Thurnhamers letzte Heimfahrt

Textdaten
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Autor: Max Haushofer
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Titel: Thurnhamers letzte Heimfahrt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 244–247, 250
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Thurnhamers letzte Heimfahrt.

Ein altbayerisches Charakterbild von Max Haushofer.0 Mit Abbildungen von Karl Raupp.


Leuchtend in der Nachmittagssonne liegt die weite Seefläche. Die fernen Ufer im Norden und Westen scheinen zwischen Fluth und Aether verschwinden zu wollen; nur im Süden treten sie deutlicher hervor; denn da steigen blau und duftig die Vorberge der Alpen empor mit schöngeformten Felshäuptern.

Einsam, recht einsam ist der Strand, den wir entlang wandern, ein breiter Sandstreifen, an einer Seite der plätschernde See, an der anderen grüne Waldnacht. So kann man stundenlang fortschlendern. Endlich aber öffnet sich der Wald; grüne Gefilde thun sich auf und wogende Kornfelder, und hinter Obstbäumen lugt der Spitzthurm eines stattlichen Kirchdorfes vor. Ein kleiner Bach geht hier in den See; seine Mündung ist der einzige Hafen weit und breit. Und ihn mußte man vor der andrängenden Fluth dadurch schützen, daß man den schwarzen Rumpf eines ehemaligen Dampfschiffes vor ihm versenkte und mit Felsstücken belastete, so daß er eine Art nothdürftigen Dammes bildet. Aber unheimlich sieht es aus, wie die dunklen Rippen des Wracks aus der grünen Tiefe emporragen; es ist, als wollten diese trauernden Reste jeden Augenblick rückwärts hinabsinken ins Unergründliche.

Es ist wenig Leben da. Kein Schiff, kein Steg am Strand, viel weniger ein weißglänzendes Segel. Es ist das wilde Ostufer des großen Binnenwassers; die von den häufigen Stürmen erregten Wogen gehen hier so hoch und stürzen mit solcher Wucht an

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Thurnhamers letzte Heimfahrt.
Von K. Raupp.

[246] den Strand, daß sie den Leuten die Seefahrt verderben. Der Fischer arbeitet nur in der Nähe des Ufers und nur bei stillem Wetter.

Während fern in den westlichen Theilen des Sees, hinter dem Schutze von Inseln und Landzungen, jedes Kind die Ruder führt, war hier ein einziger Mann, der vor Zeiten mit trotziger Kühnheit sein Fahrzeug durch die Wasser trieb. Und er ist lange todt, der alte Thurnhamer; er ist todt und sein treues Schiff in Trümmer gegangen. Und mit ihm der letzte Seefahrer dieses Ufers.

Er hatte eine schier dämonische Freude an der Seefahrt. In den Ufersand hatte er sich einen kleinen Hafen gegraben, darin lag sein schwarzes hochgeschnäbeltes Schiff, ein Einbaum, aus einer der stolzesten Eichen des Gaus gezimmert. Droben auf weitausblickender Höhe lag des Thurnhamers schönes schuldenfreies Heimwesen; von diesem stieg er gern herab an den See und trieb sein Schiff mit gewaltigen Ruderschlägen in die weite Fluth hinaus. Ihm war dazu die Kraft gegeben. Denn siebeneinhalb Fuß maß er vom Scheitel bis zur Zehe und seine Hände waren die größten zwischen der Isar und der Salzach. Unter dem Drucke seines Ruders stöhnte seines Einbaums tüchtiger Bau.

Am liebsten fuhr er in entlegene Wirthshäuser am See. Auf jener Insel, die aus stundenweiter Ferne herüberglänzt, stand eins, welches ihm das liebste war. Dahin kam er etwa alle Vierteljahre. Saß er aber einmal am Ahorntisch, so trank er sich fest und kam unter drei Tagen nicht fort. Nach solchem Austoben packte ihn dann das Gewissen und er blieb wieder vier Wochen daheim und arbeitete mit Bärenkraft.

Er war ein Vollblutbauer, wie jemals die südbayerische Hochebene einen getragen: bieder und schlau, grob und gemüthlich, widerborstig und kindlich zugleich. Zornig konnte er nicht werden; denn ehe er es ward, nahm er den, der ihn zornig machen wollte, und warf ihn durch eine halbzöllige Thür von Fichtenholz aus dem Hause, wobei es ihm ganz gleichgültig war, ob die Thür offen stand oder nicht. In letzterem Fall ging sie in Splitter.

Als er in die sechzig Jahre kam und sein Weib gestorben und sein Töchterchen Nannei zu einer schönen blondzöpfigen Jungfrau herangewachsen war, da waren auch des Thurnhamers Gesinnung und Lebensweise in ihrer Eigenart verhärtet wie ein alter knorriger Eichbaum. Er fing an zu philosophiren und fuhr öfter in die Wirthshäuser als früher, blieb auch länger darinnen und war bei allen beliebt. Verließ er sie dann am vierten oder fünften Tage seiner Gastrolle, so gab’s immer große Feierlichkeit. Gewöhnlich fing er mit dem Abschiednehmen schon am ersten Abend an, indem er schwerfällig zum Strande hinabschritt, wo sein Fahrzeug, von ihm „Scheef“ genannt, lag. Seine Kneipkumpanei begleitete ihn. Bedächtig schob er dann das Scheef vom Lande und setzte einen Fuß hinein, bis ihm jählings einfiel, daß ein plötzlicher Durst seinen Gaumen vertrockne. Dann zog er ebenso bedächtig das Scheef wieder ans Land, schimpfte, daß man ihn so durstig fortfahren lasse, und wandelte zurück an den Ahorntisch. Das ging so jeden Tag ein paarmal. Es war seltsam, warum der Thurnhamer, sonst so kurz entschlossen und hartköpfig, in Bezug auf das Scheiden aus dem Wirthshause so wankelmüthige Gesinnung zeigte.

Durch Sturm und Wetter ließ er sich nicht halten, bloß durch seinen Durst. Im Gegentheile, je ärger es draußen auf dem See tobte, um so lieber fuhr er. Und dann war’s eine Freude, ihn zu sehen. Aus deinem lässigen schwankenden Gange richtete er sich dann stramm auf und stand in seinem Scheef wie ein riesiger Hüne; seine Augen blitzten und der Sturm fuhr ihm durch das ergraute Haar. Oftmals gab man ihn verloren, wenn er im Weststurm hinausgefahren war in den Weitsee; aber er kam allezeit gesund nach seinem Hofe zurück. Ein paarmal freilich, wenn das Nannei am Ufer stand, hatte sie den Vater daherkommen sehen fast als Ertrinkenden; dann schwamm sein Schiff nicht mehr auf dem Wasser, sondern wälzte sich wie ein unbehilfliches Scheit Holz zwischen den Wellen, während der kühne Ferge bis an die Brust im Wasser lag und mit beiden Händen sich an den Schiffsbord klammerte. Endlich hatten die Wogen dann Schiff und Lenker an den Strand hinausgeworfen.

„Mädel, halt’s Maul!“ hatte der Thurnhamer dann gesagt. Und das Nannei hatte schweigend die nassen Kleider des Vaters getrocknet, welcher sich auf die Ofenbank hingestreckt hatte, um einen langen tiefen Schlaf zu beginnen.

Einmal mußte der Thurnhamer seine letzte Fahrt machen. Es war eine Fahrt, von der die Leute lang erzählten, denn sie war von befremdlichen Dingen begleitet.

Es war ein Feiertag, Mariä Himmelfahrt. Der Thurnhamer saß im Inselwirthshause. Da ging’s lustig her. An einem Tische saßen Maler und Studenten aus München, an einem anderen etliche Honoratioren aus einem benachbarten Städtchen, an einem dritten die Zecher aus dem Inseldorf. Zu denen hatte sich der Thurnhamer gesellt; da sang er prächtige Vierzeiler, die außer ihm niemand kannte. Die Maler und Studenten kamen an seinen Tisch herüber, sangen mit ihm und zeichneten ihn ab.

Wie es auf neun Uhr ging, brach der Thurnhamer auf.

„Thurnhamer, ein Wetter kommt!“ sagte die schlanke Kellnerin, als er seine Zeche zahlte. „Willst doch fahren?“

Der Thurnhamer schlug mit der Riesenfaust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten. „Und wenn der leibhaftige Seeteufel mit mir fahrt, so fahr’ ich doch!“ brummte er.

„Das müssen wir sehen!“ sagte einer der Studenten. Und der ganze Tisch rüstete sich, den kühnen Seefahrer zum Strande zu geleiten. Die städtischen Zechgenossen holten Kienspäne aus der Küche, zündeten sie an und begleiteten nun mit Fackeln und Gesang den Scheidenden. Schließlich hielt einer der Studenten noch eine Rede an den Thurnhamer, wobei er ihn stets mit „Magnificenz“ betitelte.

Der Glanz der Kienspanfackeln war schuld, daß die Gesellschaft von dem unheimlichen Leuchten der Blitze im Westen wenig sah. Es hatten auch alle so viel getrunken, daß keiner das leise Grollen des Donners vernahm, während der Thurnhamer mit mächtigem Stoße sein Scheef in den See schob und nachsprang. Ein lautes Hoch scholl ihm vom Ufer nach; die Fackeln der Münchener flogen im Bogen dem Schiffe zu und verzischten in der dunklen regungslosen Fluth.

„Ich wollt’, er wär’ daheim!“ sagte ein Insulaner zu einem der fremden Gäste. „Das wird ein schweres Wetter!“

Der Gast sah zum Himmel empor. „Muß er weit fahren?“ „Zwei Stunden braucht er wohl!“ lautete die Antwort. „Und in einer halben Stunde kann das Wetter da sein!“

Langsam gehen die Gäste ins Wirthshaus zurück. Der Thurnhamer fährt allein in den See hinaus. Es ist stockfinstere Nacht. Im Süden, wo die Bergkette sonst zu sehen ist, sieht man nichts als ungewisse Schattenbilder in weiter Ferne; im Osten, wo der Thurnhamer hinsteuert, ist vollends das leere Nichts; im Westen verschwinden die Bäume der kleinen Insel rasch, wie erdrückt von den aufsteigenden Gewitterwolken. Nur im Norden hebt sich als einziger Wegweiser ein ferner schwarzer Wald und ein einsamer Kirchthurm vom Nachthimmel ab. Und auch das wird immer undeutlicher.

„Was nur mein Scheef heut hat?“ spricht der Thurnhamer vor sich hin. Das Alleinreden ist eine Lieblingsgewohnheit von ihm.

„Ja,“ fährt er fort, „was das Scheef nur hat? Hinum geht’s und herum; aber gradaus nit! Du Kreuzmillionenscheef!“

Ein Blitz fährt über den Himmel hin und läßt den fernen Wald in fahlem Licht erglänzen.

„Das ist ein Leuchten!“ sagt der Thurnhamer. „Jetzt wird’s bald da sein!“

Das Schiff dreht sich stark nach rechts von seiner Bahn ab, so daß der Kirchthurm, den der Thurnhamer zu seiner Linken haben sollte, hinter dem Rücken des Fährmanns verschwindet.

„Kreuzdonner!“ knirscht dieser. „Sitzt denn der Teufel im Gransen[1]?“

Da – was war das? Klang’s nicht wie ein dumpfes Stöhnen? Und woher? Aus dem Schiff – aus dem See – aus der Luft?

Der Thurnhamer horcht. Er vernimmt nichts mehr. Nun dreht er das Schiff in seine Bahn zurück und fährt weiter. Das geht so eine halbe Stunde lang. Rascher und rascher folgen sich die Blitze; lauter wird der Donner. Aber noch immer liegt der See spiegelglatt. Der Thurnhamer wischt sich den Schweiß von der Stirn und schaut hinter sich. Der westliche Himmel ist erschreckend. Eine riesengroße schwarze Wand will sich wie ein Dach schräg über den See hereinsenken. Aber unheimlicher noch sind die niedrigen häßlich zusammengeballten Wolken, welche sich unter ihr auf dem See herwälzen. Das sind Windwolken; der Thurnhamer kennt sie.

Noch ein Blitz zeigt dem Manne den fernen Waldstreifen, unter welchem er sein heimathliches Ufer zu suchen hat. Dann aber kommt’s daher. Der Thurnhamer hört ein dumpfes Sausen, und das Sausen wird lauter und lauter. Kommt’s aus der Luft oder vom See? Und auf dem See erscheint ein Streifen; dünn und weiß kommt er geflogen und wird breiter und breiter. Und das Sausen wird zum Heulen und kommt auch näher, und ehe [247] der Thurnhamer sich’s versieht, faßt ihn etwas und drückt ihn an die Schiffswand. Das ist aber nichts anderes als der heulende Sturm. Und im selben Augenblicke ist auch der weiße Streifen da; das ist eine Mauer von Wasser, die der Sturm vor sich hergepeitscht hat und die sich jetzt heranwälzt, Schiff und Mann zu verschlingen.

Naß und grausig klatscht es dem Manne ins Gesicht und faßt sein Fahrzeug an. Aber das brave Eichengebäude thut seine Schuldigkeit. Trotzig wendet es den hochgeschnäbelten breiten Bug gegen die anrollende Wassermasse und hebt sich hoch auf dieselbe empor, während der Steuermann sich mit beiden Händen an die Schiftswand klammert, um vom wüthenden Anprall des Sturms nicht herabgeschleudert zu werden.

Nun ist der erste Stoß vorüber. Hochaufathmend ergreift der Bauer das Ruder wieder, um das Schiff zu wenden. Nur seiner Bärenkraft gelingt’s; der Schnabel zeigt wieder nach Osten, und wie ein Vogel fliegt das Schiff vor dem Sturme her. Jetzt aber heben sich von Minute zu Minute die Wogen höher empor; ganze Berge von Wasser wälzen sich daher und auf ihren Kämmen reitet der Blitz. Fast ist das Schiff nicht mehr zu steuern

Der Bauer will an der Seite des Schiffes ein Ruder ins Wasser hängen, um nicht unaufhörlich von den furchtbaren Wassermassen aus dem Kurs geschleudert zu werden. Aber so gewaltig schwankt das Fahrzeug, daß der Mann niederknieen muß, um bei diesem Geschäfte nicht über die Wand geworfen zu werden. Jetzt hat er das Ruder festgemacht und will sich wieder erheben.

Da aber packt ihn ein kaltes Grausen mit eiserner Faust. Dem Sturme hat er mit Löwenmuth getrotzt; aber jetzt ist ’was anderes da, das an seinen mächtigen Nerven rüttelt.

Der Thurnhamer ist nicht mehr allein.

Wie er sich erheben will, sieht er auf dem Gransen, der eben fast lothrecht über ihm auf eine Woge steigt, eine dunkle Gestalt sitzen. Da erhebt er sich nicht mehr. Mit schlotternden Gliedern, mit stieren Augen, die Hände krampfhaft an die Schiffswände gepreßt, liegt der Bauer da und schaut nach dem unheimlichen Fahrgast. Der nächste Blitzstrahl zeigt ihm denselben deutlich. Er sitzt auf der Bank nächst dem Gransen, trägt einen hohen spitzigen Hut, auf welchem eine Hahnenfeder weht, und hat ein schwarzes Gesicht mit einem langen schwarzen Spitzbarte.

„Jesus, Maria und Joseph!“ murmelt der Bauer. Dann sagt er nichts mehr, er neigt den Kopf zur Seite, um sein grausiges Gegenüber nicht zu sehen, und verharrt in dieser Stellung.

Das währt so etwa eine Stunde lang. Mittlerweile hat der rasende Sturm das hilflose Fahrzeug rasch durch den Weitsee getrieben. Die gewaltigen Wellen haben es in der letzten Viertelstunde völlig gefüllt, sie schlagen darüber hinweg. Und nun hört der Bauer die Brandung am Ufer donnern. Hochauf wird sein Schiff geschleudert; es macht ein paar schwerfällige Bewegungen, als wenn es sich überkugeln wollte. Dann sinkt es wieder in ein tiefes Wellenthal. Weißer Schaum überfliegt das ganze Fahrzeug; noch einmal hebt sich’s zu schwindelnder Höhe und stürzt wieder in die Tiefe, diesmal aber zerkracht das alte Eichengebäude auf einem Stein, und ein furchtbarer Stoß wirft den Bauer in den kochenden, brodelnden See. Er sieht dunklen Fichtenwald über sich, fühlt festen Boden unter sich und watet, von der Brandung ein paarmal niedergeworfen, zuletzt kriechend, an den Strand, wo er zusammenbricht. Im Leuchten der Blitze sieht er noch einmal den Gransen seines Schiffes und auf ihm reitend den Fahrgast mit dem spitzigen Hut.

Der Bauer wird für ein paar Minuten völlig besinnungslos; See und Wald, Blitz und Wellen, Schiff und Spitzhut drehen sich um ihn. Wie er sich mühsam aufgerafft hat, ist das Schiff noch da, der Fahrgast verschwunden. Der Thurnhamer schlägt ein Kreuz und steigt hastig aufwärts in den brausenden Wald. Eine Viertelstunde später bellt der treue Hund am Thurnhamer Hofe, aus der Stube kommt das blonde Nannei mit der Stalllaterne und schreit: „Jesus, Maria! Der Vater!“

„Nannei, sei stad!“ sagt der Bauer mühsam. „Ich bin grad a bissel naß!“

Das war des Thurnhamers letzte Heimfahrt. Am andern Morgen schritt der Bauer stramm und frisch, wenn auch nicht so wie sonst, aufs Feld hinaus. Seine Buben aber gingen an den Strand hinab, das Scheef zu bergen. Wie sie mittags heimkamen, sagte der ältere, der Hies: „Vater, ’s Scheef is ganz hin. A Loch is drin, daß ma durchischlupf’n kann!“

Der kleinere aber, der Toni, brachte ein Glas. „Vater, schau’, was wir in dem Scheef g’fund’n ham!“

Der Bauer schüttelte sich. Der Toni aber zeigte ihm das Glas. Es war mit einem grünlichen Oel zur Hälfte gefüllt und in diesem Oel schwammen schwarze Gegenstände, welche aussahen wie abgerissene Gliedmaßen winziger Teufel.

Ein Schaudern rann dem Bauern über den Rücken hinab. „Thu’s weg!“ sagte er. „Dös g’hört nit mei!“

Der Toni stellte das Glas ins Stallfenster. Abends aber kam das Nannei, legte das Glas in ihre Schürze und machte ein Kreuz darüber. Dann ging sie vom Hofe weg, etwa einen Büchsenschuß weit, wo am Sträßchen eine kleine Feldkapelle stand. Dort hob sie einen Stein der Schwelle auf, grub ein Loch in den Erdboden, legte das Glas hinein und den Stein wieder darüber. Dann sprengte sie noch ein paar Tropfen Weihwasser auf den Stein und ging befriedigt heimwärts.

„Hast’s fort?“ frug der Bauer, als er sie kommen sah.

„Ja!“ sagte das Nannei und ging in den Stall.

Der Thurnhamer baute kein neues Schiff mehr; er ging überhaupt nimmer auf den See, sondern fuhr mit einem nudeldicken Schimmel per Achse ins Wirthshaus, starb auch bald darauf einen friedlichen Tod auf der Ofenbank. Er starb ohne Gewissensangst. Denn als er seinem Pfarrer gebeichtet hatte, daß er einmal mit dem Teufel über den Weitsee gefahren sei, tröstete ihn der Pfarrer und versprach ihm, daß bei der Fahrt, die er nunmehr anzutreten habe, kein Teufel mehr auf dem Gransen sitzen werde, sondern ein Engel mit goldenen Flügeln.

Fünf Jahre waren etwa seit jener grausigen Fahrt verstrichen, da traten eines schönen Tags in die Stube des Inselwirthshauses die Kinder vom Thurnhamer Hofe, das Nannei und ihr Bruder, der Toni. Um den Ofentisch saßen drei wüste fahrende Gesellen. Zwei waren aus der Umgebung, der Steindlsepp und der Gederer Muckl, beides richtige Lumpen. Bei ihnen saß aber noch einer, einäugig, groß und dürr, mit dunkelbraunem Gesicht und langem Spitzbart. Er trug einen hohen, spitzigen Hut mit einer zerzausten Hahnenfeder, und hinter sich hatte er einen rothen Kasten stehen. Das war der Schwazer Hans, ein tiroler Hausirer, der mit Sympathiemitteln, Reliquien, Schildkröten, Wundpflastern, Amuletten und ähnlichen Sachen einen räthselhaften Handel trieb. Vor sich hatte dieser unheimliche Mensch ein Gläschen Schnaps stehen und daneben ein Glas, genau so wie dasjenige gewesen war, das man einst im Wrack des Thurnhamerschiffes gefunden hatte. Um dieses Glas drehte sich das Gespräch der drei Halunken; denn der Schwazer Hans [250] erklärte just seinen Kneipkumpanen, das Oel im Glase sei Skorpionöl, und das sei das beste Heilmittel wider Brand und Gicht, wider zehrendes Fieber und fallende Sucht.

„Laß mi aus mit Deine Skorpion!“ sagte der Gederer Muckl. „Spinnenhaxen san’s und Heuschreckenköpf’!“

Drüben am andern Tisch rückte das Nannei näher zu ihrem Bruder hin.

Der Schwazer Hans fuhr fort, mit seinem Storpionöl groß zu thun. Aber wie horchten die Thurnhamerleute auf, als er jetzt zu erzählen anfing, daß er vor fünf Jahren auch auf der Insel gewesen sei und sich nachts statt ins Bett in ein Schiff zum Schlafen niedergelegt habe! Und wie er aufgewacht sei, da sei er mitten im See gewesen, und die Wellen wären dahergekommen so hoch wie der Solstein und die Martinswand. Und zuletzt sei das Schiff in tausend Trümmer gebrochen und er sei auf seinem rothen Kasten ans Land geritten und habe nichts verloren, als sein Glas mit Skorpionöl. Das sei aber so fein und kräftig gewesen, daß er’s für tauend Gulden nicht habe verkaufen wollen.

So schwatzte der Tiroler, schnitt gräuliche Grimassen und schielte mit seinem einzigen Auge beständig noch dem Nannei hinüber. Als der Toni und das Nannei sich erhoben, zog der Schwazer Hans eine schwarze Schildkröte aus dem Janker und hielt sie dem Mädchen entgegen.

„Laß mi aus mit Deine Gankerln[2]!“ zürnte das Nannei und sprang aus der Thür: Lautes Gelächter scholl ihr nach.

Als aber die Geschwister um den See herum heimfuhren, sagte der Toni: „Du, Nannei! Mir ist’s doch lieb, daß unser Vater nicht mit dem Teufel über den See gefahren ist, sondern nur mit dem tiroler Haderlumper!“

„Weißt’s gewiß, daß er bloß ein Haderlumper is?“ fragte das Nannei ernsthaft dagegen.

Dem Toni kam ein leiser Zweifel an seiner aufgeklärten Weltanschauung. „Nix Gewisses weiß ma freili nit!“ sagte er.

Und in tiefen Gedanken fuhren die Geschwister weiter, dem Thurnhamer Hofe zu, der im hellen Sonnenschein vom fernen Waldsaum herüberglänzte.



  1. Schiffsschnabel.
  2. Bayerischer Dialektausdruck für Teufelchen.