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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-12
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Dezember 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Dezember 1945
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1945-12 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Dezember 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 17 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Dienstag, 4. Dezember 1945.     

[1]      Am Freitag ist Kapitän Hans Krull gestorben, er wird heute begraben. Er war ein anständiger Kerl u. es ist schade, daß er nicht mehr ist. Am Sonntag ist, wie ich eben erst höre, Frl. Olzen gestorben, während die alte Frau Geh. Rt. Koehn, ihre Schwester, zwar dauernd im Bett liegt u. krank ist u. alle Leute schikaniert, aber nicht stirbt. – Der alte Herr Gläser ist ebenfalls sehr krank, doch scheint es so, als wollte er sich wieder erholen.

     Gestern kamen wiederum Briefe von Fritz u. Ruth mit der gleichen Post. Fritzens Brief, war Nr. 2, also in normaler Folge, während Ruth's Brief älteren Datums war. Sie schreibt anschaulich von Ortrun, die mit ihrer reinen Kinderseele mühelos in das religiöse Leben eindringt. Der Ernst, der diesem seltsamen Kinde eigen ist, macht sie für das Religiöse ungemein empfänglich. Da nun ihre Schule von kathol. Schwestern geleitet wird u. Ortruns Lehrerin eine Nonne ist, wird das noch sehr gefördert. Dazu kommt das tiefe Erlebnis vom Tode Hartmuts, welches immer noch lebendig ist.

     Auch der Brief von Fritz enthält zum ersten Male positive Gedanken über Religion. Er hat im Gefangenen-Lager eine Bibliothek eingerichtet u. dabei ist ihm eine biblische Geschichte für die Jugend in die Hände gekommen, die er nun liest. Er schreibt darüber sehr nett, daß er sich freut, da Geschichten zu finden, die er einmal früher in der Schule gehört hat, die aber keine bewußte Erinnerung in ihm hinterlassen haben. Diese zugeschütteten Erinnerungen brechen nun plötzlich wieder auf. Er liest nun auch im Neuen Testament u. ist begierig darauf, zu hören, wie der Pfarrer am Sonntag diese Dinge auslegen wird. – Wenn Fritz früher in seinen Briefen manchmal Bemerkungen über religiöse Dinge machte, dann waren das immer nur Phrasen, die fatal klangen u. die er machte, um uns einen Gefallen zu tun, jetzt schreibt er zum ersten Male echt davon.

     Papenhagen hat mir immer noch nicht die Keilrahmen [2] gemacht. Ich benutze die Zeit, um das Hauptbuch der BuStu. in Ordnung zu bringen, das seit dem Mai nicht mehr geführt worden ist. Eine wenig erbauliche Arbeit. –

Mittwoch, 5. Dezember 1945.     

     Am Sonntag Nachmittag waren wir bei Frau Longard, die heute Geburtstag hat, zur Vorfeier dieses Tages. Sie hatte einen kleinen Kuchen aus Quark, gequetschten Kartoffeln u. etwas Mehl gemacht, der ausgezeichnet schmeckte, dazu gab es echten Bohnenkaffee gemischt mit Ersatz. Frau L. erzählte eine hübsche Geschichte, die ihrer Erna begegnet ist, als diese jüngst von einer Reise nach Berlin zurückkam. Sie mußte zu Fuß von Ribnitz hierher gehen. Als sie an die Sperre in Körkwitz kam, fing es schon an, dunkel zu werden u. weit u. breit war kein Mensch. Der russische Posten versuchte, die Erna mit Gewalt in seine Wachbude zu ziehen. Es entspann sich ein Kampf, bei dem Erna natürlich unterlegen gewesen wäre. Da griff sie in ihre Tasche u. nahm ein Kruzifix heraus u. gab es dem Soldaten in die Hand. Der besah es sich verdutzt, gab es ihr wieder zurück u. sagte: „Geh“. – So kam sie davon.

Eben erzählte mir Herr Gerdes, der ebenfalls von Berlin hierher gekommen ist u. in Stralsund auf dem Bahnhof übernachten mußte, daß russische Soldaten in der Dunkelheit alle Leute ausgeplündert u. das Gepäck durchsucht hätten. Auch ihm wurde viel gestohlen. Viele Frauen u. Mädchen seien von den Soldaten mißbraucht worden.

     Gestern Abend erfuhr ich zufällig von Frau Schuster, daß man mir auf der Gemeinde für die neue Lebensmittelperiode nur die Karte 4 zugebilligt hätte. Ich habe gleich einen erheblichen Krach deshalb gemacht u. habe erklärt, daß ich Anspruch hätte auf die Schwerarbeiterkarte, wie sie ja auch die angeblichen Schriftsteller Herr v. Achenbach u. Herr Dr. Burgartz von je her bekommen. Frau Sch. sagte mir, daß Herr Schröter, Herr Degner u. Paul zusammen so entschieden, hätten. Ich bin ziemlich empört darüber. Paut hätte mir doch wenigstens davon ein Wort sagen können. Wieso sollen diese Schriftsteller, von denen Herr v. Achenbach überhaupt noch kein einziges gedrucktes Wort vorweisen kann, eine höhere Karte bekommen als ein Maler, dem die Nazis seit 1933 die Existenz zerschlagen haben. – Heute morgen sagte mir nun Frau Sch., daß sie wahrscheinlich in der Lage sein würde, die Karte für mich umzutauschen. Dennoch habe ich an den Kulturbund nach Rostock geschrieben u. angefragt, ob es da Richtlinien gibt für eine gerechte Zuteilung.

     Ich habe mir gestern unsere Kohlenvorräte angesehen u. leider feststellen müssen, daß diese doch weit geringer sind, als ich angenommen hatte. Ich habe den Verdacht, daß davon gestohlen worden ist. Jedenfalls müssen wir sparen u. ich habe heute erst mittags geheizt.

Donnerstag, 6. Dezember 1945.     

     Endlich habe ich wenigstens vier Keilrahmen zusammen u. mit Leinewand bespannt. Ich dachte, zu Gräff gehen zu können, um mir Grundierfarbe zu holen, aber auch das geht nicht. Gräff hat keine Schlemmkreide u. Leim hat er auch nicht, nur Sichelleim u. auch diesen nur von minderer Qualität. Dieser ist zu weich. Er hofft aber, irgendwo noch etwas Tafelleim auftreiben zu können u. in 3 – 4 Tagen wird er mir Bescheid sagen. Wir werden dann Zinkweiß oder Deckweiß nehmen, wovon Gräff noch hat.

     Ich saß bei Gräff in der Küche, seine Frau war auch da u. klagte, daß man sie im ganzen Dorf wie Auswurf behandelt, weil sie früher Nazi gewesen war. Sie sprach besonders von Budde. Ich konnte ihren Reden entnehmen, daß dieser infame [3] Halunke weit mehr gegen mich als Bürgermeister gestänkert hat, als ich angenommen hatte. Sie sagte: „Wenn Sie nicht freiwillig das Amt niedergelegt hätten, hätte Budde Sie bestimmt dazu gezwungen“. Sie sprach auch davon, daß Budde der Denunziant im Falle Küntzel gewesen sei u. sie meinte, daß das ganze Dorf dieser Meinung sei. Sie konnte nicht genug Worte finden, ihrer Verachtung gegen diesen Mann Ausdruck zu geben – u. Herr Dr. Ziel, so meinte sie, sei der beste Freund von B. u. stecke bei all diesen Sachen mit ihm unter einer Decke. –

     Dieser Dr. Ziel hat übrigens zu Frau Schuster gesagt, daß er gegen mich Anzeige erstatten wolle wegen Begünstigung der Nazis. Es will sich offenbar rächen für die Sache Triebsch, in der ich ihn der gemeinen Denunziation überführt habe. –

     Gestern bekamen wir Nachricht von Otto Wendt aus Hamburg. Er sandte die Abschrift eines ausführlichen Briefes von Fritz mit, der aber inhaltlich nichts Neues enthielt.

     Wir haben prachtvolles, warmes Wetter. Im Garten blühen noch Rosen. Wir sparen Heizung. Hoffentlich bleibt es noch recht lange so. – Wir werden im Hintergarten noch eine Pappel schlagen lassen, um Holz zu bekommen. Nachdem schon die beiden großen Rüstern vorm Hause in den Ofen gewandert sind, ist dies der dritte Baum, der diesen Weg geht.

     Bei Gräff sah ich mir dessen Grudeofen an. Er zeigte mir die Mechanik. Alles ist sehr schön, aber er hat keinen Grudekoks u. wenn er welchen hat dann verursacht dieser Ofen einen furchtbaren Staub. Außerdem ist er teuer im Betrieb. –

     Die Beerdigung von Hans Krull war ein ziemliches Ereignis. Es waren sehr viele Menschen da. Pastor Müller sprach überaus schlecht u. trocken, eine sehr große Enttäuschung. Wenn einmal der Pastor Pleß aus Prerow nicht mehr zum Gottesdienst herkommen wird, weil wir jetzt ja zu Rostock gehören, dann werden wohl nicht mehr sehr viele Leute am Gottesdienst teilnehmen. Bei Pastor Pleß ist es jetzt immer sehr voll; aber wegen einer Predigt von Pastor Müller würde auch ich mich nicht gern in der Schule auf der Schulbank herumquälen.

     Herr Heyde hat uns einen Akku besorgt u. Herr Liebers hat ihn in Betrieb gesetzt; aber es stellte sich heraus, daß keine Säure darin war. Vorgestern hatten wir immerhin Licht, das aber bald nachließ, gestern war es derart kläglich, daß man dabei nichts sehen konnte. Liebers ist heute dabei, einen neuen Akku aufzustellen, der hoffentlich besser funktioniert. So werden wir wenigstens eine Notbeleuchtung haben. Es ist ja so, daß das Licht um 5 Uhr ausgeht u. erst um 9 Uhr wieder brennt, man sitzt vier Stunden im Dunklen.

Freitag, 7. Dezember 1945.     

     Heute habe ich, bzw. Martha, meine schwarze Hose an den Sergeanten von Monheim verkauft. Er gab 450,– Mark in Alliiertem=Geld, 26 polnische Sloty u. 10 Tscherwonez. Wieviel das zusammen ist, weiß ich nicht. Die Hose war der Rest meines Smoking-Anzuges u. mindestens 20 Jahre alt, aber noch sehr gut, da ich sie sehr selten getragen habe. Der Sergeant versprach außerdem ein Stück Schweinefleisch, das er allerdings erst bringen will. Ich bin neugierig, ob er es tut.

     Es ist über Nacht Winter geworden. Es ist seit heute früh 1° Kälte u. diese Temperatur hält sich auch jetzt um 2 Uhr noch auf gleicher Höhe. Es hat über Nacht u. heute Vormittag bei leichtem Ostwind geschneit u. die Kinder haben ihre Schlitten vorgeholt.

     Vormittags an Fritz geschrieben, da ich sonst nichts tun kann. So schrieb ich schon heute diesen Sonntagsbrief. Dades haben in der Nacht geschlachtet u. haben uns ein schönes Stück Schweinefleisch abgegeben, das wir zum Sonntag braten werden. – Solche Dinge spielen heute eine bedeutende Rolle. – Otto Wendt schickte uns die Abschrift eines Briefes, [4] den er von Fritz bekommen hat (ich notierte es schon gestern). Er schreibt darin, wie er im Lager Freiburg verpflegt wird. Es wirkte auf uns wie eine Beschreibung des Schlaraffenlandes. –

     Liebers hat gestern wirklich den neuen Akku gebracht sodaß wir nun eine zwar schwache, aber doch hinreichende Beleuchtung haben.

Sonnabend, 8. Dezember 1945.     

     Gestern Abend waren Dr. Max Grantz u. Carmen da. Er war aus Berlin zurückgekehrt, wo man ihm Arbeit als Architekt angeboten hatte, doch hat er zunächst nichts angenommen, weil es in Bln. kein Heizmaterial gibt u. er nicht frieren will, olgleich sonst die Lebensmittellage in Bln. besser ist, als hier. Er erzählte, daß die Stadt allmählich anfängt, etwas aufgeräumter auszusehen. Die Verkehrsmittellage hat sich sogar sehr erheblich verbessert, auch Autos sieht man wieder viele. Es regt sich neues Leben, aber dennoch ist die Lage sehr trostlos.

     Heute brachte mir Gräff Grundierfarbe. Ich will heute Nachmittag die Bilder grundieren u. Montag anfangen, zu malen. Auch Papenhagen hat mir den fünften Keilrahmen gebracht.

     Der Frost hat sich verstärkt, es ist auch im Hause recht kalt, da ich trotzdem wenig heize.

     Justus Schmitt sandte mehrere Exemplare des „Tagesspiegel“ die beste Zeitung, die es z. Zt. gibt.

Sonntag, 9. Dezember 1945.     

     Der Frost hat sich wieder verstärkt, jedoch ist zu hoffen, daß die Wetterlage sich wieder ändern wird, wenigstens nach dem, was der Berliner Sender darüber sagt.

     Die Andacht war heute wieder gut besucht, da eine Frau mit zwei Kindern von den in Althagen neu eingetroffenen Flüchtlingen da war. Sie wohne bei Koch-Gotha u. ist voll Lobes über die Hilfsbereitschaft der Frau Koch. Sie stammt aus Schlesien. – Frl. Nickstadt war nicht da, weil ihr Vater, der Breslau mit verteidigen mußte u. seitdem verschollen war, nun doch plötzlich aufgetaucht ist u. in Ribnitz ist. Er soll in einem überaus erschöpften Zustande sein, sodaß Frt. N. u. ihre Mutter heute mit einem Ackerwagen nach R. gefahren sind, um ihn zu holen. – Frau Degner, die sich schon vor 3 Wochen die Füße mit heißem Wasser verbrüht hat, ist auch immer noch nicht wieder in der Lage, zur Andacht zu kommen. Die Aermste erleidet viele Schmerzen, doch soll es nun besser gehen.

     Gestern habe ich die Leinewände grundiert. Die große Leinewand ist leider nicht ganz glatt geworden, weil darin zweierlei Material verwebt worden ist, daß verschieden aufgetrocknet ist. Ich habe versucht, den Rahmen auszukeilen u. es ist auch besser geworden, aber nicht einwandfrei. Ich hoffe, daß sich die Leinewand während des Malens langsam von selbst glattziehen wird.

Montag, 10. Dezember 1945.     

     Heute habe ich endlich mit Malen begonnen. Ich habe zuerst das große Bild angefangen: flammend gelber Himmel, Meer – Kobaltblau – violett – gelb, Vordergrund gelb – rot – bis ins Braun. Davor über das ganze Bild hin ein Ast einer Krüppelkiefer. Das Bild ist in seiner Komposition verblüffend einfach u. so durchdacht, daß jeder Pinselstrich sitzt. Die Wochen, in denen ich täglich fast stets von 5 – 9 Uhr im Dunklen gesessen habe u. über dieses u. die anderen Bilder nachgedacht habe, machen sich jetzt [5] bemerkbar. Jede Form u. jede Farbe ist genau durchdacht u. es gibt nun beim Malen nicht die lästigen Probleme, die sonst erst während der Arbeit gelöst werden müssen u. oft eben nicht gelöst werden. Die Grundierfarbe, die mir Gräff zurechtgemacht hat, ist ausgezeichnet, es malt sich sehr leicht darauf.

     Nach Tisch kam Paul u. stand ratlos vor dem Bilde. Er fragte, was es darstellen solle u. wieso u. warum u. weshalb. Er ist ein entsetzlicher Banause, u. zwar einer von denen, die stolz darauf sind, ein feines Kunstverständnis zu haben. Er meinte sehr mißbilligend, daß es doch nur sehr wenige Menschen geben könne, die solche Bilder bejahten, was ich ihm mit „Gott sei Dank“ bejahte. Er zog ab mit der Ueberzeugung, daß ich ein armer Irrer sei, – er aber sei klug u. verständig. –

     Heute früh war es sehr kalt. Im Laufe des Vormittags hat aber der Frost nachgelassen, jetzt, 3 Uhr Nachmittags, sind 2° Wärme

Freitag, 14. Dezember 1945.     

     Am Dienstag legte ich das Bild an, welches die Fortführung des Stillebens mit den gelben Dahlien u. dem Malkasten im Vordergrunde ist. Es ist nun völlig abstrakt. Von der Mitte des rechten Randes ragt etwas Massiv-Grünes in das Bild hinein. Von oben her schweben leichte, runde, gelbe u. strahlende Körper hernieder u. überwältigen das Grüne mit ihrer Helle. Von unten rechts her tut sich ein dunkler Abgrund auf, aus dem lange, scharfe Stahlspitzen hervorschießen u. sich gegen den gelben Einbruch wehren. Man könnte das Bild „Himmel u. Hölle" nennen.

     Am Mittwoch untermalte ich die kleine Landschaft mit den beiden Erlenbäumen am Wasser. Auch dieses Bild habe ich stark verändert. Die beiden Bäume stehen jetzt diagonal voreinander, wodurch das Bild Tiefe bekommen hat, die noch verstärkt wird durch Betonung eines im Hintergrund stehenden Hauses u. eines Pfahles ganz vorn links. Die ganze Landschaft des Hintergrundes habe ich fortgelassen.

     Gestern untermalte ich als letztes der zu wiederholenden Bilder den „Melchisedech" genannten Kopf. Auch er ist ganz abstrakt u. als Vision eines Kopfes aufgefaßt. Dieses Bild verspricht sehr stark zu werden.

     Heute habe ich angefangen mit der Arbeit. Zuerst die große Meerlandschaft. Der gelbe, flammende Himmel sitzt schon sehr gut, doch machen links die drei Kiefern Schwierigkeiten, die ich jedoch morgen zu überwinden hoffe.

     Von Herrn Franz Scheigenpflug bekam ich wiederum einen Brief. Der arme Mann klagt mir sehr beweglich seinen Zustand. Er hat keine Hoffnung, diesen Winter zu überleben, wenn er nicht zusätzliche Nahrungsmittel erhält u. er bittet mich, ihm „einige Centner Kartoffeln“ zu schicken. Es ist sehr schmerzlich, ihm mitteilen zu müssen, daß ich das nicht kann, denn woher soll ich Kartoffeln nehmen? Hier haben vielleicht die Bauern noch so viel Kartoffeln, daß sie sich u. ihre Familien durch den Winter bringen können u. es mag der eine oder andere Büdner, sofern er eine gute Ernte hatte, auch durchkommen, aber wir andern wissen jetzt schon genau, daß wir unsere Kartoffeln im Februar aufgegessen haben werden u. daß dann keine Aussicht besteht, neue Kartoffeln zu bekommen. Niemand weiß, was dann [6] werden wird u. es ist unmöglich, „einige Centner“ nach Berlin zu schicken, wo die Lebensmittel=Lage noch dazu viel günstiger ist, als bei uns auf dem Lande.

     Else sandte mir ein Päckchen, welches ein Stärkungsmittel „Dextropur“ enthielt.

Sonntag „Gaudete!“ 16. Dez. 1945.     

     In der Nacht vom Freitag zum Sonnabend fiel mir die Lösung für die linke Seite des Bildes ein. Ich machte aus den drei Kiefern eine einzige, zog diese nach vorn u. machte sie größer. Der ganze Himmel wurde dadurch mit berührt, indem nun eine Licht=Diagonale von links oben nach rechts unten durch das ganze Bild geht, die bisher nur sehr andeutungsweise vorhanden gewesen war. Ich freute mich über die Lösung so sehr, daß ich für den Rest der Nacht nicht mehr viel schlief. Ich konnte es Sonnabend früh kaum erwarten, zum Malen zu kommen. Jetzt sitzt alles sehr gut. Das Bild ist dadurch noch einfacher geworden u. ganz klar.

     Seit gestern ist Eisenbahn-Sperre. Kein Mensch kann hier fort u. die fort sind, können nicht zurück. Auch Briefe werden nicht befördert. Man weiß nicht, was das zu bedeuten hat. In Moskau ist eine Konferenz der Außenminister Rußlands, Englands u. Amerikas, die erste Konferenz, seitdem die Außenminister-Konferenz in London, die nach den Potsdamer Beschlüssen stattfand u. nach ziemlich kurzen Zwischenräumen permanent wiederholt werden sollte, ergebnislos aufgeflogen war. Es heißt, daß in Moskau in erster Linie die Atombombe zur Debatte stehen soll, dann die Dardanellenfrage u. Fragen des nahen Ostens, vor allem Persiens, wo innere, offenbar von Rußland geschürte Unruhen ausgebrochen sind, in die sich Rußland nun eingemischt hat. Man sieht, daß die Gegensätze gegenüber Rußland sich noch vermehrt haben u. die vorhandenen sind nicht beseitigt worden. Im englischen Rundfunk ist davon in der Weise die Rede, daß diese Gegensätze zwar zugegeben aber bagatellisiert werden. Auch von einem Kriege gegen Rußland ist in der Weise die Rede, daß die Engländer sagen, wir Deutschen hofften auf einen solchen Krieg, aber er würde niemals stattfinden, da diese Gegensätze sich auf diplomatischem Wege bereinigen ließen. Bisher ist das aber eben nicht gelungen. Hier bei uns, aber auch in Berlin u. sogar in Hamburg, also im englischen Gebiet, ist nun wieder viel die Rede davon, daß die Russen Mecklenburg räumen sollen. Jemand will sogar den Paß eines deutschen Kriegsgefangenen aus dem Westen gesehen haben, der dahin lautete, daß der Gefangene „in das von den Russen besetzte englische Interessengebiet“ entlassen worden sei, nämlich nach Mecklenburg. – Vielleicht hängt, die Reise= u. Postsperre im russischen Gebiet damit zusammen? – Wie groß die Spannungen sind, geht aus einer englischen Radionachricht hervor, nach der eine Konferenz der interalliierten Militärkommission in Berlin stattgefunden hat. Auf dieser Konferenz ist beschlossen worden, daß die Russen keine Kontroll=Kommission in das englische Gebiet senden würden, um sich über die dort befindlichen, immer noch nicht demobilisierten deutschen Armee=Verbände zu informieren. Das Mißtrauen der Russen, das man ja auch hier immerfort spürt, ist also so groß, daß sie eine Kontroll=Kommission nach dem Westen entsenden wollten. Den Engländern hat das natürlich nicht gepaßt. Man hörte hier ja längst schon von merkwürdigen Gerüchten, daß die Engländer tatsächlich dort [7] gewisse Verbände der deutschen Armee in ihren deutschen Uniformen unter Waffen halten; andere sollen englische Uniformen tragen mit dem Worte „Deutschland“ auf dem linken Oberarm. Die Engländer haben das jetzt auch im Rundfunk zugegeben u. haben die Existenz dieser Verbände mit ziemlich fadenscheinigen Gründen erklärt. Die Kriegshoffnungen der Deutschen gründen sich zum Teil auf dieser Tatsache. Die Engländer wissen das. Obwohl sie sagen, daß diese Hoffnungen unbegründet wären, halten sie dennoch diese Verbände weiter unter Waffen. Es ist das sehr merkwürdig.

     Die Franzosen sind ebenfalls sehr verschnupft, daß sie nicht zur Moskauer Außenminister-Konferenz zugezogen worden sind. Ferner ist bekannt gegeben worden, daß Belgien sich demnächst an der Besetzung Deutschlands mit zwei Divisionen beteiligen werde. Es erhält dazu Teile im englischen Sektor. Also müssen etwa zwei Divisionen englische Truppen frei werden. Auch Dänemark wollte sich nach früheren Meldungen an der Besetzung beteiligen, doch hat man davon lange nichts mehr gehört.

     Gestern war Martha bei Papenhagens u. kam ziemlich erschüttert zurück. Karl Papenhagen habe gesagt, er wolle sich nun seinen eigenen Sarg zimmern. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Der Mann wohnt nun seit 60 Jahren hier u. arbeitete in dieser Zeit in der ganzen Gegend bis Wustrow u. darüber hinaus. Er kennt alle Bauern. Wie ist es möglich, daß er u. seine Familie jetzt schon so hungern, daß der Mann dergleichen sagen kann! Was soll denn da erst im Frühjahr werden? Es müßte dem Mann sehr leicht seien, bei den Bauern zusätzliche Lebensmittel zu bekommen; aber er hat einen dummen Stolz, andere zu bitten. Er kann doch aber unmöglich verlangen, daß die Bauern ihm von selbst etwas bringen.

     In dieser Woche hatte Martha viele Auseinandersetzungen mit dem sog. Antifaschistischen Ausschuß, der sich bemüßigt fühlt, für die Flüchtlinge zu Weihnachten etwas zu tun. Anstatt sich nun mit Martha in Verbindung zu setzen, die doch nun seit Jahren hier das Weihnachtsfest sozial organisiert, ist dieser Ausschuß unter Führung von Herrn Dr. Ziel u. Herrn v. Achenbach stur. Sie meinen, die BuStu. sei eine Privatsache, ihre Weihnachts=Aktion aber sei amtlich u. offiziell u. dürfe sich nicht mit Privatpersonen verbinden. Es offenbart sich da der ganze, sture, deutsche Amts=Standpunkt, diese dumme Arroganz beamteter Personen, die zu erhaben über die Fach= u. Sachkenntnisse von Privatpersonen sind, als daß sie sich ihrer bedienen würden. Dabei ist dieser sog. Ausschuß überhaupt garkeine amtlicher Organisation, er maßt sich nur amtliche Eigenschaften an. Der Ausschuß veranstaltet nun für sich eine Sammlung von Geld u. Sachen für Flüchtlinge, d.h., er läßt andere spenden, um sich dann mit dieser Spende dicke zu tun. Die gespendeten Gelder u. Sachen sollen die Flüchtlingen dann möglichst sang= u. klanglos zugestellt werden, denn Frau Burgartz, die mehrfach bei Martha war, um darüber zu reden, meinte, sie sei ein prosaischer Mensch u. habe keinen Sinn für Poesie, d.h. für Weihnachten. So kommt es also, daß Martha nun ihre Weihnachts=Aktion privat für sich allein durchführen wird, ebenso wird der Antifasch. Ausschuß seine Aktion durchführen, u. endlich wird Frau Marie Seeberg noch ein Krippenspiel für sich allein veranstalten. Also ganz deutsch: jeder für sich. –

[8]
Montag, 17. Dezember 1945.     

     Mein Bild macht sehr gute Fortschritte. Probleme scheint es nicht mehr zu geben, nachdem jetzt die schwierige linke Seite ausgezeichnet gelöst ist. Das Bild ist kristallklar in den Farben, die leuchten wie alte Glasfenster. Ich entsinne mich nicht, jemals ein Bild mit solcher Leichtigkeit u. Beschwingtheit gemalt zu haben. Es scheint, als wäre die frühere Zeit, wo ich mich schrecklich quälen mußte u. am Ende doch nur Mangelhaftes erreichte, endgültig vorbei.

     Am Vormittag war Peter Erichson aus Rostock da. Er ist schon seit einigen Tagen hier, war aber bisher unsichtbar. Er spielt natürlich im Kulturbund zur demokrat. Erneuerung in Rostock eine beachtliche Rolle. Seine Druckerei ist die einzige in Rostock, die von den Russen nicht angefaßt worden ist. Er sagte mir, daß im Hause des Kulturbundes vier Betten bereit stehen für Leute, die von auswärts kommen. Es gibt dazu Frühstück u. Lebensmittel=Karten, daß man Essen gehen kann. Ueberhaupt würde für Künstler das Aeußerste getan, auch Materialbeschaffung sei jetzt in Angriff genommen. Auch sagte er mir, daß jeder Künstler, der zur Sektion bildende Kunst im Kulturbunde gehört, automatisch Anspruch hat für die Schwerarbeiter-Lebensmittelkarte. Das war mir sehr wissenswert. Er sagte weiter, daß er in der nächsten Woche mit dem Geschäftsführer der Sektion hierher kommen würde, der Herr würde mir dann seinen Besuch machen. Es ist ein merkwürdig angenehmes Gefühl, daß ich jetzt plötzlich nicht mehr ganz allein dazustehen scheine, sondern daß es Leute gibt, die Wert darauf legen, daß ich als Künstler zu ihnen gehöre. So mag sich zum Schluß mein Jugendtraum von Künstlertum u. Kameradschaft vielleicht doch noch verwirklichen, nachdem ich daran bereits längst nicht mehr gedacht habe. So mag es dem alten Priester Zacharias gegangen sein, als ihm der Engel die Geburt seines Sohnes Johannes verkündete, – nur daß er ungläubig war, – ich aber bin gläubig. –

Mittwoch, 19. Dezember 1945.     

     Es hat sich im Bilde doch noch eine Schwierigkeit ergeben: die grüne Form der Kiefer am äußersten rechten Rande, u. zwar sowohl in der Form wie in der Farbe. Ich habe noch heute Abend die ganze Stelle mit dem Messer abgekratzt, da schon reichlich viel Farbe darauf war u. zu befürchten ist, daß die Farbe reißen wird. Durch das Abkratzen hat sich, wie so oft, von selbst eine Klärung ergeben u. ich hoffe, morgen die Schwierigkeit lösen zu können. Sonst ist das Bild tadellos u. geht nun seiner Vollendung entgegen.

     Frau Dr. Völkel aus Wustrow hat sich an P. Drost = Ribnitz gewandt, er möge doch auch in Wustrow Gottesdienst halten. Es ist das natürlich sehr schön, aber ich hätte es netter gefunden, wenn Frau V. mich vorher davon verständigt hätte. Der Pater schrieb mir, daß er am 2. Feiertag Nachmittags bei uns Messe lesen wolle u. am 3. Tage wieder morgens früh. Nun kann das nicht sein, da der Pater die erste Messe am 2. Festtage in Wustrow lesen wird, u. zwar hat Pastor Wunderlich die evangel. Kirche zur Verfügung gestellt. Es wird das erste Mal sein, daß in der Wustrower Kirche ein katholischer Gottesdienst abgehalten wird. Hoffentlich [9] wird es möglich sein, einen Wagen zu bekommen, denn sonst könnte ich nicht daran teilnehmen, was wirklich sehr schade wäre. Auch würde es sonst sehr schwer sein, die Paramenten, den Altarstein usw. ohne Wagen nach Wustrow zu schaffen, denn alles das ist hier bei mir u. in Wustrow ist nichts.

     Die Gegensätze zwischen Rußland u. den Westmächten nehmen langsam u. fast unmerklich zu. In Aserbeitschan ist, von den Russen geschürt, ein Aufstand ausgebrochen u. die Russen haben die persische Militärmacht gewaltsam gehindert, den Aufstand niederzuschlagen. England u. Amerika haben dagegen protestiert. Der Aufstand verlief natürlich erfolgreich u. es hat sich jetzt eine sog. demokratische Regierung in Aserbeitschan gebildet, die sich für unabhängig von Persien erklärt hat. Diese Vorgänge werden im engl. Sender natürlich in wenig wohlwollender Form bekannt gegeben, wenngleich man auch keine Kommentare dazu gibt. Heute wurde gesagt, daß die amerikanische Regierung beschlossen habe, die neue Regierung in Aserbeitschan nicht anerkennen werde. – Im engl. Sender wird bei jeder Gelegenheit versichert, daß die Gegensätze gegen Rußland, die zwar vorhanden wären, doch nicht so groß wären, daß darüber die enge Freundschaft zu Rußland leiden würde, es ließe sich alles diplomatisch regeln. Der Fall Aserbeitschan zeigt, wie weit solche diplomatischen Aktionen Erfolg haben. Auch spricht man in England auffällig viel, von „Mißverständnissen“ zwischen den beiden Ländern, aber bisher ist noch nie berichtet worden, daß diese „Mißverständnisse“ ihre Auklärung gefunden hätten. Der Fall Aserbeitschan scheint doch solch eine Aufklärung zu sein, – u. zwar eine sehr deutliche. Auch sprach man schon wiederholt von dem „Mißtrauen“, welches die Russen gegen die Westmächte u. umgekehrt hätten. Dies geschah erst in den letzten Tagen wieder u. zwar in einer recht deutlichen Form. Es wurde zu verstehen gegeben, daß von einer wirklichen Freundschaft nicht gesprochen werden könne, solange dieses Mißtrauen da sei. Also ist die Freundschaft, die sonst so laut gepriesen wird, doch wohl nicht so eng u. fest, wie in offiziellen Erklärungen gesagt wird. Dieses Mißtrauen kam ja auch jüngst sehr deutlich zum Ausdruck als die Russen eine Kontroll=Kommission in die englische Zone senden wollten, um sich über die immer noch nicht demobilisierten deutschen Herresverbände im Westen zu informieren. Alles das läßt tief blicken, besonders in diesem Augenblick, wo englische u. amerikanische Außenminister in Moskau zu einer Konferenz zusammen sind. Noch ehe diese Konferenz begonnen hatte, wurde erklärt, daß über das Ergebnis dieser Konferenz keine amtlichen Verlautbarungen herausgegeben werden würden. Man fürchtet offenbar, daß es wie s. Zt. in London zu keiner Verständigung kommen wird, u. man kann daraus schließen, daß die Westmächte keinesfalls gewillt sind, das von ihnen gehütete Geheimnis der Atombombe preiszugeben. Ueber diese wird sehr viel gesprochen. Es scheint als läge in dieser Erfindung eine ganz unermeßliche Gefahr für die ganze Welt, u. in der Tat: wer dieses Geheimnis besitzt, ist damit der Mächtigste. Es fragt sich nur, wie lange dieses Geheimnis geheim gehalten werden kann. Wenn zwei Gegner beide dieses Geheimnis besitzen, dann ist der der Mächtigste, welcher in der Lage ist, den anderen unversehens zu überfallen, in der Art, wie Japan es bei Pearl Harbur machte. Die Anwendung dieser Bombe aber bedeutet radikale Vernichtung. Die Atombombe in der Hand der Bolschewisten [10] dürfte dann in der Tat den Untergang der ganzen civilisierten Welt bedeuten, – aber wohl auch Rußlands selbst. Es sind das grauenvolle Perspektiven u. man denkt dabei nicht bloß an den Untergang des Abendlandes, sondern der ganzen Welt in ihrer jetzigen Gestalt. Es ist kein Wunder, daß die Staatsmänner der Westmächte mit höchster Sorge vor diesen Problemen stehen, aber eigenartig ist es, zu sehen, wie nur einige wenige Menschen wissend genug sind, um sich diese Sorgen überhaupt zu machen, die Masse der Menschen der ganzen Welt lebt sorglos dahin, obgleich die ganze Welt auf einem riesigen Pulverfaß sitzt.

Donnerstag, 20. Dezember 1945.     

     Heute wurde das Bild fertig. Ich bin sehr zufrieden. Grade eine Woche lang habe ich daran gemalt, doch muß man dazu rechnen, daß ich das Bild ja schon in kleinem Format u. unzureichend im vorigen Herbst gemalt habe u. außerdem in den täglichen langen Dunkelstunden reiflich durchdacht habe.

     Frau v. Achenbach war bei Martha u. hat nun endlich erklärt, warum ihr Mann sich so eigenartig benimmt. Als nämlich im Frühjahr die Anordnung herauskam, daß alle Menschen, die nicht nach Ahrenshoop gehören, den Ort verlassen müßten, habe ich natürlich auch Frau v. A. eine Aufforderung zugehen lassen, Ahrenshoop zu verlassen. Als sie dieser Aufforderung nicht nachkam, habe ich das mit Stillschweigen übergangen u. so getan, als hätte ich es nicht bemerkt. Herr v. A., anstatt diese meine freundliche Haltung anzuerkennen, ist vielmehr tödlich beleidigt, daß ich damals seine Frau, – er selbst war noch nicht hier –, überhaupt aufgefordert habe, Ahrenshoop zu verlassen. Ich glaube, daß dieser Herr damit vollauf gekennzeichnet ist.

Sonnabend, 22. Dezember 1945.     

     In der Christlich=Demokratischen=Union (CDU) ist nun der erste, große politische Streit ausgebrochen. Die beiden Vorsitzenden dieser Partei waren Hermes u. Dr. Schreiber. Beide Herren haben sich als Gegner der Bodenreform bekannt, ohne daß die Partei selbst ihnen gefolgt ist. Da die Vorsitzenden dennoch ihren Standpunkt weiter vertraten, hat die Parteiseele zu kochen begonnen u. man hat die beiden Vorsitzenden abgesägt. Gestern Abend wurde nun im Rundfunk kein gutes Haar an den beiden gelassen – natürlich im Berliner Rundfunk. Die Gegnerschaft gegen die Bodenreform wurde als Ausfluß einer erz=reaktionären Gesinnung hingestellt, ja fast als Faschismus u. es wurde Hermes u. Schreiber vorgeworfen, sie hätten die CDU zum Hort der Reaktion u. zum Schlupfwinkel für verkappte Faschisten gemacht.

     Es ist ganz gut, daß es so gekommen ist. Die Partei bemüht sich nun in ganz unwürdiger Weise um die Gunst der Kommunisten u. versichert eifrig, daß sie immer für die Bodenreform gewesen sei. Herr Hermes u. Herr Schreiber verschwinden vorläufig in der Versenkung, aber man weiß wenigstens, daß da zwei Männer sind, welche ihre eigene politische Ueberzeugung u. den Mut haben, dieselbe zu vertreten. Sie werden eines Tages wieder auftreten, dann aber hoffentlich ohne Betonung einer religiösen, christlichen Richtung. Diese beiden Männer werden noch viel zu sagen haben. Was aber die Partei jetzt noch zu sagen hat, ist unerfindlich, sie unterscheidet sich von der Liberal=Demokratischen Partei nur noch dadurch, daß die Mehrzahl ihrer Mitglieder Sonntags in die Kirche geht, wobei es noch fraglich ist, ob sie es wirklich tut.

Abends:     

[11] Während der englische Rundfunk (Hamburg) den Streit in u. mit der CDU. mit Stillschweigen übergeht, ergreift der Berliner Rundfunk die Gelegenheit, die Sache weiter aufzurühren, indem er nun nicht mehr Hermes u. Dr. Schreiber angreift, die nun ja nicht mehr anzugreifen sind, sondern seine Angriffe auf die „Neue Zeit“ das Organ der CDU. ausdehnt u. einen Artikel von Gertrud Bäumer, der in dieser Zeitung erschienen ist, in polemischer Form kritisiert. Die verborgene Tendenz ist natürlich, möglichst viele Leute zu bewegen, trotz des Vorstandswechsels aus dieser Partei auszutreten, was sicher gelingen wird, wenn solche Stichelei weiter gehen sollte. Otto Wendt z.B. schrieb vor einigen Tagen, daß er in Hamburg Vorstand einer Ortsgruppe der CDU. sei. Er hat mit Christentum nicht sehr viel zu tun, er wird dieser Partei beigetreten sein, weil sie eben den äußersten rechten Flügel der vier zugelassenen Parteien bildet. Und so wird es bei sehr vielen sein. Wenn es aber so ist, dann sollte man das Wort „Christlich“ daraus entfernen, denn es dient dann nur zur Tarnung politischer Absichten u. kann das Christentum nur diskreditieren, wie das bei dem gegenwärtigen Streit ja bereits ausgibig der Fall ist. –

     Die Erzählung der Weihnachtsgeschichte verlief im Kindergarten sehr fröhlich u. nett, jedoch war die Mehrzahl der Kinder doch wohl gar zu klein. Auch bei den größeren fehlten gar zu sehr die Vorkenntnisse, alle diese Kinder sind erschreckend unwissend. Aber dennoch war es nicht zwecklos, es ist auch den Kleinsten wenigstens ein Bewußtsein wach geworden, daß das Weihnachtsfest eine heilige Bedeutung hat u. sie haben doch wenigstens die Worte: „Gott – Jesus Christus – Engel – Maria u. Joseph“ gehört. Die größeren mögen wohl etwas mehr darüber nachdenken.

     An Fritz geschrieben. –

Sonntag, 23. Dezember 1945.     
4. Advent.     

     Die Andacht ließen wir heute ausfallen mit Rücksicht darauf, daß heute der evang. Pastor Pleß aus Prerow hier predigen wird u. P. Drost am 2. u. 3. Festtag hier ist u. zuletzt, weil Martha noch viel mit ihrer BuStu. zu tun hat. Ich stellte die kleine Krippe auf unter einem ganz kleinen Weihnachtsbäumchen, den ich mit einigen Kugeln u. Lametta schmückte. Der kleine Baum, der etwa nur 75 cm. hoch ist, sieht sehr niedlich aus, die Krippe darunter steht gut im Raum. – Während ich diese Arbeit tat, brachte der Hamburger Rundfunk eine deutsche Singmesse aus Lübeck sehr unliturgisch u. mit einer sehr schlechten Predigt, aber doch eben eine hl. Messe. Carmen Grantz saß dabei u. hörte zu. Dabei fällt mir jetzt ein, daß ich ganz vergessen habe, ihr zum Tode ihres Schwiegervaters etwas zu sagen, – es hätte aber höchstens ein Glückwunsch sein können.

     Abends: Die Predigt von Pfr. Pleß war wieder überaus schön, nur war die Beteiligung gering, weil heute Lebensmittel-Zuteilungen für Weihnachten in den Geschäften ausgegeben wurden. Das ist eine unüberwindliche Konkurrenz.

     Als wir nachhause kamen, wartete das Ehepaar Dr. Umnus aus Wustrow auf uns u. Frau Rewoldt aus Niehagen. Sie brachten überaus erfreuliche Zuschüsse zu unserem Speisezettel. Man sieht, daß es aus geht, ohne sich im Laden anzustellen. Das Ehepaar Umnus ging sofort wieder, um noch vor Dunkelheit zuhause zu sein, während Frau Rewoldt wie immer kein Ende fand mit Schwatzen. Die Alte ist nun 72 Jahre alt, aber das Mundverk geht noch wie vor dreißig Jahren.

     Vormittags an Else geschrieben, von der ich in den letzten Tagen einen ausführlichen Brief hatte.

[12]
Montag, 24. Dezember 1945.     

     An Pfarrer Bernh. Hielscher in Gifhorn (Hann.) geschrieben. Er war ein Kamerad von Fritz u. schrieb vor einigen Tagen hierher an ihn, um zu erfahren, wo er ist. – Auch an Mehlis geschrieben, den ehemaligen Stabsgefreiten von der Batterie, der immer noch in Berlin herumsitzt u. wohl den Anschluß schwer findet.

     Beim alten Zeplin gewesen u. ihm ein Paket Tabak als Weihnachtsgeschenk gebracht. Der Alte war überglücklich. –

     In der BuStu. ist Großbetrieb ich gehe aber nicht hinein. – Es scheint, daß ich doch sehr mager geworden bin u. nicht gut aussehe, Martha stellte es heute beim Frühstuck fest u. die alte Frau Meier sah mich ebenfalls eben daraufhin an. Es ist eben doch sehr schwer, unter den heutigen Verhältnissen wieder zu Kräften zu kommen. Ich kann aber nicht sagen, daß ich mich krank fühle.

     Der hl. Vater hat 32 neue Kardinäle ernannt, unter ihnen auch drei deutsche Bischöfe, nämlich den von Köln, ferner Clemens August Graf von Galen in Münster u. Konrad, Graf von Preysing in Berlin. Seit vielen Jahrhunderten ist nun das Kardinalskollegium so zusammengesetzt, daß die Italiener darin in der Minderheit sind. Die Folge davon wird sein, daß bei einer neuen Papstwahl auch ein Nicht=Italiener zum Papst gewählt werden kann.

Dienstag 25. Dez. 1945.     

     Ich hatte erwartet, daß man uns wenigstens am hl. Abend etwas mehr Licht geben würde. Aber nein, – bis 9 Uhr blieb es dunkel wie immer.

     Bis 4 Uhr


Mittwoch, 26. Dezember 1945.     

     Weiter kam ich gestern nicht. – Bis 4 Uhr war Martha also im Geschäft, aber es war dann noch fortwährend Lauferei von den Leuten, die immer zu spät kommen. Wir tranken dann Bohnen-Kaffee u. Martha legte sich dann hin, um noch etwas zu schlafen, während ich beim Akku sitzen blieb. Auf dem Tisch stand eine kleine Vase mit einigen weißen Winterastern u. einigen kleinen Tannenzweigen, die in der matten Akku-Beleuchtung ganz entzückend aussahen. Ich holte einen Zeichenblock u. Kreide u. machte ein Skizze davon, die gleich die Natur so weit übertrug, daß ich glaube, danach ohne weiteres ein Bild malen zu können.

     Um 9 Uhr ging das Licht an. Martha stand auf u. machte etwas zum Essen, was kein Problem war, den unsere gute Trude war inzwischen dagewesen u. hatte uns eine Schüssel Dade'schen Kartoffelsalat gebracht, der wirklich friedensmäßig mit viel Oel angemacht war, u. Gretl Neumann hatte uns den schon traditionellen Topf gebracht mit etwas Hühnerbraten in prachtvoller Soße, sodaß wir dies nur aufzuwärmen brauchten. Wir aßen also vorzüglich u. wurden satt. Denn entzündeten wir die fünf Kerzen an unserem Weihnachtsbäumchen u. Martha brachte sogar eine veritable Bescherung zustande, indem sie aus Beständen der BuStu eine Papierschere mir Falzmesser, die ich so notwendig brauche, ferner eine Taschenuhr noch gefunden hatte, eine von den billigen Uhren, die wir früher einmal für die Sommergäste verkauften, um die eigenen Uhren zu schonen, die am Strande versanden. Diese Uhren gehen aber vorzüglich. Nachdem drei Uhren von mir, die Borchers zur Reparatur gehabt hatte, von den Russen gestohlen worden waren u. alles, was ich nun noch an Uhren [13] besaß, unzuverlässig oder ganz kaputt war, ist dies ein sehr willkommenes Geschenk. Ferner hatte M. auch noch einen kleinen Reisewecker gefunden, dazu noch zwei Paar wollene Socken, ein Stück Seife, und – das Erfreulichste: eine Kiste Zigarren, keine sehr hervorragende Qualität, aber schön groß von Format, wie ich sie so liebe. Diese Zigarren waren bei Fritz im Zimmer gewesen u. trugen den Vermerk: Für Oha von Fritz zu Weihnachten 1942. Sie waren damals vergessen worden u. nun wieder aufgetaucht u. nun eine ganz große Freude. – Mir selbst war es nur gelungen, ein Stück Speck im Tausch gegen Tabak für Martha aufzutreiben.

     Wir saßen dann am Radio, in dem ununterbrochen weihnachtliche Sendungen gegeben wurden, später auch eine Mitternachtsmesse mit Kardinal Faulhaber aus München. Auch von vielen anderen Sendern wurden Mitternachtsmessen gesendet; aber die Messe, die ich eigentlich hören wollte aus einer Benediktiner-Abtei in England, konnte ich leider nicht bekommen. Welch ein Unterschied war es: seit vielen Jahren hörten wir zu Weihnachten im Radio nichts als Tanzmusik oder nationalsozialist. Propaganda. So blieben wir bis 2 Uhr auf u. hörten.

     Gestern frühstückten wir erst um 10 Uhr mit Ei u. Bohnenkaffee. Alles war uns ins Haus gebracht worden. Nachher machte ich eine Kreideskizze von unserer Krippe, die ebenfalls so fertig ist, daß ich glaube, ohne weiteres daraus ein Bild machen zu können. Es scheint tatsächlich bei mir etwas ganz Neues eingetreten zu sein: die künstlerische Produktion verläuft mühelos u. ohne mühseliges Ringen mit Problemen. Es wäre ja wunderbar, wenn ich nun wirklich dahin kommen sollte, mit Vergnügen zu malen. Die maßlose Anstrengung, die mir das Malen früher bereitet hat u. die bis zur völligen körperlichen Erschöpfung ging, scheint einer bisher nie gekannten Leichtigkeit gewichen zu sein.

     Nachmittags fand bei Knecht in der Veranda das Krippenspiel der Frau Seeberg statt Es war aber derart voll, daß wir das Lokal wieder verließen, da wir nichts sehen konnten. Die Ankündigung, daß das Spiel nach einer Stunde wiederholt werden würde, gab uns den willkommenen Anlaß, mit Anstand wieder zu gehen. – Draußen trafen wir Frau Neumann mit Gretl, Herrn Bachmann u. seine Frau u. luden sie zu uns zu einem Plauderstündchen ein. Anschließend daran mußten wir dann leider zu Küntzels zum Tee, wo es entsetzlich langweilig war. Paul erzählte, daß Herr Dr. Ziel im Auftrage von Frau Kroog bei ihm gewesen sei u. daß Paul einen Mietvertrag mit Frau K. abschließen werde für das Haus. Er glaubt, doch noch etwas von seiner Pension zu bekommen, denn auch Herr Ziel sei dieser Meinung, es würden wohl 50% der Pensionen bezahlt werden. Außerdem habe ihm sein Hauswirt in Dahlem mitteilen lassen, daß er die Wohnung nun anderweitig vermietet habe u. daß er bereit wäre, die in der Wohnung stehenden Möbel für 800 – 1000 Rm. zu kaufen. Somit wäre dann also die pekuniäre Schwierigkeit beseitigt, was ja sehr erfreulich ist, aber Grete klagt dennoch, als ob es ihr furchtbar schlecht ginge. –

     Abends gab es dann kein Licht, welches erst heute Morgen um 1/2 11 Uhr wiederkam. Heute Nachmittag werden wir nun nach Wustrow fahren zum Gottesdienst. Ich muß den Koffer mit den Paramenten u. Geräten mitnehmen u. nachher wollen wir mit dem Pater hierher zurück damit er morgen früh nochmals bei uns Messe liest.

     Vom Kulturbund, Sektion für bildende Kunst, erhielt ich Nachricht auf meine Anfrage betr. Lebensmittel Karten. [14] Danach steht den bildenden Künstlern nur die Arbeiterkarte zu, nicht die Schwerarbeiterkarte. Hoffentlich wird das den Gemeinden nicht amtlich mitgeteilt, denn dann gehe ich meiner Schwerarbeiterkarte wieder verlustig. Ferner teilt mir die Sektion mit, daß ich nun doch Arbeiten oder Reproduktionen von solchen der Sektion einreichen müsse zwecks Aufnahme in die Sektion. Ich ersehe daraus, daß ich bisher lediglich in den„Kulturbund“ aufgenommen bin, nicht aber in die „Sektion für bildende Künste“, was natürlich allein von Wichtigheit ist für mich. Ich weiß nicht recht, was ich machen soll, denn es ist ja unmöglich, hier Bilder photographieren zu lassen. Ich könnte nur Reproduktionen von den Bildern 1918 – 1921 einsenden. Im übrigen finde ich es ziemlich seltsam, daß die Rostocker ein solches Verlangen an einen Künstler stellen, der schon vor 27 Jahren im Vorstande der Novembergruppe u. dort selbst in der Jury war. Wer sind denn die Leute in Rostock, die da die Jury ausüben? Es sind das doch Künstler, die selbst völlig unbekannt sind!

     Nachmittags. Eben kommt Frau Hanschak u. sagt, daß die Russen ihren Mann mit dem Gespann geholt haben u. er deshalb nicht nach Wustrow fahren kann, denn er ist jetzt um 3 Uhr noch nicht zurück. Es blieb nichts anderes übrig, als daß Frau Hanschak u. das Mädchen von Frau Schröder einen Handwagen mit dem Paramentenkoffer nach Wustrow ziehen, Martha ist mit Frau Triebsch zu Fuß gegangen. Es wird eine starke Anstrengung für Martha werden, besonders, da es auf dem Rückwege stockfinster sein wird. Der Mond geht erst später auf. Ich selbst bin zuhause geblieben. Sollte Hanschak noch kommen u. die Pferde es leisten können, werde ich hinterher fahren u. Martha wenigstens abholen.

Donnerstag, 27. Dezember 1945.     

     Hanschak ist gestern nicht mehr gekommen u. Martha mußte zu Fuß auch den Rückweg machen, sie kam erst um 1/2 7 Uhr hier an, ziemlich ermüdet. P. Drost war in Wustrow geblieben, er kam erst heute früh zu uns, um bei uns ein Hochamt zu halten, bei dem ich nun schon wieder ganz schön dienen konnte. Anschließend wurde das Kind von Frau Pilster=Hoffmann getauft. Das Hochamt war sehr schön, es waren etwa 30 Menschen da, es wurde viel u. mit Begeisterung gesungen. Nachher frühstückten u. plauderten wir mit dem Pater, der von dem überaus stark zunehmenden katholischen Leben in Ribnitz u. der ganzen Umgebung sprach. Es ist erstaunlich, was sich da tut. – Zum Mittagessen war der Pater bei Dr. Burgartz eingeladen, nachher wird er wohl noch weitere Besuche machen, sodaß wir ihn wohl erst am Abend wiedersehen werden. Morgen früh wird er nochmals bei uns Messe lesen u. den Tag bei uns verbringen. Am Sonnabend früh wird er uns verlassen, um nochmals in Wustrow in der Kirche eine Messe zu lesen. Der Pater wußte noch nicht, daß drei deutsche Bischöfe Kardinäle geworden waren, am meisten freute er sich über die Ernennung des Bischofs von Münster, Clemens August Graf Gahlen.

Freitag, 28. Dezember 1945.     

     P. Drost kam gestern erst um 8 Uhr abds. von seinen Besuchen bei Dr. Burgartz u. Prof. Triebsch zurück Bei Dr. B. ist nur die alte Litanei gequatscht worden von seiner Sehnsucht, nach dem Katholizismus, von der zu sprechen dieser Mann anscheinend nie genug bekommt, aber tun tut er nichts. Er kommt sich wichtig vor, einen Jesuiten-Pater einen ganzen Nachmittag damit zu unterhalten. Prof. Triebsch [15] dagegen hat den klaren Wunsch geäußert, zum Katholizismus überzutreten, jedoch scheint ein positiver Entschluß, bezw. eine praktische Durchführung dieses Entschlusses nicht weiter besprochen worden zu sein. Wir sprachen dann noch lange von religiösen Fragen u. von Kunst. Ich zeigte ihm mein letztes Bild u. auch dasselbe in der ersten Fassung, sowie das Bild, welches ich nun in Angriff nehmen will: „Das sieghafte Gelb“. Es macht Spaß, dem Pater Bilder zu zeigen, denn obwohl ihm meine Malerei ganz fremd ist, geht er doch interessiert mit u. versteht, was ich meine. So kommt ein lebendiger Gedankenaustausch zustande. Es ist ein großer Unterschied, wie dieser Mann sich gern belehren läßt u. das Neue verständnisvoll aufnimmt, wenngleich es ihm fremd ist, – u. andererseits Paul, der mit einer arroganten Selbstgefälligkeit das Fremde ablehnt u. für Idiotie erklärt.

     Heute morgen hatten wir noch eine schöne Messe mit kleiner Ansprache über das Taufgeheimnis in Anknüpfung an die gestrige Taufe. Frau Pilster, die Mutter des Täuflings, an die diese Ansprache in erster Linie gerichtet war, war natürlich nicht da, ebenso fehlte Herr Dr. Burgartz, dem das Zuhören noch weniger geschadet hätte. Es ist eben alles leeres Geschwätz bei diesen Leuten.

     Nach dem Frühstück betrachtete der Pater nochmals meine Bilder. Ich zeigte ihm auch den ersten, ganz kubistischen Engel, den ich im vorigen Jahre als erstes Bild malte, dazu noch den blauen Engel. Er ging auch da gut mit, jedoch sagte ihm der blaue Engel natürlich mehr, da er ziemlich gegenständlich ist.

     Der Pater ist am Vormittag noch zu Margot Seeberg gegangen, wo er möglicherweise am Nachmittag noch einen Vortrag halten wird. Mittags wird er bei uns essen.

     Gestern kam die kleine Enkelin des Bauern Paetow, ein sehr nettes u. intelligentes Kind von 8 – 10 Jahren. Sie erzählte von der Weihnachts-Bescherung zuhause, sie haben da einen großen Weihnachtsbaum mit 12 Kerzen gehabt, sie haben gut gegessen u. sich beschenkt. Das Kind kam dann in mein Zimmer u. sah das große Kruzifix an der Wand. Sie fragte erstaunt: „Was ist denn das? Der ist ja wohl angenagelt?“ Ich fragte sie, ob sie denn noch niemals etwas von Jesus Christus gehört hätte? – „Nein“, antwortete sie. „Ja, –“ sagte ich –, „ich denke, Ihr habt Weihnachten gefeiert?“ – Darauf sah mich das Kind verständnislos an, es wußte nicht, was Weihnachten mit einem Kuzifix zu tun hat. – Am Morgen hatte der Pater seine Ansprache bei der Messe damit begonnen, indem er die Frage stellte, ob wir heutige Menschen denn überhaupt Weihnachten feiern dürften! Wie recht hatte er! Wer gestattet es, wer erlaubt es diesen Menschen, Weihnachten zu feiern, die Jesus Christus nicht einmal dem Namen nach kennen?

     Von Schw. Gertrud Dobczynski aus Barth kam heute ein Brief mit einem Weihnachtsgruß. Sie berichtet von der Not u. dem Elend das in Barth ist u. von dem auch Pater Drost erzählt. Nach ihm muß es in Damgarten besonders schlimm sein, aber auch in Ribnitz im Bachmann-Lager. Ueberall Schwerkranke u. Sterbende. Der jetztige Administrator in Barth, Serve, hat da viel zu tun u. er wird die Arbeit kaum bewältigen, Außengottesdienst kann er noch nicht machen, es ist zu viel. Schw. Gertrud macht mich aber darauf aufmerksam, daß jetzt in Ribnitz Herr P. Drost stationiert sei. Ich las es P. Drost beim Frühstück vor. Schw. G. schreibt, daß der Pfr. Serve vorläufig nicht hierher kommen könnte, denn die Wege sind unsicher. Dem hochw. Herrn Dechanten Heinsch aus Stralsund haben die Russen [16] kürzlich erst angefallen, haben ihm das Rad, den Mantel u. die Versehtasche abgenommen, haben ihm den Oberarm ausgekugelt u. gebrochen. Auch Schw. G. kann in Barth nach Dunkelwerden keine Krankenbesuche machen, weil die Gefahr zu groß ist, angefallen zu werden.

     Heute erzählt man sich hier, daß Barth für jeden Verkehr gesperrt worden sei, weil eine gefährliche Seuche ausgebrochen wäre. Eine Bestätigung dafür liegt noch nicht vor, aber nach dem, was Schw. G. schreibt, scheinen die Verhältnisse dort ja weit schlimmer zu sein als hier bei uns oder auch in Ribnitz.

Sonnabend, 29. Dez. 1945.     

     Heute früh um 1/2 8 Uhr ist P. Drost wieder abmarschiert, nachdem er gestern Nachmittag nochmals einen Vortrag über religiose Fragen bei Margot Seberg vor den sensationsbegierigen Villenbewohnern gehalten hat. Wir waren wegen seines Rückmarsches in Sorge, weil es gestern Abend stark schneite, aber heute früh lag kein Schnee mehr. Dennoch wird der Rückweg für ihn schwierig gewesen sein, da es überaus matschig draußen ist u. er kein ordentliches Schuhzeug hat. Er aß gestern noch zu Abend bei uns u. wir saßen bis 11 Uhr zusammen.

     Ich fing heute Vormittag das neue Bild an, das sieghafte Gelb. Nach einer Anregung von P. Drost könnte man das Bild auch sehr treffend mit: „Apokalyptischer Einbruch“ bezeichnen, dieser Titel hat eine religiöse Färbung u. das wäre gut.

     Von Fritz bekamen wir endlich wieder einen Brief Nr. 4. vom 2. u. 4. Dezember, also seinem Geburtstag. Brief Nr. 3. fehlt noch. Der arme Kerl hat es nicht sehr gut. Er hat unsere Briefe noch nicht bekommen, aber er bekam einen Brief von Ruth, in welchem sie Briefe von uns beigelegt hat. Er freute sich, wenigstens unsere Handschrift zu sehen. Er hat einen neuen Lagerkommandanten, einen 20jährigen Leutnant, der aus der franz. Widerstands-Bewegung hervorgegangen ist u. ein Deutschen-Feind ist. Das trägt natürlich nicht zu Fritzens Wohlbefinden bei u. er leidet sehr unter seiner Sehnsucht nach uns.

     Von Frau Dr. Petersen-Berlin bekamen wir ebenfalls einen Brief, der vom Glück durchleuchtet ist. Sie lebt nun ganz im Glauben u. es ist wunderbar, wie dieses Glück alle sonstige Not überstrahlt, sodaß diese überhaupt keine Erwähnung findet.

Sonntag, 30. Dez. 1945.     

     Gestern Abend Max u. Carmen Grantz. Er hat eine Aufforderung nach Hamburg erhalten, wohin das Reichsbank-Direktorium anscheinend übergesiedelt ist.

     Heute früh keine Andacht, dafür hl. Messe im Radio. An Fritz geschrieben.

Montag. 31. Dez. 1945.     

     Gestern Abend Brief von Ruth mit einem ersten, eigenhändig geschriebenen Briefchen von Ortrun. Ruth's Brief wie immer überaus herzlich u. gut. Sie hat besonders in diesem verflossenen Jahre viel gelernt.

     Am Bild gearbeitet, das sehr schön wird. Das Licht von oben ist klar u. durchsichtig, hoffentlich wird sich dieser Einbruch von Gnade u. Licht im neuen Jahre verwirklichen.

     Die Moskauer Außenminister-Konferenz scheint nach dem, was der amerikan. Außenminister im Rundfunk erzählt hat, tatsächlich ein Erfolg gewesen zu sein u. das [17] dürfte dann zu Hoffnungen berechtigen. Man gibt jetzt hinterher zu, daß das Scheitern der Außenminister-Konferenz in London eine überaus ernste Angelegenheit gewesen ist. Jetzt hat man sich über alle Fragen so ziemlich geeinigt, mit Ausnahme der neu aufgetauchten Persischen Frage. Auch über Bulgarien + Rumänien scheint man sich einig geworden zu sein, doch scheinen hier England u. Amerika erhebliche Konzessionen gemacht zu haben. Das Geheimnis der Atombombe ist jedenfalls nicht preisgegeben worden.