TBHB 1945-10-07
Einführung
Der Artikel TBHB 1945-10-07 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 7. Oktober 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Mein Rücktrittsgesuch ist gestern rausgegangen. Inzwischen ist es im Dorf bekannt geworden u. die Leute kommen zu mir, um mich zu bitten, daß ich bleiben möchte. Sie haben Angst, daß irgend ein ortsfremder Kommunist hierher geschickt werden wird.
Gestern Abend waren Frl. Klinkhardt u. Herr Joseph bei uns, die aus Berlin erzählten.
Als ich morgens ins Amt ging, traf ich Prof. Reinmöller, der mir seine Empörung über die Denunziationen aussprach, durch die Paul verhaftet worden ist. Er meinte: „wir sind diesen Leuten auf der Spur“ – wer diese „wir“ sind, weiß ich nicht, ich möchte mich auch nicht sehr gern von Prof. R. beschützen lassen. Er meinte aber sicher Dr. Ziel. –
Herr Dr. Ziel regierte heute morgen, als ich ins Amt kam, bereits im Sekretariat herum, als wäre er Bürgermeister. Ich vermied, hineinzugehen, um ihn nicht hinauswerfen zu müssen. Frau Schuster kam dann u. sagte mir, daß sie mit ihm aneinandergeraten wäre. – Am Nachmittag erschien Herr Ziel dann abermals bei mir selbst, aber da war er sehr höflich. [2] u. wenn auch kein Name genannt wurde, so ergab sich doch später bei der Wahl des Wohlfahrts-Ausschusses, daß alle Dr. Ziel meinten. Als ich die Auflösung der Notgemeinschaft besprach u. dabei die Rolle erwähnte, die Herr Ziel dabei spielte, wurde von allen eine sehr ärgerliche Stimmung gegen ihn zum Ausdruck gebracht, die sich zu Beschimpfungen steigerte, als ich ihn zum Mitglied des Wohlfahrts-Ausschusses vorschlug. Er wurde dann doch gewählt, um diesen Mäckerer auf diese Weise tot zu machen. – Dieser Mann bildet sich tatsächlich ein, daß er hier im Dorfe sich einer großen Beliebtheit erfreute, da er nur mit den Leuten umgeht, die ihm schmeicheln. Er glaubt, daß er im Falle einer Bürgermeisterwahl mit großer Stimmenmehrheit gewählt werden würde. Daran erkennt man die Eitelkeit dieses Mannes, die ihn blind macht.
Frau Kurts hat sich nicht wieder sehen lassen, aber Eva ist bei ihr gewesen. Frau K. hat ihr gesagt, daß sie in Ribnitz gewesen sei u. festgestellt habe, daß es Paul so weit gut ginge, daß er nicht in einem Keller, sondern in einem Zimmer säße u. er wahrscheinlich am Sonnabend entlassen werden würde. – Gestern früh kam im Amt ein Anruf aus irgend einem Dorf jenseits des Boddens, man solle Paul einen Mantel u. Wäsche schicken. Eva ist gestern, da der Dampfer fuhr, mit Pauls Mantel rübergefahren hat, jedoch nichts erreicht. Sie war bei der Polizei u. hat dort den Mantel abgegeben u. mit Herrn Frey gesprochen, der aber sehr unhöflich gewesen sein soll. Jedenfalls ist Paul gestern nicht gekommen.
Nach der Andacht heute früh hörte ich im Radio eine hl. Messe aus der Marienkirche in Hamburg. Es gab heute morgen wieder einmal Strom, nachdem wir am ganzen Sonnabend ohne Strom gewesen waren. Leider schaltete ich mich erst ein, als eben die Praefation begann.
Die Russen haben jetzt eine Bekanntmachung erlassen, nach der die Verbreitung solcher Gerüchte, wie sie gegenwärtig hartnäckig herumgehen, strafbar sei, insbesondere, daß sie am 15. Oktober abrückten. Sie sagen, daß solche Gerüchte von „Hetzsendern“ verbreitet würden. Demnach stimmt es also, daß einige Leute diese Dinge im Radio gehört haben wollen. Es wird da Beromünster genannt. Wenn die Russen den Sender Beromünster einen Hetzsender nennen, läßt das tief blicken im Hinblick auf die aufgeflogene Außenminister-Konferenz in London, die ganz deutlich die unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten der Westmächte gegenüber den Russen ans Tageslicht gebracht hat. In den von Rußland kontrollierten deutschen Zeitungen wird natürlich die Sache so dargestellt, daß die Russen in vollstem Recht sind, aber der engl. Sender u. der Hamburger Sender lassen die Sache anders sehen. Da hört man vorsichtige Bemerkungen, daß die Tschecho=Slowaken u. die Polen die Störenfriede sind, die sich gewaltsam in den Besitz deutscher Gebiete bringen wollen, die ihnen nicht zustehen u. dabei die russische Unterstützung haben. – Gestern oder vorgestern hieß es, daß die amerikan. u. engl. Besatzungsbehörden verfügt hätten, daß kein russ. Fremdarbeiter, der noch im westlichen Gebiet sei, gezwungen werden dürfe, gegen seinen Willen nach Rußland zurückzukehren, nachdem viele von diesen Arbeitern mit Selbstmord gedroht hätten. Es handelt sich nach engl. Aussage um 26000 Arbeiter, die also alle nicht in das russische, „Arbeiter-Paradies“ zurückkehren wollen u. lieber Selbstmord verüben. Diese Kritik an Rußland u. seiner sog. „Demokratie“ genügt ja wohl!