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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-11
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: November 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom November 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-11 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom November 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 19 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Donnerstag, 1. Nov. 1945.     
Allerheiligen     

[1]      Dr. Lasch u. Dr. Meyer waren gestern nachmittags zum Kaffee bei uns. Wenn Fremde da sind u. ich mich mit ihnen befassen muß, merke ich erst, wie sehr ich herunter bin. Es fiel mir außerordentlich schwer, mich auf die Herren einzustellen, obwohl ich mich auf diesen Besuch gefreut hatte. Herr Dr. Meyer fällt neben Herrn Dr. Lasch doch sehr ab, aber selbst mit Dr. Lasch fand ich nur sehr schwer Konkakt. Ich war von dem Besuch so angestrengt, daß ich abends beim Rosenkranz noch ermüdet war u. keine Betrachtung halten konnte.

     Gestern wurde nochmals das Ahrenshooper Wäldchen nach Partikel abgesucht. Die neue Russen-Abteilung bei Monheim machte keine Schwierigkeiten. Es haben etwa 45 Menschen, Männer u. Frauen, den Wald durchsucht, aber keine Spur [2] gefunden. Die Sache ist sehr rätselhaft.

     Gestern fuhr wieder einmal der Dampfer nach Ribnitz u. zurück, aber auf dem Rückwege ist er entweder festgefahren, oder er hat Motorschaden gehabt, jedenfalls ist der draußen auf dem Bodden liegen geblieben. Ich habe noch nicht gehört, was daraus geworden ist.

     Dr. Meyer erzählte gestern, daß jetzt keine Besatzung mehr nach Wustrow kommen würde. Wir haben jetzt nur noch die Abteilung bei Monheim, die nach Prerow=Zingst gehört, wo nun allerdings ein ganzes Artillerie-Regiment liegen soll. Ein Unteroffizier dieser Leute kam gestern u. wollte Schnaps oder Spiritus haben, er bot mir ein großes Stück Speck dafür an. Leider konnte ich ihm nichts geben. In Wustrow soll nach Dr. Meyer jetzt aber ein Beamter der GPU sitzen. Es scheint so, als wären die Russen in letzter Zeit doch in sehr großen Massen abgezogen. Man sagt, daß sehr viele russische Soldaten auf dem Rückmarsch desertiert seien u. daß die Russen große Vorsichtsmaßregeln treffen, um diese Desertionen zu verhindern. Man erkennt daraus, wie gefährlich für den Bolschewismus die Berührung mit dem Westen ist, – die Leute wollen offenbar nicht mehr heim in ihr sogenanntes „Arbeiter=Paradies“. Die heimliche Niederlage des Bolschewismus scheint sich viel früher auszuwirken, als zu erwarten war.

     Heute Nachmittag gegen 4 Uhr erschien ein Leutnant mit einem Sergeanten u. einem bewaffneten Soldaten. Der Leutnant wollte sich gleich in mein Zimmer drängen, aber ich drängte ihn zurück in die Diele. Zufällig kam auch Herr Gaeser, der dann gleich dolmetschte. Der Leutnant stellte sich vor als der Kommandant in der Batterie, – der Sergeant machte den Eindruck, als wäre er von der GPU., er sah etwas intelligenter u. nicht unsympatisch aus, er verfügte über ein kleines Maß von Manieren. Der Leutnant erklärte, daß ab 9 Uhr Abends niemand mehr auf der Straße sein dürfe, Gänge über Wustrow hinaus u. nach Born bedürfen seiner Genehmigung, auch Fahrten nach Ribnitz mit dem Dampfer. Hierfür ist schon lange keine Genehmigung mehr erforderlich gewesen. Ueberhaupt scheint alles wieder verschärft worden zu sein, so muß auch die ganze Holzwertung im Darss wieder eingestellt werden, bis eine Neuregelung eintritt, die hoffentlich nicht zu lange auf sich warten lassen wird. Die Leute haben alle kein Holz mehr, wir werden nun die Bäume der Straße fällen müssen. – Die Fischer müssen sich wieder vor der Ausfahrt melden u. der Kommandant will Lichtbilder der Fischer haben, von mir beglaubigt. Dafür versicherte er mir, daß die Leute bei Monheim nichts zu sagen haben u. daß sie besonders nichts im Dorf kaufen dürfen ohne Genehmigung des Kommandanten. Am Vormittag war ein Leutnant mit einem Unteroffizier dagewesen u. hatte 2 Centner Kartoffeln verlangt. Der Kommandant sagte mir, daß er das nicht dürfe u. daß ich ihn zu ihm schicken sollte, wenn er wieder käme. Diese Streitigkeiten sind ja früher auch schon gewesen mit den Kosaken. Herr Gläser sagte mir, daß der Leutnant zum Schluß auf russisch gesagt hätte, daß sie Posten ausstellen würden, die die Civilbevölkerung nicht sehen würden u. daß sie jeden Verkehr genau kontrollieren würden. Es scheint so, als wäre das nun jetzt eine regelrechte Polizeitruppe u. als ob eine scharfe Kontrolle beginnen würde. – Ich stelle fest, daß es mir bei meiner schwachen Gesundheit überaus schwer fällt, mit diesen Leuten zu verhandeln.

[3]
Freitag, 2. Nov. 1945 Allerseelen.     

     Heute früh 1/2 8 Uhr wurde ich von dem Leutnant bei Monheim aus dem Bett geholt. Er kam gleich mit noch drei Mann, darunter 2 Matrosen, die nach Prerow gebracht werden sollten. Ich sagte ihm, er müsse sich an den Kommandanten in Althagen wenden, wenn er einen Wagen haben wollte; aber davon wollte er natürlich nichts wissen. Es gab ein langes Gerede u. schließlich zogen alle ab; aber draußen müssen sie Handschak aufgegriffen haben, jedenfalls sah ich später, daß Hanschak mit dem Wagen doch losfuhr. – Ich sehe immer mehr, daß ich die Sache nicht mehr machen kann. Ging gestern schon um 8 Uhr zu Bett, schlief aber schlecht Heute habe ich einen veritablen Durchfall, der sich sehen lassen kann. – Vormittags war Herr Degner hier u. ging mit mir die Liste der Lebensmittel-Karten durch. Die neuen Bestimmungen, die seit dem 1. Nov. gelten, sind überaus hart u. machen viele Ungerechtigkeiten unvermeidlich. Dazu kommt, daß uns von Ribnitz viel zu wenig Karten geliefert worden sind, sodaß viele Leute zunächst überhaupt keine Karten bekommen können, bis die fehlenden nachgeliefert worden sind. Wann das der Fall sein wird, ist ungewiß, da man nicht weiß, ob morgen der Dampfer fahren wird. Dieser ist am Mittwoch-Abend vor Dierhagen auf Grund gelaufen u. hat bis Donnerstag Nachmittag festgesessen. Die Passagiere mußten ausgebootet werden u. mußten von Dierhagen hierher zu Fuß gehen. Die Ausbootung mußte von Dierhäger Fischern vorgenommen werden, weil der Dampfer kein Beiboot hatte. Die Leute kamen verhungert u. durchfroren hier an.

     Gestern schickte die gute Frau Neumann aus dem Kurhause eine Terrine mit Hühnerbrühe, die wir zu Mittag aßen.

     Es hieß gerüchtweise, daß ab 1. Nov. die Stromzuteilung besser werden würde. Bisher hatten wir zwar schwachen, aber ausreichenden Strom von Morgens 8 Uhr bis Nachm. 5 Uhr, u. dann wieder von Abends 9 Uhr bis Morgens 7 Uhr. Seit gestern wird aber der Strom schon um 4 Uhr Nachmittags ausgeschaltet u. erst um 10 Uhr Abends wieder eingeschaltet, u. zwar so schwach, daß man nicht einmal Radio hören kann.

Sonnabend, 3. Nov. 1945.     

     Fühlte mich heute erstmalig etwas wohler, habe den ganzen Tag Briefe für die Gemeinde geschrieben. Am Nachmittag kam Prof. Reinmöller, um nach mir zu sehen. Ich schenkte ihm ein Paket Tabak, worüber er sich sehr freute. Wir sprachen den Verlauf meiner Krankheit durch, er meinte, daß er selten einen so heftigen Kolikanfall bei einem Menschen gesehen hätte. Herr Dr. Lasch hatte ihm einen ausführlichen Krankenbericht geschickt. – Im Verlaufe des Gesprächs erzählte er mir, daß Frau Margot Seeberg den Ehrgeiz hätte, an meiner Stelle Bürgermeister zu werden, – natürlich unter dem Protektorat des Herrn Dr. Ziel. – Später kam Paul, der mir bestätigte, ähnliche Gerüchte ebenfalls gehört zu haben. Auch Martha meint, daß Herr Gläser derartiges gesagt habe. Jetzt fällt mir ein, daß Herr Gläser mir gegenüber auch schon eine Bemerkung in dieser Richtung getan hat, aber ich hatte das nicht Ernst genommen.

     Frau Schuster war da u. besprach allerhand Gemeinde=Angelegenheiten, u. a. auch, daß Frau Doris Oberländer um die erhöhte Lebensmittel=Karte eingekommen, weil sie Mitglied des Kulturbundes zur demokrat. Erneuerung Deutschlands sei. Mir kam das wie ein Wink des Himmels vor u. ich schrieb mir gleich die Anschrift der Geschäftsstelle in Rostock, Schillerplatz 10. ab. Ich habe sofort selbst um Aufnahme in den Kulturbund gebeten, damit ich nicht [4] meine Lebensmittelkarte verliere, wenn ich nicht mehr Bürgermeister sein werde.

     Gestern am Spätnachmittag war Paul da, mit dem ich eine eingehende Aussprache hatte. Seine Tochter Erika ist nun ja fort, nicht ohne daß es vorher noch Differenzen zwischen ihr u. ihm gegeben hätte. Ich sagte ihm unverblümt meine Meinung über Grete u. seine drei Töchter u. er selbst beklagte sich bitter über Grete u. ihre scheinheilige Verlogenheit. Paul ist sicher ein Mensch, der zu Gleichgültigkeit u. Oberflächlichkeit neigt u. der den Dingen nicht gern denkend auf den Grund geht, – aber er hat das im Leben an der Seite dieser Frau bitter büßen müssen.

     Der Strom wird wieder um 9 Uhr Abends eingeschaltet, – aber von 5 – 9 Uhr sitzt man im Dunklen. Meist gehen wir dann schlafen, ehe das Licht wiederkommt, nur heute bin ich einmal aufgeblieben, weil ich noch an den Kulturbund schreiben wollte.

Sonntag, 4. November 1945.     

     Ich konnte auch heute immer noch nicht in der gewohnten Weise die Andacht halten, wir mußten uns begnügen, gemeinsam die Meß-Gebete vom Allerheiligen-Fest zu beten. Ich bin immer noch müde u. sehr angegriffen. – Ueber Mittag kam Prof. Triebsch, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Er hatte für sich eine höhere Lebensmittelkarte beantragt, da Dr. Ziel ihm die allerniedrigste Karte gegeben hatte. Dr. Ziel hatte dies zum Anlaß genommen, Ilse Schuster einen Brief an das Wirtschaftsamt zu diktieren, in welchem er dem W-A diesen u. andere Anträge zur Entscheidung vorlegen wollte. Dieser Brief sollte vom stellvertr. Bürgermeister unterschrieben werden. Ilse Schuster gab mir aber vorher diesen Brief u. ich warf ihn in den Papierkorb. Erstens steht dem W-A. eine solche Entscheidung garnicht zu, sondern dem Bürgermeister, gegen dessen Entscheidung der Betroffene dann Beschwerde einlegen kann, wenn er will u. zweitens enthielt dieser Brief zahlreiche gemeine u. hinterhältige Angriffe gegen Triebsch, Gläser u. a. So behauptete Triebsch, daß er seinen Professortitel, seinen Staatspreis u. die Goethe-Medaille von den Nazis erhalten hätte, was zwar stimmt, wonach aber niemand gefragt hat. Da Triebsch mir auf meine Bitte vor längerer Zeit einen Bericht übergeben hatte über seine politische Einstellung u. da er sich zum Beweise seiner antifaschistischen Gesinnung ausgerechnet auf Herrn Dr. Ziel berufen hatte, machte ich Triebsch auf dieses Verhalten des Herrn Ziel aufmerksam. Er war ganz außer sich u. im höchsten Grade empört. Es lässt sich denken!

     Später kam überraschend Herr Dr. Jaeger aus Chemnitz, der für zwei Tage hierher gekommen war u. bei Ziels wohnt. Er ist ja lange mit Ziels befreundet. In seiner Begleitung war noch ein anderer Herr. Beide waren nur kurz da, weil wir grade beim Essen waren. Was Dr. Jaeger hier will, habe ich nicht erfahren können. Auch Lore Ziel ist anscheinend mit diesen beiden Herren hierher gekommen. Dr. J. erzählte aus Chemnitz, daß dort das Wirtschafts= u. Geschäftsleben wieder in bester Ordnung sein soll, was ich nur als maßlose Uebertreibung aufnehmen kann.

     Nachmittags gingen Martha u. ich wieder zum evang. Gottesdienst in die Schule. Pfr. Pleß sprach wieder sehr gut, er ist ein wahrhaft frommer Mann. Zum Unterschied von neulich war es heute ziemlich voll, – allerdings nicht im Verhältnis zur Einwohnerschaft. Es mögen 50 Personen dagewesen sein, was bei einer Zahl von 450 Einwohnern nicht übermäßig viel ist.

     Später waren Paul + Grete bei uns, aber ich drückte mich bald in mein Zimmer, es wurde mir zuviel.

[5]
Mittwoch, 7. Nov. 1945.     

     Heute ist großer sowjetischer Revolutions=Feiertag. Es darf nicht gearbeitet werden, auch die Bauern auf dem Felde nicht, sogar das Gemeindebüro muß geschlossen bleiben. Am Freitag den 9. November wiederholt sich das als deutscher Revolutionstag. Dieser Tag, der Geburtstag meines Vaters, hat es in sich. Erst war er Revolutions-Feiertag der Weimarer Republik, dann Hitler-Deutschlands, u. jetzt auch des sog. „Neuen Deutschlands“. –

     Gestern ist Frau Garthe gestorben. Martha war u. ist bemüht um sie u. um die Ordnung, denn niemand von der Familie ist hier u. es ist zu fürchten, daß auch dieses Haus ausgeplündert werden wird, wenn es unbeaufsichtigt bleibt. Herr Krull bemüht sich ebenfalls. Die alte Frau hat sich ihr Leben lang aufgeopfert, erst für ihren Mann, dann für ihren Sohn u. dessen Frau u. Kinder, – u. jetzt ist niemand da. –

     Gestern waren Herr + Frau Dr. Umnus hier. Dr. U. erzählte, daß er im Radio gehört habe, daß eine neue Differenz zwischen den Westmächten u. Rußland bestehe. Die Westmächte verlangen, daß zur Wahrung wahrhafter Demokratie in Deutschland auch die Opposition zu Worte kommen müsse, während die Russen nur die vier jetzt bestehenden, sog. demokrat. Parteien gelten lassen wollen: die Kommunisten, die Sozialdemokraten, die christlich=demokratische Union u. die liberal-demokrat. Partei. Es ist ja klar, daß eine Ausschaltung jeder Opposition niemals Demokratie sein kann, wie ja eben die Russen niemals Demokraten sind u. es ist sehr anerkennenswert, daß die Westmächte sich nun also auch wirklich praktisch zu wahrer Demokratie bekennen. Der Unterschied zwischen Ost u. West wird aber immer krasser. – Auch wollen die Anglo-Amerikaner eine deutsche Regierung einsetzen, während die Russen das verhindern wollen. Auch Frankreich ist dagegen. Heute heißt es, daß de Gaulle zurückgetreten ist. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um diese Differenzen u. der Rücktritt würde bedeuten, daß die englisch-amerikanische Auffassung gesiegt hat. Im engl. Senden wird bereits seit einiger Zeit davon gesprochen, daß bis zum Juni 1946 eine deutsche Zentralregierung eingesetzt werden sollte u. daß die militär. Besetzung Deutschlands dann ein Ende finden soll, es soll dann eine Zivilverwaltung eingerichtet werden.

     Es ist jetzt ein halbes Jahr vorbei, in dem wir von den Feindstaaten besetzt sind. Wir in der russ. Zone wissen jedenfalls, daß es so nicht gut gehen kann. Allein die sog. Bodenreform, die ja nur in der russ. Zone durchgeführt worden ist, zeigt deutlich, wohin der Weg führt: zum völligen Ruin. Selbst in der kommunistischen Zeitg. „Volkszeitung“, die wir von Zeit zu Zeit bekommen u. die ein dürftiges Kaseblättchen ist, kann man hier u. da zwischen den Zeilen lesen, daß auch den Kommunisten dabei bange wird. Es zeigt sich, daß diese zahlreichen „Neubauern“ auf 5 ha. Land mit der Herbstbestellung nicht fertig werden, was nicht anders zu erwarten war, denn es sind zum großen Teil Leute angesiedelt worden, die von der Landwirtschaft garnichts verstehen. Von Zeit zu Zeit werden auch unsere Leute hier aufgefordert, sich Land zuweisen zu lassen, das jedoch weit entfernt liegt u. unerreichbar ist. So hieß es vorgestern wieder, daß unsere Leute nach Dierhagen gehen sollten, weil dort Wald aufgeteilt würde. Früher sollten sie nach Körkwitz gehen, weil das Gut dort aufgeteilt wurde. Es ist aber keiner hingegangen.

     Von Dr. Krappmann erhielten wir einen ersten Brief aus Berlin, wo er sich mit Privatstunden sein Brot verdient.

     Meine Gesundheit macht nur sehr langsame Fortschritte, ich bin sehr schlaff u. halte nichts aus.

[6]
Donnerstag, 8. Nov. 1945.     

     Gestern am Spätnachmittag trat ein Jesuitenpater in unser Haus. Frau Margot Seeberg hatte ihn in Ribnitz bei Dr. Thron kennengelernt u. ihn darauf aufmerksam gemacht, daß hier in Ahrenshoop Katholiken säßen. Der Pater hatte ihr versprochen, hierher zu kommen; aber nachdem der Dampfer kaputt ist u. nicht mehr fährt, hatte ich damit nicht gerechnet. Nun kam er zu Fuß. – Er stammt aus Oppeln u. ist nun von Berlin aus nach Ribnitz geschickt worden, um zu sondieren, was hier los ist. Er hat sich in Ribnitz einquartiert, hält dort im Saal des ehemal. Klosters Gottesdienst. Er ist ein noch junger, großer u. vierschrötiger Mann u. für unsere Gegend sehr geeignet. Heute morgen hat er eine hl. Messe gelesen. Leider war über Nacht das Wetter sehr schlecht geworden, sodaß nicht viele Leute zur Messe kamen, aber Dr. Völker war trotzdem mit seiner Frau von Wustrow hierher gekommen. Seine Schwägerin, Schw. Maria, die momentan die alte Frau Geh. Rt. Koehn pflegt, war auch da, sowie Frau Triebsch u. die Frau des Kutschers Hanschak, auch das Ehepaar Degner. Der Pater bleibt bis zum Sonnabend, sodaß wir drei Messen haben werden. Sehr schwer ist es, ihn zu ernähren, aber da kommen heute der Sergeant von Monheim u. ein Soldat u. bringen uns ein großes Stück Fleisch. Es ist wirklich merkwürdig, wie Gott solche Gebete immer erhört.

Sonntag, 11. Nov. 1945.     

     Gestern Mittag ist P. Drost wieder nach Ribnitz zurückgegangen, zu Fuß. Es waren sehr anregende Tage. Der Mann ist noch jung, sehr gesund u. unverwüstlich. Am Freitag hielt er bei Margot Seeberg nachmittags einen Vortrag, zu dem die vielen Ahrenshooper Intellektuellen erschienen waren, – ich selbst war nicht da, weil es mich zu sehr angestrengt hätte. Abends waren dann die Schlesier, nämlich Frl. Nickstadt u. das Ehepaar Degner bei uns u. ließen sich von ihm über Schlesien berichten. Er erzählte sehr anschaulich von den überaus grausigen Ereignissen. Nachher sprachen Martha u. ich allein noch mit ihm, wobei auch von Kunst gesprochen wurde. Davon hat er keine Ahnung. Das ließ ihm keine Ruhe u. so drängte er mich am Freitag Abend, – Martha war schlafen gegangen –, ihm über abstrakte Kunst etwas zu sagen. Es war ihm unerträglich, hier mit mir zusammen gewesen zu sein u. mich zu schätzen, aber vom Wichtigsten nichts zu wissen. Ich gab mir Mühe, ihm eine Handhabe zu geben, meine Ideen zu verstehen, aber es gelang mir nur sehr wenig. Es ist ja überaus schwer, jemanden darüber etwas zu sagen, der gewöhnt ist, Bilder nur gegenständlich zu sehen u. sie als Träger religiöser Gedanken zu nehmen. Nur daß er garkeine Opposition machte, sondern ganz willig war, – u. das war sehr nett. So ist es mir wenigstens gelungen, ihm die Grundelemente etwas nahe zu bringen, – er muß nun darüber erst eine Weile nachdenken, bis man mehr sagen kann. –

     Für uns war ja das Wichtigste, daß wir drei hl. Messen hatten, – gestern früh in Form eines Hochamtes. Wir konnten darum heute unsere Sonntagsandacht ausfallen lassen, – eine große Erleichterung für mich.

     Gestern Nachmittag wurde Frau Garthe beerdigt. Pastor Müller-Althagen fungierte als Geistlicher. Ich selbst blieb aber zuhause.

     Justus Schmitt ist z. Zt. hier. Er schläft seit gestern bei uns, nachdem P. Drost fort ist. Er ist ja ein vielgewandter Mensch u. so ganz anregend.

     Gestern brachte mir Frau Schuster eine Verfügung, nach welcher in der Gemeine Ahrenshoop sofort sämtliche Zentrifugen [7] zu beschlagnahmen seien. Künftig ist alle Milch restlos an die Molkerei abzuliefern u. nur noch Kinder werden künftig nur noch Magermilch erhalten. – Das ist die Antwort auf die Beschwerde, welche Herr Dr. Ziel über mich an die Regierung in Schwerin gerichtet hat, weil ich zu rücksichtslos die Kuhhalter gezwungen hätte, Milch abzuliefern. Nun wird überhaupt niemand mehr Vollmilch erhalten u. mit Butter ist es ganz aus. Es ist zwar eine gewisse Genugtuung für mich, aber das ganze Geschäft widert mich jetzt so an, daß ich mich immer mehr zurückziehe. Ich denke, daß ich zum 1. Dezember das Amt ganz niederlegen werde, obgleich ich nicht weiß, wer es dann machen soll. Herr Schröter, auf den ich meine Hoffnung gesetzt hatte, erweist sich leider als unfähig.

Dienstag, 13. Nov. 1945.     

     Justus Schmitt ist heute früh wieder nach Berlin zurückgefahren. Wir hatten, wie es immer mit ihm ist, einige sehr anregende Gespräche, einigemale auch solche religiöser Art. Es scheint, daß er sehr langsam dem Religiösen etwas näher kommt, aber vorläufig fehlt noch der Schock, der ihn veranlassen könnte, das Weltinteresse fahren zu lassen. Dennoch ist es möglich, daß es einmal dazu kommt.

     Am Sonntag Nachmittag waren Herr + Frau Triebsch da um nochmals die Angelegenheit Dr. Ziel zu besprechen. Beide können noch garnicht über die Gemeinheit der Gesinnung, die sich da offenbart hat, hinweg.

     Ich verfasse meine endgültige Abdankung als Bürgermeister, ich denke, daß ich sie übermorgen absenden werde, sodaß ich zum 1. Dezember frei bin.

     Ich beschäftige mich täglich einige Stunden mit den endzeitlichen Weissagungen im Alten= u. Neuen Testament, wozu mir eine kleine Schrift: „Die Endkrisis der Völker“ von Joh. De Heer, dient, die dem Pfarrer Kumpf gehört u. die dieser der Frau Longard geliehen hat. –

Mittwoch, 14. Nov. 1945.     

     Heute Nachmittag wird wieder im Orte geimpft. Dr. Lasch wird kommen.

     Der Sergeant von den Russen bei Monheim will einen Militärmantel, er läuft uns deshalb das Haus ein. Diese Leute sind unerträglich.

     Morgen will ich dem Landrat meinen Rücktritt zum 30.11.45. mitteilen. –

     Triebsch schickte mit durch seine Frau einige Pinsel, darunter einige ganz neue. –

Donnerstag, 15. Nov. 1945.     

     Heute morgen übergab ich Frau Schuster, die vor dem Dienst zu mir kam, mein endgültiges Rücktrittsgesuch, sie sollte es gleichzeitig dem Gemeindevorstande mitteilen. Der erste Erfolg war, daß Willy Meyer u. Bernh. Saatmann mit Paul Küntzel zu mir kamen, um die neue Lage zu besprechen. Meyer u. Saatmann waren sehr niedergeschlagen. Sie sagten mir, daß doch seit meiner früheren Amtsführung als Gemeindevorsteher in Ahrenshoop nichts Ordentliches mehr geleistet worden sei usw., u. sie schimpften auf Dr. Ziel. Ich blieb aber fest u. sagte ihnen, daß ich nicht nur wegen dieser geheimen Quertreiber ginge, sondern vor allem auch, weil die übergeordneten Behörden eine gedeihliche Arbeit unmöglich machten, indem sie alle Lasten auf die Bürgermeistereien abschöben, selbst aber nichts täten, um die Gemeinden zu schützen. Man verlangt von uns die Einrichtung eines Seuchen-Krankenhauses u. einer Entlausungs=Anstalt, [8] aber man gibt uns dazu weder das Geld, noch das Material, noch gibt man uns die zur Unterhaltung solcher Anstalten notwendigen Hilfskräfte. Man verlangt im Gegenteil, daß wir hilfsbedürftige Flüchtlinge noch mit Geld unterstützen sollen. Frau Schuster war gestern in Ribnitz beim Wirtschaftsamt, wo ihr gesagt worden ist, daß an die Russen keinerlei Lebensmittel abgegeben werden dürften, widrigenfalls wir uns strafbar machen; aber niemand hilft uns, uns der Forderungen der Russen nach Brot u. Kartoffeln u. a. Lebensmittel erfolgreich zu widersetzen. Erst gestern war wieder Bauer Paetow bei mir u. klagte, daß die Russen in seinem Kartoffelkeller seien u. Kartoffeln holten. Ich konnte ihm nicht helfen. – Während die Herren bei mir waren, kam der russ. Leutnant aus dem Monheim'schen Hause u. erklärte mir wieder einmal, daß nur er hier zu sagen hätte, die Althäger hätten hier nichts zu sagen u. daß die Fischer künftig Ausweise von ihm haben müßten, sonst würde geschossen. Außerdem verlangte er die Stellung von Musikern, weil die Russen tanzen wollten. Von Paetow hörte ich gestern erst, daß die Russen dauernd sein Gespann zu Fahrten nach Prerow benutzen, sodaß P. seinen Acker nicht bestellen kann. Alle diese Dinge sind eben unerträglich. –

     Aber eine Freude war heute endlich einmal, weil ein Brief von Anneliese kam, in dem ein von Fritz selbst an Annliese geschriebener Brief lag. Dieser ist vom 5. Oktober. Er schreibt, daß er noch immer im Gefangenenlager Freiburg-Flughafen ist, daß es aber leider noch immer ungewiß ist, was werden wird, obgleich er selbst dienstunfähig ist. Er schreibt, daß er trotz guter Beziehungen nicht freikommt. Er war 3 Monate im Lazarett in Hinterzarten u. nun ist er schon 4 Monate im Lager. Er hat mehrfach geschrieben u. die Post entlassenen Kameraden mitgegeben, aber es ist nichts angekommen. Er teilt nun mit, daß er selbst über das Deutsche Rote Kreuz in Freiburg, Lorettostraße 1 postalisch zu erreichen sei. Wir werden das sogleich versuchen. Er hat auch an Ruth mehrfach geschrieben, aber er weiß nichts von ihr. – Anneliese hat auch von Kurt nichts gehört bis auf eine Nachricht aus Langensalza von einem Mann, der mit ihm zusammen in russ. Kriegsfangenschaft gewesen sein will, doch glaubt Anneliese, daß es Schwindel ist.

     Ferner bekam ich einen Brief von dem Schriftsteller Alfred Sittarz aus Pillingsdorf, Post Neustadt a. Orla. Er war hier Soldat u. wir halfen ihm, von hier fort zu kommen, er bekam von mir eine Jacke u. einen Hut. Drei Monate hat er gebraucht, um von hier in seine Heimat zu gelangen. –

     Schließlich erhielt ich vom Kulturbund die Nachricht, daß ich in den Bund aufgenommen sei. Das ist also nun geschehen, die erste Anknüpfung an das Kunstleben seit 12 Jahren!

Freitag, 16. November 1945.     

     Gestern Nachmittag war nochmals Paul bei mir. Als er gegangen war, kam mir die Klarheit, daß er u. kein anderer den Bürgermeisterposten übernehmen muß. – Ich hatte in den letzten Tagen sehr viel zum Hl. Geist gebetet u. um Klarheit gebeten, ob es recht ist, wenn ich das Amt niederlege u. die Gemeinde irgend einem Nichtskönner oder gar einem politischen Geschäftemacher auslieferte. Nun sah ich ganz plötzlich klar, daß Paul nicht nur ein viel besserer u. erfahrenerer Verwaltungsbeamter ist, als ich, der ich von solchen Sachen ja garkeine Ahnung habe, sondern daß Paul damit auch sehr geholfen wird. Er ist schon längst mit seinem Gelde am Ende, sodaß ich ihm schon vor Monaten mit 500,– Rm. ausgeholfen habe; aber auch dieses Geld muß nun ja aufgebraucht sein u. an eine Pensionsregelung ist noch garnicht zu denken. Als Bürgermeister aber hat er Anspruch auf eine Dienstaufwands-Entschädigung von 180,– Rm. monatlich, [9] damit kann er ganz gut leben, abends kam dann auch noch Herr Degner mit allgemeinen dienstl. Angelegenheiten. Ich bat ihn, Paul u. die Herren vom Gemeindevorstand mit Herrn Krull zu heute früh 10 Uhr zu mir zu bestellen. Heute früh kam auch noch Frau Schuster u. sagte mir, daß sie gestern Abend noch bei Herrn Küntzel gewesen sei u. daß sie gefunden habe, Paul wäre jetzt halb u. halb bereit, das Amt zu übernehmen, wenn es ihm angetragen würde.

     So hatten wir also eben die Sitzung in meinem Privat-Zimmer. Ich hatte mir alle Argumente genau festgelegt u. legte sie den Herren dar. Paul machte vier Gegenvorschläge in verschiedenen Kombinationen, von denen der letzte eigentlich eine Annahme meines Vorschlages bedeutete, nur mit verschiedenen kleinen Klauseln. Ich ging natürlich nur auf diesen letzten ein, der auch die Zustimmung der übrigen Herren fand. Nach viel Hin u. Her erbat sich Paul 24 Stunden Bedenkzeit, sodaß wir diese Sitzung morgen um 10 Uhr nochmals wiederholen werden. Die Herren verabschiedeten sich u. Paul blieb noch zu einer Cigarette. Ich hatte den Eindruck, daß er die Sache nun doch annehmen wird, – u. das wäre das Allerbeste. Der Hl. Geist hat wieder einmal überraschend geholfen u. die sehr verwirrt scheinende Lage geklärt. Hoffentlich wird sich alles so weiter entwickeln.

Sonnabend, 17. Nov. 1945.     

     Endlich konnte wieder einmal ein Schwein geschlachtet werden, seit vielen Wochen oder gar mehreren Monaten ein Schwein! – u. dieses geschlachtete Schwein haben die Russen bei Leplow gestohlen. –

     Gestern Nachmittag erschien mit Frau Schuster ein junger Mann aus Ribnitz, der mir eröffnete, daß Ahrenshoop sofort 500 Ostflüchtlinge aufnehmen müßte. Ich sagte, daß das schlechthin unmöglich wäre. Er erzählte mir daraufhin von dem neuerlichen Flüchtlingselend. In Ribnitz kämen Züge über Züge mit Flüchtlingen an in einem grauenhaft elenden Zustande u. man müsse sie eben unterbringen, egal wie, auf Stroh in Sälen u. einzel-Häusern. Ich wies ihm nach, daß wir ja schon etwa das Doppelte unserer Einwohnerzahl an Flüchtlingen beherbergen u. daß die leeren Häuser hier ohne Oefen u. ohne Fensterscheiben wären. Außerdem haben wir überhaupt keine Ernährung, weder Kartoffeln noch Brot. Der Herr erwiderte, daß das in allen anderen Gemeinde ebenso wäre u. daß eben den Flüchtlingen geholfen werden müßte mit allen Mitteln. Er schilderte mir das Elend dieser Menschen, wie sie jetzt dauernd in Ribnitz einträfen u. das wahrhaftig grauenhaft sein muß. Die Leute sind voll Läuse, sie haben nichts, als das, was sie auf dem Leibe tragen, sie sind verhungert, krank u. elend. Ich entgegnete, daß ich um so mehr verpflichtet sei ihre Aufnahme abzulehnen. Ich sagte, es sei leichter, einfach ja zu sagen, die 500 Menschen herkommen u. sie dann hier zugrunde gehen zu lassen. Ich sagte, daß ich doch die Verantwortung dafür übernehmen müßte, u. das könnte ich nicht, da das Dorf schon selbst nicht genug zu essen u. keine Feuerung hat. Soll ich nun das vorhandene Elend noch vergrößern u. dazu Seuchen einschleppen lassen, bloß weil die sog. Landesregierung selbst nichts tut u. die Last auf die Landgemeinden abschieben will? Ich sagte ihm, daß wir doch kein Bauerndorf seien, daß wir ein Badeort sind ohne Landwirtschaft u. überdies ausgeplündert u. ausgesogen von den Kosaken, daß die Leute hier längst kein Geld mehr haben, weil sie keine Verdienstmöglichkeit besitzen usw. Nun, wir einigten uns schließlich auf 150 Flüchtlinge, von denen ich etwa 100 im Kinderheim u. 50 im Saal des Balt. Hof [10] auf Stroh unterbringen kann, jedoch unter der Bedingung, das Ribnitz mir das Stroh, Kartoffeln u. Brot liefert. Auch das ist kaum zu verantworten, denn was wollen diese Menschen hier anders, als sterben? – Schließlich ergab sich, daß der Herr einsah, daß die Verbindung hierher tatsächlich äußerst schwierig ist u. der Landweg dafür garnicht in Frage kommt, der Transport hierher könnte nur mit dem Dampfer geschehen, u. dieser ist kaputt. Also wird aus der ganzen Sache zunächst hoffentlich nichts werden. Aber ob ja oder nein, es wurde mir deutlich, daß wir alle einer Katastrophe entgegentreiben, die alles Vorstellbare übersteigen wird.

     Die andere Sache mit meiner Nachfolge hat sich nun leider doch wieder zerschlagen. Paul kam gestern Abend noch zu mir u. sagte mir, er könne auf meine Vorschläge nicht eingehen. Als er dann diese Geschichte mit den Flüchtlingen hörte, war seine Ablehnung ums so entschiedener. Es kam dann noch Frau Schuster dazu u. später noch Herr Deutschmann, der ebenfalls dringend abriet. – Heute morgen, kurz ehe unsere neue Beratung beginnen sollte, kam der Sergeant von Monheim mit einem Soldaten u. verlangte wieder Pferde, um ein Wildschwein zu holen, das sie im Darss geschossen hatten, außerdem wollte er wieder 2 Centner Kartoffeln haben. Ich erklärte ihm, daß mir streng verboten sei, etwas zu geben u. es kam natürlich zu einem großen Krach, zu dem Paul eben noch grade zurecht kam. Ich hatte nun wirklich keinen Mut mehr, ihm weiter zu zureden, ich könnte es nicht verantworten. Die Russen zogen wütend ab, aber ich bin darauf gefaßt, daß nun irgendetwas geschehen wird.

     Es begann dann unsere Sitzung, zuerst mit Willy Meyer u. Bernh. Saatmann allein, später nahm Herr Schröter daran teil. Es gelang mir nun wenigstems. Herrn Sch. zu bewegen, die Geschäfte als Vertreter des stellvertr. Bürgermeisters vertretungsweise weiter zu führen, obgleich dieser Herr, wie sich gezeigt hat, dafür garkeine Fähigkeiten besitzt. Ich habe ihm gesagt, er solle sich in mein Amtszimmer setzen, damit er dort möglichst wenig Unsinn macht, während Frau Schuster die eigentlichen Geschäfte führt, gemeinsam mit Herrn Degner. Paul hat sich bereit erklärt, die Briefe u. Verordnungen bei sich zuhause zu bearbeiten, sodaß Frau Schuster sie nur zu tippen braucht. In diesem Sinne haben wir den Antrag beim Landrat gestellt, daß vorläufig kein neuer Bürgermeister eingesetzt werden soll u. Herr Schröter die Geschäfte vertretungsweise weiterführen soll. Hoffentlich geht er darauf ein. Wir erwarten in diesen Tagen Herrn v. Viereck, den Mann der Mary v. Paepke, dessen Gut ja auch der Bodenreform zum Opfer gefallen ist. Das Ehepaar will zunächst hier in ihrem Hause wohnen. Möglicherweise ist Herr v. V. ein geeigneter Bürgermeister.

Sonntag, 18. November 1945.     

     Heute morgen erschien wieder ein mir bislang unbekannt gebliebener Offizier mit einem ebenso unbekannten Unteroffizier aus dem Monheim'schen Hause. Er verlangte sofort ein Fahrrad, um damit nach Prerow zu fahren, er würde es Nachmittags zurückbringen. Ich erklärte ihm wiederum, daß ich kein Rad geben könnte, Ribnitz hätte es mir streng verboten. Der Offizier war ganz nett, er machte einen besseren Eindruck als die sonst unter diesem Namen herumlaufende Gesellschaft. Ich hätte ihm gern ein Rad verschafft, aber erstens erklären alle, deren Räder im Gemeindeamt vorschriftsmäßig registriert sind, daß ihre Räder kaputt wären, u. zweitens würde ich sofort morgen eine Beschwerde des betr. Besitzers am Halse haben, wenn ich dem Offizier [11] ein Rad nachweisen würde. Ich sagte ihm, er müsse sich selber ein Rad suchen ich könnte ihm keins nachweisen. Wahrscheinlich handelte es sich bei der ganzen Sache eben um dieses. Der Offizier wußte jedenfalls von meinem Zettel, den ich gestern dem Sergeanten gegeben habe u. auf dem ich ihm bescheinigte, daß mir streng verboten sei, irgend etwas herauszugeben. Er sagte mir, daß er dringend zum „Generalmajor“ fahren müsse, – u. zwar wahrscheinlich wegen dieser Sache. Ich konnte dem Mann nicht helfen. Er war nicht unfreundlich, aber doch begreiflicherweise sehr unzufrieden, denn er hatte nun einmal den Befehl seines Generalmajors, sich hier ein Rad zu besorgen u. sofort nach Prerow zu kommen. Es gab ein langes Verhandeln. Ich sagte ihm, daß ich nicht anders könnte, weil ich sonst Gefahr liefe, auf Befehl des Ribnitzer Kommandanten eingesperrt zu werden u. er erwiderte, daß sein Generalmajor ihn einsperren würde, wenn er seinen Befehl nicht ausführe. Schließlich zog er sehr unzufrieden ab. Ich fürchte, daß aus dieser ganzen Sache noch große Unannehmlichkeiten entstehen werden. Wie ich höre, gehen die Russen jetzt einfach zu Hagedorn u. holen sich Brot. Aber auch aus Althagen höre ich ähnliches, obgleich die Russen dort doch unter dem direkten Kommando von Ribnitz stehen.

     Uebrigens sollen die Baracken der Batterie nun abgerissen u. nach Rostock geschafft werden. Damit wäre dann wenigstens dieser Schandfleck beseitigt u. es kann keine große Besatzungstruppe mehr dort untergebracht werden.

An Fritz eine Karte geschrieben als erster Versuch über das Rote Kreuz in Freiburg. Ob sie ihn erreicht?

     Heute morgen habe ich seit meiner Erkrankung zum ersten Male wieder eine Andacht mit Ansprache gehalten, aber es hat mich so angestrengt, daß ich mehrmals versucht wurde, die Andacht abzubrechen.

Montag, 19. November 1945.     

     Kleines Begleitschreiben gedichtet für das „Bunte=Stuben=Allerlei“, welches Martha für Freunde der BuStu. als kleine Weihnachtsgabe sehr hübsch zusammengestellt hat.

     Brief an den Bürgermeister von Wustrow geschrieben, der der Gemeinde gedroht hat, das Krankenhaus für Ahrenshooper Kranke zu sperren, falls wir keine Lebensmittel liefern. Wie kommt der Mann zu dieser Anmaßung?

     Gestern am Nachmittag im Dunklen noch Paul + Grete für kurzen Besuch. Sie waren vorher bei dem Dentisten Risch, – eine sehr anspruchslose Freundschaft.

     Heute geht es mir wieder etwas besser, nachdem ich sehr gut geschlafen habe, gestern war es nicht gut mit mir. Es dauert sehr lange, bis ich mich erhole. In der Nacht vom 12 – 13 Okt. wurde ich ins Krankenhaus gebracht – übrigens wieder am Freitag Abend, als die Krankheit ausbrach, am 13ten früh wurde ich eingeliefert, am Sonntag den 14 Okt. operiert. Es ist nun also schon über 4 Wochen her, und immer noch bin ich nicht wieder gesund.

Dienstag, 20. November 1945.     

     Frau Schuster berichtete gestern Abend, daß Herr v. Achenbach bei ihr gewesen sei, um sich als „Stützpunktleiter“ der antifaschistischen Front vorzustellen. Diese sog „Antifa“ soll aus Herrn v. A. für die KPD, aus Frau Burgartz für die SPD (Dr. B. selbst ist dazu wahrscheinlich zu töricht) und Dr. Ziel für die Liberal-Demokratische Partei bestehen. Herr v. A. hat in Aussicht gestellt, daß auch noch ein Vertreter der Christlich-Demokratischen Union dazu kommen würde, aber er hat den Namen nicht genannt. Nach dem, was Herr Dr. Burgartz [12] mir kürzlich andeutete, soll ja an Martha dieser ehrenvolle Ruf ergehen. Zunächst hat Herr v. A. einmal erklärt, daß künftig keine Beschlüsse vom Gemeindevorstande gefaßt werden dürften ohne Genehmigung der Antifa, – ja, er hat sich direkt beschwert, daß diese Antifa nicht bereits in wichtigen Angelegenheiten um ihren Rat befragt worden sei, worauf Frau Sch. erwidert hat, daß der Gemeindevorstand bisher keine Kenntnis von der Existenz der Antifa gehabt hätte. Herr v. A. hat das wohlwollend entgegengenommen u. die Erwartung ausgedrückt, daß man in Zukunft die Antifa gebührend beachten werde. Er hat dann weiter erklärt, er werde sofort nach Ribnitz fahren u. dort darlegen, welcher Unsinn es sei, Flüchtlinge nach Ahrenshoop zu bringen, er werde aber auch dafür sorgen, daß nunmehr ein Typhus=Krankenhaus eingerichtet u. eine Entlausungsanstalt aufgemacht würde. Er ist dann zu Herrn Schröter gegangen, um ihm dasselbe zu erzählen. Dieser scheint sich diesmal geschickt benommen zu haben. Er hat Herrn v. A. mit der ihm eigenen höflichen Art angehört u. zu allem Ja gesagt, dann aber zu Frau Schuster geäußert, daß er sich um die Herren nicht weiter kümmern wolle. – Die ganze Geschichte ist typisch. „Antifa“ u. „Stützpunktleiter“ das alles sind Worte u. Einrichtungen, die dem Arsenal der NSDAP. entnommen sind. Der Herr Stützpunktleiter selbst hat offenbar nicht den Mut gehabt, zu mir selbst zu kommen, sondern er geht erst einmal zu einer Angestellten in deren Privatwohnung, u. dann erst ins Amt zu Herrn Schröter. Und wer hat diese Leute eingesetzt u. ihnen ihre Befugnisse erteilt? Kein Mensch weiß das. Sie behaupten einfach, diese Befugnisse zu haben u. die Kreisbehörde, oder wer es sonst sein mag, ist zu feige, um dem Bürgermeister dergleichen mitzuteilen. Es ist gut, daß mir meine mangelhafte Gesundheit einen schönen Anlaß zum Rücktritt gibt, denn sonst würde ich denselben wegen dieses Anlasses erklären müssen.

     Soeben war Frau Sch. hier mit Unterschriften. Sie hat eben einen Anruf von Ribnitz bekommen, daß wir heute 200 Flüchtlinge hierher bekämen. Stroh u. Kartoffeln könnten höchstens in 4 Wochen geliefert werden, aber bis dahin seien die Flüchtlinge, wie der Ribnitzer Anrufer sagte, „hoffentlich verhungert“. Die Flüchtlinge befinden sich in Müritz-Graal in Quarantäne, sodaß sie wenigstens seuchenfrei zu sein scheinen. – Gleichzeitig teilt der Bäcker mit, daß er nicht in der Lage wäre, in der nächsten Woche Brot zu backen, weil die Russen dauernd Brot bei ihm geholt hätten. Ich habe Frau Sch. gesagt, daß sie sofort Herrn v. A. benachrichtigen solle. Er kann nun ja zeigen, was er kann. – Wir sollen die Flüchtlinge selbst von Müritz abholen, haben aber nur zwei Gespanne, das von Paetow u. das von Brandt. Es ist also unmöglich. – Wir treiben einer Katastrophe unerhörten Ausmaßes zu. –

     Gestern Abend brachte mir Frau Sch. noch die „Tägliche Rundschau“, diese in Berlin unter russischer Leitung erscheinenden Zeitung. Auf der Titelseite befinden sich Bilder eines 20 mtr. hohen Monumentes, auf dem ein Rotarmist aus Bronze steht. Dieses von den Russen im Tiergarten zu Berlin errichtete Monument soll der Ehre der im Kampf um Berlin gefallenen russischen Soldaten dienen, ist aber in Wahrheit nichts anderes als ein die Ehre Deutschlands unerhört verletzendes Schandmahl. Dergleichen haben ja nicht einmal die Nazis getan. Dazu erscheint ein die ganze Titelseite einnehmender Artikel, dessen Urheber wohl, wie ich annehmen will, der russische Schriftleiter selber ist, denn wenn ein Deutscher das geschrieben haben sollte, wäre die Gesinnungslosigkeit einfach schamlos. Es ist da von dem „Großen Stalin“ dauernd die Rede, wobei das große „S“ [13] die servile Gesinnung dieses Skribenten noch unterstreicht.

Mittwoch, 21. Nov. 1945.     

     Gestern Abend kam Frau Schuster nochmals. Die Flüchtlingsgeschichte ist nach telephon. Anruf aus Rostock nach vielen Auseinandersetzungen wieder rückgängig gemacht worden, sodaß wir zunächst einmal keine Flüchtlinge bekommen. Gleichzeitig hat sich der stellvertr. Landrat zu heute angemeldet, er will vor dem Volke eine Rede halten. –

     Abends: Der stellvertr. Landrat, ein Dr. Jaenicke oder so ähnlich, traf pünktlich 5 Uhr im Auto ein u. suchte mich im Hause auf. Wir saßen in meinem Arbeitszimmer. Er ist ein sehr sympatischer Mensch mit auffallend kräftiger Nase u. energischen Gesichtszügen, dabei ein Mann mit Gefühl u. Rechtlichkeit, der mir sehr gefiel. Der Kontakt war sofort da. Ich hatte mir Notizen vorbereitet u. es ergab sich die zwar niederziehende, aber interessante Tatsache, daß der Landrat nicht in des Lage ist, sich selbst, geschweige denn die Bürgermeister vor Uebergriffen sowohl der Russen wie auch der deutschen Kommunisten zu schützen. Er erzählte mir, daß die Russen in den letzten 3 Tagen dem Landratsamt 2 Autos einfach von der Straße weg gestohlen haben, ohne daß dagegen etwas zu machen war. Wie soll der Landrat da uns vor Fahrrad-Diebstählen, Kartoffeln= Brot= u. a. Diebstählen schützen. Ebenso ist es gegen die KPD. Der kommunistische Bürgermeister Dahlitz von Ribnitz hat neulich zusammen mit dem kommunistischen Leiter der Polizei Kumerow einen Landbürgermeister einfach abgesetzt. Beide sind in völlig besoffenem Zustande bei dem Landbürgermeister erschienen. Dieser hat sich natürlich beim Landrat beschwert u. der Landrat hat den Mann, gegen den garnichts vorlag, wieder in sein Amt eingesetzt. Daraufhin sind die Herren Dahlitz u. Kumerow in Begleitung eines russ. Offiziers abermals hingefahren u. haben den Bürgermeister wiederum abgesetzt. Der Landrat konnte dagegen nichts machen u. so ist es denn geblieben. – Ich sagte daraufhin, daß ich dann also recht täte, jetzt zurückzutreten. Der stellvertr. Landrat war daraufhin sehr erstaunt, er wisse von dieser meiner Absicht nichts. Ich sagte ihm, daß ich bereits am 2 Oktober mein Rücktrittsgesuch eingereicht hätte u. daß ich, nachdem ich bis heute keine Antwort erhalten hätte, nunmehr mitgeteilt hätte, daß ich zum 30.11.45. das Amt niederlegen würde. Er wußte von nichts u. meinte, daß mein Brief vielleicht nicht angekommen sei, aber das stimmt nicht, denn mein Brief ist von der Rostocker Polizei-Abteilung an die Ribnitzer Polizei gegangen, die daraufhin ja auch Herrn Schröter mit der vorläufigen Vertretung beauftragt hatte. – Ich legte ihm dann nahe, dafür zu sorgen, daß der kleine Ahrenshooper Wald für unseren Holzbedarf zur Verfügung stehen solle, weil wir keine Gespanne haben u. daß Spangenberg neue Pferde bekommen soll. Ebenso bat ich, uns von dem Typhus-Krankenhaus zu befreien, da wir dafür garkein Personal hätten. Ebenso legte ich ihm die Verpflegung des Wustrower Krankenhauses ans Herz. Er war in allem sehr zugänglich, ob er freilich etwas erreichen wird, muß die Zukunft lehren. – So dann besprachen wir eingehend die Flüchtlingsfrage. Leider wird es unmöglich sein, uns von Flüchtlingen zu befreien. – Ueber die Befugnisse der sog. „Antifa“ meint er, man müsse da lavieren. Befugnisse hätten diese Leute überhaupt keine, aber sie maßen sich solche an u. man kann dann dagegen nichts machen. – Sonst war er gut informiert über die Angelegenheit der Verhaftung Küntzels usw. – Er ging dann mit Martha zusammen zum Baltischen Hof, wo die Versammlung wartete. Herr v. Achenbach hat die Gelegenheit der Verzögerung benutzt u. Reden gehalten. Martha erzählte mir [14] nachher, daß der stellvertr. Landrat kurz u. sehr gut über die Flüchtlingsfrage gesprochen hat. Auf dem Wege dorthin hat er gesagt, daß er früher in Ahr. gewesen sei u. mich und Martha u. die BuStu. kenne, er könne verstehen, daß ich gern zurücktreten wolle. Er stimmte Martha zu, als sie ihm sagte, daß sie das Geschäft wieder öffnen wolle. Beim Abschied versicherte er mir, in der nächsten Woche noch einmal wieder kommen zu wollen. –

     Abends war Deutschmann da. Er bestätigte den guten Eindruck, den der stellvertr. Landrat überall gemacht hat. Die Zustände aber, in die er mir Einblick gegeben hat, sind einfach furchtbar. Es kann daraus nichts werden. –

Freitag, 23 November 1945.     

     Am Nachmittag kam Margot Seeberg u. berichtete von einer Besprechung des Flüchtlings-Ausschusses im Gemeindeamt u. der Antifa. Es ist heute die Nachricht gekommen, daß die angekündigten Flüchtlinge, – 150 Personen –, morgen hier eintreffen sollen. Herr von Achenbach hat die Sache groß in die Hand genommen. Sie sollen im Kinderheim, im Kurhaus u. im Seezeichen untergebracht werden auf Stroh. Es sollen Leute aus Oberschlesien sein, also wahrscheinlich viele Katholiken, sehr verwahrlost u. ohne jeden Besitz. Verpflegung haben wir vorläufig nicht, es soll an Kleidung fehlen, die hier gesammelt werden soll. Frau Seeberg hatte den sehr anständigen Instinkt, nach dieser Sitzung sofort zu mir zu kommen u. mir zu berichten, denn ich wußte in der Tat nichts von all dem. Später kam Frau Burgartz ebenfalls in derselben Absicht. Ich bin froh, nichts mehr damit zu tun zu haben u. keine Verantwortung zu tragen.

Sonntag, 25. November 1945.     

     Die Flüchtlinge sind bis jetzt noch nicht eingetroffen. Heute hatten wir wieder einmal eine schöne Andacht, ich war zum ersten Male seit meiner Erkrankung frisch u. konnte gut sprechen. – Nach der Andacht blieb noch Carmen Grantz bei uns u. hatte allerhand Fragen über die Messe. Sie hat erstaunlich viel Verständnis u. ist auf dem besten Wege. Dabei stellte sich ganz nebenher heraus, daß sie an dem Tage, als der Pater Drost hier Messe las, die hl. Kommunion empfangen hat. Sie hat nicht gewußt, daß das nicht ging, es hatte sich von selbst gemacht. Der Pater ging nämlich selbst, bei mir anfangend, die erste Reihe entlang u. verteilte die Kommunion u. wer nun in der ersten Reihe kniete, empfing sie eben, wenn der Knieende sie nahm. Und so war es bei Carmen. Alles, was geschieht, geschieht mit Gottes Willen oder Zulassung, – so auch dieses. –

     Vom Bürgermeister Herwagen aus Wustrow bekam ich gestern einen Brief. Ich hatte ihm geschrieben als Antwort auf einen ersten Brief in Sachen Fischland-Krankenhaus, in welchem er m. E. seine Amtsbefugnisse überschritt. In der Abwehr war ich vielleicht zu scharf geworden u. ich hatte mir deshalb schon ein schlechtes Gewissen gemacht. Nun wies er dies zurück, sehr energisch, aber doch in sehr netter Form. Ich habe mich ihm sofort geantwortet u. mich entschuldigt.

     Heute nachmittag ist wieder evangel. Gottesdienst. Triebsch will uns um 3 Uhr dazu abholen.

     Abends: Herr u. Frau Triebsch waren da u. er erzählte, wie seine Sache gegen Dr. Ziel ihren Fortgang genommen hat. Da Ziel selbst noch nicht von Chemnitz zurück ist u. da Frau Ziel sich anderwärts darüber geäußert hatte, daß sie neuerdings von dem Ehepaar Triebsch sehr kühl begrüßt würde u. daß das wahrscheinlich mit der von Dr. Z. vorgenommenen Lebensmittelkarten-Verteilung [15] zusammenhinge, woran jedoch ihr Mann völlig unschuldig sei –, u. nachdem Frau Z. damit zu erkennen gegeben hat, daß sie die Hintergründe mindestens ahnte, hat sie Triebsch veranlaßt gesehen, zu Frau Z. zu gehen. Er hat ihr mit großer Exaktheit den wahren Sachverhalt dargestellt, u. es ergab sich, daß Frau Z genau informiert war u. auch den Inhalt jenes Briefes kannte, den Dr. Z. im Gemeindeamt diktiert hat. Herr Triebsch hat es so dargestellt, daß ungenannte Personen, welche draußen vor der Türe des Gemeindebüros warten mußten, bis Herr Z. seinen gemeinen Brief diktiert hatte, von dem Inhalt Kenntnis erhalten u. Triebsch Mitteilung gemacht hätten, was ja auch teilweise stimmt. Er hat dann weiter gesagt, daß er zu mir gegangen sei, um mich über diese Sache zu befragen u. ich hätte ihm dann bestätigt, daß Herr Z. tatsächlich einen solchen Brief diktiert hat. Er hat aber nicht gesagt, daß ich diesen Brief vernichtet habe. Frau Z. war darüber sehr erschüttert, sodaß sie nur mit tränenerstickter Stimme sprechen konnte. Sie gab alles zu u. erklärte, daß sie diesen Brief ihres Mannes von Anfang an für ein großes Unglück angesehen habe, sodaß sie mehrere Nächte nicht hätte schlafen können. Herr Triebsch hat das zur Kenntnis genommen, hat aber weiter gesagt, daß er nun ja gewärtig sein müsse, daß ihm dasselbe passieren würde wie dem Oberstleutnant Küntzel, u. daß, – wenn das der Fall sein würde, das ganze Dorf nun diesmal genau wissen werde, wer der Denunziant gewesen sei. – Darauf ist Frau Z. in Tränen ausgebrochen. Die Frau tat Herrn Triebsch sehr leid, er drückte ihr sein Bedauern über den Vorfall aus, sagte ihr aber, daß er den Verkehr mit ihrem Mann abbrechen müsse u. daß er sich hiermit von ihr verabschieden wolle. – So hat sich die Frau also doch, wie ich es immer angenommen habe als der anständige Charakter erwiesen, u. man darf wohl annehmen, daß hinter dieser nach außen hin so harmonischen Ehe viel Tragik verborgen ist. Der Mann kann ja kaum jetzt erst mit seinen 56 Jahren zum Denunzianten geworden sein, er wird es ja wohl schon früher gewesen sein. –

     Nachher gingen wir zum evang. Gottesdienst, mußten aber auf den Pfarrer lange warten, da dieser wieder von der russ. Sperre lange aufgehalten worden war. Er hat ausreichende russische Ausweise aus Barth, aber diese Soldaten kümmern sich nicht darum, sie tun, was sie wollen, um die Leute zu ärgern u. den Verkehr unmöglich zu machen. Beim letzten Gottesdienst hatte sich schon dieselbe Sache ereignet, jedoch hatte der Aufenthalt nicht so lange gedauert, wie diesmal. Wir warteten wohl eine Stunde. Da um 5 Uhr das Licht ausgeht, mußte der Gottesdienst abgekürzt werden. Dennoch hielt er wieder eine ganz vorzügliche Predigt zum heutigen Totensonntag. – Martha u. ich sprachen ihn nachher kurz. Er bedauerte sehr, daß ich den Bürgermeisterposten niedergelegt hätte, aber ich tröstete ihn, daß mein Nachfolger ihm sicher ebenfalls alle Unterstützung zuteil werden lassen würde. Dessen Frau, die ich bisher nicht kannte, war übrigens auch da. Sie begrüßte mich u. stellte sich vor. Sie scheint eine freundliche, sympathische Frau zu sein. Der Pastor erzählte von den Zuständen im Landesinneren. Er stammt von einem Gut in der Nähe von Neubrandenburg, Friedland, Altentreptow. Das Gut ist seit Generationen im Besitz der Familie. Der Bruder, der es bewirtschaftete, wurde erschossen, seine Schwester starb. Er erzählte furchtbare Dinge. Es geht, – wovon wir nichts wissen –, eine Selbstmord=Epidemie durch das ganze Land, es zählen die Selbstmörder nach Zehntausenden. Dazu Typhus, Diphtherie, Flecktyphus usw. Es ist grauenhaft.

     Nach dem Gottesdienst kam das junge Ehepaar Garthe, doch überließ ich diese Martha allein.

[16]
Montag, 26. Nov. 1945.     

     Heute Nachmittag ganz große Freude: Ein erster, direkt an uns geschriebener, ausführlicher Brief von Fritz, u. gleichzeitig ein ebensolcher von Ruth. Von ihr kam zuleich ein bereits viel früher geschriebener Brief. – Merkwürdig, daß diese beiden Briefe der Zwillinge hier gleichzeitig eintrafen. Wegen Ruth war ich schon in großer Sorge, ich konnte mir nicht erklären, warum wir garkeine Nachricht von ihr bekamen u. grade heute dachte ich immerfort darüber nach, ob ich wohl Martha langsam darauf vorbereiten müßte, daß da Ernstestes zu befürchten sei. Nun sind diese Sorgen zerstreut. Ruth gehört zu den wenigen Aerzten Regensburgs, die nicht Nazi waren u. ist darum jetzt im Vorstande der Regensburger Aerzteschaft u. Erich ist als Kabel=Fachmann in Amerikanischem Dienst. Auch er war ja nicht in der Partei. Es geht beiden gut, sie sind noch in ihrer alten Wohnung in der Lappersdorferstraße. Sie schreibt reizend von Ortrun, die fleißig zur Schule geht, welche jetzt unter Leitung von kathol. Schwestern steht. Sie betet brav, geht gerne in die Kirche u. besucht das Grab des Brüderchens. Ach, könnten wir doch dort sein im katholischen Lande! –

     Und Fritz schreibt über sein Ergehen. Er sitzt immer noch im Gefangenenlager in Freiburg hinter doppeltem Stacheldraht u. die Franzosen scheinen sich nicht sehr gut zu benehmen. Sie machen den Gefangenen das Leben noch schwerer, als es ohnehin ist. Aber er hat nun im Lager eine Bücherei eingerichtet u. betätigt sich als Bibliotekar des Lagers. Wenigstens ist die Verpflegung ausreichend u. es geht ihm auch sonst ziemlich gut, nur daß er große Sehnsucht nach uns hat. Er schreibt herzlich wie früher, als wenn keine Pause dagewesen wäre, dabei haben wir von beiden Kindern acht Monate lang nichts gehört. Ich habe mich oft heimlich gewundert, mit welcher Ruhe Martha das ertragen hat. Nur wegen Kurt ist sie in letzter Zeit mehr in Unruhe, sie spricht öfter von ihm. Es ist ja immer noch möglich, daß er zurückkehrt. Hier u. da erhält Anneliese spärliche Nachrichten, von denen man aber nie weiß, ob sie stimmen, denn sie kommen immer über Dritte. Ich selbst kann nur sehr wenig Hoffnung haben, daß er wiederkehrt. – Und vielleicht wäre es so am besten! –

     Auch andere Briefe bekamen wir, einen auch wieder von Herrn Wiethuchter aus Frankfurt a. M. Von ihm hatten wir schon früher Nachricht aus Berlin. Auch von einigen Geschäftsfreunden kommen jetzt langsam Nachrichten, sie haben zwar nichts anzubieten, aber sie wollen die Verbindungen neu knüpfen, oder überhaupt feststellen, ob man noch lebt.

     Heute vormittag habe ich die ersten Schritte unternommen, um wieder zum Malen zu kommen. Ich habe alte Bilder vorgeholt, um die Keilrahmen neu zu verwenden, oder sie von Papenhagen passend zurechtschneiden zu lassen. Martha hat mir ein schönes Stück Leinewand gegeben, das ich für eine etwas größere Landschaft verwenden will. Für die anderen Bilder, die ich vorhabe, will ich die Rückseiten alter Bilder verwenden. Ich habe mir fünf Bilder vorgenommen, alles solche, die ich im vorigen Jahre bereits gemalt habe, die aber meiner Meinung nach noch nicht die letzte Fassung sind. Ich habe alle diese Bilder in diesen letzten Wochen oder gar Monaten im Geiste durchgearbeitet u. hoffe, etwas Gutes zu schaffen. –

     Heute ist der erste Schnee gefallen, freilich in Form von Matsch. Die angekündigten Flüchtlinge sind immer noch nicht eingetroffen, aber Althagen soll heute 400 Flüchtlinge bekommen haben. Bei uns ist dafür gestern Herr Dr. Ziel wieder eingetroffen, wie ich gehört habe.

[17]
Donnerstag, 29. November 1945.     

     Gestern wurde hier die dritte Typhus-Impfung vorgenommen u. Dr. Lasch trank nachher wieder eine Tasse Kaffee bei uns. Er hatte diesmal seine Frau mitgebracht, eine große, schlanke u. etwas mondäne Erscheinung, bei der die Unmöglichkeit äußerer Körperpflege in dieser Zeit recht störend auffällt. Dr. L. selbst ist ein in sich gekehrter Mensch, der sich nur schwer erschließt, der aber offensichtlich den Wunsch hat, sich mir zu erschließen, denn er kommt immer wieder. Er ist ein Mann, um den man sich Mühe geben müßte u. es ist schade, daß dem heutzutage so viele Hindernisse im Wege stehen.

     So weit ich dem infolge Strommangels höchst unvollkommenen Radio entnehmen kann, sind die Wahlen in Oesterreich recht hoffnungsvoll ausgegangen. Es standen drei Parteien zur Wahl: die Demokraten, die sich dort, wie ich glaube, Volkspartei nennen, die Sozialdemokraten u. die Kommunisten. Die Demokraten scheinen die absolute Mehrheit zu besitzen, die Kommunisten haben nur zwei Mandate errungen, sodaß Sozialdemokraten u. Kommunisten zusammen noch immer in der Minderheit sind. Der von den Russen eingesetzte Ministerpräsident Dr. Renner, Sozialdemokrat, hat darauf seinen Rücktritt erklärt. Dr. Renner scheint ein sehr fähiger Mann zu sein, er hat Oesterreich durch die ganze erste, schwierige Zeit mit Geschick durchgebracht u. es ist schade, wenn er jetzt nicht mehr mittun würde; aber die Wahl selbst ist sehr erfreulich. Die Russen werden sehen, daß sie sich in Oesterreich keine Freunde erworben haben. Wollte Gott, daß wir in Deutschland auch endlich so weit wären, daß wir wählen könnten, es wird bei uns bestimmt nicht viel anders sein. –

     Gestern bekam ich wieder einen Brief von Dr. Krappmann. Er ist in Kiel. Die Berliner Anschrift, die er auf dem Umschlag seines letzten Briefes angab, scheint eine Deckadresse gewesen zu sein. Er schreibt, daß er mit der Absicht umgehe, Bautischler zu werden, falls ein Anstellungsgesuch, das er noch in Bayern laufen hat, keinen Erfolg haben sollte. Er sieht in seinem Beruf keine Aussichten mehr. Ich finde diesen Entschluß sehr mutig u. anständig. – Auch von Dr. Birkenfeld bekamen wir eine Karte aus Berlin, dem armen Kerl scheint es recht dreckig zu gehen. Auch für ihn ist es ungewiß, ob er seinen Beruf als Wirtschaftsberater weiter ausüben darf, da er PG war, allerdings ohne Nationalsozialist gewesen zu sein.

     Die angedrohten Flüchtlinge sind immer noch nicht eingetroffen, dagegen hat Althagen 400 Flüchtlinge bekommen.

     Heute habe ich endlich das Schild am Gartenzaun entfernen lassen, das mich in russischer Sprache als Bürgermeister kennzeichnete, – morgen ist der letzte Tag, an dem ich dieses Amt habe.

     Papenhagen macht mir Keilrahmen. Ich fange gleich fünf Bilder auf einmal an. Zwei Keilrahmen sind schon fertig aufgespannt. Martha hat zum Glück Leinewand genug. Alle fünf Bilder sind Wiederholungen von im Jahre 1944 gemalten Bildern, bzw. Weiterführungen. So will ich den „Melchisedech“ weiter ins Abstrakte führen als Vision eines menschlichen Antlitzes, ferner die Landschaft mit den zwei Erlen, die abendliche Küstenlandschaft, sodann das Stilleben mit den gelben Dahlien als Sieg des Gelb über die anderen Farben u. das Stilleben mit dem Gnadenbilde Marias als eine Prozession von Kugelformen vor dem aufragenden Gnadenbilde. – Schwierig wird noch die Frage, wie ich die Leinewand grundieren soll, – ich hoffe, daß der Malermeister Gräff mir da aushelfen kann.

     Gestern erzählte Margot Seeberg, daß Herr Dr. Ziel ab 1.1.46 wieder Landgerichtspräsident in Chemnitz sein wird. Wir werden diesen Herrn also hier los, worüber sich viele Leute freuen werden.

     Eben waren wieder zwei Russen hier, der Leutnant u. der Sergeant [18] von Monheim. Ich sagte ihnen, daß ich kein Bürgermeister mehr wäre, sie sollten ins Gemeindeamt gehen, wenn sie etwas wollten. So zogen sie wieder ab.

Freitag, 30. November 1945.     

     Heute ist der letzte Tag meiner Amtstätigkeit als Bürgermeister von Ahrenshoop, aber ein nicht wenig aufregendes Ereignis gestern Abend zeigte mir, daß damit noch keineswegs die ganze Plage u. auch nicht die Gefahr dieses Amtes ganz von mir genommen ist.

     Kurz nach 9 Uhr, – das Licht war eben angegangen u. wir wollten Radio hören, – donnerte es unten gegen die Türe. Ich ging runter u. machte Licht u. öffnete. Es trat der proletige junge Leutnant der Monheimer Russen ein, ohne Gruß, hinter ihm der Sergeant, ein eitler, hübscher Laffe u. dann schwer mit Gewehren u. Maschinen-Pistolen bewaffnete Unteroffiziere u. Soldaten, insgesamt 7 Mann. Der Leutnant, der Sergeant u. die Unteroffiziere setzten sich, die Leute mit den Waffen nahmen an der Tür Posten. Ein schlecht deutsch sprechender Unteroffizier übersetzte mir eine Rede des Leutnants, in der er behauptete, es hielte sich hier eine „Bande“ verborgen. Als ich ihm erklärte, daß das heller Unsinn sei, wurde der Leutnant fast tobsüchtig. Es trommelte u. hieb mit den Fäusten auf den Tisch u. schrie u. brüllte mich auf russisch an. Ich bewahrte eiserne Ruhe, erklärte dem Unteroffizier, er möge seinem Leutnant sagen, daß sein Gebrüll keinen Zweck hätte, da ich kein Wort davon verstünde, er möge mir lieber in Ruhe sagen, worum es sich handelte. So gelang es mir allmählich, den Aufgeregten zu beruhigen u. zu erfahren, was geschehen war.

     Nach Aussage eines der anwesenden Soldaten, einem jüdisch aussehenden Mann, der rote Schulterklappen trug, ist dieser gestern Abend bei anbrechender Dunkelheit am Dorfausgang nach Althagen von einem Deutschen angerempelt u. belästigt worden. Dieser Russe war derselbe, der am Sonntag vor 14 Tagen bei mir war u. ein Fahrrad verlangte u. den ich damals für einen Offizier gehalten hatte, da er eine Lederjacke ohne Rangabzeichen trug. Er muß aber wohl etwas Besonderes sein, was an den roten Schulterklappen zu erkennen ist, solche habe ich bei den Russen noch nie gesehen. Vielleicht ist er ein politischer Kommissar. – Kurz u gut, der Mann erzählte, es sei ein Deutscher gekommen u. habe ihn am Rockkragen gepackt u. etwas gesagt wie: „Franz, schieß doch!“ Dieser Mann habe sich dann in der Richtung auf das Dornenhaus entfernt. Es gab mir das die Möglichkeit, zu erklären, daß der Mann dann kein Ahrenshooper gewesen sein könne, das Dornenhaus gehöre nach Althagen. Ich sagte, daß dort vor 2 Tagen 400 fremde Flüchtlinge eingetroffen seien u. daß es sich möglicherweise um einen solchen handeln könne. Damit wehrte ich die erste Aufregung ab. Ich sagte weiter, daß ich überdies nicht mehr Bürgermeister sei u. daß sie sich an den neuen Bürgermeister wenden möchten. Sie verlangten, daß ich ihn holen solle, doch machte ich dem Leutnant klar, daß der neue Bürgermeister weit draußen wohne, noch hinter dem Monheim'schen Hause u. daß es mir unmöglich wäre, ihn jetzt zu holen; aber ich wolle die Gemeinde-Sekretärin holen. Ich ging also zum Hause König, es war draußen stockfinster. Martha versuchte es zuerst, kam aber zurück, weil sie das Haus nicht gefunden hatte so ging ich selbst. Auch ich war dabei mehrfach dicht daran, hinzustürzen, denn ich fand den Hauseingang nicht. Schließlich glückte es mir, Frau König aufzuwecken, u. ihr zu sagen, daß Ilse Schuster sofort zu mir kommen müsse. Sie lag schon im Bett u. es dauerte geraume Zeit, bis sie dann endlich zu mir kam.

     Es gab neue Schwierigkeiten, weil die Russen glaubten, Frau Sch. sei der neue Bürgermeister u. weil sie unzufrieden [19] waren, daß ich diesen nicht geholt hätte. Neue Auseinandersetzung u. neues Mißtrauen, neue Erregung. Der Leutnant schrie wieder, daß er das ganze Dorf antreten lassen wolle, um Einzelne erschießen zu lassen. Neue Beruhigung meinerseits. Die Russen beharrten auf der Ansicht, daß sich eine Bande im Walde verborgen halte, um Ueberfälle zu organisieren. Dagegen war nichts zu machen. So würde es in Rußland sein u. sie glauben, es wäre hier ebenso. Ich machte ihnen nun Vorschläge, was zu tun sei. Ich sagte, daß wir zuerst den Bürgermeister von Althagen benachrichtigen würden, ferner den Kommandanten von Althagen u. endlich die Kreispolizei. Ferner solle heute früh der neue Bürgermeister zu diesem Leutnant kommen u. mit ihm soll gleich Herr v. Achenbach als Vertrauensmann der Kommunisten auch hingehen.

     Der Leutnant sah nun wohl ein, daß ich alles tun wollte, was in meiner Macht stand u. daß im Augenblick jedenfalls nichts weiter zu tun sei. Er ließ mir erklären, daß er im Falle einer Wiederholung eines solchen Vorfalles nicht nur den neuen Bürgermeister, sondern auch mich verhaften lassen würde u. damit zog die ganze Bande endlich um 1/2 11 Uhr wieder ab. Wir atmeten erleichtert auf, aber ich muß gestehen, daß mich bisher noch kein Erlebnis mit den Russen so erregt hat, wie dieses. Es ist im höchsten Grade unheimlich, daß mir Verhaftung droht für Dummheiten, die von Flüchtlingen aus dem Nachbardorf begangen werden. Das kann sich ja jeden Augenblick wiederholen u. ich bin völlig machtlos.