Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Das wüthende Heer und der treue Eckhart

Frau Hulda Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Königin Reinschwig
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[119]
75.
Das wüthende Heer und der treue Eckhart.

Weitverbreitet ist die Sage vom wüthenden oder besser wütigen Heere und der wütigen oder wilden Jagd. Es knüpft an Wuotan, den altgermanischen Urgott, an, und von ihm entlieh es den Namen, wie nach ihm selbst das noch stets im Schwunge gehende Wort Wuth unverkennbar hindeutet, und von ihm abstammt. Das wüthende [120] Heer ward gedacht als ein Todtenheer, als eine unselige Schaar, bestehend aus den Seelen ungetauft verstorbener Kinder, wie die tirolische Perchtl sie führt, und den Seelen aller Menschen, die eines gewaltsamen Todes gestorben; in letzterer Beziehung ist es Nachhall der frühesten Mythe von der Einheriar-Schaar, der gefallenen Kampfhelden, die mit Odin nach Walhalla ziehen. Nach ursprünglicher Mythe war also das Heer zunächst ein Kriegsheer, ein Heer der Starken, unter männlicher Führung, und ein Seelenheer, ein Heer der Schwachen, unter weiblicher. Spätere Sage verschmolz beide, und wol dann erst trat die dritte Beziehung, die einer Jagd hinzu, als des Heeres letzte Verjüngung. Mit der Jagd war es leicht, den Teufel, den Helljäger, den Seelenjäger, in Verbindung zu bringen, und so wurde das wüthende Heer zugleich ein teuflisches, sein Umzug war Strafe, Buße, analog der Buße im Fegefeuer, dessen Oertlichkeiten auf der Erde selbst man kannte und nannte. Daher wurde auch die Huldenhöhle am Venus- oder Hör-Seelen-Berge von der späteren Sage zur Fegefeuerstätte erkoren. Die Harzsage vom wilden Jäger Hackelnberg, die rheinische vom Wild- und Rheingrafen, welche Bürger poetisch behandelte und alle übrigen, welche die Jäger nennen, sind lauter spätere Verjüngungen. Von dem Heerzuge in Thüringen erzählt M. Johann Agricola in seinen Deutschen Sprichwörtern wörtlich:

„Ich habe neben anderen gehört von dem würdigen Herrn Johann Fremderer, Pfarrherr zu Mansfeld, seines Alters über achtzig Jahr, daß zu Eisleben und im ganzen Land zu Mansfeld das wütend Heere (also haben sie es genennet) fürüber gezogen sei, alle Jahr auf den Fasnacht [121] Donnerstag, und die Leut sind zugelaufen und haben darauf gewartet, nit anders als sollt’ ein großer mächtiger Kaiser oder König fürüber ziehen. Vor dem Haufen ist ein alter Mann hergegangen, mit einem weißen Stabe, der hat sich selbs den treuen Eckhart geheissen. Dieser alter Mann hat die Leute heissen aus dem Wege weichen, hat auch etliche Leute heissen gar heim gehen, sie würden sonst Schaden nehmen. Nach diesem Mann haben etliche geritten, etliche gegangen, und sind Leute gesehen worden, die neulich an den Orten gestorben waren, auch der eins Theils noch lebten. Einer hat geritten auf einem Pferde mit zweien Füßen. Der ander ist auf einem Rade gebunden gelegen und das Rad ist von ihm selbst umgelaufen. Der dritte hat einen Schenkel über die Achsel genommen, und hat gleich sehr gelaufen, ein ander hat keinen Kopf gehabt, und der Stück’ ohn’ Maßen.“

In dieser Mittheilung erwähnt Agricola der Zugführerin mit keinem Worte, aber indem er hinzufügt: „Wir brauchen dieses Worts, wenn jemand einen andern treulich vor Schaden warnet, und wir wollen’s nachrühmen, so sagen wir: Du thust wie der treue Eckhart, der warnet auch jedermann für Schaden,“ deutet er nach jener Hulda- und Eckartsage hin, die oben unter 42 bereits mitgetheilt wurde. An anderen Stellen desselben Buches aber berührt Agricola den Hörseelberg eines Theils als Fegefeuersitz, anderntheils gleichsam auch als Wichtleinwohnsitz, und wieder als Venusberg. Die anzuführenden Stellen lauten: „Im Land zu Düringen nicht fern von Eisenach liegt ein Berg, der Hoselberg genannt (soll Hörseelberg heißen) da der Teufel bei Menschen und meinem Gedenken Fuhrleut mit Wein in einem Gesicht eingeführet hat, und ihnen [122] geweisset hat, wie tief etliche Leut, die noch gelebt, und ich gekennt habe, bereits in der hellischen Flammen gesessen sein. Bei Jena an der Saal und in der Herrschaft Honstein (am Harz) sind große Berge, darin der viel gesehen werden, darin Gezwarge gewohnt haben.“

Jedenfalls ist hinter „darin der“ das Wort Höhlen oder Löcher ausgefallen. Gleich darauf erwähnt der Verfasser der Zwerge als hülfreicher Hausgeister, und es ist eine örtliche Sage vorhanden, daß in einem Dorfe am Hörseelenberge Hütchen gewohnt haben. Einem Bauer half ein solches Hütchen auf das treulichste in seinem Hauswesen, so daß dessen Reichthum sich täglich mehrte. Einst erblickte der Bauer das Hütchen, wie sich’s ämsig mit einem Strohhalme abmühte, denselben zur Bodentreppe hinanzuziehen, und schrie es, über diese nutzlose Arbeit erzürnt an: ei daß Dich, Du fauler Schlingel. Alsobald wurde das Hütchen unsichtbar, sichtbar aber ein großer, langer Sack voll Getreide, daran vier Mann zu heben und zu tragen hatten. Das war der Strohhalm gewesen, den das Hütchen allein zur Treppe hinan zog. Das Hütchen war hinweg, und der Bauer wurde zum Bettler. (D. S. B. 461.) Agricola erwähnt am angeführten Ort, nachdem er ausführlich die alte Sage vom treuen Eckhart als Schirmvogt der Harlunge (D. S. B. 29.) mitgetheilt hat, „wie der Teufel – – allerlei Spiegelfechten und Betrug herfür gebracht hat, als mit dem Venusberge und Hoselberge. Nun haben die Deutschen in demselben Betrug ihres treuen Eckharts nicht vergessen, von dem sie sagen, er sitze vor dem Venusberge und warne alle Leute, sie sollen nicht in den Berg gehen.“