Vom Hörseelenberge Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Das wüthende Heer und der treue Eckhart
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[118]
74.
Frau Hulda.

Von Frau Hulda wäre sehr viel zu schreiben. Ihr Wesen verliert sich in das Dunkel der Frühzeit, aus dem sie als eine Gode, Gute, Göttin, niederschwebt, als Erdmutter gleichsam, die anderorts Jertha, Hertha, Nerdus hieß, und wieder Frau Gode, Frau Gaue, Erche, Hercha, Herke, Harke u. s. w. In Thüringen heißt und ist sie die Frau Holde, Hulda, im Voigtland Berchta oder Perchta, in Tirol Perchtl. Selten jungfräulich, meist fraulich gedacht, erscheint sie als Mutter, Mutter zahlloser Kinder, in manchen Ländern als Mutter der Wichtlein, der schwachen Heimchen, der vom Wode verfolgten Moos- und Holzweibel, immer als Schutzgottheit, und so steht auch alles Heim, alles häusliche Leben unter ihrem besondern Schutze, vorzugsweise aber wieder das Frauenleben, wie es in der Urzeit war, die Flachs- und Linnenbereitung, das fleißige spinnen, das weben, daher war sie selbst Spinnerin, sie war die Schöpferin des, später Marienfäden genannten „fliegenden Sommers;“ sie selbst flog und fuhr, letzteres entweder auf einem Wagen oder Räderschiffe auf der Erde, oder frank und frei durch die Lüfte fahrend ohne Wagen und ohne Flügel, eher noch als Schimmelreiterin, gleich [119] dem Wode. Am Rheine fand sich ein Römerdenkstein mir der Aufschrift Dea Hludana. Welche andere Göttin, als unsere Hulda, könnte unter dieser Benennung verstanden sein? Als Spinnefrau und Spinnemutter belohnt Frau Holle nach thüringischem, voigtländischem und schwäbischem Volksglauben fleißige Spinnerinnen, hilft ihnen selbst ihr Gespinnst vollenden, straft aber unbarmherzig faule Mägde, die ihre Rocken nicht vor dem Festabend rein abspinnen, verwirrt und zerzaust ihnen Flachs und Haar. So lebte sie noch im Bewußtsein des deutschen Volkes zur Zeit der schönsten deutschen Kunstblüthe beim Abblühen des Mittelalters, so zeigt sie uns ein bedeutsames Holzschnittbild, als gebeugte Greisin mit einem voll aufgewickelten Spinnrocken, das Haupt von langem Lockenhaar umflattert, einsam im tiefen Walde, in einer Wetternacht, in welcher Flammen vor ihr niederschießen, und sie den Kreis des Sternenhimmels sammt dem Monde auf ihrem Nacken trägt. Um den Rocken sind eine Menge kleine Spindeln gesteckt, und eine derselben hält sie in der rechten Hand.