Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1953-06-22
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Entstehungsdatum: 1953
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Originaltitel: Montag, 22. Juni 53.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 22. Juni 1953
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Einführung

Der Artikel TBHB 1953-06-22 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 22. Juni 1953. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Montag, 22. Juni 53.     

[1]      Keine Aenderung der Lage. Auch ist nichts davon zu merken, daß die Russen abziehen wollen oder auch nur die Sektorengrenzen öffnen wollen. Der russische Kommandant hat vielmehr auf eine [2] diesbezügliche Forderung der Westmächte geantwortet, daß die Grenzen so lange geschlossen bleiben würden, bis die Westkommandanten Garantien dafür gegeben hätten, daß keine Provokateure aus den Westsektoren nach dem Osten kämen. Solche Garantien können natürlich niemals gegeben werden. – Der russische Kommandant stützt sich dabei auf die Aussage eines bei der Demonstration festgenommenen Westberliners, der eingestanden haben soll, daß er mit etwa neunzig anderen Leuten nach Ostberlin geschickt worden wäre, um hier während der Demonstrationen Sabotageakte zu verüben. Er sagt aber nicht, von wem dieser Mann seinen Auftrag gehabt haben will. –

     Die Sache selbst ist natürlich gut möglich, ja sogar wahrscheinlich. Sie würde nur beweisen, daß es in Westberlin Widerstandszentren gibt, die solche Gelegenheiten ausnützen, um Unruhe zu stiften, bzw. sie zu vergrößern. Das ist auch sehr in Ordnung. Eine Befreiung des Ostens ist garnicht anders möglich, als daß die Widerstandsgruppen im Osten ihre Zentren in Westberlin haben, da sie sie hier nicht haben können. Daß aber solche Leute von irgend welchen amtlichen Stellen aus gesandt worden seien, ist absolut unwahr. Es ist bekannt, daß Ostberliner Demonstranten während der Unruhen zum Rias gekommen sind, um diesen zum aktiven Eingreifen zu überreden, daß Rias das aber ablehnen mußte. Wie richtig das vom Rias war, ersieht man jetzt. –

     So sicher es auch sein mag, daß eine ganz beträchtlichen Teil von Westberlinern während der Demonstrationen hier aktiv mitgewirkt haben u. so wahrscheinlich es auch ist, daß die Brandlegungen an HO=Kiosken u. im Columbushaus auf diese Leute zurückzuführen sind, so hat das alles mit den Demonstrationen selbst doch garnichts zu tun. Das beweisen die Demonstranten von Hennigsdorf u. a. weit draußen liegenden Reviere u. die Demonstranten von Magdeburg, Rostock, Warnemünde, Leipzig, Gera, Jena, Dresden, Fürstenberg, Brandenburg usw., von denen doch niemand im Ernst behaupten kann, daß sie von westberliner Provokateuren aufgehetzt worden seien. Die Demonstrationen dort scheinen ja sogar weit heftiger gewesen zu sein als in Berlin, weil dort eben die Russen nicht so rasch zur Stelle waren u. die Volkspolizei versagt hat. Es scheint sogar, als wären in manchen Provinzorten die Demonstrationen noch fortgesetzt worden, als hier in Berlin schon alles ruhig war. –

     Gestern mittag fanden in Bonn u. Berlin-West große amtliche Trauerkundgebungen statt. In Bonn sprach der Bundespräsident Prof. Heuß, in [3] Berlin der Präsident des Abgeordetenhauses Dr. Suhr. –

     Die Post zwischen Ost u. West scheint wieder zu funktionieren, wenigstens erhält Elisabeth wieder ihre Sendungen an Arztmustern, die ihr von westlichen Firmen zugesandt werden. Ich muß bis Ende dieser Woche meine Anmeldung für die Juryfreie an das Büro abgesandt haben, werde damit aber noch warten bis zum Sonnabend. Falls bis dahin die Grenzen nicht offen sind, werde ich die Anmeldung nicht an's Büro, sondern an Herrn Wellenstein persönlich schicken, vielleicht kommt sie durch. Andernfalls hoffe ich, daß man Verständnis haben u. uns Ostberliner Künstlern eine Terminverlängerung zugestehen wird. – Mit der Ausstellung bei Thim-Sieberg sehe ich schwarz. Selbst wenn die Veranstaltung nicht schon gestern war, sondern erst am nächsten Sonntag, ist es doch unwahrscheinlich, daß ich bis dahin die übrigen Bilder hinbringen kann. Die S=Bahn fährt zwar, aber nur bis zur Zonengrenze. In Westberlin ist, wie ich höre, ein Pendelverkehr ebenfalls bis zur Zohnengrenze eingerichtet worden, aber das nutzt mir nichts, da ich die Bilder eben nicht über die Grenze bringen kann.

     Elisab. fühlt sich in Wuhlgarten nach wie vor recht wohl. Die beiden Chefärzte sowie der Direktor sind sehr nett zu ihr u. auch mit der Verwaltung geht es gut, es ist eine Frau Verwaltungsdirektorin. Am Mittwoch wird wohl Dr. Wolf wieder vom Urlaub zurückkehren u. dann wird Elisab, wohl zur psychiatrischen Abteilung kommen u. ihre Tätigkeit wird mehr auf ihre Fachausbildung eingestellt sein –, so glaube ich wenigstens. Jedenfalls ist sie jetzt seelisch viel ausgeglichener u. harmonischer, wenngleich sie auch sehr angespannt ist. Unser häusliches Leben hat dadurch natürlich sehr gewonnen u. ich freue mich darüber. Ich selbst liege leider sehr brach. Die Fangschleuse=Studien, von denen ich noch einige habe, reizen mich nicht mehr sehr zur Arbeit, auch habe ich gar keine Leinewand mehr. Es fehlt mir in der Tat, wie Elisab. oft sehr richtig sagt, an Anregung, aber ich wüßte nicht, woher ich solche nehmen soll. Ich könnte vielleicht allein ins Erzgebirge oder in den Harz fahren, um dort Studien zu machen, aber das kostet eine Masse Geld u. ich erwarte von diesen Gegenden nicht viel. Die Ostseeküste ist ja so gut wie verschlossen, u. auch sie würde mich nicht besonders reizen. Reizen würde mich wohl Griechenland in erster Linie, dann auch Italien, Südfrankreich und Nordafrika, aber selbst wenn ich dorthin fahren könnte, wäre mindestens ein halbes Jahr erforderlich u. das ist schon pekuniär unmöglich. Aber wenn sich das machen ließe, würde ich wahrscheinlich [4] für den Rest meines Lebens bedient sein.

[4]      Am Nachmittag wird bekannt, daß an der Zonengrenze des Bezirks Tiergarten ein Volkspolizist einen 15jährigen Jungen erschossen haben soll. Der Anlaß dazu ist nicht bekannt. – Auch sonst scheint es nach Riasberichten überall in der DDR. noch zu gären. Man berichtet von Streiks u. anderen Unruhen.