Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1953-07-03
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Entstehungsdatum: 1953
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Originaltitel: Freitag, 3. Juli 53.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 3. Juli 1953
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Einführung

Der Artikel TBHB 1953-07-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 3. Juli 1953. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über fünf Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Freitag, 3. July 53.     

[1]      Es ist seit Tagen überaus warm, um 30º u. damit ist wieder mal das Wohnungsproblem akut. Der Besuch in Hessenwinkel am letzten Sonntag hat dazu noch den Gedanken an ein Wohnen außerhalb der Stadt besonders verlockend gemacht, besonders für Bettinchen ist das sehr zu wünschen. Elisab. liegt mir deshalb schon seit Wochen in den Ohren u. ich muß ihr Recht geben. Zwar ist es für mich persönlich im Hinblick auf den Kontakt mit Menschen u. auf meine Arbeit recht bedenklich, hinauszuziehen, ich werde dort jeglichen Kontakt verlieren u. es wird noch schwerer sein als bisher, meine Bilder an die Menschen zu bringen. Aber wenn ich die Dinge nüchtern überlege, dann muß ich gestehen, daß ich nicht viel aufgebe. Wer kommt denn hier schon zu mir? Florian Breuer, manchmal Dr. Richter, gelegentlich seine Schwester, Dr. Falke u. selten Dr. Gräber, das ist alles. Zwar besteht die Möglichkeit, daß dieser kleine Kreis sich erweitert, aber es bleibt doch nur bei der Möglichkeit. Herrn Tschuschke vergaß ich.

     Nun, wenn es sich bloß um Möglichkeiten handelt, so besteht ja ebenso die Möglichkeit, daß sich in einer anderen Gegend ein neuer Kreis von Freunden u. Interessenten bildet. Es handelt sich bloß darum, eine möglichst günstige Gegend zu finden –, u. in dieser Gegend

[2] eine Wohnung, die dann auch den Anforderungen u. Wünschen genügt. Das aber ist sehr schwer. Das ehemalige Projekt Treptow wäre sehr schön gewesen, aber auch mit 150,– M. Miete sehr teuer –, viel zu teuer. Schon jetzt ist unsere Miete mit 124,– M. sehr hoch. Aber es hat sich zerschlagen, vielleicht zu unserem Glück, denn die Wohnung lag wie unsere 3 Treppen hoch u. wenn auch der Treptower Park gegenüber lag, so war das doch nur ein Ersatz für einen Garten, der für Bettinchen so sehr wünschenswert ist. – Was wir dann sonst noch gesehen haben, etwa Karlshorst, war noch weniger genügend. Die Oberschwester in Wuhlgarten hatte sich zwar stark gemacht, eine passende Wohnung zu finden u. zu besorgen, aber was sie dann nachgewiesen hat, war noch weniger genügend. Es ist eben überaus schwer, etwas Passendes zu finden u. auch Elisabeth's, Drängen, daß ich in der Berl. Ztg. ein Inserat aufgeben soll, wobei wir unsere Wohnung als Tausch anbieten sollen, verspricht wenig. Ein diesbezügliches Inserat in der Wohnungszeitung, das ich schon einmal aufgegeben hatte, ist ohne jeden Erfolg gewesen. – Was ist zu tun? –

     In Wuhlgarten selbst gibt es Arztwohnungen. Ich habe sie nicht gesehen, aber solche Arztwohnungen in Heilanstalten pflegen im Allgemeinen gut u. geräumig zu sein. In Wuhlgarten gehört zu jeder Wohnung ein kleiner Garten mit Obstbäumen u. Sträuchern, Blumen u. Küchengemüse, vermutlich liegen die Wohnungen zu ebener Erde. Ich fände das schön. Ich brauchte keine Treppen klettern u. für Bettinchen wäre es noch schöner. Außerdem pflegen solche Arztwohnungen gut in Ordnung zu sein, notwendige Reparaturen usw. werden ausgeführt, weil das auf Anstaltskosten geht. Diese Wohnungen liegen ruhig, es gibt keinen Auto= u. Straßenverkehr u. überhaupt liegt der ganze Anstaltskomplex nach E's. Beschreibung inmitten von Gärten, umgeben von Feldern. Wasser allerdings gibt es nicht. Im Zuge der sogen. neuen Maßnahmen der Regierung nach dem 17. Juni soll nun diesen Wohnungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Ich glaube, daß sie z. Zt. an verschiedene Leute vom Verwaltungspersonal vermietet sind, jedenfalls wohnen nicht in allen Arztwohnungen Aerzte. Das soll nun anders werden u. der Direktor hat E. gefragt, ob sie eine Wohnung haben will. –

     Es stehen verschiedene Bedenken entgegen. Zunächst einmal ist E. an das Krankenhaus sehr gebunden, wenn sie dort wohnt u. wenn sie einmal dort fortgehen will, so wäre das automatisch mit einem neuen Wohnungswechsel verbunden. Aber es scheint doch, als [3] ließe sich die Arbeit dort ganz gut an. E. steht sich mit dem Direktor, der ein Mann von Format zu sein scheint, sehr gut. Ihr Chefarzt Dr. Anders ist zwar weniger erfreulich, aber E. wird schon mit ihm fertig werden, darum habe ich keine Sorge. Um ihren Facharzt zu machen, muß sie so wie so drei Jahre dort bleiben u. was nachher wird, darum braucht man sich heute noch nicht sorgen. – Sodann ist man in solch einer Anstalt natürlich der Beobachtung sehr ausgesetzt. Die Schwestern u. sonstigen Angestellten interessieren sich natürlich sehr für das Privatleben der Aerzte u. es gibt immer Klatsch u. Tratsch. Aber das gibt's auch, wenn man woanders wohnt. Hier in der Friedrichstraße ist das nur wenig der Fall, in einem Vorort aber interessiert sich der ganze Ort. Klatsch u. Tratsch aber sind nur lästig, wenn man sie an sich herankommen läßt, man kann das ignorieren u. dann berührt es einen nicht, zumal wenn man, wie es bei uns der Fall ist, nichts zu verbergen hat. Dies aber scheinen mir, abgesehen von der Isolierung bzw. von der Trennung vom berliner Verkehr, die einzigen Nachteile dieser Wohnungen zu sein. Ihnen stehen gegenüber die freie, ruhige Lage, ein Gärtchen u. eine nahe Verbindung nach der herrlichen Gegend um Strausberg u. nach Buckow u. der märkischen Schweiz. Ferner noch sonstige kleine Annehmlichkeiten, die solchen Anstalten immer zuteil werden, wie Kohlenversorgung, Lebensmittelversorgung usw. usw. – Und was den Verkehr mit Menschen betrifft, so ist es ja nicht unmöglich, daß man dort unter den Aerzten u. Schwestern auch einige trifft, mit denen sich umgehen läßt. –

     Und zuletzt ist es noch etwas, was mir diesen Gedanken sympatisch macht. Der Jupiter, der Geburtsgebieter meines Horoskops u. der einflußreichste Planet steht in meinem Horoskop ja am 12. Hause, also dem Hause der geschlossenen Anstalten wie Klöster, Gefängnisse, Krankenhäuser, Irrenanstalten usw. Ich würde den Abschluß meiner Erdentage dort in der Anstalt als sehr harmonisch u. schicksalsbedingt empfinden u. mich bestimmt dort sehr wohl fühlen. – Uranus steht unter dem Horizont im ersten Hause u. wird meinem Leben wahrscheinlich ein sehr plötzliches Ende setzen, aber ich denke, daß die enge Ballung der Planeten um die Sonne herum im 11. Hause, dem Hause der öffentlichen Beziehungen, der Freundschaften u. des Gefolges vorher noch zu einer harmonischen Auswirkung kommen wird. Diese enge Ballung im 11. Hause hat in meinem Leben ja stets zu großen Hemmungen, zu Streit u. Widersachern geführt, die vielen Kräfte in diesem Hause haben sich gegenseitig gerieben u. gestört, sodaß ich niemals beruflich zu einer wirklichen, öffentlichen Geltung gekommen bin, die mir bei dieser Betonung des 11. Hauses eigentlich zugekommen [4] wäre. Das 11. Haus ist ja auch das Haus der öffentlichen Politik u. gerade diese hat mich in meinem Leben ja immer gehindert u. gestört. Erst jetzt wieder ist mir durch den 17. Juni die Ausstellung meiner Bilder bei Thim-Sieberg zerschlagen worden u. auch die Juryfreie wird diesmal wahrscheinlich für mich verloren gehen. Nur in den Jahren nach 1918 war die Politik für mich förderlich, seit 1933 hat sie mich gehemmt. Im Jahre 1945 war sie einen kurzen Augenblick, als ich in Schwerin ausstellte, günstig, aber dann kam gleich der Rückschlag. Ich denke aber, daß der so günstig für mich gestellte u. bestrahlte Uranus im 1. Hause zuletzt doch noch den entscheidenden Umschwung bringen wird, u. zwar grade von der Politik her. – Nun, wie dem auch sei –, mir scheint das Projekt, nach Wuhlgarten zu ziehen u. dort mein Leben zu beschließen, für mich ganz schicksalsbedingt zu sein u. ich sage aus freiem Herzen mein Ja dazu. –

     Die Regierung u. die SED. fahren weiter fort, durch Propagandareden in den Betrieben die Reklametrommeln für sich zu rühren. Mögen sie, sie werden das verlorene – oder vielmehr das niemals besessene Vertrauen des Volkes nicht erobern. Vorgestern Abend hörte ich im Rias die Uebertragung der Bundestagssitzung, in der Dr. Adenauer über den 17. Juni sprach. Was er sagte, war großzügig u. hoffnungsvoll. Auch der Sozialdemokrat Wehner sprach sehr gut u. sachlich, dagegen offenbarte die Rede des Sozialdemokraten Brandt, daß diese Partei schon ganz auf die im Herbst fällige Wahl eingestellt ist u. nach Parolen angelt. Diese lautet: „Einheit Deutschlands“. – Das wäre natürlich schön, aber es ist Unsinn, nur immer propagandistisch „Einheit“ zu schreien, ohne praktisch die richtigen u. einzig möglichen Wege dahin zu gehen. Dr. Adenauer geht diese Wege u. ich glaube auch sicher, daß das Volk im künftigen Wahlkampf diese Richtigkeit erkennen wird. Schließlich ist es ja nicht zu übersehen, was auch einer der Redner sagte, daß es die Arbeiter des 17. Juni waren, welche die Rote Fahne vom Brandenburger Tor heruntergeholt u. dafür das Schwarz-Rot-Goldene Banner der Bundesrepublik gehißt haben. Sie haben übrigens nicht nur vom Brandenburger Tor die Rote Fahne heruntergeholt, sondern auch überall sonst, wo sie rote Fahnen gesehen, haben, wie z.B. hier gegenüber in der Hygiene-Ausstellung u. überall. Nicht nur das, sondern sie haben die Bilder ihrer Führer, besonders die von Ulbricht u. Stalin zerschlagen u. verbrannt. Das waren keine Provokateure, sondern waschechte Arbeiter aus Ostberlin. – Und wenn dann in der Bundesrepublik u. in Westberlin frei gewählt werden wird, dann wird der Osten nicht ruhig bleiben. –

[5] Mittags brachte mir der Geldbriefträger, ein grauhaariger Beamter, die erwartete Postanweisung über 500,– M. von Fritz. Der Beamte sah das 17-Juni-Bild auf der Staffelei stehen u. betrachtete es interessiert. So kamen wir ins Gespräch. [5] Er sagte, daß all die kleinen Erleichterungen, die die Regierung jetzt gewähre, ihren Zweck, die Arbeiter zu fangen, nicht erreichten. Man nähme wohl gern, was man jetzt kriegen könnte, aber das Hauptanliegen der Arbeiter u. aller Menschen überhaupt sei heute nicht mehr eine Herabsetzung der Arbeitsnormen oder eine Verbilligung der Arbeiterrückfahrkarten oder sonst eine kleine Verbesserung, sondern Hauptanliegen sei Freie Wahlen. Er sagte, daß im Augenblick eben nichts zu machen sei, es würde aber die Stunde kommen, wo diese Forderung erneut u. noch kräftiger erhoben werden würde. –