Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Die lebende Mauer
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Die lebende Mauer.
Der baulustige Thüringer Graf, den sie später den Springer nannten, weil er aus der Haft vom Giebichensteine bei Halle kühnen Muthes entsprungen war, der die Wartburg baute, und Eisenach erneute, gründete auch das Städtchen Freiburg an der Unstrut, und erbaute auf ziemlicher Berghöhe über demselben die Nuwenburg, oder Neuburg, [272] die man auch Numburg geschrieben findet, dieselbe, in deren nächster Nähe der umsteinte Edelacker gelegen ist. Doch mag der Ausbau der Neuburg wol durch ihres Begründers Tod unterbrochen sein, und es scheint, daß auch Sohn und Enkel nicht dazu gelangten, das Haus mit einer Ringmauer gleich andern Burgen zu umgeben. Wahrscheinlich bestand dasselbe Anfangs blos aus dem gewaltigen Thurme, wie er noch immer steht, und über dessen Pforte gar ein absonderliches Steinbild, das manche für einen Götzen gehalten haben, angebracht ist. Da nun der zweite Landgraf, welcher der Eiserne genannt wurde, regierte, der des Kaiser Friedrich des Rothbart Schwager war, so kam einstmals der alte Barbarossa vom nahen Kiphäuser, dessen Warte nachbarlich zur Warte der Numburg herübergrüßte, so daß man sich gegenseitig Zeihen geben konnte, zum Besuch auf die Numburg, um die geliebte Schwester Jutta zu besuchen, verwunderte sich aber baß, als er die Burg ohne Ringmauern fand, und beklagte das, und sprach: Schade, daß sie nicht Mauern hat, sie sollte stark und feste sein. Darauf antwortete der Landgraf: Wenn der Burg sonst nichts mangelt, Mauern kann sie bald haben. Und wie bald? – fragte der Rothbart. In dreien Tagen, sprach Ludwig, der Landgraf. – Mit Teufelshülfe vielleicht, mit Gottes Hülfe wär’s unmöglich! entgegnete der Kaiser. Danach gingen sie zu Tische, der Landgraf entbot aber alsbald durch reitende Eilboten durchs ganze Thüringer Land alle seine Vasallen, daß sie eiligst zu ihm nach Freiburg aufbrechen sollten, im besten Schmuck und Glast der Waffen und Wehren, doch mit nur wenig Wappnern, aber jeder mit seinem Bannerfähnlein und dem Wappenschilde.
Und die Geladenen säumten nicht, denn sie kannten [273] ihren Herrn – der Edelacker hatte bereits seinen Namen. Und am dritten Tage sprach der Landgraf zu seinem Schwager: Mein Kaiser, geliebt es Euch, die Mauer zu beschauen, dieselbe ist fertig. Der Rothbart bekreuzte sich und witterte schon etwas Schwefelgeruch; aber wie er auf den Söller heraustrat, da staunte er, denn da stand keine Mauer von Stein, sondern eine lebende Mauer von Mannen, alle gereihet im Prunk der Harnische und Gewaffen. Wo ein Thurm stehen mußte, stand ein Graf, und vor ihm sein Bannerträger mit wehendem Fähnlein, dazwischen die edeln Herren und Ritter, alle, alle in Hast herbei gekommen auf ihres Herrn Geheiß, und bereit ihn zu schützen und zu schirmen, und mit ihren Leibern ihn zu decken einer Mauer gleich, alle die zahlreichen Grafen und Herren des Thüringer Landes, eine prachtvolle, machtvolle Schaar. Der Kaiser erstaunte und freute sich, und rief gerührt aus: Hab’ Dank, Schwager, daß Du diese Mauer mir gezeigt. Schöner gefügte sah ich all mein Lebetage nicht – Ja, mein Herr und Kaiser, erwiederte der Landgraf. Es sind harte Steine darunter, haben sich aber doch gefügt. Und nannte dem hohen Gaste die Mannen und ihre Banner alle einzeln, die Grafen von Kevernburg, Schwarzburg, Gleichen, Kirchberg, Lobdaburg, Mansfeld, Stolberg, Hohenstein, Orlamünde, Arnsburg, Beichlingen, Gleisberg, Brandenburg und andere, und auch die Herren Vitzthum von Apolda und Eckstätt, die Herren von Blankenhain, Kranichfeld, Heldrungen, Treffurt, Kranichfeld, Salza u. a. ohne den zahlreichen niedern doch reich begüterten Adel, und freute sich selbst seiner Macht und Thüringens herrlicher Blüthe.