Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-07
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Juli 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Juli 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-07 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Juli 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 17 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Montag, 2. Juli 1945.     

[1]      Am Freitag, gegen 1/2 3 Uhr nachm., ließ mich der Kommandant rufen, ich sollte einen Polizisten mitbringen. Ich nahm Borchers mit u. wir gingen zum Monheim'schen Hause. Der Kommandant bat mich, mit ihm zu essen, Borchers sollte warten. Wir gingen zum Kurhause, wo die Kosacken essen. Frau Kansi kam ebenfalls. Ich mußte auf dem Sofa Platz nehmen u. Frau Kansi leitete die Unterhaltung sehr geschickt. Nach dem Essen wollte ich nach Hause gehen, aber er bat mich, nochmals mit ihm zurück zu gehen. Beim Essen hatte er erzählt, daß im Hause einer Frau ein Revolver u. Munition gefunden worden sei. Es konnte sich nur um Frau Garthe handeln. Er ging nun tatsächlich dorthin, nachdem er mich ersucht hatte, den Polizisten zu rufen. Das Haus war verschlossen u. niemand meldete sich. Ich sandte Borchers ins Dorf, um Frau G. suchen zu lassen u. ging selbst derweil nach hinten in den Garten, der in einer ganz unvorstellbaren Weise verwildert ist. Nach langem Warten, wobei auch Frau Kansi zugegen war, kam Frau G. Sie führte uns ins Haus durch die unglaublich dreckige Küche, durch viele Ecken u. Winkel, die alle vollgepfropft mit Sachen waren, in ein großes Zimmer, das so voll Möbel gestellt war, daß man sich selbst kaum noch bewegen konnte. – Wir setzten uns um einen großen Tisch u. der Kommandant fragte nach der Herkunft des Revolvers u. der Munition. Jetzt erst ergab sich, daß der Revolver im Garten dicht am Straßenzaun gefunden worden war, die Munition aber in einer Schublade einer Kommode. Wahrscheinlich hat einer der früheren Marine-Artilleristen den Revotver einfach über den Zaun geworfen u. von der Munition wird Frau G. ebenfalls nichts gewußt haben, denn sie lag in einer Kommode, die angeblich Nachlaßsachen des verstorbenen Mannes enthielt u. die Frau G. in sentimentaler Pietät nie angerührt hat. Das ganze Haus aber machte einen unglaublich dreckigen u. unordentlichen Eindruck, sodaß ich mich vor dem Russen genierte. Immerhin ließ er sich grade durch diese Schluderigkeit überzeugen, daß Frau G. tatsächlich nichts vom Vorhandensein der Munition gewußt hat, er benutzte aber die Gelegenheit, Frau G. von einigen überflüssigen Möbelstücken wie Sessel, Sofa, Stühle usw. zu befreien, die er sogleich ins Monheim'sche Haus bringen ließ. –

     Am Sonnabend gab es eine sehr unangenehme Ueberraschung. Der Oberleutn., welcher bereits früher in Althagen gewesen war u. sich immer als Kommandant auch von Ahrensh. bezeichnet hatte, ist zurückgekehrt. Er machte mir einen Besuch u. erklärte, daß unser Kommandant nun nichts mehr zu sagen hätte u. nur er unser Kommandant sei. Ich war darüber sehr unglücklich. Unser bisheriger Kommand. ist ein netter Kerl, mit dem man gut auskommt. Gestern lud er mich wieder zum Essen ein u. der Gemeinde [2] spendete er ein Wildschwein, das heute von Leplow verkauft wird. Dafür schickte der Althäger gestern Abend seinen Sergeanten, um ein Schlachtschwein bei uns requirieren zu lassen. Dieser Oberleutn. ist zwar auch nicht grade gefährlich bösartig, aber er ist ein eitler Mensch, der kein sehr ernsthaftes Verantwortungsbewußtsein besitzt u. sein Sergeant ist ein recht unangenehmer Patron. Dazu kommt, daß der Oberlt. der Untergebene des Kommandanten von Wustrow ist, der ein wirklich gefährlicher Deutschenhasser ist. Dieser war gestern ebenfalls hier. Ich traf ihn im Kurhause, als ich das geschenkte Wildschwein abfahren ließ, habe ihn aber nicht begrüßt.

     Die Hoffnung, daß wir die Russen los werden, ist nun endgültig vorbei. Gestern wurde im Radio bekannt, daß die Engländer im östlichen Mecklenbg. sogar Gebiete räumen u. sie für die Russen frei machen. Die Russen gehen also keineswegs hinter die Oder zurück, sondern besetzen noch mehr im Westen. Damit eröffnet sich uns eine trübe Zukunft. Die Russen haben überhaupt keinen Nachschub, sie leben allein aus dem Lande, u. das Land ist jetzt schon ausgesogen. Sie haben garkein Verständnis dafür, daß man aufbauen muß, sie können nur Raubbau treiben u. plündern. Was unter diesen Umständen werden soll, weiß ich nicht. Die Bunte Stube kann so natürlich nicht existieren, sie bietet auch für Fritz keine Existenz mehr, – u. das Leben u. die Existenz jedes einzelnen Einwohners ist gefährdet. Ich sehe nicht, wie wir durch diesen Winter kommen sollen. Der Gesundheitszustand ist sehr besorgniserregend, es herrscht Ruhr, obgleich man die Krankheit nur Durchfall nennt. Ich selbst leide auch daran, vor allem aber die Kinder.

Dienstag, 3. Juli 1945.     

     Mittags versuchte ich gestern, den Kommandanten in der Batterie zu besuchen, traf ihn aber nicht an. Am Nachmittag kam er aber zu mir ins Geschäftszimmer. Er brachte Frau Marie Seeberg mit als Dolmetscherin. Dieser Mensch, der seinem Gesicht u. seinen Händen nach zu urteilen weder dem Bauern= noch dem Arbeiterstande angehört, sondern den Eindruck eines kleinen Angestellten macht, ist ein unbeschreiblicher Flegel. Es fehlt diesen Leuten die allermindeste Vorstellung von Benehmen. Der Kerl flegelt sich im Stuhle herum wie ein richtiger Lümmel u. man möchte ihn immerzu ohrfeigen. Der kleine Sergeant Michael, der bisher unser Kommandant war, ist ein Bauernsohn aus dem Ural, der zwar keine Ahnung von gesellschaftl. Schliff hat, aber doch über einen natürlichen Anstand verfügt, der sehr sympatisch wirkt. Dieser Oberleutant aber ist einfach ein Lümmel.

     Er verlangte von mir gestern 20 Ltr. Benzin. Ich versicherte ihm, daß ich kein Benzin hätte u. im ganzen Dorf kein Benzin aufzutreiben wäre. Er wollte das nicht glauben u. meinte, daß es mir schlecht gehen würde, wenn ich ihm bis heute das Benzin nicht schaffte. Der Kerl hat nämlich ein Motorrad, auf dem er nicht fahren kann, weil er kein Benzin hat u. sein Vorgesetzter, der Hauptmann u. Kommandant von Wustrow leidet an demselben Mangen für sein Motorrad.

     Gegen Abend kam Herr Harder u. sein Genosse von der polit. Polizei in Ribnitz aus Wustrow. Er tat zunächst sehr indigniert, weil ich Hagedorn sein Fleisch zurückgegeben hatte u. fragte, warum das geschehen sei. Ich sagte, die Beschlagnahmung sei auf Grund der sog. „Schlachtscheine“ erfolgt, die sich dann als „Anrahmungsbescheide“ herausgestellt [3] Kein Fehler gefunden.hätten. Mithin sei die Beschlagnahmung auf Grund eines Irrtums erfolgt u. ich hätte deshalb entsprechend entschieden. Herr H. zeigte mir daraufhin ein ziemlich umfangreiches Schreiben, nach dem er als Vertreter der polit. Polizei in Ribnitz berechtigt ist, überall nach Fazisten zu suchen, Haussuchungen zu machen u. Beschlagnahmungen nach eigenem Gutdünken vorzunehmen. Er erklärte mir, daß Hagedorn eben ein Fazist sei u. daß er deshalb jetzt das Fleisch neuerlich beschlagnahmen würde u. zwar so, daß Hagedorn nichts behielte, – während er ihm beim ersten Male doch einiges belassen hätte. Ich sagte ihm daß er so handeln müsse, wie es ihm seine Auftraggeber u. sein Gewissen vorschrieben u. daß überdies eine solche Beschlagnahmung der hausgeschlachteten Vorräte auf die Dauer wahrscheinlich unvermeidlich sein würde, u. zwar nicht nur bei ehemaligen PG's, sondern bei allen. Es ist eben unhaltbar, daß einige Menschen Vorräte aus Hausschlachtungen haben u. andere bekommen überhaupt kein Fleisch. Wir haben gestern das Wildschwein verkauft u. es haben etwa 150 Menschen davon etwas abbekommen, nachdem wir früher schon einmal an 150 Menschen Wildfleisch verkauft haben. Es sind das 300 Menschen, die etwas bekommen haben, während weitere 350 Menschen nichts bekommen haben. Diese haben seit über 14 Tagen kein Fleisch mehr gesehen, sie leben nur von Kartoffeln u. Brot ohne jedes Fett.

     Insofern ist es ja sehr schön, daß das Hagedornsche Fleisch nun zum Verkauf kommt. Ich lasse es als Fettzuteilung verhaufen zu 50 gr. pro Kopf, sodaß jeder Einwohner etwas davon empfangen kann. Herr Harder u. sein Genosse packten sich für sich selbst eine Speckseite von 10 Pfund u. eine Wurst ein. Das Geschäft lohnt sich also. Ich selbst habe kein Interesse mehr daran, Hagedorn zu schützen, nachdem die Frau, wie mir gesagt worden ist, erzählt haben soll, daß auch ich mich persönlich bei der ersten Beschlagnahmung bereichert haben soll.

     Mittags kam unser kleiner Michael in Begleitung von Sascha u. einem baumlangen, sehr sympatisch aussehenden Feldwebel aus Zingst. Sie wollten wieder 1 Sofa u. 5 Sessel haben aus dem Hause Garthe. Die Aermste wird nun plötzlich ihren Möbel-Ballast los. Außerdem wollten sie 2 große Blumenvasen haben, die man auf den Fußboden stellen kann. Ich bot ihnen unsere alte Hail-Vase an, die in der Diele eigentlich immer im Wege steht, aber sie wollten vom Bürgermeister nichts nehmen. Als ich ihnen sagte, daß es mir eine Freude wäre, Stalin ein Geschenk machen zu können, strahlten sie u. drückten mir dankbar beide Hände. Frau Garthe dagegen scheint weniger erfreut gewesen zu sein. Sie schickte ihre beiden kleinen Enkelkinder mit einem Zettel, ich sollte ihr helfen, man holte ihr ein Sofa u. fünf Sessel ab, – aber was ist da zu helfen. Andere Leute haben längst nichts mehr, – das Kurhaus z.B., für das der Besitz von Möbeln die Existenz bedeutet ist total leer – u. hier handelt es sich doch bloß um überflüssigen Luxus.

     Als ich um 3 Uhr ins Geschäftszimmer ging, kam die Tochter von Frau Müller-Saatmann, die mit einem Holländer verheiratet ist, der von Beruf Artist ist. Das Ehepaar war vor einiger Zeit nach Berlin gefahren, um zu erkunden, wie es dort ist. Sie hatten ihr Kind derweil hier bei der Mutter gelassen. Nun waren die Leute mit einem Auto hierher zurückgekommen u. hatten Wunderdinge von Berlin erzählt. Nun ja, – für Schieber u. alle Arten geschickter Leute ist jetzt wohl goldene Zeit in Berlin, sodaß man sich sogar in kurzer Zeit ein Auto organisieren [4] kann, wo andere Leute alles verloren haben u. selbst das Notwendigste entbehren müssen. Sie waren mit dem Auto glücklich hierher gekommen; aber die Russen hier haben ihnen nun das Auto kurzer Hand fortgenommen. Wahrscheinlich wollten sie nun die 20 ltr. Benzin von mir für dieses Auto haben. – Die junge Frau klagte mir nun unter Tränen, daß zwei Soldaten dagewesen wären, die den Befehl gebracht hätten, sofort innerhalb einer Stunde aufzubrechen u. zu Fuß nach Wustrow zu gehen, von dort sollen sie mit dem kleinen Kinde sich auf den Weg nach Berlin machen. Ich konnte ihr da nicht helfen. Diese Leute handeln eben immer noch ohne Verstand u. Verantwortung u. sie meinen, daß sie mit ihren Kurfürstendamm-Manieren auch durch diese Zeit hindurchkommen. Die junge Frau ist Halbjüdin u. sie glaubt ebenso wie der junge Kahlig, daß darin ein Verdienst läge u. sie ein bequemes u. faules Schmarotzerdasein auf Kosten Anderer führen können. Die Russen haben dafür aber garkeinen Sinn u. hier, wo es keine Konsulate gibt, ist ihnen auch die holländ. Staatsangehörigkeit ganz gleichgültig.

     Soeben um 5 Uhr nachm. höre ich, daß heute die erste Post in Ahrenshoop angekommen ist. Es sind meist sehr alte Briefe. Herr Pedak im Büro hat eine Aufforderung vom 24. März von seiner Dienststelle erhalten, den Dienst wieder aufzunehmen; aber Frau Niemann von der Post, die eben hier war, hat einen Brief vom 26. Juni erhalten aus der Nähe von Rostock. Sie sagt, daß vorläufig wöchentlich zwei mal Post hier ankommen u. auch abgehen soll.

Donnerstag, 5. Juli 1945.     

     Gestern mittag wurden Martha u. ich wieder von dem kleinen Kommandanten Michael zum Essen eingeladen. Nachher gingen wir bei Hagedorn zu Ripke, weil mir gesagt worden war, er sei schwer krank. Wir fanden diesen sonderbaren Menschen in einem dunklen Holzschuppen, in dem er schon seit Jahren haust, in einem unvorstellbaren Wirrwarr von Dingen u. Geräten. Er lag in einem Verschlag unter Lumpen. Hagedorn mußte mit einer Lampe leuchten. Es ist unverständlich, wie ein Mensch so leben kann. Ich ließ Prof. Reinmöller rufen. Später traf ich ihn auf der Straße, auch er hatte dergleichen noch nie gesehen. Er meinte, daß da kaum etwas zu machen sei, da man den Kranken nicht untersuchen konnte. Der Verschlag, in dem er lag, war nämlich nur über einen Tisch hinweg zu erreichen, er muß immer über diesen hinweg geklettert sein, wenn er sich hinlegen wollte, denn der Tisch war nicht fortzurücken. Außerdem weigerte sich Ripke, seine finstere Behausung zu verlassen, man hätte ihn direkt gewaltsam herausschleppen müssen. – Heute früh kam Frau Hagedorn u. sagte mir, daß Ripke in der Nacht gestorben sei. Er, Hagedorn, hat ihm nach dem, was Frau H. sagt, noch die letzten Dienste geleistet u. hat damit bewiesen, daß er nicht bloß ein dummer Schieber ist, sondern auch ein gutmütiger Kerl, dem Gott seine Guttat lohnen wird. Ich schickte Langhinrichs u. einen Hilfspolizisten hin, damit sie den Toten aus dem Loch herausholen u. in den Schuppen auf dem Friedhof bringen sollten. Prof. Reinmöller wird dann die Totenbescheinigung schreiben u. morgen oder übermorgen werden wir ihn begraben. Auch einen Sarg habe ich bestellt. Ein seltsamer Mensch hat damit seine Erdentage erfüllt u. das Geheimnis, das um ihn lag, mit ins Grab genommen.

[5]
Freitag, 6. Juli 1945.     

     Ruhiger Tag. Leplow hat Fleisch besorgt, seit drei Wochen wieder zum ersten Mal, abgesehen von dem Wildschwein, das Michael uns am vorigen Sonntag schenkte, das aber natürlich nur für einen Bruchteil reichte.

     Jetzt kommen auch noch die letzten Flüchtlinge zurück, die s. Zt. in Marsch gesetzt worden waren u. die bis jetzt in Rostock oder Ribnitz gewesen sind. Diese ganze Maßnahme war eine Gewissenlosigkeit sondergleichen.

     Gestern habe ich alle Hausschlachtungen beschlagnahmen lassen. Es war nicht mehr anders zu machen. Wenn ich freilich gewußt hätte, daß Leplow heute Fleisch bekommen würde, hätte ich damit noch gewartet. Nun fehlt es wieder an Kartoffeln u. an Mehl, der Bäcker hat Mehl nur noch für eine Woche.

Sonnabend, 7. Juli 1945.     

     Gestern Abend haben die Russen Bachmann ausgeplündert. Sie sind mit unserem LKW. vorgefahren, haben ihm sein Bett, sämtliche Garderobe, Wäsche u. Schuhe, sowie sämtl. Brücken fortgenommen u. aufgeladen. – Bei Rieck in Althagen haben sie schon vor drei Tagen alles ausgeplündert.

     Heute höre ich, daß noch nicht ein einziges Stück Fleisch von den Hausschlachtungen bei Leplow abgeliefert worden ist. Eben war Willy Meyer hier, um die Angelegenheit zu besprechen. Seiner Meinung nach wird dabei nichts herauskommen, da die Leute im letzten Herbst nur je ein halbes Schwein geschlachtet haben u. diese Vorräte fast ganz aufgebraucht sind, sofern sie nicht schon vorher von den Russen genommen worden sind. Nur bei Frau Bertsch soll noch Fleisch sein. Meyer erzählt mir, daß Frau Bertsch den ganzen Krieg hindurch besondere Vergünstigungen genossen hätte, die sie durch Bestechung der Landratsbeamten erlangt haben soll. Wir werden also bei ihr Haussuchung machen lassen. –

Montag, 9. Juli 1945.     

     Martha überraschte mich heute morgen mit Cigarren u. Cigaretten. Trude hatte Johannisbeeren u. etwas Kuchen mitgebracht. Martha u. ich dachten an meinen 50. Geburtstag, den ich im Christ-Königs-Hause verlebte u. zu dem sie damals für zwei Tage nach Berlin gekommen war. Es war damals eine schreckliche Zeit, – aber ob die heutige besser ist, steht dahin.

     In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag ist in der BuStu. eingebrochen worden. Es sind einige Kleidungsstücke, die in der Schneiderstube der Notgemeinschaft in Arbeit waren, gestohlen worden, auch solche, die Russen gehörten. Gestern morgen kam wieder ein Hilfspolizist aus Wustrow mit 4 Soldaten. Er verlangte eine Liste der PG's. Ich gab sie ihm, weil ich glaubte er sollte dieselbe nur nach Wustrow bringen. Spater stellte sich heraus, daß sie einen Wagen mithatten u. bei den PG's plünderten.

     Am Abend kam Dr. Hoffmann. Herr Soehlke war bei ihm gewesen u. im Interesse von Frau Bertsch zu intervenieren, da diese sich wegen der Beschlagnahmung der Hausschlachtungen beklagt hatte. Herr Dr. H. war mit Herrn S. zu Frau B. gegangen u. da hatte sich dann ergeben, daß Frau B. ganz gewaltige Mengen von Hamsterwaren besaß. Herr Dr. H. hat diese Sachen sofort beschlagnahmt. Ich werde die Sachen heute von Spangenberg abfahren lassen.

     In der Nacht sollen sehr viele Einbrüche vorgekommen sein, es scheint so, als ob da eine organisierte Räuberbande am Werke wäre.

     Dr. Hoffmann sagte gestern Abend, daß der Wustrower [6] Kommandant abgelöst worden sei. Es wird zwar ein neuer kommen, aber es ist höchst unwahrscheinlich, daß der neue wieder ein so ekelhafter Kerl ist, wie der alte war. Diese angenehmen Nachrichten veranlaßten mich, meinen Geburtstag voraus zu nehmen u. Dr. H. zu einer Flasche Wein einzuladen.

     Heute früh kam ich dazu, wie zwei Wagen auf dem Platz vor dem Gemeindeamt standen u. die dort lagernden Pflastersteine aufluden. Sie hatten Befehl dazu von den Russen. Ich ließ wieder abladen u. schickte die Wagen fort. Leider war vorher schon Bauer Nagel ebenfalls dagewesen u. hatte einen ganzen Wagen voll abgefahren.

     Gestern Nachmittag war Frau Longard bei uns. Sie brachte mir ein Näpfchen mit Blaubeeren mit u. ein Buch von Abt Ildefons Herwegen aus Maria-Laach.

     Auf Befehl der Russen mußten wir in dieser Nacht die Uhren um eine Stunde vorstellen. Wir sind nun um zwei Stunden vor der Mitteleurop. Zeit voraus, da die osteurop. Zeit eine Stunde voraus ist u. außerdem noch die Uhr um eine Stunde Sommerzeit vorausgestellt ist. Um Mitternacht ist es auf diese Art noch fast heller Tag, da es eigentlich erst 10 Uhr ist.

4 Uhr nachm. Die Pflastersteine habe ich doch nicht retten können. Die Russen wollen den Gang im Pferdestall damit pflastern. Außerdem höre ich eben, daß der Wustrower Kommandant wieder zurückgekommen sein soll. – Der Ertrag der Beschlagnahmung bei Frau Bertsch war erheblich. – Es bestätigt sich, daß die Russen, die gestern bei den PG's Haussuchungen gemacht haben, unsere Dolmetscherin Frau Kansi vergewaltigt haben. Die Frau ist gegen 55 Jahre. Herr Bachmann, dessen Wohnung eben ausgeplündert wurde u. dem man alle Anzüge, Wäsche u. Schuhe genommen hat, will jetzt versuchen, nach Berlin zu kommen. Gestern hörte ich im Rundfunk, daß der Gesundheitszustand in Bln. sehr gefährdet sein soll, es gibt einige Fälle von Cholera. Wenn eine Seuche ausbricht, werden die Folgen furchtbar sein.

Dienstag, 10. Juli 1945.     

     Gestern Nachmittag waren wiederum Herr Harder u. sein Genosse im Dorf u. machten Haussuchung. Bei Bertsch wurde nochmals nachgesucht u. viel beschlagnahmt. Es gab dann eine kleine dramatische Zuspitzung, da unser Michael sich einmischte u. verhindern wollte, daß von diesen zuletzt beschlagnahmten Sachen einiges nach Wustrow ging. Es gelang ihm jedoch nicht, auch er ließ sich dumm machen von Dr. Hoffmann, der dabei war. Dafür aber ließ sich unser Michael drei Mann geben u. ging mit ihnen in das Haus Kleinberg, wo er ziemlich große Mengen von Haushaltwaren, Waschmitteln u. Seife beschlagnahmte u. uns die Sachen zur Verfügung stellte. Frau Kleinbergs Sohn hat ja eine Drogerie u. die Sachen hat er wohl hier gehabt im Ausweichlager, weil sie in Berlin zu gefährdet waren.

     Borchers hat heute früh einen Russen erwischt, der offenbar auf Diebestour war. Vielleicht war der Einbruch bei uns doch von Russen.

Mittwoch 11. Juli 1945     

     Wie ich erst später feststellte, haben Dr. Hoffmann + Herr Harder mich wiederum betrogen. Die ganzen Sachen, die bei der zweiten Durchsuchung bei Bertsch gefunden, worden waren, sind wieder restlos nach Wustrow gekommen, ohne daß wir auch nur das geringste behalten hätten. Im Gegenteil: es wurden noch von dem Mehl, was wir schon hatten, noch 60 Pfd. abgewogen u. mitgenommen. [7] Ich habe mich dumm machen lassen, denn ich bin gegen die Gerissenheit dieser Gauner machtlos. Aber auch sonst hätte ich vielleicht nichts machen können, da ich mich mit Dr. H. ja gut stellen muß, damit er sich um die Lebensmittel-Anfuhr bemüht. – In der Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ich mich über diesen neuen Betrug ärgerte. Ich dachte an Harder u. seinen Genossen von der Polizei, sowie an Dr. H. u. plötzlich wurde mir ganz klar, daß dieser Harder sehr bald seine Strafe finden würde. Ich stellte mir ihn vor u. sah ihn am Boden liegen als Leiche. Seinen Genossen wird über kurz oder lang dasselbe Schicksal treffen u. auch Dr. H. wird mit einer Kugel im Kopfe enden. – Heute früh, als ich zum Amt ging, traf ich Herrn Damm, der mir die Neuigkeit brachte, daß Harder gestern in Wustrow auf der Straße erschossen worden sei. Etwas später kam Gläser, u. brachte mir einen ärztlichen Bericht, den er für die russische Kommandantur übersetzen soll. Denmach ist Harder gestern Nachmittag von einem gewissen Harry Grubach aus zwei Schritt Entfernung in den Leib geschossen worden. Man hat ihn nach Rostock in die Klinik gebracht, aber nach dem ärztl. Bericht kann man nicht damit rechnen, daß er mit dem Leben davon kommt. Ein großer Halunke ist damit weniger u. Dr. H. soll sich sehr hüten, daß es ihm nicht ähnlich geht, die Schiebereien dieses Mannes bilden überall das Dorfgespräch sowohl hier, wie in Althagen.

Herr Dr. Ziel kam in dieser Angelegenheit zu mir. Er erzählte mir von der Wut der Leute auf Dr. H. u. deutete an, daß diese Wut sich leicht gegen mich richten könne, da ich mich von ihm hätte betrügen lassen. Ich erwiderte ihm, daß ich im Kampf gegen Schieber tatsächlich machtlos wäre. Wenn die Gemeinde mir das zum Vorwurf machen sollte, dann müßte sie sich eben einen anderen Bürgermeister suchen, der mit den Praktiken der Schieber besser vertraut ist, als ich. –

Ich vergaß übrigens zu notieren, daß ich am Sonnabend den 7. Juli den Nachlaß von Kipke ordnen ließ. Es fand sich nichts als Lumpen u. Gerümpel, aber zwischen den Seiten von alten Zeitschriften u. Büchern fanden sich Geldscheine, die zusammen rund 5600 Rm. ausmachten. Am Sonnabend wurde er auch beerdigt, Pfarrer Kumpf sprach nicht schlecht vor einer ganz kleinen, barmherzigen Trauergesellschaft.

Donnerstag 12. Juli 1945.     

     Gestern Nachmittag besuchte mich der Oberleutnant von der Batterie im Amt. Er war überraschend freundlich u. liebenswürdig, nachdem er beim letzten Besuch davor besonders flegelhaft gewesen war. Ich traf ihn nachher noch einmal in der Notgemeinschaft wieder, wo er ein Brot u. und Nahrungsmittel abgeladen hatte u. ebenfalls sehr liebenswürdig war. Er läßt sich verschiedene Uniformstücke schneidern, nachdem er so wie so schon von uns ganz neu eingekleidet worden ist einschl. Wäsche. – Es scheint so, als sollte sich die Beziehung zwischen ihm u. uns etwas bessern, wogegen sich unsere Beziehung zu unserem Michael langsam abkühlt. Gestern Abend schickte er seinen Unteroffizier mit einem Soldaten zu Knecht, um beim Förster Damm nach Schnaps suchen zu lassen. Ich wurde geholt u. der Unteroffizier zog wütend ab. Nach einiger Zeit wurde ich wieder geholt, denn Michael war nun selbst gekommen. Er begrüßte mich süßsauer u. zog dann ebenfalls in etwas unfreundlicher Weise ab. Ich ging ihm nach u. stellte ihn [8] vor unserem kleinen Hause u. gab mir Mühe, der unfreundlichen Situation eine etwas günstigere Wendung zu geben, was denn auch bis zu einer gewissen Grenze gelang.

     Martha fühlt sich heute nicht wohl u. blieb im Bett.

     Heute bekam ich die erste Zeitung „Tägliche Rundschau“ aus Berlin vom 5. Juli. Chefredakteur ist M. Sokolow. Die Zeitung muß ihrem Namen entsprechend also wohl täglich erscheinen. Sie ist unter russischer Leitung.

Freitag, 13 Juli 1945.     

     Gestern entschloß ich mich, nach Wustrow zum Kommandanten zu fahren, um ihm die Ernährungslage in Ahrenshoop darzustellen. Frau Marie Seeberg fuhr mit als Dolmetscherin u. auch Martha kam mit, weil sie sich das Entbindungsheim ansehen wollte. Wir fuhren mit Spangenberg im Kastenwagen mit einem Pferd.

     Beim Kommandanten waren Dr. Hoffmann u. der Genosse des Herrn Harder zugegen. Der Kommandant meinte, Ahrenshoop gehöre zu Pommern u. müsse sich selbst ernähren, – nachdem es doch bisher immer geheißen hat Ahrenshoop gehöre zu Mecklenburg. Ich wurde darüber ziemlich erregt u. rief, daß Herr Dr. H. bisher immer erklärt hätte, wir gehörten zu Mecklenbg. Er bestätigte das mit der Einschränkung: „wirtschaftlich“. Ich sprach weiter mit erhobener Stimme, sodaß der Kommandant mich auffordern ließ, leiser zu sprechen. Das Ergebnis der ganzen Sache war dann, daß er mir schriftlich die Berechtigung auf 20 kg. Butter aus der Molkerei gab. Außerdem gelang es mir, für den Schlachter Leplow einen Passierschein von 4 wöchentl. Gültigkeit zu bekommen, ebenso für mich selbst, wie auch für Frau Seeberg. Vor allem setzte ich durch, daß der LKW morgen den ganzen Tag für die Gemeinde fahren kann. Ich werde dann wieder mitfahren nach Ribnitz, um Kartoffeln zu kaufen, – ich hoffe, daß wir 2 mal, vielleicht gar 3 mal hin u. zurück fahren können.

     Inzwischen ist es Dr. Hoffmann gelungen, unseren Fahrer Butt zu beschuldigen, daß er Sabotage triebe. Die Batterie des Wagens war nämlich nach Ribnitz gebracht worden zum Aufladen u. Richter, der Fahrer des zweiten Wagens, hatte die Batterie dann vertauscht mit einer anderen, die nicht funktionierte, sodaß unser Wagen drei Tage lang nicht fahrbereit war. Dr. H. hat nun einen anderen Fahrer angestellt, was vielleicht der erste Schritt dazu sein soll, den Wagen ganz an sich zu bringen. Herr Dr. H. spielt da ein gewagtes Spiel. Ich habe in Wustrow beim Bürgermeister Hallier festgestellt, daß die Waren, die bei Frau Bertsch beschlagnahmt u. von hier abgefahren worden sind, angeblich, um in Wustrow u. Althagen verteilt zu werden, dort nicht verteilt worden sind. Von Bauer Nagel, der die Sachen gefahren hat, höre ich, daß alles in eine Garage in Wustrow abgeladen worden ist. – Herr Hallier, der sich von dieser Schieberbande mindestens ebenso betrogen fühlt wie ich, beklagte sich sehr u. behauptete, daß Herr Dr. H. früher in Berlin ein Parteianwalt gewesen wäre. – Herr Dr. Meyer, der mich ebenfalls in Wustrow begrüßte, sprach von all diesen Leuten dort als von einem Schieber=Konzern.

Montag, 16. Juli 1945.     

     Am Sonnabend fuhr ich wieder nach Wustrow, weil mir ja der LKW. für den ganzen Tag versprochen war. Herr Damm erzählte mir aber schon morgens bei der Abfahrt, daß der Fahrer Butt schon am Freitag Abend zu Dr. Hoffmann bestellt worden war u. daß Dr. H. ihm gesagt hat, der [9] Wagen müsse nach Rostock fahren. Ich witterte also schon Unrat. Wir hielten bei Hoffmanns Wohnung, da H. mitfahren wollte. Er kam in Gesellschaft von Herrn Soelke, der aber nicht mitfuhr. In Wustrow blieb ich im Wagen, da ich ja keine Veranlassung hatte, den Kommandanten nochmals zu sprechen; aber dann kam der Beifahrer Buchholz u. sagte mir, wenn ich nach Ribnitz wollte, sollte ich zum Kommandanten selbst reingehen.

     Ich tat es u. man war tatsächlich grade dabei, alles umzustoßen u. den Wagen nach Rostock zu schicken. Ich machte natürlich meiner Empörung Luft u. es gab scharfe Auseinandersetzungen, in deren Verlauf der Kommandant zum Ausdruck brachte, daß es ihm ganz gleichgültig sei, ob wir verhungerten, er würde uns nicht helfen. Der Kerl war von einer maßlosen Unverschämtheit u. behandelte mich u. Frau Marie Seeberg, die als Dolmetscherin dabei war, absichtlich beleidigend. Schließlich billigte er mir den Wagen zu unter der Bedingung, daß er um 1 Uhr wieder in Wustrow wäre.

     Anstatt nun gleich loszufahren, mußten wir nun erst den anderen Wagen von Richter abschleppen u. zur Molkerei zurückfahren. Dann fuhren wir endlich los nach Damgarten. Ich hatte Leplow mitgenommen, um den Vieheinkauf zu klären, aber die Verhandlung mit dem Bürgermeister u. seinem landwirtschaftl. Sachbearbeiter verlief ganz ergebnislos. Dieser Bürgermeister ist ein Knoten. Die Leute lassen kein Stuck Vieh aus ihrem Bebiet heraus. Es wird nichts weiter übrig bleiben, als nach Barth zu fahren u. zu versuchen, dem Damgartner Versorgungsgebiet angegliedert zu werden. Wir fuhren dann zurück nach Ribnitz u. luden 60 Centner Kartoffeln auf bei Reiffeisen, alles in größter Hast, dann zurück nach Wustrow wo ich in der Molkerei noch 20 kg. Butter bekam u. dann nach Ahrenshoop zurück. Der LKW. ist dann tatsächlich pünktlich um 1 Uhr wieder in Wustrow gewesen. Es gelang mir dann noch, 20 Centner Kartoffeln von Dillwitz in Althagen dazu zu bekommen, sodaß nun endlich einmal wirklich alle Leute je 10 Pfd. Kartoffeln bekommen konnten.

     Am Sonntag morgen kam Herr Damm u. erzählte mir, daß Dr. Hoffmann mit Frau, Herr Soehlke u. Frau u. Kinder u. Frau Kuhnke mit Kindern in der Morgenfrühe mit dem Richterschen Wagen nach Berlin abgefahren sein sollten. Tatsächlich waren am Sonnabend Nachmittag Frau Soehlke u. Frau Kuhnke bei uns gewesen um sich zu verabschieden, – sie wollten nach Berlin fahren am Sonntag oder Montag. In der ganzen Gegend ging nun das Gerücht, Herr Dr. H. sei getürmt. Offenbar muß er aber vorher selbst gesagt haben, daß er für 10 Tage nach Berlin auf Urlaub führe. Mir hat er zwar davon kein Wort gesagt, aber den jüngeren Dr. Grantz hat er gebeten, ihn beim Kommandanten zu vertreten. Ich kann mir nicht gut denken, daß Dr. H. wieder zurück kommt, der Boden ist ihm wohl zu heiß geworden. Wir sind damit einen üblen Schieber los, müssen uns nun zwar selbst mehr um die Ernährungsfragen kümmern oder vielmehr, ich bin nun ganz auf mich selbst angewiesen in diesem Punkt, aber Herr Dr. H. hat ja so wie so in dieser Sache nicht mehr viel getan. Seine Tatigkeit bestand in der Hauptsache darin, für den Kommandanten Schnaps u. für sich selbst Lebensmittel zu organisieren.

[10]      Heute Morgen fand die feierliche Eröffnung der Oberstufe der Schule statt, die Herr Schulrat Zelk eingerichtet hat u. von der 32 Kinder in 3 Klassen erfaßt werden. Der Akt fand im Hause der Frau Geheimrt. Mietke in Althagen statt. Da Herr Ziel sich eifrig um die Sache bemüht hatte, mußte die unvermeidliche Frau Richter-Langner sich als Sängerin produzieren, aber sonst verlief die Sache ohne Zwischenfall. Herr Zelk hielt eine sachliche u. gute Rede. Alle Lehrkräfte sind aus Ahrenshoop. –

     Unser Michael ist gestern Abend mit seinen Kosacken plötzlich abberufen worden. Es sind dafür andere gekommen. Michael hatte sich in letzter Zeit sich das Stehlen arg angewöhnt, er hat geklaut, was er nur kriegen konnte.

Dienstag 17. Juli 1945.     

     Heute früh fuhr ich zusammen mit dem Förster Damm auf Spangenbergs Kastenwagen nach Born, um auf dem Forstamt mit Herrn Mett über Holzlieferung zu verhandeln. Da wir mit dem einen Pferd nur im Schritt fahren konnten, dauerte es zwei volle Stunden, bis wir dort waren. Ich war also 4 Stunden unterwegs. Der Weg durch den Darss liegt immer noch voll von verbrannten Autos der SS, Stahlhelme u.a. Ausrüstungen. Es ist ein trostloser Anblick

     Herr Mett wies mich an den Bürgermeister, der aber in Barth war. Ich verhandelte mit seinem Vertreter, einem anscheinend ganz vernünftigen Mann, der mir sagte, man habe es in Barth sehr übel vermerkt, daß wir aus dem Kreise ausgeschieden seien. Man habe deshalb auch die Absicht, an uns kein Holz mehr zu verkaufen u. uns keine Fische u. kein Gemüse mehr zu liefern. Ich konnte dem Herrn verständlich machen, daß uns s. Zt. garnichts anderes übrig geblieben wäre, als uns an Rostock anzuschließen, daß aber dieser Anschluß nicht von uns ausgegangen sei, sondern von Rostock aus, ohne Befragung der Gemeinde. Da jegliche Verbindung nach Barth unterbrochen war u. auch heute noch unterbrochen ist, wäre ein Verbleiben im Kreise Franzburg-Barth sinnlos gewesen. Ich hoffe, daß sich die Borner von dieser Sachlage überzeugen ließen, doch wäre ja auch sonst unsere Zugehörigkeit zu Mecklenburg kein Grund, uns von der Holzlieferung auszuschließen.

     Mittags hörte ich dann von Martha, daß auf der Batterie ein neuer Kommandant eingetroffen sein soll, der mir heute Morgen einen Besuch machen wollte. In der Nacht ist wieder viel eingebrochen u. gestohlen worden, das deutet auf Abrücken der Truppe hin.

Mittwoch, 18. Juli 1945.     

     Gestern abend mußten wieder Möbel requiriert werden, ich ließ sie bei Frau Bertsch holen, die dann in meine Wohnung kam u. einen Auftritt inscenierte. Ich warf sie raus. – Heute früh heißt es wieder, daß nicht nur der Kommandant der Batterie, sondern auch der Wustrower Kommandant abgelöst wurde. Möge es doch wahr sein. – In Wustrow sind gestern dramatische Ereignisse gewesen. Man soll beim Bürgermeister Hallier ganz gewaltige Hamster Vorräte gefunden haben. Der Bürgermeister selbst soll verhaftet worden sein u. seine Frau soll ins Wasser gegangen sein, doch soll man sie noch rechtzeitig herausgezogen haben.

[11]
Freitag, 20. Juli 1945.     

     Gestern früh war unser LKW. frei u. ich fuhr mit nach Ribnitz, um mit dem Bürgermeister u. dem Kommandanten zu verhandeln. Der Wagen lud inzwischen Kartoffeln. Der Bürgermeister Dahlitz entpuppte sich als ein recht ordentlicher Mann, der sofort bereit war, mit mir u. Frau Seeberg, die wieder als Dolmetscherin dabei war, zum Kommandanten zu gehen. Auch der Leiter des Wirtschaftsamtes, Herr Michelis, kam mit, der ebenfalls sehr bemüht war, mir zu helfen. Dennoch mußte ich beim Kommandanten zwei Stunden im Vorzimmer warten u. als ich dann endlich drankam, zeigte sich der Kommandant hartnäckig. Es gelang mir zwar, ihn allmählich etwas zugänglicher zu machen, aber er ging von seiner Forderung nicht ab, daß wir ihm Fische liefern müßten. Erst dann könne er uns Mehl liefern. Er u. der Kommandant von Wustrow sind sich spinnefeind u. deshalb verhindert er jede Zufuhr nach dem Fischlande.

     Der Bürgermeister erzählte mir, daß zwei Tage vorher ein Herr bei ihm gewesen wäre, der sich Bezirksbürgermeister von Wustrow, Althagen u. Ahrenshoop genannt habe. Dieser Herr habe sich jedoch bei ihm u. beim Kommandanten so flegelhaft benommen, daß der Kommandant ihn hatte stehen lassen. Dieser Herr kann nur der jüngere Dr. Grantz gewesen sein, von dem ich gehört habe, daß er Dr. Hoffmann während seines Urlaubs vertritt. Es ist ja bezeichnend, daß er sich einfach den Titel eines Bezirksbürgermeisters anmaßt, wozu er selbst dann kein Recht hätte, wenn Dr. Hoffmann diesen Titel führen dürfte, was aber garnicht der Fall ist. Ich war dann noch bei Herrn Bernitt, der die Bamberger Mühle führt u. stellte fest, daß Herr Dr. Grantz auch bei diesem eine ähnlich fatale Rolle gespielt hatte.

     Ehe ich morgens losfuhr, kam Frau Korsch sehr aufgeregt. Ihr Mann war Abends unerwartet aus Berlin gekommen. Unsere Kosacken nahmen die Anwesenheit des Mannes zum Anlaß, um eine Haussuchung zu machen u. allerhand zu stehlen. Dr. Korsch wurde verhaftet u. dann zwischen zwei Reitern nach Prerow geschleppt, wo festgestellt wurde, daß kein Grund zur Verhaftung vorlag, so daß er wieder nach Hause gehen konnte. Ich beauftragte den Dolmetscher Daschewski, beim Kommandanten in Althagen vorstellig zu werden. Dieser hielt unseren LKW an, als wir zurückkamen u. sagte mir, daß die Kosacken kein Recht zu irgendwelchen Requisitionen hätten u. er von solchen Dingen sofort zu benachrichtigen sei.

     Heute höre ich, daß ab Sonnabend aller Bahnverkehr wegen Kohlenmangels wieder eingestellt wurde. Herr Dr. Korsch hatte einen Berg von Briefen aus Berlin mitgebracht, die verhältnismäßig günstig lauteten. Auch Frau Longard hatte Briefe von ihrer Tochter u. ihrem Sohn, gute Nachrichten. Diesen Briefverkehr hat die Notgemeinschaft eingerichtet u. es war der erste Erfolg, der sehr viel Freude auslöste. Ich hatte daraufhin beschlossen, nochmals einen Zwang auf diejenigen Flüchtlinge auszuüben, die diesseits von Elbe u. Oder wohnen, Ahrenshoop zu verlassen, aber wenn es nun wieder keinen Zugverkehr gibt, ist es auch damit nichts. Herr Dr. Hahn war gestern mit dem Richter'schen LKW. in Rostock, zusammen mit Leplow, aber auch diese Reise war völlig zwecklos u. ergebnislos.

     Unter den Briefen aus Berlin war leider auch eine Nachricht über Anneliese Wegscheider dabei. Vor etwa [12] einer Woche ist das Kind gestorben, nachdem Anneliese mit dem Kinde die ganze Kampfzeit glücklich überstanden hat. Es soll eine sehr starke Explosion stattgefunden haben u. die Erschütterung soll ein Gehirnentzündung bei dem Kinde zur Folge gehabt haben. Es scheint sich also um eine sehr ähnliche Todesursache zu handeln wie bei dem kleinen Hartmut. – Es scheint, als wären die Wegscheiders wirklich nicht fähig, Nachkommenschaft zu haben. Bei Anneliese gingen bereits drei Fehlgeburten voraus, – nun war endlich ein Kind da u. es muß sterben. Ob Kurt aus dem Kriege zurückkehren wird, scheint mir sehr zweifelhaft.

Montag, 23. Juli 1945.     

     Am Sonnabend Abend kam Herr Dr. Korsch u. Frau. Er erzählte sehr schauerliche Dinge über die Kampftage in Berlin. Er war aber auch offensichtlich bestrebt, die gegenwärtige Lage in Berlin so schwarz wie möglich zu schildern, damit ich im Ernstfalle davon absehen soll, seine Frau u. die Kinder nach Berlin zu schicken. Es mag ja sein, daß die Verhältnisse in Berlin sehr schlecht sind, aber sicher ist, daß sie nicht schlechter sind als hier. Dagegen ist anzunehmen, daß die Verhältnisse in Berlin nach u. nach besser werden, denn die internat. Besatzung dort wird sicher für das Notwendigste sorgen, während die Verhältnisse hier nur noch schlechter werden können.

     Am Sonntag habe ich zum ersten Male nach der Andacht ein Kind getauft. Es war ein uneheliches Kind einer Flüchtlingin aus dem Osten. Die junge Mutter wohnt mit ihrer Mutter in Althagen. Diese erste Taufhandlung hat mich sehr bewegt. Ich habe sie so feierlich wie möglich gestaltet. Martha war Patin. So mag es in frühchristlicher Zeit hergegangen sein, wie ja überhaupt unsere Andachten stets etwas von solcher Stimmung an sich haben.

     Frl. Gretl Neumann hat sich in Ribnitz bei Verhandlungen über Lebensmittel-Lieferungen sehr bewehrt. Ich habe sie beauftragt, sich weiter darum zu bemühen u. will versuchen, ihr einen Dauer-Passierschein zu besorgen. Hagedorn will in Born versuchen, Fische zu bekommen, die wir dann nach Ribnitz liefern können, um Mehl zu erhalten.

Dienstag, 24. Juli 1945.     

     Gestern Abend kam der Kommandant aus Althagen, nachdem er sich vorher angemeldet hatte. Er brachte sich den Dolmetscher Daschewsky mit, ich hatte Dr. Hahn mit seinen Arbeitslisten beordert, denn der Kommandant hatte sich beklagt, daß der Arbeitseinsatz nicht klappte. Er forderte für die nächsten Tage 40 Arbeitskräfte an, Männer u. Frauen, die Erdarbeiten machen sollen. Es handelt sich um Bunker oder Erdstellungen, die z. Zt. auch in Wustrow gebaut werden u. über deren Zweck kein Mensch etwas weiß. Selbst unser kleines Kosackenkommando im Hause Monheim hat 4 Leute angefordert, um solche Arbeiten zu machen. Die Arbeiten sollen mit allergrößter Beschleunigung durchgeführt werden, weil die Arbeitskräfte dann, wie der Kommandant sagt, für die Erntearbeiten frei sein sollen; aber in Wustrow soll ein Anschlag zu lesen sein, nach welchem alle Flüchtlinge u. Evakuierten den Ort innerhalb von 3 Tagen zu verlassen haben. Es wurde schon vor einigen Tagen von einer allgemeinen Evakuierung des ganzen Fischlandes gesprochen. Dr. Grantz will in Ribnitz gehört haben, wie der dortige Kommandant zum Bürgermeister darüber gesprochen habe. Ich habe dem keinen Glauben geschenkt; aber es scheint so, als sei damit eine Abschiebung der Flüchtlinge u. Evakuierten gemeint gewesen. Es heißt, daß alle Menschen das Fischland [13] verlassen müßten, welche vor 6 Jahren noch nicht hier gewohnt haben. In diesem Falle müßten auch Küntzels fort, ebenso Dr. Hahn u. Herr Degner, also alle meine Mitarbeiter, streng genommen auch Frau Schuster. Herr Pedak ist in dieser Woche bereits aus freiem Willen abgereist.

     Die Stellung der 40 Arbeitskräfte heute morgen hat natürlich nicht klappen können, weil der Befehl dazu zu spät kam. Dr. Hahn hat alles zusammengebracht, was erreichbar war. Dazu kommt, daß heute die Ausgabe der Lebensmittelkarten ist, die eigentlich gestern sein sollte, doch kamen die Karten erst gestern Abend. Ferner sollten gestern 2 Teppiche, 2 Läufer u. 4 Tischdecken an die Batterie abgeliefert werden. Es gelang auch hier nur die Hälfte, obwohl Borchers bis 1/2 11 Uhr Abends sich darum bemühte. Es fängt eben an, knapp zu werden. Jeder Kommandant requiriert u. nimmt dann die Sachen mit, das hat dann schließlich mal ein Ende. Borchers muß nun heute versuchen, das noch Fehlende zusammen zubringen.

     Hagedorn sollte gestern in Born über Fischlieferung verhandeln. Es schien so, als könnten wir dort Fische bekommen, um sie nach Ribnitz zu liefern; aber er kam Abends zurück ohne Erfolg. Die Russen holen auch dort alle Fische fort. Heute früh ist der LKW. wieder nach Ribnitz unterwegs, weil es heißt, wir könnten nun doch Mehl bekommen auch ohne Fische. Unser Brot reicht nur noch einige Tage.

     Ich fange an, müde zu werden. Die Schwierigkeiten sind zu groß, teilweise unlösbar u. alles sieht oft ausweglos aus. Gestern hieß es im Radio, daß demnächst die Grenzen zwischen den einzelnen Besatzungszonen geöffnet werden sollten, sodaß wir dann wenigstens die West-Flüchtlinge los werden könnten. Die Ost-Flüchtlinge los zu werden, ist ja garkeine Aussicht, – wir können im Gegenteil froh sein, wenn wir von dort nicht neue Flüchtlinge bekommen, nachdem die Polen ganz Pommern bis zur Oder einschl. Stettin verlangen u. dort alle Deutschen hinauswerfen werden.

Mittwoch, 25. Juli 1945.     

     Gestern Abend viel Aufregung. Der Kommandant Althagen behauptete, nicht genug Arbeitskräfte bekommen zu haben. Er forderte deshalb für heute 50 Menschen an, Arbeitsbeginn um 7 Uhr früh, anstatt um 8 Uhr wie sonst. Dalschewski brachte die Nachricht, der Kommandant habe getobt u. geschimpft. Es stellte sich heraus, daß von uns aus alle Arbeitskräfte gestellt worden waren, wie sie angefordert waren, daß aber bei den Russen eine vollständige Unordnung u. Organisationslosigkeit herrscht, sodaß die gestellten Arbeitskräfte verzettelt worden sind an verschiedene Stellen u. die wichtigste Arbeit eben nicht vorwärts kam.

     Um die Mittagszeit war der Bürgermeister von Born bei mir. Er erzählte mir Wunderdinge. In Born gibt es keine Requisitionen. Wenn die Russen etwas brauchen, kaufen sie es gegen Geld zu normalen Preisen u. sogar die Arbeitskräfte, die sie anfordern, bezahlen sie. Der Kreiskommandant in Barth läßt alle 4 Wochen die Bürgermeister zur Besprechung zu sich kommen u. lädt sie dann zum Mittagessen ein. In Born fehlt noch keine Kuh u. kein Pferd u. kein Möbelstück oder sonst irgendetwas. Es ist kaum zu glauben. – Ich war in großes Wut über Zustände, wie sie bei uns herrschen u. ärgerte mich am Abend um so mehr über die völlig ungerechten Forderungen unseres Kommandanten. Zum Ueberfluß kam Herr Damm u. erzählte, der Fahrer Butt habe die Nachricht gebracht, der LK.W. solle jetzt in Wustrow stationiert werden. Wenn das zutrifft, würde das die völlige Ausschaltung von [14] Ahrenshoop bedeuten, wir würden dann überhaupt keine Lebensmittel mehr heranbekommen u. außerdem würde es sehr erschwert sein, von hier fort zu kommen. Schießlich schrieb uns der neu in Wustrow eingesetzte Bürgermeister, Herr Brüssow, welcher der ehemalige Genosse des rühmlichen Herrn Harder ist, daß der Kommandant befohlen habe, Ahrenshoop müsse künftig all seine Milch in der Wustrower Molkerei abliefern. Es war genug des Aergers. Aus all diesen Maßnahmen u. aus dem sonstigen Verhalten der russischen Behörden geht hervor, daß man nicht das geringste Interesse an der Bevölkerung hat u. gewillt ist uns zu quälen bis aufs Blut. Ich war davon so mutlos, daß ich entschlossen war, mein Amt niederzulegen. Ich hörte dann, daß der zweite LKW. von Richter heute nach Barth fahren sollte u. ich entschloß mich, die Gelegenheit zu benutzen, um vielleicht Schutz beim Landrat oder beim dortigen Kreiskommandanten zu finden. Herr Gläser, der seinen Bruder in Barth sehen wollte, sollte als Dolmetscher mitfahren u. Gretl Neumann zum Einkauf. Wir trafen uns um 6 Uhr heute früh vor dem Hause u. gingen nach Althagen, wo wir den Richter'schen Wagen antrafen, der uns um 7 Uhr bis zur Kommandantur Wustrow brachte. Dort warteten wir bis 9 Uhr, weil die Herren dort noch schliefen. Um 9 Uhr wurde der Wagen mit Kosacken besetzt u. fuhr ohne uns nach Barth. Wir durften wieder nachhause gehen. Zum Glück traf ich unterwegs den Sohn von Dr. Umnus, der mit seinem Gespann Milchkannen ausfuhr u. er nahm mich mit bis zur Grenze. Herrn Gläser, der in Wustrow geblieben war, um vom Kommandanten einen Passierschein zu erhalten, wurde einfach gesagt, er sei ein alter Mann u. brauche nicht mehr zu reisen, er solle nachhause gehen u. sich hinter den Ofen setzen. Auch andere Leute, die Passierscheine haben wollten, bekamen keine, weil die Formulare alle sind.

     In Wustrow traf ich auch den neuen Bürgermeister Brüssow, der mächtig überzeugt war von seinen großen Fähigkeiten, aber dennoch recht klein von Format ist. Auch Herrn Hallier traf ich, den bisherigen Bürgermeister, der nun in seiner Arbeitskleidung freilich einen noch viel dürftigeren Eindruck machte.

     In meiner Abwesenheit hat Paul eine Versammlung der Kuhhalter gehabt, um die Frage der Ablieferung zu klären, doch hat er keinen großen Erfolg gehabt. Der Eigennutz der Leute ist zu groß, sie haben kein Verständnis für die Notwendigkeiten der Gemeinschaft. Aber vor allem fehlt es an Milchkannen. Herr Wiethüchter ist nun zur Molkerei gegangen, um auch von dort her die Situation zu klären.

Donnerstag, 26. Juli 1945.     

     Der Tag gestern verlief, abgesehen vom Vormittag, ziemlich ereignislos. Gott sei Dank! Das Wetter ist heute auch wieder besser, nachdem wir einige kalte Sturmtage gehabt hatten, durch die der Garten arg mitgenommen worden ist. Viele Dahlien, die in diesem Jahre besonders kräftig gediehen waren, liegen am Boden. Den Tomaten hat der Sturm nichts geschadet, auch sie sind in diesem Jahre besonders kräftig. Ueberhaupt steht draußen alles besonders schön u. man könnte sich des Lebens freuen, wenn die Russen nicht wären.

     Spät Abends kam gestern noch der LKW. u. brachte wieder 60 Centner neue Kartoffeln. Förster Damm hatte heute die Erlaubnis, mit Familie u. Sack u. Pack bis Greifswald mit dem LKW zu fahren. Seine Tochter hat ihm schon vor Wochen Nachricht gegeben, daß sie in einer Försterei in der Nähe von Pasewalk wäre, wo ihr Mann Förster war. Dieser ist aber gefallen. Damm will nun dorthin u. er hatte [15] die Zusicherung, daß er mit dem LKW., mit dem er ja hierher gekommen war, bis dorthin zurückfahren dürfte. Jetzt erlaubt man ihm aber bloß noch die Reise bis Greifswald. Aber heute früh, als die Reise losgehen sollte, funktionierte die Lichtmaschine nicht. Es bleibt nichts übrig als den Wagen nach Ribnitz zu schleppen u. eine neue Lichtmaschine einzubauen, was natürlich wieder den ganzen Tag in Anspruch nehmen wird. Man kann nur hoffen, daß der Kommandant in Wustrow inzwischen seine Erlaubnis nicht wieder zurücknimmt, jedenfalls sitzt der Förster Damm noch hier.

     Heute morgen ist von Wustrow ein Dampfer abgefahren, der alle Flüchtlinge aus Wustrow abtransportieren soll. Wohin die Menschen kommen, weiß man nicht, es heißt, sie sollten in Ribnitz zunächst in Lagern untergebracht werden, bis der Weitertransport möglich sein wird. Wahrscheinlich wird man die Menschen bei Bachmann unterbringen, dort sah ich zuletzt große Polenlager, die inzwischen vielleicht geräumt sein mögen. Von hier hat sich Dr. Korsch, Frau Mazurek u. Herr v. Achenbach angeschlossen, sie wollen den Dampfer benutzen, obgleich sie keine Passierscheine haben, u. wollen sich dann in Ribnitz drücken. Ob ihnen das gelingen wird, ist sehr zweifelhaft.

Freitag, 27. Juli 1945.     

     Gestern Abend sagte mir Gretl Neumann, die gegen 11 Uhr abends von Dr. Grantz kam, daß am Montag früh 9 Uhr ein Dampfer für Ahrenshooper Flüchtlinge ab Wustrow fährt. Nichts ist dafür vorbereitet. Es werden sich kaum viele finden, die den Dampfer benutzen werden. Leerlauf! Leerlauf!

     Die Wahlen in England haben eine große Mehrheit der Arbeiterpartei ergeben. Die Liberalen sind fast ganz ausgefallen, es gibt praktisch nur Konservative u. Arbeiterpartei, wobei die Arbeiterpartei doppelt so stark ist wie die Konservativen. Churchill ist zurückgetreten u. Attlee hat die Regierung übernommen. Churchill wird also wohl nicht nach Potsdam zur Konferenz zurückkehren. Attlee hatte jedoch schon vorher an der Konferenz teilgenommen, er wird sie weiter führen.

Sonnabend, 28. Juli 1945.     

     Gestern früh fuhr der Förster Damm mit seiner Familie im hochbepackten LKW. ab. Heute erzählt der Fahrer Butt, der in der Nacht zurückgekommen ist, daß die Russen den Förster kurz vor Greifswald gezwungen haben, alle Sachen abzuladen. Der Wagen ist dann leer hierher zurückgefahren. Damm liegt nun mit allen Sachen vor Greifswald auf der Straße. Es ist sehr ungünstiges Wetter mit Gewitter, Regen u. Kälte.

     Gestern brachte ein Bote Post aus Born mit allerhand Rundschreiben u. Fragebogen vom Landrat u. einigen Briefen vom Bürgermeister in Prerow, der jetzt als Bezirksbürgermeister über Zingst, Prerow, Müggenburg, Wiek, Born u. Ahrenshoop eingesetzt ist. Es herrscht nach wie vor völlige Unklarheit, wohin Ahrenshoop nun eigentlich gehört. – Auch Herr Dr. Grantz war hier, der allmählich in eine gespannte Lage zum Kommandanten in Wustrow geraten ist, weil es ihm nicht gelingt, die erforderlichen Ersatzteile für dessen Kraftrad zu organisieren. Es war das zu erwarten, aber es wirkt sich auf unsere Lebensmittellage erneut schlecht aus. Vorgestern bekamen wir aus Ribnitz vier Sack Mehl in dem Augenblick, wo unser Vorrat aufgebraucht war. Dieses Mehl bekamen wir ohne Wissen des Kommandanten, es wird nicht lange reichen. – Herr Wiethuchter hat sich in Verhandlungen mit der Wustrower Molkerei [16] sehr verdient gemacht. Wir bekommen jetzt täglich wieder 50 ltr. Magermilch von dort. Ich habe Frau Hoppe beauftragt, den Milchverkauf in ihrem Laden zu übernehmen. Herr Wiethuchter u. Herr Grantz haben auch mit dem neuen Wustrower Bürgermeister Brüssow gesprochen. Es scheint so, als gäbe sich dieser Mühe, mit mir gut zu stehen.

Montag, 30. Juli 1945.     

     Gestern Nachmittag waren Martha u. ich beim Kommandanten in Althagen zum essen eingeladen. Es war eine ziemlich unmögliche Sache. Schon der Zeitpunkt: um 1/2 4 Uhr. Wir kamen sehr hungrig hin. Der Herr Kommandant hatte auf seinem Bett gelegen u. geschlafen. Er hatte – Gott sei Dank! – Hosen an, sonst aber war er in Hemdsärmeln u. grauen Wollsocken. Er zog sich im Laufe der Zeit wenigstens den Rock an, wenn er ihn auch offen stehen ließ. Frau Kahl u. Herr Daschewski kamen ebenfalls. Das Essen, an dem der Oberleutnant selbst nicht teilnahm, da er bereits gegessen hatte, bestand aus einer sehr fetten Brühe mit Gemüse u. Fleisch darin, sodann aus einem Schlag Quetschkartoffeln mit großen Fleischstücken, die herunterzuschlingen Mühe machte, da es keine Messer gab mit denen man sie hätte zerkleinern können. Außerdem stand das bei den Russen unerläßliche Brot auf dem Tisch, dazu je ein Teller mit aufgeschnittener Mettwurst u. in Würfel geschnittenem, geräucherten Schweinefett. Unter dem Sofa holte der Herr Oberleutnant eine Flasche Weißwein hervor, die wir in verschiedene Gläser schenkten. Wir selbst brachten ihm eine Blumenvase mit Blumen mit, zwei Porzellantassen, einen Thermometer u. eine kleine Tischdecke. Er freute sich zu all dem sehr u. gab sich große Mühe, die Mängel seiner Bewirtung zu entschuldigen. – Die anschließende Unterhaltung über Herrn Daschewsky war sehr anstrengend u. drehte sich in der Hauptsache um dienstliche Angelegenheiten des Grenzschutzes. Der Oberleutnant ist ein sehr gutwilliger u. sehr bescheidener Mann ohne Bildung. Er ist sehr pflichteifrig u. man kann gut mit ihm auskommen. Er verlangt nichts Unmögliches u. hat den Willen, gerecht zu sein, – sehr im Gegensatz zu dem Hauptmann in Wustrow, dessen unverschämte Arroganz immer größer wird. Seit vorgestern ist der Major u. Kommandant von Ribnitz ersetzt worden durch einen Oberst, der sich gleich mit dem Wustrower Hauptmann schwer angelegt hat, – es hat riesigen Krach gegeben. Damit ist denn der Erfolg all unserer Bemühungen seit 14 Tagen, mit dem Ribnitzer auf guten Fuß zu kommen, wieder in Frage gestellt u. wir fangen wieder von vorne an.

Dienstag 31. Juli 1945.     

     Gestern Abend brachte der Unteroffizier der Batterie ein großes Stück Fleisch u. mehrere Brote als Bezahlung für Kleidungsstücke, die ihm in der Schneiderstube gemacht worden waren. Martha war leider nicht da, sie war beim russ. Unterricht. Der Unteroffizier ging gleich von hinten her ins Haus u. legte das Fleisch ohne mein Wissen in die Küche, während ich selbst vorn vor dem Hause saß u. mit dem anderen Unteroffizier sprach, der immer die Arbeitskräfte anfordert. Der erste kam dann von hinten her zurück u. trug einen leeren Sack. Er ging an mir vorbei zur Gartentür zum Wagen, mit dem er gekommen war. Hinter ihm her kam dann noch ein Hilfspolizist mit roter Armbinde, den ich nicht kenne. Er sagte zu mir: „Das ist ja gut: bei uns in Althagen werden jede Woche drei Schweine requiriert u. das Fleisch kommt zum Bürgermeister von Ahrenshoop.“ – Da ich nichts von dem Fleisch gesehen hatte, wußte ich nicht, was der Mann [17] meinte, jedoch ahnte ich wohl, daß der Unteroffizier Fleisch gebracht hätte als Bezahlung gegen Kleidungsstücke, die er aus der Schneiderstube erhalten hatte. So war es auch in der Tat. Ich versuchte, dem Polizisten dies klar zu machen u. ich sagte ihm, daß dieses Fleisch nicht mein Besitz sei, wenn es auch vielleicht in meiner Küche abgeladen worden sei. Dort wird das Fleisch nur verteilt an diejenigen, die für die Russen gearbeitet haben u. die Hauptsache kommt in die Notküche zur Verteilung an die Bedürftigen. Der Mann hörte zum Glück zu u. ließ sich wohl auch von der Wahrheit überzeugen, dennoch war diese Sache sehr unangenehm. Es ist gut möglich, daß daraus übler Klatsch entsteht. Als Martha nachhause kam, machte ich ihr deshalb Vorhaltungen, aber es war nun nicht gut mehr etwas zu ändern. Martha versicherte mir, daß alles in die Notküche käme oder an die Arbeiterinnen der Schneiderstube verteilt würde u. damit muß ich mich begnügen, doch habe ich mir ausgebeten, daß solche Geschäfte mit den Russen in Zukunft nicht mehr gemacht werden.

     Abends kam Gretl Neumann aus Ribnitz zurück, wo sie gut für uns gearbeitet hatte. Es war ein Dampfer bis Althagen gefahren u. hatte allerhand Lebensmittel gebracht. Darunter war auch Grütze. Wir, bzw. Paul, errechnete die Verteilung u. wir kamen überein, jedem Kinde bis zu 10 Jahren 2 Pfd. Grütze zuzubilligen. Ein kleiner Rest bleibt dann noch für alte u. kranke Leute. Darob heute große Aufregung bei einigen Weibern, die keine kleinen Kinder haben. Es fällt manchmal sehr schwer, die Ruhe zu bewahren.

     Ein Leutnant aus Zingst war Mittags hier u. wollte Teller, Tassen u. Gläser requirieren. Ich versprach, ihm die Sachen u. er versprach mir dafür, mich nach Barth u. zurück zu fahren.