Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1953-03-03
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Entstehungsdatum: 1953
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Originaltitel: Dienstag, 3. März 53.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 3. März 1953
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Einführung

Der Artikel TBHB 1953-03-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 3. März 1953. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

 
HansBrass, Nächtliche Straße

Tagebuchauszüge

[1]
Dienstag, 3. März 53.     

[1]      Das Bild habe ich fertig, habe es „Rote Dächer“ genannt. Da es vollständig verändert ist, habe ich es als neues Bild unter 1/53 registriert, als erstes Bild dieses Jahres. Es ist jetzt sehr gut geworden.

[1]      Ich möchte jetzt gern aus der Kohlezeichnung einer Straße in nächtlicher Beleuchtung ein Bild machen. Die Zeichnung machte ich noch vor Weihnachten u. sie steht seitdem auf der Staffelei. Die Zeichnung ist zunächst einmal ganz impressionistisch u. enthält nichts weiter als die ungefähre Raum= u. Lichtverteilung. Ich glaube, daß sich daraus was machen läßt, allerdings müßte das Format ziemlich groß werden – wenigstens groß im Verhältnis zu den zuletzt gemalten Bildern aus Fangschleuse. Es reizt mich, dieses Bild zu malen, es wird etwas ganz anderes als wie die zuletzt gemalten Bilder werden, aber es wird nicht ganz leicht sein.

[1]      Bettinchen hat gestern Durchfall gehabt als Folge eines Besuches, den Elisab. mit ihr bei Frl. Keidel gemacht hat, wo man ihr irgend ein Gebäck gegeben hat, das sie nicht vertragen hat. Aber ihr kleiner Magen hat darauf ganz einfach u. gesund mit Durchfall reagiert, ohne daß sie sonst besondere Begleiterscheinungen gehabt hätte. Jetzt scheint es schon wieder gut zu sein. Sie ist ein gesundes Kind u. hat offenbar kräftige Abwehrstoffe in sich, auch die Masern neulich hat sie mit derselben Leichtigkeit überwunden. – Sie ringt jetzt sehr mit den Worten, bringt aber noch immer nichts richtiges zustande. Es ist doch ungeheuer schwer, was solch ein kleines Kind lernen muß. Schon das be-„greifen“ lernen ist schwer u. es dauert sehr lange. Ich denke zuweilen darüber nach, daß solch kleines Kind einen lehren kann, den Tod richtig zu erkennen. Das Be„greifen“ ist ja nicht anderes als die Aneignung der Gegenstände der Umwelt. Parallel zum Be=greifen ist das Be=wissen, d.h. das Bewußtsein. Das Kind ist sich der Welt u. ihrer Dinge u. auch seiner selbst erst bewußt, wenn es das alles begreifen gelernt hat. Vorher ist ein nur ganz schwaches Bewußtsein vorhanden, ja anfangs überhaupt keins. Dieser Zustand ist etwas ganz anderes als etwa eine Bewußtlosigkeit, die ein vorübergehendes Verschwinden des vorhandenen Bewußtseins bedeutet u. die sich für uns in einer Ohnmacht, in der Narkose oder im Schlaf darstellt. Beim eben geborenen Kinde aber ist ein Bewußtsein überhaupt noch garnicht vorhanden, es muß erst langsam erworben werden. Ebenso ist im Zustande des Gestorbenseins ein Bewußtsein überhaupt nicht mehr vorhanden. Der Unterschied ist nur, daß beim Neugeborenen ein Bewußtsein [2] noch nicht, beim Verstorbenen nicht mehr vorhanden ist. Daraus ergibt sich, daß ein Vergleich des Todes etwa mit dem Schlaf höchst irreführend ist, viel besser läßt sich der Tod mit einem eben neugeborenen Kinde vergleichen –, noch besser aber mit dem eben empfangenen Kinde im Mutterleibe. Ehe das Kind empfangen wurde, bestand es bereits im Reiche des Möglichen. In der Empfängnis verläßt es dieses Reich u. tritt ins Reich der Wirklichkeit ein. Wenn nun, was nicht zu bestreiten ist, alle Wirklichkeit eine Verkümmerung des Möglichen ist, so ergibt sich, daß ein Kind mit fortschreitendem Bewußtsein sich immer mehr vom nur Möglichen entfernt, d.h. immer mehr verkümmert. Diese Verkümmerung ist der furchtbare Preis, der für das allmähliche Begreifen dieser Welt u. für das Wachsen des Bewußtseins bezahlt werden muß. Daher kommt es, daß ein alter Mensch wie ich die Fragwürdigkeit dieses Begreifens immer mehr einsieht u. sich infolgedessen nach dem Tode sehnt. Der Tod ist eine Rückkehr in das große u. freie Reich der Möglichkeiten, aus dem wir gekommen sind u. das wir verließen, um diese Wirklichkeit zu be=greifen. – Freilich ist im Zustande des Todes eben garkein Bewußtsein mehr –, es gibt dort nicht das von Goethe gepriesene Glück der Erdenkinder, die Persönlichkeit. Dennoch muß notwendig irgend ein Unterschied sein zwischen jener Möglichkeit, aus der das Kind mit der Geburt heraustritt, und jener anderen Möglichkeit, in die man im Tode wieder eintritt. Wäre da kein Unterschied, dann wäre das Ganze absolut sinnlos u. das ist schlechterdings nicht zu denken. Alles hat einen Zweck, auch das Leben u. das Be=greifen des Wirklichen. Es wäre allerdings auch denkbar, daß dieser Zweck nur auf der Seite des Wirklichen liegen könnte, indem das menschliche Leben ja tatsächlich diese Wirklichkeit sehr verändert, vergeistigt. Dann wäre freilich das Leben im Reiche der Möglichkeiten gewissermaßen die große, zentrale Energie, die Kraftguelle, die den langsamen Vergeistigungsprozeß, der Materie bewirkt. Diese Energiezentrale wäre dann selbst, ein Zweck. Geburt u. Leben hätten dann den Zweck der langsamen Vergeistigung, der Materie u. das Leben in der Möglichkeit brauchte selbst nicht eine Veränderung zu erfahren, es wäre nur das Mittel durch welches die Vergeistigung bewirkt wird. So ähnlich könnte man von der Sonne sagen, daß sie nur den Zweck hätte, auf der Erde Leben hervorzurufen, wodurch sie selbst aber für sich garnichts profitiert. Nun hat aber die Sonne außer dem Zweck, Lebenspenderin auf der Erde zu sein, doch noch sehr viel andere Zwecke, die wahrscheinlich sehr viel bedeutender sind als das Wachstum auf der Erde zu fördern. Sie hat [3] mindestens ihre Zwecke in Bezug auf die anderen Planeten unseres Systems, aber darüber hinaus ist sie ja nur ein Glied in dem weit darüber geordneten Weltallsystem, sodaß, wenn sie plötzlich zerstört werden könnte, ein Loch im Weltall entstehen müßte –, u. ein solches Loch ist eben nicht denkbar. Aber davon ganz abgesehen, ist schwer zu denken, daß die Sonne ihre verschiedenen Zwecke erfüllen sollte, ohne davon für sich selbst einen Vorteil zu haben. Man muß doch annehmen, daß sie ihre verschiedenen Aufgaben u. Zwecke erfüllt, weil sie daraus für sich selbst einen Selbstzweck schöpft. Und so wäre es dann auch mit dem Reiche der Möglichkeiten. Wenn dieses Reich der Möglichkeiten nur den Zweck hätte, die Materie zu vergeistigen durch eine ewige Verkümmerung, ohne dadurch für sich selbst eine Vervollkommnung zu erfahren, so wäre das eine ausweglose Sterilität, die man nicht begreifen könnte. Und in der Tat erfährt die Möglichkeit auch eine gewaltige Bereicherung durch die Vergeistigung der Materie. Ehe diese Vergeistigung so weit vorgeschritten war, daß es z.B. noch keine Anwendung der Elektrizität gab, da waren diese elektrischen Apparte u. Maschinen auch noch nicht in der Möglichkeit vorhanden –, d.h. sie waren natürlich schon vorhanden von Ewigkeit her, aber diese Möglichkeit muß eben eine ganz andere gewesen sein, als sie war von dem Zeitpunkt an, als der erste elektrische Apparat erfunden wurde. – Daraus ergibt sich, daß es im Reiche des Möglichen zwei Arten von Möglichkeiten geben muß. Die eine Möglichkeit ist die bereits in der Materie verwirklichte, aber verkümmerte Möglichkeit, also die Möglichkeit, die bereits in einer verkümmerten Weise Wirklichkeit geworden ist, u. jene andere, die noch nicht verwirklicht worden ist, aber vielleicht in tausend Jahren u. mehr einmal verwirklicht werden wird. Diese weit entfernten Möglichkeiten rücken also durch die immer weiter fortschreitende Vergeistigung der Malerie allmählich nach vorn, es sind das Möglichkeiten, die mit der Zeit erst möglich werden. Es muß also Möglichkeiten sehr entfernten Grades geben u. andere Möglichkeiten, die realisierbar sind, wenn auch in verkümmerter Weise. – Nun mag dem sein wie immer –, sicher scheint aber zu sein, daß ein Mensch, wenn er geboren wird, aus diesem Reiche der Möglichkeiten heraustritt u. in das Reich der Wirklichkeitkeit –, ein elendes, verkümmertes Reich, eintritt. Und notwendig muß dann der Tod eine Rückkehr in das Reich der Möglichkeiten sein, eine Befreiung aus der Enge u. dem Schmutz der Wirklichkeit, eine Rückkehr in das Reich der Freiheit. Nur daß diese Rückkehr ohne Bewußsein vor sich geht, denn Bewußtsein u. Persönlichkeit sind [4] Kategorien, die es nur in diesem verkümmerten Reiche der Wirklichkeiten gibt. Sie sind gewissermaßen die Entschädigung für die Aufgabe der Freiheit des nur Möglichen. – Es kann aber sehr gut sein, daß es auch dort irgend etwas wie ein überpersönliches Bewußtsein gibt –, ja, eigentlich muß es das geben, da sonst unser Bewußtsein ohne Entsprechung im Möglichen wäre – u. das kann nicht sein. Personlichkeit u. Bewußtsein, dieses „höchste Glück der Erdenkinder“, muß es notwendig auch im Reiche der Möglichkeiten geben, jedoch in einer Form, die uns nicht begreiflich ist. Diese Form muß dann etwas alle Begriffe Uebersteigendes sein, eine für uns nicht faßbare Seligkeit. –

     So ungefähr sehe ich den Tod an. Diese Anschauung entfernt sich freilich sehr von der christlichen Lehre vom Ewigen Leben, sofern man sich darunter eine einfache Fortsetzung des irdischen Lebens vorstellt, nur viel schöner u. ohne alle irdische Beengung. Eine solche Anschauung ist einfach Kitsch, es ist dieselbe Anschauung, die vom Bildenden Künstler eine naturalistische Darstellung der Wirklichkeit verlangt –, nur viel schöner. Aber man kann wirklich nicht sagen, daß diese Anschauung der christlichen Lehre vom Fortleben nach dem Tode entspricht, – es ist nur eine Auslegung dieser Lehre für – Spießbürger. Die christliche Lehre ist ja keine Philosophie, sie ist so allgemein u. großzügig gehalten, daß die Anschauung eines Dienstmädchens u. die eines Philosophen darin Platz haben –, u. das ist das Große an der christlichen Lehre. Sie ist tatsächlich weit großzügiger als die Jüdische u. die Mohammedanische Lehre, welche ja beide eine Fortsetzung u. Steigerung irdischen Glückes lehren. Nur der Buddhismus kommt der christlichen Lehre nahe, aber er ist eine Lehre für Philosophen, wobei unter einem Philosophen nicht ein Akademiker gemeint ist. Auch der Schuster Jakob Böhme aus Schlesien war ein Philosoph –, ein weit größerer als die meisten unserer Akademiker. –

     Aber genug für heute! –