TBHB 1945-08-23
Einführung
Der Artikel TBHB 1945-08-23 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 23. August 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Gestern abend mußten wieder Sofas, Sessel, Spiegel u. Gardinen beschafft werden, der Althäger Kommandant kam selbst, offenbar um zu verhindern, daß bei dieser Gelegenheit wieder geplündert wurde, wie es das letzte Mal geschehen ist, besonders bei Bernh. Niemann. – Inzwischen kam ein Russe u. nahm sich in der Schneiderei einfach einen Rock, der Krull gehörte. Martha rief mich zur Hilfe, aber es gelang nicht, dem unverschämten Kerl den Rock wieder abzunehmen. Bald darauf kam der Kommandant von der Möbelsuche zurück u. ich machte ihm gleich Mitteilung. Er war noch eine gute Stunde bei uns, da ich ihm Schnaps anbot. Er war überaus nett, versicherte mir, daß er den gestohlenen Rock zurückschaffen wollte, bat aber gleichzeitig, Martha solle ihm die Anzüge u. Stoffe, die er selbst bei Kumpf gestohlen hat, zusammenpacken, damit er sie mitnehmen könnte. Er bestellte uns für heute Morgen zur Batterie, wo wir den Rock wiederbekommen sollten.
Heute morgen erschien ein Soldat u. meldete, ich solle eiligst zum Kommandanten kommen. Wir gingen beide hin, weil wir glaubten, es handele sich um den Rock. Borchers, der heute ganz früh noch die Gardinen hingebrachte hatte, welche gestern Abend noch gefehlt hatten, hatte mir schon gesagt, daß dort irgendetwas los sei, der Kommandant schliefe noch, er hätte bis 5 Uhr Morgens getrunken. Wir fanden ihn in seiner Stube auf dem Sofa sitzend u. mit dem Kinde der Wirtin spielend. Wieder einmal ergab sich, daß er garnicht mich hatte rufen lassen, sondern die Polizei. Er sagte, daß er die ganze Nacht aufgewesen sei u. nun sofort 10 Mann von uns zur Arbeit brauche, Althagen müsse ebenfalls 10 Mann stellen. Allmählich bekommt diese Sache nun ein anderes Gesicht. Daß der Kerl gestern Abend den Rock stahl, ließ mich vermuten, daß dieser Bursche wohl auf Urlaub fahren will, denn dann stehlen die Soldaten immer am meisten. Jetzt aber sieht es so aus, als wollte mindestens ein Teil der Russen abrücken, denn wozu brauchten sie dann so viele Arbeiter. Die Leute haben mir in den letzten Tagen schon berichtet, daß die Russen ihr Sattelzeug in Ordnung bringen u. ihre Spaten mit Silberbronze anpinseln u. daß das alles nach Aufbruchs-Vorbereitung aussähe. Wenn der Kommandant gestern plötzlich die gestohlenen Sachen verpackt haben wollte, nachdem sie schon so lange bei uns liegen, ist das ja auch auffällig. Auf dem Rückweg vom Kommandanten trafen wir Frau Dr. Hahn, die uns erzählte, es sei bei ihr in der Nacht eingebrochen worden u. es sei ein Koffer mit Wäsche gestohlen worden. Auch das sieht nach Aufbruch der Russen aus. –
3 Uhr Nachm. – Liebers sagt mir, daß die Russen in Wustrow abrücken. Der ekelhafte Kommandant ist schon weg. Es besteht die Gefahr, daß sie unsere beiden LKW's mitnehmen. Frau Leprien, die Tochter des Fahrers Butt, war hier u. sagt, der Vater hätte in der Nacht nach Greifswald fahren müssen. – Von uns wurden eben sämtl. Wagen u. Pferde für die Batterie angefordert. – Soeben war Mett bei mir, der jetzt als Forstsekretär nach Barth [2] gekommen ist u. der mir erzählte, daß man auch in Barth Anzeichen des Aufbruches wahrnehme. – Liebers erzählte mir noch, daß die Russen in Wustrow nicht nur alle geraubten Sachen verpacken, sondern daß sie auch die Sowjet-Embleme mitnehmen, die sie überall angebracht haben.