Textdaten
<<< >>>
Autor: Franz Schlegel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Thierbudiker
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 34–36
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[34]
Thierbudiker.


Von Franz Schlegel, Director des Zoologischen Gartens in Breslau.


Neben fliegenden Buchhändlern haben wir auch fliegende Zoologen. Wir meinen nicht Roßmäßler und Vogt mit ihren Wandervorlesungen, vielmehr die Schausteller zoologischer Merkwürdigkeiten und deren Helfershelfer. Von den Budikern, welche auf Vogelschießen, Messen, Jahrmärkten hier einen Seehund, und weil das gar zu gemein klingt, natürlich als Seejungfer oder Seebär, Seewolf oder Seelöwen, dort einen Dachs als amerikanisches Stinkthier, einen Schäferhund als Wolf präsentiren, weiße Mäuse oder Rattenalbinos, Murmelthiere, dressirte Flöhe, gelehrte Hunde oder abgerichtete Canarienvögel zur Schau stellen – über diese Kleinkrämer hinweg lassen Sie uns zu den Engroisten der Gilde übergehen.

Wer kennt nicht die Firmen van Aken, Martin, Kreutzberg, Renz, Batty, die sich theils durch kostbare Thiersammlungen, theils durch ihre Vertraulichkeit mit wilden Bestien einen Namen gemacht. Sie Alle, ausnahmslos, und mögen sie die ausgezeichnetsten Schausteller heißen, verschmähen nicht, zu „klappern“ – Klappern gehört zum Handwerk –, ja scheuen selbst vor Täuschungen des Publicums nicht ganz und gar zurück. Wagen sie auch nicht, wie das ehelängst hier zu Lande geschehen, ein gemeines Maskenschwein hochtrabend als Zwerghippopotamus oder als Rhinocerosschwein auszuposaunen: in der Regel wird doch der Gänsegeier zum Lämmergeier, und mit allerlei reizenden Titulaturen für seine Thiere ist man keineswegs karg. Klappern gehört zum Handwerk, und es steht diese Maxime nicht nur bei Menageristen in hohem Ansehen, sie wird eigentlich bewußt oder unbewußt überall befolgt. Für Schaustellungen wenigstens ist sie das unerläßliche Aushängeschild. Die Amerikaner nennen das „Humbug“. Es hat sich damit ein etwas verächtlicher Begriff verbunden; aber die Welt will betrogen sein und obendrein ist es ganz besonders lustig, die Dummen, „die nicht alle werden“, zu foppen, und gewiß nicht ganz ohne Verdienst, sie zu witzigen.

Doch bleiben wir bei unseren Thierbudikern.

Menageristen sind unter sehr schwierigen Verhältnissen geschulte und nothgedrungen ganz vortreffliche Praktiker. Man denke nur daran, welche Calamität das Nomadenleben ist, und wie wenig Schutz sie dabei für ihre Thiere vor den Widerlichkeiten des Klimawechsels haben. Was will das sagen, Eisbäre z. B. und Rennthiere auf engen Raum beschränkt in brennender Sonnenhitze einem langweiligen Transport ausgesetzt zu sehen; jedenfalls bedenklicher noch ist es, tropische Thiere vor grimmiger Kälte schützen zu müssen. Gern nehmen unsere heutigen Menagerien ihren Weg den Linien des Eisenbahnnetzes entlang, sonst aber galt es auf Heerstraßen sich fortzuschleppen, und da litten denn die Thiere, abgesehen von der Langwierigkeit, durch Staub und holprige Passage oft ganz erschrecklich. Kolosse, wie Elephanten, mußten ihre Reise natürlich zu Fuß zurücklegen und marschirten zwischen einem überdeckten, mit Pferden bespannten Räderkasten. Wenn es dem Unhold nicht behagte, weiter Fuß bei Fuß zu setzen, und es dem Cornak nicht gelingen wollte, seinem Thiere die Unthunlichkeit, auf offener Landstraße Halt zu machen, beizubringen, dann zogen, wie ich das selbst erlebt, zehn Pferde nicht den Widerspenstigen von der Stelle. Nothgedrungen hielt man eben, bis der Elephant beliebte weiter zu marschiren, was nicht selten erst dann geschah, wenn man dem Indianer tüchtig zugesprochen, und zwar nicht blos mit Worten, sondern am liebsten mit Rum, Cognak oder Arak.

Das Menageriegeschäft galt bis vor wenigen Jahrzehnten als ein sehr einträglicher Erwerbszweig. Immer aber war es nicht ohne Wagniß, weil die Spesen dabei ganz ungeheuer sind. – Zuweilen verfolgt sie Mißgeschick; ein epidemisches Sterben kann eine Menagerie binnen wenigen Tagen ruiniren. Renz geschah es, daß bei der Ueberfahrt von Kopenhagen seine sämmtlichen Thiere über Bord gestürzt werden mußten, um das lecke Schiff vom Untergang zu retten.

Augenblickliche Geldverlegenheiten haben schon ganz respectable Firmen betroffen; glücklicherweise scheitern aber beabsichtigte Pfändungen an der Rathlosigkeit der Gläubiger und der Gerichte, wie Löwen, Tiger, Elephanten und Nashörner aufzubewahren sind. Wenn freilich ein zoologischer Garten am Orte ist, dann versteht sich wohl dieser dazu, die gepfändeten Thiere aufzubewahren. So sah ich einst Batty’s Löwen im Dresdner Thiergarten fast einen ganzen Sommer lang als Bürgen für die Schulden ihres Herrn haften.

In Hafenstädten zumal findet man stets Firmen, welche ausgedehnten Handel mit lebenden Thieren treiben. Die bekanntesten Grossisten der Gilde sind die beiden Deutschen Hagenbeck in Hamburg und Jamrach in London. Beide sind Inhaber stehender Menagerien, deren Hauptzweck aber nicht die Schaustellung, sondern der Handel ist. Hier werden in der Regel wenig Umstände mit den Thieren gemacht, ungleich weniger, als wir in zoologischen Gärten zu machen pflegen. Zeit ist Geld, sagt der Handelsherr und auf ein gegenseitiges Verständniß wird bei der zumeist kurzen Dauer des Verkehrs ohnehin nicht gerechnet. Einem Nichtwollen antwortet der Besitzer mit dem unerbittlichen Muß, und dem einfachen Commando wird die Wasserspritze oder je nachdem die eiserne Brechstange Nachdruck zu verleihen wissen. Die Zufuhr überseeischer Thiere ist noch keineswegs so geregelt, als man dem europäischen Bedarf nach erwarten und wünschen möchte. Die Bezugsquellen sind oft genug rein zufällige. Seeleute wie Passagiere führen nicht selten einzelne Thiere zur Kürzung der Langeweile während einer eintönigen Fahrt mit, schlagen dieselben bei der Landung gegen ortsübliche Münze los und so trifft es sich zuweilen, daß bedeutende Kostbarkeiten zu Spottpreisen eingehandelt werden. Kleinere Thiere, zumal Vögel, vor Allem aber Papageien, sowie das Heer der kleinen afrikanischen Finken, die sogenannten Schmuckvögel werden bekanntlich zu Hunderten und Tausenden auf Speculation verschifft und in Europa zu Markt gebracht. Transporte von größeren Thieren aber belieben Capitaine selten und dann höchstens nur die einzelner weniger Individuen und womöglich in besonderem Auftrag. Handelt es sich gar um Thiere, welche nicht am überseeischen Landungsplatze sich darbieten, sondern, wie fast alle größere Thiere, tief aus dem Lande her beschafft werden müssen, so kann, wenn nicht besonderer Zufall im Spiele ist, auf deren gelegentliche Zufuhr nicht gerechnet werden. Diese Aufgabe fällt einer besonderen Kaste zu, den eigentlichen Voyageurs des Geschäfts. Wenige nur wagen Gut und Blut an diesen Erwerbszweig und noch wenigere mögen dazu berufen sein. Keiner von Allen aber hat soviel gewagt und soviel gewonnen, als der meinen Lesern aus der Gartenlaube bekannte Casanova.

Durch Gründung der zoologischen Gärten sind die Ansprüche des Publicums allerdings gewachsen und mag das Geschäft auch wohl einigermaßen beeinträchtigt worden sein. Lange vorher aber, schon weil die Menagerien sich täglich mehrten und weil der Kreis der in Buden auszustellenden Thiere ein ziemlich beschränkter ist, schien es nicht recht mehr zu genügen, die Bestien einfach anzuschauen. Es galt dem fast gleichmäßig wiederkehrenden Einerlei neuen Reiz zu geben, und damit wurden aus unseren Thierbudikern Thierbändiger. Schon die alten Römer veranstalteten Thierkämpfe in ihrem Circus. Ihren starken Nerven aber war es nicht genug, die Gewandtheit und Kaltblütigkeit der Gladiatoren zu bewundern. Unbedingt Blut mußte dabei fließen, gleichgültig ob das der Thiere oder der Menschen. Wir dagegen dünken uns etwas besser; vorgeblich die Herrschaft des Menschen über die Bestien bewundernd, lassen wir uns von der Furcht kitzeln, den Thierbändiger zerfleischt werden zu sehen.

Die Kunst, wilde Thiere zu zähmen, hat von jeher als besonderes Geheimniß gegolten. Viele verschiedene Ansichten sind darüber laut geworden. Kein Thierbändiger hat aber bislang sein Geheimniß verrathen und zwar nicht darum etwa, weil er zünftig dasselbe bewahren zu müssen geglaubt, sondern darum, weil er instinctiv mehr als selbstbewußt zu jener Praxis gelangt, welche ihm die Herrschaft über die wildesten Thiere sichert und deren Kraft in seiner Sphäre lahm legt und gleichsam bannt. Unzweifelhaft in dem Blicke des Menschen liegt für sie etwas Ueberwältigendes, Ehrfurcht und Unterwürfigkeit Gebietendes, auch ohne daß zugleich die ganze Erscheinung des Thierbändigers so imponirend zu sein braucht. Der seiner Zeit berühmte und uns Allen wenigstens dem Namen nach bekannte Martin, der Vorgänger [35] van Amburg’s ist ein kleiner dicker Mann, aber noch heute in einem Alter von einigen siebenzig Jahren – wie ich mich selbst vor nicht gar langer Zeit davon zu überzeugen Gelegenheit gehabt – so feurigen Wesens und so durchbohrenden Blickes, ganz besonders wenn er von seinen Löwen und Tigern spricht, daß man bei seinen begeisterten und begeisternden Erzählungen sich selbst unter einem gewissen Bann zu fühlen vermeint.

Gemeinhin nimmt man an, daß Thierbändiger selten ihren Bestien nur soweit trauen, auf Momente selbst die Augen von ihnen abzuwenden, und ganz besonders beim Verlassen des Käfigs diese Vorsicht nie gern versäumen. Aber auch das ist nicht zutreffend. Schon manchen Thierbändiger habe ich gesehen, der in seiner bedenklichen Gesellschaft sich ebenso bewegte, als wenn er von seinen trautesten Freunden umgeben wäre. In entscheidenden Momenten freilich und bei wenig erprobten Thieren wird natürlich auch von solcher Waffe Gebrauch gemacht. Ein jedes Thier hat, wie der Mensch, auch seine Laune, seine Sympathien und Antipathien, und diese zu verstehen und zu umgehen, das ist hier wie dort, Menschen wie Thieren gegenüber die schwierige Kunst des Umgangs. Einzelne Ungethüme scheinen allen Künsten ihrer Herren unzugänglich. Damit ist nun nicht gerade gesagt, daß dieselben überhaupt unzähmbar seien. Im Gegentheil, Löwen und Tiger gingen aus der Hand des einen ganz vortrefflichen Thierbändigers in die eines andern über, angeblich als völlig unzähmbar, wurden aber dem neuen Herrn folgsam und werthvolle Schaustücke.

Martin pflegte mit seinen Thieren nicht lange vergebliche Versuche zu machen. Gelang es ihm nicht innerhalb der ersten Wochen, dem Thiere das Verständniß seines Wohlwollens und seiner Ueberlegenheit beizubringen, so gab er die Hoffnung auf. Zuweilen kam es vor, daß er schon am zweiten oder dritten Tage sich in den Käfig eines neuangekommenen Thieres wagte. Auf meine Frage, ob er nicht dabei bisweilen eine Anwandelung von Grauen habe, war die einfache Antwort, daß er nie zu einem Thiere gehen würde, ohne dessen gewiß zu sein, daß die Bestie von der Ueberlegenheit ihres Gebieters durchdrungen sei. Dies möglichst unfehlbar zu beurtheilen, das war eben seine Kunst.

Man denke aber ja nicht, daß menschliche Verstellung, mit der mir unseres Gleichen wohl blenden, hinreichend ist, Thiere zu täuschen. Merkt doch unser Haushund genau, ob eine böse Miene oder ein strenges Wort seines Herrn ernstlich gemeint ist oder nicht. Unfehlbar spürt er den leisesten Schein der Unwahrheit in unserem Gebahren heraus.

Ebenso und noch mehr wittern die urwüchsigen Naturen jener Thiere unter etwa erkünsteltem Muthe die feige Menschenseele durch und, zum Bewußtsein ihrer Ueberlegenheit kommend, werden sie durch ärmlichen Scheinmuth des Gegners nicht in Schranken gehalten werden können. Oberste Bedingung ist also unerschütterliches Selbstvertrauen oder, wie Martin in seiner ihm eigenen Sprache sich ausdrückte: „Der Artikel Furcht ist in meinem Lexikon nicht zu finden!“

Freilich ist man damit noch lange nicht gegen alles Ungefähr gesichert; Ausfälle übler Laune erzeugen auch bei Thieren Blindwüthigkeit, und alsdann kann es höchst bedenklich werden, ihnen zu nahen. Solche Momente waren es, wo selbst anerkannt tüchtige Thierbändiger, wie van Amburg, Charles und Andere zum Opfer fielen.

Auch Martin, wie ich aus seinem eigenen Munde vernommen, sah sich bei einer seiner Schaustellungen in Paris genöthigt, mit seinem Löwen, wie der Kunstausdruck sagt, zu „arbeiten“, obgleich er von bösen Ahnungen erfüllt die Bühne betrat. Sein Kennerblick hatte sofort herausgefunden, daß das Thier heute nicht zum Spielen aufgelegt war. Trotzdem, seiner Ehre und dem zahlreich versammelten Publicum zu Liebe, wagte er es auch heute. Der Zwinger öffnet sich, der Löwe tritt vor, dumpfbrüllend wie so oft schon die beifallklatschenden Pariser entzückend.

Diesmal aber sollte des Thieres Annäherung, sein Niederducken nicht Liebe, nicht Demuth bedeuten; ein mächtiger Satz, der Löwe faßt Martin am Schenkel, trägt ihn triumphirend über die Bühne und läßt ihn am Eisengitter niederfallen. Martin rafft sich auf, rafft seine ganze Kraft, seine ganze Geistesgegenwart zusammen, stürmt, so gut es eben gehen will, auf den in der Ecke lauernden, zu erneuertem Sprunge bereits ausliegenden Löwen los und züchtigt ihn für die Frevelthat. Der Löwe erkennt sein Unrecht und windet sich schweifwedelnd, um Gnade flehend, zu seines Herrn Füßen. Martin’s Genesung schritt nur sehr langsam vorwärts und schon berieth man, das schrecklich verwundete Bein zu amputiren. Das Publicum hatte hinreichende Zeit, sich in allerlei Vermuthungen für und wider zu ergehen. Auch ein wettsüchtiger Engländer fand sich, der tausend Pfund Sterling einsetzte, daß Martin, falls er wieder seinem Thiere sich anvertrauen sollte, über kurz oder lang demselben zum Opfer fallen würde. Glücklich kam Martin nach sechs Monaten soweit, seine Schaustellungen von Neuem zu beginnen, und fortan heftete sich jener Engländer ihm an die Ferse. Tag für Tag saß er zur bestimmten Stunde im Circus auf dem von ihm abonnirten Platze, eifrig mit Lesen von Zeitungen beschäftigt, die er nur dann aus der Hand zu legen pflegte, wenn Martin zu seinem Löwen ging. Und dieser ging zu ihm; denn er glaubte psychologisch richtig, gerade nach jenem Vorfalle, wo er doch schließlich als Sieger das Feld verlassen, auf das Thier um so sicherer zählen zu dürfen.

Erwartungsvoll saß so der Engländer Abend für Abend da – es handelte sich ja um die Ehre, Recht zu haben, und nebenbei um tausend Pfund – mit gekreuzten Armen, kein Auge von dem Schauspiel verwendend. Mehrere Monate lang freute sich Martin der auf sein Leben gestellten Wette. Sie trug nicht wenig dazu bei, seinen Vorstellungen für die große Menge einen ganz besonderen Reiz zu geben. War doch Jeder, so gut wie der wettende Engländer von der Ueberzeugung durchdrungen, daß Martin früher oder später der Bestie zur Beute fallen würde.

Schließlich mochte aber doch der Mann mit dem frommen Wunsche im Herzen unserem Martin ein Gräuel und in manchen Augenblicken etwaiger Widerspenstigkeit seines Löwen wie ein Memento mori vorgekommen sein. Um daher den lästigen Gast loszuwerden, machte ihm der Thierbändiger folgendes Anerbieten. Der Löwe sollte verurtheilt werden zweimal vierundzwanzig Stunden zu hungern. Alsdann hatte Martin zu ihm zu gehen, ihm ein Stück Fleisch zu reichen, dasselbe aber, sobald die hungrige Bestie mit Gier darüber hergefallen sein würde, wieder aus dem Rachen herauszureißen. Der Engländer versprach für den Fall des Gelingens an Martin tausend Pfund zu zahlen und damit von seiner früheren Wette abzustehen. Termin und alles Nähere war verabredet und festgesetzt. Die Vorstellung nahte, die Billets waren schon seit Wochen vergeben und deren Preise aus einer Hand in die andere um das Zehn- und Zwanzigfache gestiegen.

Der Engländer hatte zweimal vierundzwanzig Stunden bei dem Löwen Wache gehalten, um seiner Sache sicher zu sein, daß das Thier auch wirklich die bestimmte Zeit über fasten werde. Martin trat zu dem ausgehungerten Thiere ein und reichte ihm ein Stück Fleisch. Gierig fiel der Löwe über den Fraß her. Triumphirend blickte Martin über die athemlose Versammlung hin und warf dem Engländer, seinem Plagegeist, einen höhnenden Blick zu. Doch das Schwierigste der Aufgabe war noch nicht abgethan. Martin beugt sich zu dem Thiere nieder und auf sein einfaches Commando „à moi!“ (mir her!) läßt der Löwe seine Beute los. Mit dem Fleisch in der Hand, seinen Löwen zur Seite gekauert, der natürlich mit gierigem Blick jeder Bewegung seines Herrn folgt, ruft Martin das ganze anwesende Publicum zum Schiedsrichter auf. Unter stürmischem Applaus wird er als Sieger gefeiert. Jetzt empfängt der Löwe sein Fleisch zurück und Martin verläßt unangefochten den Käfig. Der Held wurde ob dieser Verwegenheit übermäßig gepriesen, strich seine tausend Pfund ein und war seines lästigen Gastes ledig.

Nun aber den Schlüssel zum Räthsel, wie ich ihn aus Martin’s Munde selbst erfahren. Durch ein einfaches Manöver hatte er seinen Löwen dahin gebracht, auf jedesmaliges Commando „à moi!“ die eben empfangene Beute loszulassen. Vier Wochen hintereinander tagtäglich begab sich der Thierbändiger zu seinem Löwen, in jeder Hand ein Stück Fleisch. Das eine schlecht, Haut, Knochen und Sehnen, wurde dem Löwen zuerst gereicht. So wie er sich anschickte, dasselbe zu zerreißen, wurde ihm das andere Stück Fleisch, ein schönes Rippenstück vorgehalten, während Martin das zuerst dargereichte unter stetem Zuruf seines „à moi!“ erfaßte und wegzog. Das Thier, mit dem Tausch zufrieden, hatte sich schließlich gewöhnt, auf des Herrn Wort seine Beute loszulassen, darum weil es recht gut wußte, dabei nicht zu kurz zu kommen.

Nicht rohe Gewalt ist es, womit der Mensch die ihm überlegenen Thiere zwingt, noch sonst ein Geheimmittel. Ganz vor Allem ein auf gegenseitiges Verständniß begründetes gegenseitiges [36] Vertrauen vermag zwischen scheinbar so ungleichen Freunden ein einigermaßen dauerhaftes Bündniß zu vermitteln. Und darum eignen sich geistig beschränkte Thiere, denen solches Verständniß unmöglich ist, wie zum Beispiel der sonst so gemüthlich scheinende Bär, zu solchem Verkehr weniger als die sonst gefürchtetsten Raubthiere, wie Löwen, Tiger und Panther.

Der großen Menge freilich ist mit derlei einfachen Aufschlüssen nicht gedient, weit eher wird sie an Zauberei glauben.

Abgesehen von diesen Kunstproductionen, sind die Menagerien als Vorläufer der zoologischen Gärten von großer Wichtigkeit. Sie waren die ersten Stätten, wo wir unsere Schaulust befriedigen, unsere Studien nach dem Leben machen konnten, und auf die hier gewonnenen Anregungen und Erfahrungen theilweise wenigstens fußen, einen Schritt weiter gehend, die Liebhabereien einzelner Fürsten für Thiergärten. Das wissen die Herren Thierbudiker sehr wohl und betrachten darum zoologische Gärten nur als stehende Menagerien und uns Thiergärtner einfach als Collegen, wenn auch nicht ohne den Hintergedanken, daß wir als Gelehrte außer Stande sind, jemals ihre Höhe zu erreichen. Auch der berühmte Lichtenstein, der Gründer des Berliner zoologischen Gartens, mußte es sich gefallen lassen, von einem Thierbudiker brieflich als „Director von die wilden Biester“ angesprochen zu werden.