Tiflis, das russische Hauptquartier in Klein-Asien

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Tiflis, das russische Hauptquartier in Klein-Asien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 252–254
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Tiflis,
das russische Hauptquartier in Klein-Asien.

„Wenn Rußland Georgien und Tiflis behauptet, und Preußen neutral bleibt, so bekommt es Constantinopel, und dann gehört ihm ganz Europa.“

So etwa sprach sich vor langer Zeit ein alter Napoleonischer General aus. Bis jetzt behauptet Rußland Tiflis, und die türkische Armee, die man ihm hier in Karb und Erzerum in Armenien entgegenstellt, soll mit sich selbst so viel zu thun haben, daß von dieser Seite wenig zu befürchten sein wird. – Tiflis ist das Thor zum Kaukasus. Die Gegend ist nordwestlich durch eine Wüste begrenzt, westlich und südlich durch Berge von den türkischen und persischen Provinzen Akiska und Erivan und östlich durch Daghestan und Schirvan und Kaukasus-Züge vom kaspischen Meere geschieden. Klima, Landesphysiognomie mit wilden Bergen und blühenden Thälern erheben die Gegend von Tiflis zu einer der schönsten in der Welt. Baumwolle, Flachs, Weizen, Hirse, Reis, Hanf u. s. w. wachsen in Fülle ohne besondere Arbeit der Menschenhand, während um das türkische Hauptlager in Armenien die Natur sich den trägen Bewohnern verschließt. Die Berge von Georgien strotzen um Tiflis herum vom herrlichsten Waldwerk und der wildwachsende Wein reift die Fülle von Trauben. Ein schöner Fluß, Kur, durchschlängelt und befruchtet das Land. Die Georgier gelten als das mächtigste Volk am Kaukasus, obgleich sie in Sittenverfall den Persern gleich kommen. Die Georgerinnen sind als die schönsten aller kaukasischen Schönheiten anerkannt. Der Markt von Constantinopel wird hauptsächlich von hier aus über Trebisond versehen. Der Adel des Landes herrscht unbeschränkt über Eigenthum und Leben seiner Vasallen und Sclaven.

Georgien gehörte bis zu Alexander dem Großen zu Persien, wurde dann selbständiger Staat unter türkischem oder persischem Schutze, bis es 1576 unter beide Mächte getheilt ward, obwohl ihm der Form nach ein Souverain blieb. Dieser bat 1586 schon um – russischen Schutz. – Rußland baute eine Stadt am Terek auf der andern Seite des Kaukasus, um dieser Bitte nachzukommen. Obwohl nun Georgien seit 1735 zu Persien gehörte, wußte [253] ihm Rußland doch im Frieden mit der Türkei 1791 seine „Unabhängigkeit“ zu verschaffen. Da es diese nicht vertragen konnte, kam ihm Rußland so zu Hülfe (ersucht von einem Prinzen von Georgien), daß seit 1798 die Georgier alle Plackereien, sich selbst zu regieren, ausschließlich den Russen zu übertragen für gut befanden. Die Bevölkerung schätzt man auf 450,000 Seelen. Die Hauptstadt Tiflis (von Tbili = warm wegen ihrer warmen Quellen und dem italienischen Klima vom April bis November, von den Georgiern Tbilisk Alaki, warme Stadt, genannt) erhebt sich an den Ufern des Kur, der hier durch ein prächtigen Thal zwischen zwei Waldbergreihen fließt, am Ende der einen Bergreihe stolz mit seinen massiven, starken, hohen Thürmen, beschattet von öden, dunkeln Hügeln. Sie liegt auf beiden Seiten des Flusses, die eigentliche Hauptstadt am westlichen Ufer. Hier erheben sich die Paläste des reichsten Adels, der große Bazar, schöne Plätze, prächtige Kirchen, die Bureaux der Regierung und der Palast des Gouverneurs. Der neue Stadttheil, seit der russischen Zeit angelegt, zeichnet sich aus durch prächtige, gerade Straßen von Häusern und Palästen, ganz im Style europäischer Civilisation. Der „Goretuban“ wäre etwa mit den „Linden“ in Berlin zu vergleichen. – Am linken Ufer liegt die Vorstadt Awlabar, eine große Karavanserei von Kasernen, langen Häuserreihen und manchen blühenden Werkstätten und Läden, die fast durchweg in den Händen Deutscher sind. (Wo findet man nicht Deutsche?) Der Engländer, der Tiflis zuletzt sah und beschrieb, nennt sie Süddeutsche, giebt aber keine nähern Umstände an.

Im alten Tiflis sind Straßen und Häuser größtentheils eng und schlecht, wie man dies im Gegensatz zu neuen Stadttheilen in allen „Altstädten“ der Welt finden wird, nur nicht in Amerika, das gleich von vorn herein neue Stadttheile als ganze Städte gleichsam fabrikmäßig und en gros baut, ohne erst „Altstädte“ abzuwarten. Seitdem aber die Einwohner von Tiflis mehr und mehr mit den Genüssen der Civilisation bekannt geworden, haben sie angefangen, aus Hütten Häuser zu machen und enge Straßen niederzureißen, um weite mit Palästen an deren Stelle zu bauen. – Die Zahl und theilweise Pracht der Kirchen ist imposant. Man findet fünfzehn griechische, zwanzig armenische und zwei katholische Kirchen. Beide Stadttheile sind durch eine Brücke da, wo der Fluß durch vorspringende Felsen eingeengt, eine Stromschnelle bildet, verbunden. Ihr Bogen ist 31 Fuß über dem Flusse und 1100 Fuß über dem Spiegel des schwarzen Meeres.

Tiflis.

Auf der Awlabar-Seite stehen hier Ruinen eines alten Forts, einer Kirche und von Häusern, Ueberbleibseln der Verwüstung eines persischen Chans im Jahre 1795, der das damals „unabhängige“ Georgien den Russen streitig machen wollte.

Die größte Natur-, Kunst- und Civilisationsmerkwürdigkeit von Tiflis sind die warmen Heilquellen und Bäder, die noch eine Zukunft haben, da mit zunehmender Civilisation auch Rheumatismus, Gicht und Hautkrankheiten zunehmen werden. Die Quellen springen in großer Anzahl am Südende der Stadt aus Kalksteinschichten hervor, von welchen sie in große, ausgehauene Felsenhöhlen fließen, die in verschiedene Abtheilungen abgebaut, dem männlichen und weiblichen Geschlechte und den verschiedenen Ständen als Badehäuser dienen. Sie werden sehr romantisch beschrieben. Die dunkeln Höhlen mit ihren natürlichen Felsenwänden sind blos durch schwaches Lampenlicht halb erleuchtet und auch das kaum, da das Licht nur spärlich durch die heißen Dämpfe, welche die Räume erfüllen, hindurchdringen kann.

Die Einwohnerzahl von Tiflis wird auf 50.000 geschätzt. Die Hälfte sind starke, große Armenier, die andere Hälfte besteht aus alten griechischen Christen, kaukasischen Stammes, römischen Katholiken (darunter Deutsche) und Muhamedanern verschiedenen Stammes. Zuweilen lassen sich auch Cirkassier aus den Bergen unangefochten sehen, um hier Pferde, Lebensmittel zu kaufen und mit der Civilisation bekannt zu werden, der sie auf die Dauer doch nicht widerstehen. Sie ist mächtiger, als der seit einem Jahrhundert fortgesetzte Krieg der Russen. Der Kriegszustand mit den Russen bringt ihnen keine Gefahr, wenn sie als Handelsleute kommen – eine russische Politik, die feiner ist, als man glaubt, wie sie denn überhaupt neuerdings gegen ganz Europa feiner war, als sich Napier’s, Aberdeen’s, Napoleon’s träumen lassen mögen. –

Die kaukasische Freiheit, so sehr man sie in ihrer Aufopferung achten muß, stellt sich in der Wirklichkeit nicht sehr dichterisch dar. Ihre Freiheit besteht darin, daß sie in viele Stämme zerfallen. die alle wenig arbeiten, nichts lernen und lesen, da sie nichts von Literatur, ja noch nicht einmal ein A-B-C-Buch haben. Sie leben von Salz und Beute. Ihre größte Tugend ist stehlen. Wenn ein Mädchen ihrem Anbeter einen Korb geben will, wirft sie ihm vor, daß er noch nicht eine Kuh gestohlen habe. Sie erinnern [254] an das alte Sparta. Merkwürdig, daß bei den beiden tapfersten Völkern zugleich der feige Diebstahl unter die Cardinaltugenden gerechnet wird. – Die kriegerischen Stämme werden indeß auch in ihren verschlossenen Bergen von der Kultur aufgesucht werden, die sie von allen Seiten, selbst in russischer Uniform, umgiebt. Und wenn dies der Fall sein wird, so haben wir vollendete Menschen, da bekanntlich die Cirkassier die schönsten Leute des Erdenparadieses sind. Die beiden Häuptlinge, welche vor einiger Zeit in Petersburg waren, brachten die ganze Hauptstadt auf die Beine. Sie besuchten den Kaiser, der sie aus seiner Küche speisen ließ; doch baten sie sich das Fleisch lieber roh aus. Es waren schöne Köpfe, in welchen die Bildung Wunder thun kann. Sie traten in ihrer kriegerischen stählernen Kleidung auf. In Civil erscheinen sie noch grotesker und malerischer. Eine Robe von weißer, indischer Seide, eine kürzere darüber, ringsum von einem Gurt gehalten, der von Goldschmuck schimmert, bis zum Ellbogen geschlitzte Aermel, aus denen der sehnige Arm hervorschimmert, ein schöner Kopf auf markigem Halse, auf dem Kopf eine gestreifte Zipfelmütze, an den Füßen gelbe Pantoffeln, an den Spitzen gespalten, so daß sie wie eine gespaltene Mohrrübe auseinanderklaffen und sich chinesisch in die Höhe krümmen – das letztere sieht zu lächerlich aus für diese schönen kräftigen Menschen, obgleich sie auch nicht in den Leibrock und die Manschetten passen. Bildung und Geschmack wird indessen schon eine Tracht für sie ausfindig machen, die eben so weit entfernt ist von der jetzigen Robe, als von unserm Leibrocke, hoffentlich von letzterem noch weiter. –