Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Die Jungfrau mit dem Zopf
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Die Jungfrau mit dem Zopf.
Häufig wird an alten öffentlichen Gebäuden in dieser Gegend noch das Wappen der Grafen von Henneberg-Schleusingen erblickt, oft sogar sehr kunstvoll in Stein gearbeitet, über dem der eine Helm als Zier eine wachsende gekrönte Jungfrau trägt, aus deren Krönlein eine mit Pfauenfedern besteckte Säule emporragt. So am Thore zu Veßra, zu Schleusingen, am Brückenthore zu Themar, an der Kapelle auf der Obermaßfelder Brücke, am Schlosse zu Maßfeld etc. Diese Jungfrau ist ohne Arme gebildet, hat aber einen starken Zopf, nicht selten auch 2 Zöpfe. Alte heraldische Fürstenschmeichler haben in Reimen und doch sehr ungereimt in diesem Jungfrauenbilde eine Pallas oder Minerva erblickt, als Zeichen der großen Weisheit des gräflichen und fürstlichen Herrschergeschlechtes, während die Annahme dieser Helmzier in eine sehr späte Zeit fällt. Die Sage vermittelte die Erklärung dieses Helm- und Wappenschmuckes auf eine sehr romantische Weise, und in mannichfaltiger Abwandlung.
Ein junger Graf von Henneberg lernte im heiligen Lande die Tochter eines Königes von Arabien kennen und gewann ihre Liebe, doch mußte er von ihr sich trennen und in seine Heimath zurückkehren. Der Sarazenin aber ließ es nicht Rast noch Ruhe, sie nahm ihre Schätze und ihre Diener und zog mit ihrer ganzen Habe in das Abendland, und erreichte endlich die Grafschaft Henneberg. Wie sie nun durch das obere Werrathal zog, und in die Nähe des Klosters Veßra kam, vernahm sie von den beiden Thürmen der Abtei und von allen umliegenden Orten her [41] ein feierliches Glockengeläute, und vernahm, als sie nach der Ursache desselben fragte, man feiere das Hochzeitfest des Landesherrn. Als die Sarazenin nun weiter forschte, wie dieses Gebieters Name sei, so wurde ihr der Name ihres Geliebten genannt. Da war die arme morgenländische Prinzessin außer sich vor Schmerz, riß ihre schönen Haarzöpfe sich aus, gründete ein Nonnenkloster, nachdem sie Christin geworden war, und nannte es, weil sie nur darin eine Stätte des Trostes zu finden vermochte, Troststatt, verwandte all’ ihr übriges Geld und Gut zu frommen Zwecken, erbaute die Brücken bei Ober- und Untermaßfeld, und lebte gar nicht lange. Den Grafen aber rührte die Liebe der Sarazenin sehr, und er suchte ihr Andenken auf alle Art zu ehren; er nahm ihr Bildniß als Zier auf seinen Helm, führte es so auf Turnieren, ließ es überall abbilden, und ihren Leichnam ließ er in der Abtei Veßra beisetzen, und ihr im oberen Chore der Kirche ein schönes Denkmal, in Form einer Tumba aufrichten; darauf sahe man, einer alten Nachricht zu Folge, ihr steinernes Bildniß mit schwebenden oder zu Feld geschlagenen Haaren auf einem Ruhebette von Säulen getragen. Ueber dem unteren Kleide trug sie einen langen Mantel, von einem schmalen Gürtel zusammengehalten, hatte vorn unter dem Halse ein edel Gespang auf der Brust, und einen Leidschleier oder Binde vom Haupte bis zu den Füßen hangen. Am Kissen unter ihrem Haupte erblickte man zwei Engel, welche dieses Kissen mit ihren Händen hielten.
Die spätere, meist ungeschickt verjüngende Sage läßt jene Fremde die Tochter eines moskowitischen Kaufmannes sein, ja noch schlimmer die eines Würzburger Kaufmanns, [42] mit der sich dann alles so, wie mit der Sarazenin, zugetragen habe. Seltsam ist es, daß an die ursprüngliche Sage selbst die von einem morgenländischen Thiere erinnert, welche lautet: