Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Zigeuner im Lande Henneberg
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Zigeuner im Lande Henneberg.
Abwärts im Werrathale unterhalb des Nadelöhres liegt das ansehnliche Pfarrkirchdorf Vachdorf, das bereits im Jahre 803 als Fahedorph urkundlich vorkommt; die Sage will, daß Fischer es zuerst angelegt und bevölkert haben, was, da das Dorf unmittelbar am fischreichen Werrafluß gelegen ist, gar wohl Statt gefunden haben mag. Kaiser Heinrich I., der im Jahre 930 in dem nächst auf Vachdorf im Werragrunde folgenden Dorfe Belrieth verweilte, suchte Vachdorf gegen die Hunnen zu schirmen, ließ die Kirche mit starken Mauern umgeben und das ganze Dorf umwallen. Gleichwohl mag der Ort den Hunneneinfällen nicht haben widerstehen können, denn noch heißt ein Brunnen daselbst der Hunnenbrunnen. Die [60] Sage meldet, daß Vachdorf einst von allen seinen Einwohnern völlig entblößt gewesen sei, und führt als Grund davon eine verheerende Pest an. Von solchen Volkspesten sind auch Sagen im Grunde der Jüchse, namentlich von den Dörfern Jüchsen und Neubrunn umgehend. Da nun Vachdorf völlig ausgestorben war, so kamen Ziegeuner in das verödete menschenleere Dorf, und machten sich in selbem seßhaft, vertheilten unter sich Aecker und Güter, und wohnten lange da, ehe nur in der Umgegend jemand daran dachte, daß Vachdorf jetzt eine andere Bevölkerung, als die frühere habe, denn die Nachbardörfer waren ja ebenfalls fast ganz ausgestorben. Man will an den heutigen Vachdorfern immer noch Spuren jener Abstammung wahrnehmen. Die Meininger Stadtchronik führt das erste Auftreten von Zigeunern erst unterm Jahr 1435 an, da deren auf dem Markte tanzten. Aber hundert Jahre vorher durchwüthete der schwarze Tod das Werrathal, und nicht unmöglich ist es, daß ihn die Sage mit jener entvölkernden Pest meint.