Tausend Meter über München
[467] Tausend Meter über München. (Zu dem Bilde S. 465.) Bei dem Anblick unseres Bildes wird sich jedem zuerst die Frage aufdrängen: Wie war es möglich, die Grundlagen für eine solche Darstellung zu gewinnen? Scheint es doch fast nothwendig, anzunehmen, der Künstler habe sich in einem zweiten Ballon befunden, der neben und über dem ersten, von ihm dann gemalten in den Lüften geschwebt habe. Der Maler selbst mag uns die Lösung des Räthsels geben. Er schreibt:
Es waren zunächst ein paar zufällige Anregungen, welche mir den Gedanken nahelegten, einen Luftballon sammt Insassen in seinem Fluge durch das weite Reich der Winde auf einem Gemälde festzuhalten. Ein leuchtender Sommermorgen hatte mich zu einem Spaziergang verlockt, auf einem freien Platz der Altstadt Münchens wurde ich durch eine Menschenmenge aufgehalten, die gespannt in die Höhe starrte. Ein Luftballon, der majestätisch über die bayerische Residenz hinstrich, fesselte ihre und natürlich sofort auch meine Aufmerksamkeit; es war der „Herder“ des Freiherrn von Liegsfeld aus Berlin. Als Liegsfeld kurz nachher einen Vortrag über diese Auffahrt hielt, fand auch ich mich ein, da die Sache anfing, mich näher zu beschäftigen. Die Auseinandersetzungen des Redners erhielten besondere Anschaulichkeit durch eine Reihe von Augenblicksaufnahmen, die man den Zuhörern vorlegte. Sie waren durch den Begleiter des Freiherrn, Premierlieutenant Brug, vom Ballon aus angefertigt worden. Mich zog namentlich eine der Photographien an. Man sah auf ihr tief unten aus den Häusern Münchens das Maximilianeum aufsteigen, umgeben von den üppigen Anlagen, welche von der Isar, die hier mehrere Inseln bildet, malerisch durchschnitten werden; im Anschluß an diesen Vordergrund erblickte man einen Theil der Maximiliansstraße, dahinter, schon in undeutliche Ferne sich verlierend, tauchten schattenhaft die Thürme der Frauenkirche hervor. Beim Betrachten des Bildes kam mir plötzlich der Gedanke, dieselbe landschaftliche Scenerie und zugleich hoch drüber in den Lüften die Gruppe der muthigen Segler in ihrem Fahrzeuge auf einem Gemälde zur Anschauung zu bringen. Kaum war ich zu Hause, so entwarf ich eine Skizze, die ich am andern Tag in Farben ausführte und Herrn von Liegsfeld mit der Frage vorlegte, ob mein Plan überhaupt in befriedigender Weise ausgeführt werden könne. Er zweifelte nicht daran und lud mich zu seiner nächsten Auffahrt ein. Als ich mich zu der von ihm bezeichneten Zeit bei der Gasfabrik Haidhausen einstellte, begrüßte mich ein eigenartiges Schauspiel. Der mit Gas gefüllte Koloß strebte mächtig nach oben, stramme Soldaten hielten die Stricke, während die Theilnehmer an der ungewöhnlichen Reise sich schon in der Gondel einrichteten und kleine Ballons steigen ließen, um die Richtung des Windes genau kennenzulernen, damit nachher ein unangenehmer Zusammenstoß mit den hohen Fabrikkaminen oder einem Dache vermieden werden könnte. Feierliche Stille! Athemlose Spannung der Zuschauer! „Los!“ – und das Luftschiff, das eben noch an seinen Fesseln vom Wind hin- und hergeworfen wurde, schwingt sich mit stolzer Ruhe weiter und weiter in die Höhen hinauf. Die Insassen winken Grüße herunter und einer salutiert mit rother Flagge. Doch bald ist am Himmel nur noch ein kleiner dunkler Fleck sichtbar, der erst zu einem winzigen Punkte zusammenschrumpft und endlich ganz verschwindet. –
Mich versetzte dieser Anblick in die richtige Stimmung, um so gut als möglich meinen Gedanken zur That werden zu lassen. Herr von Liegsfeld, von seiner neuen Luftreise zurückgekehrt, unterstützte mich dabei nach Kräften. Er ließ die Gondel seines Ballons in der Nahe der Gasfabrik auf einem hohen Gerüst frei schwebend aufhängen. Auf meinen Wunsch hin nahm er nebst mehreren Bekannten darin Platz, ich gab jedem die Stellung an. Herr von Liegsfeld sollte abgemalt werden, [468] wie er, das Auge in die Weite gerichtet, sich über eine Landkarte beugte; Premierlieutenant Brug stand auf dem Rand der Gondel, mit der einen Hand hielt er sich an einem Strick fest, mit der andern schwang er eine rothe Fahne. Allein mit den genannten Vorstudien war noch lange nicht alles gethan, um Verstößen zu entgehen. Ich legte mir ein Verzeichniß an von den Farben sämmtlicher Gebäude und Dächer in der Umgebung der Isar, kletterte auf den Petersthurm und machte mir von dieser stattlichen Höhe aus neue Farbennotizen. Sogar dem Flug der Brieftauben widmete ich Aufmerksamkeit, wozu mir ein bekannter Brieftaubenzüchter Gelegenheit gab. Und trotz alledem schien eine letzte Schwierigkeit unüberwindlich zu sein: auf der Photographie, die mir als Grundlage für das Stadtbild diente, war von Thalkirchen ab die ganze Ferne in eine Wolke gehüllt. Wie mochte bei klarem Wetter die Landschaft dahinter sich ausnehmen von jener Höhe her, in welcher die Augenblicksaufnahme angefertigt worden war? Wie viel Meter betrug überhaupt diese Höhe? Ein Mathematiker half aus der Noth. Er berechnete, daß die Aufnahme tausend Meter über der Erde stattgefunden habe, stellte fest, wie viel man bei dieser Entfernung aus der Vogelschau wahrnehmen könne von den Seen und Bergen, und welche Form diese für ein Auge dort oben haben müßten. So kam endlich das Gemälde zustande, Phantasie und Berechnung im Verein hatten zur Vollendung desselben dem luftigen Reich den festen Punkt abgewonnen, den die Wirklichkeit nicht bieten konnte.