Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-05-06
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Sonntag, 6. Mai 1945.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 6. Mai 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-05-06 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 6. Mai 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Sonntag, 6. Mai 1945.     

[1]      Gestern Vormittag sah ich Prof. Reinmöller auf der Straße gehen. Sein Selbstmord war also wieder einmal ein falsches Gerücht. Dagegen wurde mir der Selbstmord des Herrn v. Knesebek durch dessen Nichte bestätigt.

     Ich versuchte gestern Vormittag, irgendwo einen Offizier aufzutreiben. Es hieß, es solle einer im Kurhaus wohnen, doch bestätigte sich das nicht. Ich wollte ihn gern bitten, die Soldaten vor weiteren Plünderungen zurückzuhalten. Ferner wollte ich nach Frau Longard sehen u. Frau Garthe besuchen, doch waren so viel einzelne Soldaten im Dorf, daß ich nicht bis dorthin kam. Sie gingen in die Häuser u. klauten besondes Schuhzeug u. Herrengarderobe. Bei uns war aber keiner. Mittags oder bald danach kam eine Limousine mit einem Hauptmann u. zwei Soldaten. Sie kamen ins Haus, besichtigten die Räume unten, ohne sonst etwas zu untersuchen. Der Hauptmann ging dann nach oben, einer der Soldaten ging mit, anscheinend ein Unteroffizier, jedenfalls hatte er Schulterklappen. Sie gingen durch alle Zimmer, öffneten alle Türen, jedoch nur, um zu sehen, was da wäre. In meinem Schlafzimmer interessierte sich der Hauptmann für den Kleiderschrank. Er tastete zwischen den Anzügen herum u. griff in das obere Bord in die Wollsachen, die dort lagen, anscheinend wohl, um zu sehen, ob dort eine Pistole läge. Die Geldkassette interessierte ihn. Da er sie nicht aufbekam, [2] half ich ihm u. zeigte ihm den Inhalt. Die Geldscheine, die darin lagen, interessierten ihn nicht. Die zweite Nickel=Kassette hat er entweder nicht gesehen, oder sie interessierte ihn nicht weiter. In der Droguerie, in der es sehr dunkel ist, leuchtete ich ihm mit einer Kerze. Dort stehen sehr viele verschlossene Behältnisse, aber er griff nur nach einem Kasten, der obenauf stand. Ich öffnete sie ihm u. er war zufrieden. Dann ging er wieder runter, besichtigte auch noch den Keller. Der andere Soldat, der unten geblieben war, stellte inzwischen fest, daß das Telephon außer Betrieb war. Als die Leute wieder gehen wollten, versuchte ich, dem Hauptmann zu sagen, daß geplündert würde, doch verstand er kein Wort. Er war sonst sachlich u. korrekt, sprach kein Wort, grüßte nicht, war weder freundlich noch unfreundlich. Er war ein großen, ungeschlachter Kerl mit einem rohen Gesicht u. einigen Karbunkeln im Nacken, ein richtiger Knoten. Alle drei fuhren dann in ihrer Limousine weiter, kamen dann aber nach etwa 10 Min. wieder zurück u. fuhren in Richtung Althagen davon. Ich habe nicht feststellen können, ob sie inzwischen noch ein anderes Haus besichtigt haben. Diese Besichtigung durch einen Hauptmann kann ja nur den Zweck haben, ein Haus zu suchen, daß sich für ein Stabsquartier eignet, u. da unser Haus sicher für ein solches geeignet ist, haben wir sofort begonnen, unsere Sachen auszuräumen. Vor allem habe ich meine Kleidungsstücke u. die von Fritz verborgen, denn danach herrscht offenbar starke Nachfrage. Es zeigt sich, daß alle diese Bolschewisten große Neigung zur Bürgerlichkeit haben u. erpicht sind auf Herrengarderobe, Schuhzeug, Schmuck u. vor allem Armbanduhren. Die meinige besitze ich immer noch, obgleich ich sie immer trage. Auch aus der BuStu. haben wir gestern mit Hilfe von Frau Schwerdtfeger alles ausgeräumt, was Wert hat, nachdem Papenhagen uns die zerschlagenen Fenster mit Brettern vernagelt hat. Im Geschäft ist jetzt nur noch wertloses Zeug. Viel gestohlen haben sie in der vorgestrigen Nacht nicht, nur haben sie alles durcheinander geworfen, denn sie haben wohl hauptsächlich nach Zigaretten u. Schnaps gesucht. Martha meint, daß sie von Fritz Anzüge mitgenommen haben, die in Zimmer 4 im Schrank gehangen haben, aber das ist nicht sicher. Sie müssen wohl auch in meinem Atelier gewesen sein, da die Türe ja aufstand, aber sie haben nichts angerührt. Im Büro standen die Pakete von Dr. Krappmann, deren Umhüllung sie teilweise aufgerissen haben, aber anscheinend haben sie nichts herausgenommen. Auch die Koffer von Regina Treffer u. ihrer Kollegin, die dort standen, sind unversehrt.

     Paul war gestern um 2 Uhr im Kurhaus, wo sie einen Radio-Appadat mit Akku haben. Er hörte, daß der Waffenstillstand in Nordwestdeutschland, Dänemark u. Holland abgeschlossen sei, nur noch in der Tschechei wird anscheinend noch an einigen Stellen gekämpft. Den Doppelposten in der Düne hinter unserem Hause haben sie anscheinend wieder eingezogen, es gehen jetzt nur noch Patrouillen an der Düne entlang zum Schutze einer Telephonleitung, die sie dort gelegt haben. Auf dem Hohen Ufer stehen zwei Kanonen, die eifrig schießen, sobald sich draußen auf See Fahrzeuge sehen lassen. Es fahren manchmal solche vorbei, kleine Segelboote mit Hilfsmotor. Sie bleiben aber sehr weit draußen. Da die See meist ruhig ist, können sie das. Es werden wohl Flüchtlinge aus Kurland sein.

     Im Ort ist seit gestern Nachmittag ein Feldwebel als Ortskommandant installiert, der im Gemeindeamt sein Büro aufgeschlagen haben soll. Ich sah diesen Mann [3] gestern vom Fenster aus. Er machte einen recht guten Eindruck. Anscheinend trug er einen deutschen Soldatenmantel u. gab sich offenbar Mühe, proper u. ordentlich auszusehen. Er hat gestern seine erste Verfügung erlassen, daß die Einwohner ab 10 Uhr abends ihre Häuser nicht verlassen dürfen. Heute ist, wie Paul eben sagt, eine neue Verfügung angeschlagen, daß sofort alle vorhandenen Waffen im Haus von Wilh. Helms abzuliefern seien. Daraus schließe ich, daß der Feldwebel dort wohnt, da das Haus dem Gemeindeamt gegenüber liegt.

     Es scheint so, als wollte nach u. nach eine Beruhigung eintreten. Das Geschäft haben sie heute Nacht in Ruhe gelassen, nachdem sich wahrscheinlich herumgesprochen hat, daß dort nichts zu holen ist. Ich selbst habe mich heute Nacht ins Bett gelegt u. geschlafen, seit dem 1. Mai zum ersten Male ohne Kleider. Gestern sind einzelne Soldaten noch in einigen Häusern gewesen u. haben Essen verlangt. Da es aber nirgends etwas gibt außer Eiern, haben sie sich damit begnügt. Sie haben dann selbst Butter u. Speck geholt u. Rotwein oder Schnaps u. Brot u. haben sich die Eier braten lassen. Bei Frau Noelle in Althagen waren sie auch u. haben Zigaretten verlangt. Frau N. soll gesagt haben, daß sie selber gerne eine Zigarette hätte, worauf sie ihr eine Zigarette angeboten hätten. Außerdem haben sie ihr angeblich 50,– Rm. in Interalliiertengeld geschenkt. Dergleichen hört man öfter, ob's stimmt, weiß ich nicht.

     Paul war heute früh beim Bauer Paetow, um sich anzubieten ihm in der Arbeit zu helfen, da der polnische Knecht gestern mit allen polnischen u. russischen Hausgehilfinnen in einem requirierten Wagen mit requirierten Pferden abgefahren ist. Typisch ist, daß der polnische Knecht keinen Wagen u. auch nicht die Pferde von Paetow requiriert hat. Wagen u. Pferde waren mir ganz fremd, er muß sie sonst woher besorgt haben. Paetow ist sehr bedrückt gewesen u. hat es abgelehnt, sich helfen zu lassen, er meint, daß er das Vieh allein versorgen könnte. Man hat ihm alle Milchkühe gelassen, nur eine Starke hat einer der durchgekommenen Trosse mitgenommen. Auch Pferdegeschirr haben sie mitgenommen, aber immerhin doch altes Geschirr dafür dagelassen. –

     Die Patrouillen am Strande schießen zuweilen, wohl nur zum Spaß. Es macht diesen Russen Spaß, Lärm zu machen. So lassen sie die Motoren ihrer Beutewagen gern im Leerlauf laufen. Motorräder fahren sie kaputt u. verstehen nicht, den Motor wieder in Gang zu bringen, wenn er mal versagt. Sie reiten gern im Gallopp auf dem Bürgersteig, weil das so schön klappert. –

     Heute haben wir die Andacht ausfallen lassen. Zwar hatte ich mich darauf vorbereitet, aber gestern Abend war ich doch so müde, daß ich es aufgab. Es wäre wohl ohnedies niemand gekommen.

     Man sagt, daß Feldmarschall Paulus mit einigen Generalen aus russ. Kriegsgefangenschaft in Deutschland eine provisorische Regierung bilden werde, was also dem entsprechen würde, was ich immer vorausgesehen habe.

     2 Uhr nachm.

     Frau Dr. Umnus war mit ihrem Sohn hier. In Ribnitz sind nach ihrer Angabe alle Männer zwischen 17 u. 50 Jahren aufgerufen worden, sich zu melden. Diese Männer sollen heute auf dem Markt zusammengerufen sein, sollen in Lastwagen verladen worden sein u. mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden sein. So hat ihr der Autovermieter Johannsen erzählt, den sie auf dem Wege zwischen hier + Wustrow getroffen hat. Dummerweise hat sie nicht gefragt, warum denn nicht auch er abtransportiert worden wäre, da er doch auch zwischen 17 – 50 Jahren ist. Jedoch haben auch die Männer dieser Jahrgänge [4] in Wustrow Befehl bekommen, sich zu melden u. ihr Sohn, der 19 Jahre alt ist, hat es nicht getan, da die Eltern ja das Bauerngut in Althagen haben u. er sagen kann, daß er dort war. Man kann aber annehmen, daß auch die Männer aus Nie= u. Althagen u. aus Ahrenshoop sich melden müssen. Der junge Umnus will flüchten u. will versuchen, die Amerikaner, bzw. Engländer zu erreichen. Ich habe davon abgeraten, es ist unwahrscheinlich, daß er durchkommt.

     Frau U. wußte allerhand Nachrichten über Unstimmigkeiten zwischen Russen u. Anglo-Amerikanern insbesondere über die Besatzungszonen. Danach hätten die Russen eigentlich nur bis zur Westgrenze Pommerns besetzen dürfen u. sie wollen nun nicht mehr aus Rostock raus. Aber das alles sind ja Gerüchte u. ganz unkontrollierbar. Es wird furchtbar viel erzählt u. wenn man näher hinsieht, ist alles nicht wahr. So hat man erzählt, die Russen hätten den Hof unseres Bauern Paetow völlig ausgeplündert u. den alten Mann zum Schluß erhängt. Nichts davon ist wahr. Nur das stimmt, daß bis heute Nachmittag 4 Uhr alle Waffen abgegeben sein sollen. Martha u. ich haben eben vorsichtshalber Fritzens Zimmer durchsucht, haben aber nichts gefunden. Ich entsinne mich auch nicht, bei Fritz je eine Waffe gesehen zu haben.