Theodor Billroth (1892/18)

Textdaten
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Autor: Ernst von Bergmann
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Titel: Theodor Billroth
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 574–576
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Theodor Billroth.
Nach einer Lithographie von Jos. Bauer im Verlag von V. A. Heck in Wien.

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Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Theodor Billroth.

Von Professor Dr. v. Bergmann

In wenig Wochen werden es fünfundzwanzig Jahre, daß der Preuße Theodor Billroth die Professur der Chirurgie und die Leitung der altberühmten Klinik des Allgemeinen Krankenhauses in der österreichischen Hauptstadt Wien erhielt und in kürzester Zeit sich die Herzen seiner neuen Landsleute gewann, geehrt durch die Gnade und Gunst seines Kaisers und verehrt von Hoch und Niedrig in den Kronländern der Habsburgischen Monarchie.

Christian Albert Theodor Billroth ist als Sohn eines Predigers auf der Insel Rügen am 26. April 1829 geboren und hat in den Jahren 1848 bis 1852 zuerst in Greifswald, dann auf den Universitäten zu Göttingen und Berlin den medizinischen Studien obgelegen. Mit seiner Dissertation über die Ursachen der Störungen in den Lungen nach Durchschneidung beider zehnten Hirnnerven bekundete er sein Geschick sowohl in experimentellen als in mikroskopischen Arbeiten und die Fähigkeit, schwere und wichtige physiologische Probleme klar und sicher anzufassen. Wenig Dissertationen, zumal in lateinischer Sprache geschriebenen, ist es beschieden gewesen, so oft in den Lehrbüchern der Physiologie zitiert zu werden wie dieser Erstlingsarbeit des angehenden Chirurgen.

Was Billroth zum chirurgischen Fache führte, wissen wir nicht; aber in der Zeit, da er seine Studien beendet hatte, war vor allen deutschen Chirurgen Langenbeck in Berlin zur Erkenntniß von der Bedeutung der histologischen Forschungen für die Fortschritte des chirurgischen Wissens und Könnens gekommen. Er zog den Jüngling, welcher in Johannes Müllers und Virchows Schule sich bewährt hatte, an sich und betraute ihn mit der Stellung eines Assistenten an seiner Klinik, eine Stellung, die Billroth sieben lange Jahre eingenommen hat. Es waren in erster Stelle Beiträge zur pathologischen Histologie, über die Entwicklung der Blutgefäße, über den Bau der Schleimpolypen u. s. w., die den Assistenten beschäftigten und zu deren mühsamer, zeitraubender Bearbeitung er die Ruhe der Nacht und jede freie Stunde opfern mußte.

Es sind nicht selten damals, wie er selbst erzählt, vier bis sechs Wochen vergangen, ehe er aus dem schlecht gebauten, in einer engen Straße an der stagnierenden Spree gelegenen Spital der damaligen Berliner chirurgischen Klinik hinauskam und dann auch nur, um eine Viertelstunde lang im Thiergarten spazieren zu gehen. In der That, wer die zahlreichen Arbeiten überblickt, die der junge Forscher in den Jahren 1854 bis 1860 in der Deutschen Klinik, in Müllers Archiv für Anatomie und Physiologie und in Virchows Archiv für pathologische Anatomie, sowie in umfangreichen Monographien erscheinen ließ, kann sich nicht wundern, daß bald die Aufmerksamkeit der medizinischen Welt sich dem neuen Schüler Langenbecks zuwandte und derselbe 1860 auf den Lehrstuhl der Chirurgie in Zürich gerufen wurde.

In zweifacher Hinsicht hat er hier seinen Ruf gerechtfertigt und seinen Ruhm entwickelt.

Zunächst als klinischer Lehrer, der es verstand, in wenig Jahren Zürich zu einem Anziehungs- und Sammelpunkt für diejenigen jungen Aerzte zu machen, die nach beendeten Studien ihrer weiteren Ausbildung durch den Besuch neuer in- und ausländischer Universitäten dienen wollten. Es war, um einen Vergleich Billroths zu wählen, die Wirkung seiner Person wie die des Rattenfängers von Hameln: „Wohin der Student mit Begeisterung geht, da lernt er auch mit Begeisterung.“

Mehr aber noch wirkte Billroth durch die Herausgabe eines Werkes, das in der Art, wie er es geplant und durchgeführt hat, etwas völlig Neues gewesen ist: seine „Allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie in fünfzig Vorlesungen“, die 1863 zuerst erschienen ist und es bis heute auf zwanzig Auflagen gebracht hat. Während man früher unter allgemeiner Chirurgie bloß die Aufzählung der allgemein gebrauchten Instrumente, die Anleitung zu ihrer Gebrauchsweise und die Beschreibung der gewöhnlichsten elementaren Operationen verstand, gab Billroth dem Begriff eine ganz andere Bedeutung und Ausdehnung, ja er schuf gewissermaßen mit dieser seiner Arbeit eine neue chirurgische Disciplin. Den Aufschwung, welchen die pathologische Anatomie allen Zweigen der praktischen Medizin bereit war zu bringen, machte dieses Buch der Chirurgie dienstbar. Indem der Verfasser allemal von klinischen Bedürfnissen in dem konkreten Falle ausgeht, zeigt er am besten, welche anatomischen, physiologischen und histologischen Betrachtungen zum Verständniß des den Praktiker beschäftigenden Prozesses unentbehrlich und nothwendig sind. Die Krankheiten werden nicht nach einem bestimmten System getrennt oder zusammengefaßt, sondern so zu einander in Beziehung gebracht, wie sie sich im kranken Menschen darstellen, und überall wird doch das Verhältniß der einzelnen Krankheit zum Ganzen festgehalten und im Sinne der Alten gelehrt, daß nur die Vereinigung der Medizin und Chirurgie den vollkommenen Arzt bilde und der Arzt, dem die Kenntniß des einen dieser Zweige abgeht, einem Vogel mit einem Flügel gleiche.

Noch eine zweite Arbeit ist aus dieser Züricher Zeit epochemachend geworden, es sind das die „Beobachtungsstudien über Wundfieber und accidentelle Wundkrankheiten“ aus dem Jahre 1862. Sie lieferte zuerst im Gegensatz zu der früheren Auffassung, nach welcher das Wundfieber die Antwort des Organismus auf seine Reizung durch die Verwundung, d. h. die allgemeine Reaktion auf einen lokalisierten Eingriff oder ein örtliches Leiden war, den Beweis, daß weder die Art der verletzten Theile noch die Ausdehnung der Verletzung bestimmend für das Auftreten des Fiebers und maßgebend für seine Höhe sind.

Damit war die Brücke geschlagen zu der modernen Auffassung des Wundfiebers, als hervorgerufen und bedingt nicht durch den Akt der Verwundung als solchen, sondern durch Schädlichkeiten, die nachträglich von außen in die Wunde [fallen] und dringen. Die erste Forschung nach diesen spezifischen Schädlichkeiten gehörte wieder Billroth, als er in einer späteren Arbeit den Versuch machte, die Fieberursache und den Zusammenhang dieser Ursache mit den Fiebererscheinungen in Erfahrung zu bringen, und dazu in weitester Ausdehnung das Thierexperiment herbeizog. Dadurch hat er die Grundlage zu der schließlich von Lister eröffneten antiseptischen Aera der Chirurgie gelegt. Der Wunsch, den er am Schlusse seiner letzterwähnten Arbeit dem Leser gegenüber ausdrückt, sie mochte lebensfähig und keimfähig sich erweisen, ist so aufs reichste in Erfüllung gegangen. Er selbst hat an einem anderen Orte und für eine ganz andere seiner Schöpfungen Geibels Gedicht von dem alten Förster zitiert, der bei den Reisern, die er pflanzt, der Kronen gedenkt, zu denen sie einst, den Wald entlang rauschend, erwachsen werden. Zu solchen Kronen sind Billroths fleißige und emsige Temperaturmessungen an den Verwundeten jetzt schon längst herangewachsen, denn 25 Jahre sind es, seit er 1867 Zürich verließ, um den so viel größeren Wirkungskreis in Wien zu gewinnen.

Billroths Wirken, Billroths Leben in Wien ist in einem Sinne sicher ein köstliches gewesen, indem es Mühe und Arbeit nicht bloß auf dem wissenschaftlichen und praktischen Gebiet der Chirurgie war, sondern nach verschiedenen Richtungen über dasselbe in gleich energischem Fleiße und unermüdlicher Sorge hinausgriff.

Das Riesenmaterial seiner Klinik hat er in einer großen Zahl von klinischen Berichten und Sammelforschungen dadurch vorzugsweise in den Dienst der Wissenschaft zu stellen gesucht, daß er die Einzelbeobachtungen buchte, ordnete und zusammentrug, um sie statistisch verwerthen zu können. Indem er eine strenge und wahrhafte Kritik an diese Zusammenstellungen legte und alle seine Erfahrungen, ohne Rücksicht auf den Erfolg, mittheilte, suchte er nicht bloß die augenblicklichen, sondern auch die schließlichen und bleibenden Resultate seiner Operationen so wahr als klar zu ermitteln.

Deswegen schreibt er in der Einleitung zu einem der ersten seiner klinischen Berichte:

„Die Wege, sich über die eigenen Erfahrungen klar zu werden, sind nicht schwer zu finden. Von jedem Kranken muß mit pedantischer Strenge eine Krankengeschichte geführt werden. Diese Journale müssen in systematischer Ordnung bewahrt werden. Sollen nach Abfluß eines oder mehrerer Jahre die [575] erworbenen Erfahrungen zusammengestellt werden, so müssen über alle Kranke, welche nicht völlig geheilt das Hospital verließen (und die Zahl dieser Individuen ist in jedem Spital sehr groß) Nachrichten eingezogen werden, wie der schließliche Verlauf der Krankheit war, ob die betreffenden Individuen geheilt sind, vollkommen oder mit Zurückbleiben von Funktionsstörungen, ob und woran sie gestorben sind, wie lange der Verlauf der ganzen Krankheit dauerte u. s. w. Kann man das schließliche Resultat z. B. der Behandlung einer chronischen Hüftgelenksentzündung nicht angeben, so bleiben die errungenen Erfahrungen trotz der genauesten Krankengeschichte, sehr unvollkommen, ja ebenso lückenhaft, als wenn man darüber nur in Büchern gelesen hätte.“

Von diesen Grundsätzen getragen sind Billroths ausführliche Berichte, die unter dem Titel „Gesammtbericht über die chirurgischen Kliniken in Zürich und Wien 1860 bis 1876“ erschienen, sowie die auf seine Anregung entstandene ausführliche und wichtige Schrift seines Schülers Winiwarter, jetzt Professor der Chirurgie in Lüttich, über die Statistik der Krebse.

Was Billroths Schule in Wien aber besonders gekennzeichnet hat, das sind die vielen und großen neuen Operationen, an die sich der Meister zuerst gewagt hat, so die Fortnahme des erkrankten Kehlkopfs, das Ausschneiden (Resektion) von erkrankten Stücken des Magens, die Ausschließung des kranken Magens von dem Geschäfte der Verdauung durch die Einnähung unterhalb gelegener Darmabschnitte in den Magen, die sogenannten Gastroenterostomien.

Auf dem internationalen Aerztekongreß in Berlin berichtete Billroth selbst über die Ergebnisse von 124 vom November 1878 bis Juni 1890 in seiner Klinik und Privatpraxis ausgeführten Resektionen am Magen und Darmkanal, Gastroenterostomien und Narbenlösungen wegen chronischer Krankheitsprozesse. Er schloß mit den Worten:

„Die Schwierigkeit einer frühen Diagnose und die Gefahr des operativen Eingriffs werden keine unheilbaren Gebrechen unserer Kunst bleiben. Ich zweifle nicht daran, daß bei fortgesetztem eifrigen Studium eine frühere Präcisierung der Diagnose möglich werden wird und daß wir die Gefahren dieser Operationen durch Vervollkommnung der Methoden und der Technik noch um ein Bedeutendes zu verringern imstande sein werden. Wenn wir dennoch vielleicht nicht so schnell, als wir wünschen, zur höchsten Höhe unserer Bestrebungen gelangen, so rufe ich Ihnen allen den Wahlspruch meines großen Meisters Bernhard von Langenbeck zu: ‚Nunquam retrorsum!‘“[1]

Keiner der Chirurgen unserer Zeit, nicht bloß der deutschen, sondern auch der englischen und französischen, ist so sehr wie Billroth Mittelpunkt einer chirurgischen Gelehrtenschule geworden. Zwei seiner ausgezeichnetsten Schüler bekleiden im Deutschen Reich das Amt eines ordentlichen Professors der Chirurgie und Direktors einer chirurgischen Klinik: Geheimer Hofrath Czerny in Heidelberg und Geheimer Medizinalrath Mikulicz in Breslau, ebensoviele lehren in gleicher Stelluttg in Oesterreich, Professor Gussenbauer in Prag und Professor Wölfler in Graz, in Belgien wirkt an der Universität Lüttich Winiwarter, in Serbien Giorgewicz, ganz abgesehen von den Wiener Docenten und Primärärzten, wie von Hacker, Gersuny, Steiner, von Eiselsberg u. a.

Nicht die Staatsinstitutionen, und seien sie für die Erzielung eines tüchtigen Nachwuchses akademischer Lehrer auch die besten, schaffen eine Gelehrtenschule, sondern die bedeutenden Männer bilden sie. Sache des Staates ist es daher, diese zu finden, wie Oesterreich für die medizinische Fakultät Wiens das in hervorragender Weise verstanden hat, indem es seine Van Swieten, Brücke, Brambilla, Billroth aus aller Herren Ländern zu gewinnen trachtete.

Welchen Eigenschaften Billroth seinen hervorragenden Einfluß auf die Jugend verdankt, ist nicht schwer zu sagen. Er gehört zu denjenigen Naturen, die alles, was an sie tritt, und jedes Neue, was ihnen ihre Wissenschaft bringt, sich schnell und ganz zu eigen machen, um es in besonderer und durchaus individueller Weise sofort weiter zu verarbeiten, auszubilden und zu entwickeln.

„Die besten Gedanken“, schreibt er einmal, „finde ich bei anderen Schriftstellern immer zwischen den Zeilen; was ich lese, interessiert mich fast nur deshalb, weil der Stoff selbst oder die Art, wie er behandelt ist, in mir neue Gedanken hervorbringt.“ So produziert er ohne weiteres aus dem, was er eben recipiert hat, und das schafft die Frische in der Lehre, die den Sechziger noch jugendlich erscheinen läßt in der Begeisterung für seine Lehrthätigkeit. Wenn er vorträgt, oder wenn er diskutiert, ist er voll Geist und Leben, und seine innerliche Erregung überträgt sich dann auf den Hörer und Schüler, befruchtet, erhebt und begeistert auch ihn.

Wer seine Schüler von Stufe zu Stufe, immer höher und zu immer größerer Vollkommenheit zu führen vermag, muß in schöpferischer Kraft ihnen vorangehen – er muß, wie Billroth, nicht nur das gesammte Wissen seines Faches beherrschen, sondern auch ein Meister im Können und Erfinden sein. Daß er das war und ist, bezeugt die Schule, die er geschaffen hat. Wie er es verstanden hat in seinen Vorlesungen sich in die Denkungsart und den jeweiligen Stand der Kenntnisse und des Wissens seiner Zuhörer zu versetzen, um, an das ihnen Bekannte anknüpfend, ihren Gedankenkreis zu erweitern, so ist auch von ihm auf seine Schüler die Art des Denkens, Empfindens, Handelns unmerklich, aber bleibend übergegangen.

Das Verhältniß zu seinen Schülern charakterisieren am bestem die Ansprachen, welche an seinem sechzigsten Geburtstag ihm zwei der bedeutendsten derselben, Gussenbauer und Czerny, widmeten.

„Sie haben“, heißt es dort, „in uns wissenschaftliches Denken, welches die Naturobjekte nur um ihrer selbst willen, ohne Rücksicht auf praktische Tendenzen betrachtet, geweckt und durch musterhaftes Beispiel gefördert. Streng in der Selbstkritik, haben Sie mit freundlichem Wohlwollen auch unsere schüchternsten Versuche, am großen Werke der modernen Chirurgie mitzuarbeiten, begleitet, rathend und mithelfend ergänzt, wo enger Blick und geringe Erfahrung nicht ausreichten, um durch Kleines das große Ganze zu bereichern. Sie haben uns Einblick gewährt, wenn Sie nach unermüdlichem Studium Ihre erstem Komzeptionen, dem erleuchteten Künstler gleich, in lebendigem Worte oder in unvergänglicher Schrift für die Wissenschaft formvollendet gestalteten. So haben Sie uns sehend und wissend gemacht, bevor Sie uns herangezogen zum schweren Beruf des praktischen Chirurgen.“

Ein Meister von Meistern, ein schöpferischer Forscher und ein außerordentlich produktiver Schriftsteller – so steht Billroth während der fünfundzwanzig Jahre seiner Wiener Lehrthätigkeit da. In den weitesten Kreisen der Gebildeten verbreitet sind namentlich zwei seiner Schriften, seine „Chirurgischen Briefe aus den Feldlazarethen in Weißenburg und Mannheim 1870“ und sein „Lehren und Lernen der medizinischen Wissenschaften an den Universitäten der deutschen Nation“ – eine kulturgeschichtliche Studie. Seine leichte, fließende und überaus anregende Art zu schreiben leuchtet aus ihnen auf jeder Seite hervor – ebenso wie die jugendliche Lebhaftigkeit im Empfinden und Denken des Verfassers. In die ideale hehre Stimmung der Julitage des unvergeßlichen Jahres 1870 wird jeder, der so glücklich gewesen ist, sie mitzufühlen, versetzt, so oft er die Vorrede zu den Briefen aufschlägt, die Billroth „bei dem Lichte jener Flammen mit blutiger Hand auf den Schlachtfeldern schrieb“ – als es ihn nicht länger in Wien duldete, sondern er fort bis in die vordersten Reihen derer eilte, die zur Wacht am Rhein in dessen Pfalz sich gesammelt hatten. Die den Eindrücken unmittelbar folgende Schilderung wird das Buch als einen werthvollen Beitrag zur Geschichte des großen deutschen Krieges Kind und Kindeskindern erhalten.

In einer ganz anderen Richtung werthvoll für jeden, welcher deutsche Universitätsverhältnisse beurtheilem und für die Förderung des medizinischen Unterrichts und der medizinischen Institute an ihnen thätig sein will, ist das zweite der oben erwähnten Bücher: über das Lehren und Lernen der medizinischen Wissenschaften. Hier ist zum ersten Male in großer Vollständigkeit an die Geschichte der Entwicklung unserer medizinischen Fakultäten die Darstellung der jetzigen deutschen Methoden des Lehrens geschlossen worden. Vorbildung, Prüfung und Lernfreiheit des Stndierenden sind ebenso kritisch dargestellt, wie die Zusammensetzung, Ergänzung und Lehrfreiheit der Professorenkollegien besprochen sind – zunächst an den Universitäten mit deutscher Zunge, dann aber auch, des Vergleiches wegen, in den [576] ausländischen Fachschulen. Wer das Werk durchblättert, wird auf jeder Seite der Originalität des Verfassers begegnen – zumal in den Kapiteln, welche von der Sorge für einen tüchtigen, akademischen Nachwuchs handeln. „Ja, immer gleich begabte, gleich erfolgreich wirkende Kinder zu erzeugen, dazu hat die Physiologie die Mittel und Wege noch nicht gezeigt, ebensowenig, wie die hervorragendsten Pädagogen bedeutende Menschen nach bestimmten Plänen heranzuziehen vermögen.“

Wenn man als Kriterium für einen akademischen Lehrer seine universelle Bildung, seinen Geist und Witz ansieht, so können wir mit Billroth von Billroth schreiben: „Beschäftigen wir uns mit den starken Magneten, denen alles von nah und fern zufliegt, so darf man behaupten, daß die großen Naturforscher und Aerzte immer etwas Schwärmerisches, Phantastisches, zum Universellen Hindrängendes, daß sie meist auch einen Hang zum Künstlerischen hatten, oft nicht selten zugleich Dichter, Maler, Musiker waren, und daß sie in ihrer ganzen Erscheinung, so verschieden sie auch sein mochten, für die Jugend etwas unüberwindlich Anziehendes, Priesterliches, Dämonisches hatten.“

Billroth ist ein begeisterter Jünger der edlen Musica. Brahms rechnet er zu seinen besten Freunden, und in seinen Salons in der Residenzstadt, sowie seinem herrlichen Landhaus am Wolfgangsee weilen gern und oft die hervorragendsten Meister in dem Reiche der Töne.

„In dem kunstsinnigen Wien,“ schreibt Czerny, „ist der Norddeutsche Billroth eine der populärsten Persönlichkeiten geworden durch den Reiz seines genialen, für alles Edle begeisterten Wesens, durch die liebevolle Sorgfalt, welche er seinen Klienten, gleichgültig ob Hoch oder Niedrig, widmet, und durch die patriotische Hingebung, welche er stets seiner neuen Heimath [be]wiesen hat.“

Was Billroth bekannte, als er mit dem heißesten nationalen Empfinden in den Krieg von 1870 zog, daß niemals das Sakrament der Humanität in ärztlicher Pflicht dem verwundeten Feinde gegenüber von ihm vergessen werden würde, hat er auch den Tausenden, die seine Schüler gewesen sind, eingeflößt, die lauterste Humanität am Krankenbette. Er hat sie täglich durch mannigfaltiges Beispiel begreifen gelehrt, daß nur der humane Mensch ein guter Arzt sein kann.

Ein schönes Denkmal dieser seiner Bestrebungen für das Wohl und die Pflege der Kranken ist die Stiftung des Rudolfinerhauses in Unterdöbling bei Wien. Dasselbe soll der Ausbildung tüchtig und gründlich in ihrem Fache geschulter Wärterinnen dienen. Die hohe Bedeutung der Krankenpflege kann nicht eingehender und besser geschildert werden, als Billroth das in seinem Buche „Die Krankenpflege im Hause und im Hospital“ gethan hat. Die Nothwendigkeit einer Pflegerinnenschule wird hier in das richtige Licht gestellt und treffend hervorgehoben, daß eine solche in einer großen Stadt mit vorwiegend großen Hospitälern nur zur gedeihlichen Entwicklung kommen kann, wenn sie mit einem eigens dazu bestimmten Krankenhause verbunden ist. Mit seltener Energie und unermüdlichem Eifer hat Billroth ein solches in dem Rudolfinerhause für die Frauen und Mädchen geschaffen, welche die Krankenpflege zu ihrem Lebensberufe gewählt haben. Schon wenige Jahre nach Eröffnung desselben konnte er schreiben: „Die gute Pflege, welche den in der Anstalt aufgenommenen Kranken zu theil wird, ist einer der Umstände, die den Ruf des Rudolfinerhauses in immer weitere Kreise tragen, den Zudrang Hilfesuchender vermehren und so wieder zum Gedeihen der Anstalt beitragen.“

Es hat nicht fehlen können, daß Billroths Leistungen die Bewunderung der Zeitgenossen und eine Häufung von Ehren aller Art ihm erwarben. Sein Kaiser ernannte ihn zum Mitglied des österreichischen Herrenhauses und fast alle Fürsten Europas haben sich bemüht, seine Brust mit Orden zu schmücken.

Wohl uns und ihm, daß er noch mitten in seiner Arbeitskraft und seiner Thätigkeit steht, daß überall dort, wo wissenschaftliche Chirurgie und humane Krankenpflege getrieben wird, der Name Billroth obenan steht, und auf der zweiten Seite wieder Billroth und so fort immer wieder Billroth.

Zu Ende mit seinen Schöpfungen und Strebungen ist er noch lange nicht. Im Augenblicke sucht er den Wiener Aerzten ein Vereinshaus zu gründen und zu bauen. Für ihn „gibt’s ka Ruh’“, wie der Wiener sagt.

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