Er kommt aus dem Zuchthaus!

Textdaten
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Titel: Er kommt aus dem Zuchthaus!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 576
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Forderung nach vermehrten Bemühungen, um entlassene Strafgefangene wieder in die Gesellschaft einzugliedern
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[576] Er kommt aus dem Zuchthaus! Wer weiß es nicht, welch ein fürchterlicher Bann auf dem Haupte dessen lastet, von dem diese Worte gelten?

Gemieden, ausgestoßen, geächtet – losgerissen von Freundschaft und Verwandtschaft – meist mit kargen Mitteln steht er da in der Welt, die auch ihm fremd geworden. Er schaut sich um nach einem Rettungsanker. Er will arbeiten. Aber wer giebt ihm zu arbeiten? Wo sind die wenigen Vorurtheilslosen, die es wagen, mit dem entlassenen Sträfling einen Versuch zu machen? Er geht daran, Umfrage zu halten. „Wo standen Sie zuletzt in Arbeit?“ – die Frage kehrt überall wieder – und ein schamvolles Schweigen ist die beredte Antwort. Achselzuckend bedauert der vorsichtige Arbeitgeber.

Wir brauchen das Bild nicht weiter auszuführen. Genug, daß das Ende meist eben das eine ist – die Rückkehr hinter jene finsteren Kerkermauern, die dem Elenden fast als eine Zuflucht erscheinen müssen; genug, daß selbst aus dem reuigen Verbrecher schließlich ein schlechter Mensch wird, in dem auch das letzte Fünkchen Liebe zum Guten erlischt, um einer rasenden Lust am Bösen das Feld zu räumen.

Das sind die Erscheinungen, welche die „Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene“ ins Leben gerufen haben; ausgehend von der „Philadelphia society for assisting distressed prisoners“, haben sie auch in Europa allenthalben Fuß gefaßt. Ihr Bestreben ist, die Entlassenen vor augenblicklicher Noth zu schützen, dann aber hauptsächlich, ihnen Arbeit, ihnen Gelegenheit zu schaffen, sich in den Augen ihrer Mitmenschen wieder ehrlich zu machen. Selbstverständlich bedarf es dazu großer Mittel, und leider fließen diese bei uns nicht eben reichlich.

Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Schweden, England, Frankreich, namentlich Nordamerika, wo derartigen Vereinen aus öffentlichen Kassen und von Privatleuten freigebige Spenden in steigendem Maße zu theil werden, denkt man in Deutschland noch viel zu wenig daran, welche Bedeutung es für das Gemeinwesen hat, wenn solche verlorenen Elemente der Bevölkerung wiedergewonnen, zu fleißigen nützlichen Gliedern der Gesellschaft werden.

Hier und da, das soll nicht geleugnet werden, sind ja üble Erfahrungen gemacht worden mit Anstellung von Strafentlassenen, ja mancher von ihnen scheint unverbesserlich. Dem gegenüber steht aber die Thatsache, daß unter ihnen nicht wenige sind, denen eine außergewöhnliche Thatkraft innewohnt, und die, nachdem es gelungen ist, sie zu einem geordneten Leben zurückzuführen, durch besondere Tüchtigkeit und persönliche Anhänglichkeit für das ihnen unter erschwerenden Umständen geschenkte Vertrauen zu danken bemüht sind. Sie fühlen offenbar, daß ihnen eines jener echten Liebeswerke widerfahren ist, die sich nach beiden Seiten als Wohlthat erweisen.

Wären nur die Ziele und Erfolge solcher Fürsorgevereine allgemeiner bekannt, so würden gewiß deren noch weit mehr gestiftet sein und die vorhandenen kräftiger unterstützt werden! Fast überall wurzeln aber noch gewisse Vorurtheile, deren Ausrottung dringend noth thut. Gilt es, Arme, Kranke, Gebrechliche, durch Naturereignisse Geschädigte zu unterstützen, so findet sich Mitleid in weiten Kreisen oder es kann doch leicht geweckt werden; Schenkungen, Vermächtnisse fließen reichlich. Wird aber um Hilfe für sittlich Versunkene geworben – welche doch noch viel elender und gefährdeter sind – so stößt man zumeist auf verschlossene Herzen und Hände. Viele meinen, da sei doch schwerlich zu helfen, auf alle Fälle das etwa Nothwendige nur Sache der Behörden. Manche reden sich wohl gar ein, daß sie an Unwürdige Gaben vergeuden, die weit besser auf unschuldig Hilfsbedürftige gewandt würden. Sie wissen nicht, daß jene Gesellschaften moralische Hebung der Gefangenen, Milderung der Noth von Entlassenen und deren Angehörigen sich zum Ziel gesetzt haben – und, wohl zu bemerken, beides keineswegs vergebens.

Nicht die Schärfe des Gesetzes abstumpfen wollen sie, sondern nur möglichst hindern, daß dieses härter treffe, als es in der Absicht der Gesetzgebung und im Interesse des Gemeinwohls liegt.