Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-04-30
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Montag, 30. April 1945.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 30. April 1945
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1945-04-30 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 30. April 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Montag, 30. April 1945.     

[1]      Gestern am späten Nachmittag große Aufregung: es wurde bekannt, daß in Althagen ausgeklingelt worden war, daß das ganze Fischland innerhalb von 5 Std. geräumt werden solle. Nur wehrfähige Männer sollten dableiben. Diese Nachricht war einfach unfaßlich, denn es war ja nicht einzusehen, wohin diese Leute gehen sollten. Dennoch bewahrheitete sich die Nachricht. Zwar hörte ich, daß Leute wie Koch-Gotha, Frau Müller-Bardey u. Frau Noelle sich weigern wollten, der Anordnung Folge zu leisten u. ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, daß die Bauern u. Büdner der Anordnung nachgekommen sein sollten; aber man kann nicht wissen, mit welchen Gewaltmaßnahmen die Leute gezwungen werden. Jetzt eben ist es 1/2 10 Uhr u. unsere Trude ist noch nicht hier, sie kommt sonst spätestens um 1/2 9 Uhr. Sollten die Menschen wirklich zum Verlassen ihrer Heime gezwungen worden sein, so wäre das noch zum Schluß das größte Verbrechen, das von diesem idiotischen Gauleiter Hildebrand begangen worden ist. Die Leute würden auf die Landstraßen getrieben als wehrlose Beute der Tiefflieger u. es wäre nirgends auch nur die Möglichkeit, diesen Leuten eine neue Unterkunft zu geben. Der Obergefr. Mehlis war bei uns u. berichtete, daß man in der Batterie von dieser Maßnahme der Partei nichts gewußt hätte. Er berichtete aber auch weiter, daß ab heute der Darss von der SS vollständig abgesperrt sei, sodaß niemand von hier nach Born oder Prerow gelangen kann. Auch davon wußte die Batterie nichts, es ist ihr nichts mitgeteilt worden. Es ist offenbar, daß im Darss schon seit längerer Zeit geheimnisvolle Dinge vor sich gehen. –

     Der Krieg geht inzwischen weiter. Wir hatten heute morgen Strom u. konnten außer dem Soldatensender zw. 4 – 6 Uhr [2] noch den engl. Sender um 9 Uhr hören. Danach soll Hitler in letzter Zeit bereits mehrere Schlaganfälle erlitten haben u. jetzt eben habe er einen neuen Anfall erlitten. Er soll im Sterben liegen. Goebbels, dessen Tod sich nicht bewahrheiten soll, soll bei ihm sein. In Berlin wird immer noch gekämpft, der Kern um die Wilhelmstraße u. die Reichskanzlei ist noch in unserem Besitz. Die Verwüstung des Stadtinneren soll total sein, schlimmer als Stalingrad. In Süddeutschland geht die Auflösung rasch vorwärts, die Amerikaner haben München anscheinend kampflos besetzt. Ebenso ist es in Norditalien. Mussolini ist mit 17 führenden Fazisten hingerichtet worden, seine Leiche ist in Mailand öffentlich ausgestellt. Bei uns im Norden haben die Russen Anklam, Angermünde u. Neubrandenburg besetzt u. dringen unaufhaltsam weiter vor. Die Engländer haben bei Lauenburg die Elbe überschritten u. dringen östlich von Hamburg vorbei nach Dänemark vor. In Oesterreich hat sich unter Führung des Sozialdemokr. Renner eine provisorische Regierung gebildet. Renner ist schon 75 Jahre alt, er spielte ja schon nach dem ersten Weltkriege eine maßgebende Rolle als Sozialdemokrat.

     Um alle Aufregungen voll zu machen, erschien gestern Herr Dr. Ziel bei mir grade in dem Augenblick als hier die Evakuierung des Fischlandes bekannt wurde. Er wollte mich allein sprechen. Er teilte mir mit, daß einige Leute in Ahrenshoop, unter ihnen Herr Dr. Hahn, die Absicht hätten, unsichere Elemente wie Prof. Reinmöller, Siegert u. a. im Falle, daß die Russen anrücken sollten, dingfest zu machen. Sie wollten in diesem Falle in deren Häuser eindringen u. sie mit vorgehaltenem Revolver zwingen, untätig zu bleiben, da sie besorgt sind, daß diese Leute irgendwelche Dinge gegen die Russen unternehmen könnten, die dann für das ganze Dorf schlimme Folgen haben könnten. Die Absicht ist gut gemeint, aber nicht weniger töricht als das, was diese Leute verhindern wollen. Ein Reinmöller wird sich keinesfalls von einem vorgehaltenen Revolver imponieren lassen u. es ist dann unvermeidlich, daß daraus Folgen entstehen, die garnicht abzusehen sind. Das ist um so schlimmer, als es höchst unwahrscheinlich ist, daß diese Leute wie Reinmöller, Siegert usw. überhaupt etwas unternehmen werden. Die ganze Sache ist Torheit u. eine Idee, die aus Angst u. Aufregung geboren ist. Ich habe Herrn Dr. Ziel gebeten, zu Herrn Dr. Hahn zu gehen u. ihn so eindringlich wie möglich zur Vernunft zu rufen. Ich habe ihm gesagt, daß ich, falls Herr Dr. Hahn sich von diesem törichten Plan nicht abbringen lassen würde, leider darauf verzichten müsse, ihn weiterhin bei meinen Mittwoch-Vorträgen zu sehen. Ich bin nämlich besorgt, daß, wenn diese Aktion fehl schlagen sollte, womit sehr zu rechnen ist, alle Vernünftigen sich gegen diese Leute stellen werden, ja daß dann Leute wie Deutschmann sogar gezwungen sein werden, gegen sie Maßnahmen zu ergreifen. Sollte durch irgendeinen unglückl. Zufall bei der Sache Blut fließen oder gar ein Leben verloren gehen, dann wird sich die Stimmung gegen diese Leute richten u. damit wären dann alle gefährdet, die mit diesen Leuten irgend welche Beziehungen unterhalten. In meinem Falle würde man sofort sagen: aha, die Katholiken! u. alle Katholiken kämen in Gefahr oder mindestens in Unannehmlichkeiten. –

     Die polit. Vermittlung zwischen den Anglo-Amerikanern u. uns hat das schwed. Rote Kreuz übernommen, dessen Vorsitzender ein Graf Bernadotte ist. Dieser soll gestern im Flugzeug nach Deutschland gekommen sein um ein neues Kapitulations-Angebot Himmlers an alle [3] drei Alliierten entgegenzunehmen. Es ist zu hoffen, daß dies inzwischen geschehen ist. Von Himmler soll auch die Nachricht stammen, daß Hitler im Sterben liegt. –

     Gestern Abend waren wir bei der alten Frau Longard, die sehr aufgeregt ist. –

     Heute morgen kam ein Feldwebel der Marine-Abtlg., die aus Swinemünde jetzt hier ist u. im Kurhaus liegt, deren Helferinnen im Hause Monheim wohnen. Sie wollen nun die Garrage haben, in der unser Auto steht. Sie haben die Garrage von Mc. Dornan frei gemacht u. bringen nun das Auto nach dort.

     Eben höre ich, daß der Evakuierungs-Befehl für das Fischland gestern Abend noch rückgängig gemacht worden ist u. alles beim Alten bleibt. Das Ganze war also wieder mal nichts weiter als alberner Quatsch des Gauleiters Hildebrand, der nichts weiter zur Folge hatte, bis jetzt noch ruhige Menschen in Aufregung zu stürzen.