt die Frantzosen / seine Feinde / eingenommen hatten; als Guilelmus Auxonius, so nicht gut Käyserisch / Bischoff da war. Anno 1413. ward Camerich von des Hertzogs in Burgund Volck eingenommen. Anno 1415. entstunde allhie zwischen den Burgern / und den Domherren zu S. Gaugerico Uneinigkeit; die Stadt ward deßhalben bevestiget; und den Domherren verbotten / daß sie forthin keinen Wein mehr in ihren Kellern außschencken solten. Die Domherren bringen die Sach an den Hertzog Hansen von Burgund / als Schutzherrn der Cammerachischen Kirchen / wegen der Graffschaft Flandern / wie besagter Meyer lib. 15. fol. 284. schreibet. Der Hertzog / so damals in Burgund war / befahle seinem Sohn Philippo, daß er die Diener der Kirchen schützen solte; welcher dann durch 300. Reutter der Stadt Gräntzen verhergen liesse; deßwegen dann die von Camerich Frieden machen / und den Geistlichen den zugefügten Schaden abthun müsten / und hat die Statt den besagten Canonicis den Verkauff deß Weins umb ein jährliches Geld / nemlich ein hundert Francken / Königlicher Müntz / abgelöst. Ita cessabant Canonici caupones esse vinarii, sagt gedachter Meyerus; der auch vorhero lib. 14. fol. 232. berichtet / wie stattlich es allhie Anno 1385. bey dem Beylager deß vorgemeldten Hertzog Hansen von Burgund / mit Margarethen / Hertzogs Alberti in Bayern / Graffens zu Hennegöw / Holland / und Seeland / Tochter zugangen seye. Zu Ende deß 1508. Jahrs / ist allhie die namhaffte Bündnuß zwischen Pabst Julio II. Käyser Maximiliano I. und Ludovico XII. Könige in Franckreich / wider die Venediger / und An. 1529. hernach Friede zwischen Käyser Carolo V. und König Francisco I. in Franckreich gemacht worden / dessen Friedens conditiones unter andern auch Ludovicus Guicciardinus lib. 1. Commentar. de rebus memorabil. quae in Europa, maximè verò in Belgio, ab 29. usque in annum 1560. evenerint, setzet. Anno 1553. hat König Heinrich auß Franckreich diese Stadt für Feind erklärt. Anno 1581. ward sie ein lange Zeit von den Spaniern belagert / und derselben alle Zufuhr gesperrt / dardurch der Hunger in der Stadt also zugenommen / daß man sich darinn allein auff die letzte der Pferdt / Katzen / und Ratzenfleisch / bedienen muste / und ward ein Kuhe vmb 200. ein Schaaff vmb 50. [205] Gulden / ein Pfund Butter umb 24. Käß umb 30. ein Ey umb 11. ein Untz Sals umb 8. Stüfer / verkaufft / und war auff die letzt gar kein Saltz mehr zu bekommen. Es kam aber den Belagerten endlich deß Königs in Franckreich Bruder / der Hertzog von Anjou und Alenzon / zu Hülff: der den Joannem Monlucium, Herrn zu Balanson, dahin setzte: und bliebe die Stadt in Frantzösischer devotion, biß auffs Jahr 1595. da der Graff von Fuentes, als er den Unwillen der Burger / wider die Frantzösische Besatzung / vermerckte / sie belagert; deme auch die Burger / als sie zuvor die Schweitzer auff ihre Seiten gebracht / die Stadt auffgeben haben. Die Frantzosen zwar wehreten sich noch ein Zeitlang im Castell / aber endlich ergaben sie sich auch den 7. Octobris. Und von solcher Zeit an / hat die Stadt Spanische Besatzung: und ist dieselbe der Zeit deß Niederlands Gräntz-Stadt gegen Franckreich.

Es gehöret unter den Ertz-Bischoff allhie ein ziemliches Ländlein / so Cambresium, Cambrense, und Cameracense Territorium, und von den Frantzosen Cambresis, genannt wird; darinn / neben einer guten Anzahl Dörffer / Cambresi, le Chasteau Cambresis, oder Chastea en Cambresii, Castellum Cameracesii, 6. Meilen von der Stadt Camerich / gelegen ist; welches die meisten ein Schloß / dem Lateinischen und Frantzösischen Namen nach; Aubertus Miraeus aber / in Fastis Belgicis, pag. 669. eines dem Bischoff zu Camerich gehöriges Städtlein / nennet / allda S. Maxellendis / die Jungfraw / und Märtyrin / in dem Benedictiner Kloster zu S. Andrea / das Gerardus I. der Bischoff zu Camerich Anno 1021. gestifftet / und sein Nachfahr Lietbertus vollführet; wie auch der H. Priester Sarius, ruhen. Anno 1481. haben etliche Frantzösische Besatz Kriegsleut / als sie von S. Quintin / Guise / und andern Orten außgezogen / das Schloß Cambresii, so liederlich verwahrt war / bey der Nacht / als sie die Laitern angeleinet / eingenommen; wie Gerhardus de Roo lib. 9. fol. 348. schreibet. Anno 1559. ist allhie der Fried zwischen König Henrico II. in Franckreich / und König Philippo II. in Spanien / zwar mit grossem Verlust und Schaden der Cron Franckreich / gemacht worden. Anno 1582. nahm diesen Ort der Hertzog von Parma ein. Anno 1637. haben die Frantzosen diesen Ort wieder erobert.