Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-04-24
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Dienstag, 24. April 1945.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 24. April 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-04-24 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 24. April 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Dienstag, 24. April 1945.     

[1]      Gestern kursierten zwei Gerüchte: der Führer habe persönlich die Verteidigung Berlins übernommen u. Amerika hätte die Beziehungen zu Rußland abgebrochen u. Molotow, der auf dem Wege nach San Franzisko gewesen sei, sei zurückgerufen worden. Die Leute hier sahen bereits Amerikaner im Kampf gegen die Russen.

     Das erste Gerücht scheint sich zu bewahrheiten, der Soldatensender behauptete heute früh dasselbe. Goebbels u. Hitler seien in Berlin u. organisierten die Verteidigung. Die Russen sind jedoch bereits im Besitz der östlichen u. nördlichen u. südlichen Vororte: Weissensee, Lichtenberg, Lichterfelde usw. Weiter südlich sollen sie bei Mühlberg auch schon die Elbe erreicht haben. Sonst scheinen keine großen Veränderungen vorgekommen zu sein mit Ausnahme von Bayern, wo die Amerikaner 20 km. vor Regensburg stehen sollen u. auch an München näher herangekommen sind.

     Das zweite Gerücht bestätigt sich bisher nicht u. wird sich wohl auch nicht bestätigen, wenngleich auch die Differenzen zwischen Amerika u. Russland sich sehr zugespitzt haben. Rußland besteht auf seiner Forderung, daß der polnische sog. Lublin-Ausschuß offiziell zur Teilnahme an der San Franzisko-Konferenz eingeladen werden solle, was einer offiziellen Anerkennung dieses Ausschusses als polnische Regierung gleichkäme, u. Amerika wie auch England lehnen das ab. Sie können auch garnicht anders, nachdem sie seit Monaten erklärt haben, daß sie nur eine poln. Regierung anerkennen könnten, in der die londoner Emigranten-Regierung vertreten ist. Das aber kann Rußland nicht zugestehen, nachdem es den Lubliner Ausschuß als poln. Regierung längst anerkannt hat. – Das ist der Punkt, auf den sich nun die deutsche Politik stützt in der Erwartung, daß das Bündnis mit Rußland auseinanderbrechen werde. Diese Erwartung ist nicht ganz abwegig. Es hat mit Rußland schon die merkwürdigsten Ueberraschungen gegeben: vor 1939 die plötzliche Beendigung des russisch-finnischen Krieges u. dann 1939 die langen Verhandlungen Englands mit Rußland zwecks Abschlusses eines Bündnisses gegen Deutschland, die dann plötzlich u. überraschend mit dem Abschluß eines Konsultatio-Paktes zwischen Rußland u. Deutschland endeten. Nicht weniger überraschend war dann der Nicht-Angriffs-Pakt zwischen Rußland u. Japan Es wäre wohl denkbar, daß Rußland auch jetzt wieder eigne Wege gehen will. Vielleicht ist Herrn Stalin der Kamm [2] geschwollen, nachdem er sich nach der bevorstehenden Niederlage Japans im Rücken frei fühlt. Andererseits ist es nicht gut denkbar, daß die Alliierten sich jetzt grade so zanken werden, daß alle Erfolge dadurch in Frage gestellt werden. Eher halte ich es für möglich, daß man im letzten Augenblick die San-Franzisko-Konferenz vertagen wird. Der Konflikt Amerika-Rußland bleibt dann freilich in der Schwebe u. muß eines Tages zum Ausbruch kommen. –

Gestern war Herr Gräff bei mir u. bat mich um die Anfertigung von zwei Schildern für eine „Panzer-Melde-Stelle“, die lt. Verfügung angebracht werden sollen. Dabei erzählte er mir eine mysterisöse Geschichte, die sich im Dorf ereignet hat. – Am Sonnabend ist der alte Garloff aus Born mit seinem Gespann nach Wustrow gefahren, um dort eine Kiste Butter abzuholen. Garloff hat sich zu seinem bisherigen Pferd ein neues zugelegt, das sehr wild sein soll. Garloffs Tochter war auch mitgefahren, aber auf dem Fahrrade. Auf dem Rückweg von Wustrow nach Born ist die Tochter vorausgefahren. Als sie im Darss in die Nähe der Drei Eichen kam, ist der Wagen mit den Pferden ohne den Vater u. auch ohne die Butterkiste ebenfalls dort angekommen. Die Tochter hat das Gespann angehalten, hat ihr Rad auf den Wagen geladen u. ist merkwürdigerweise nach Born weiter gefahren, ohne sich um den Verbleib des Vaters u. der Butterkiste weiter zu kümmern. – Prof. Reinmöller kam indessen von einem Spaziergang aus dem Darss zurück u. fand den alten Garloff tot am Wege liegen. Er benachrichtigte die Batterie, die die Leiche dann mit Fuhrwerk in den Schuppen auf unserem Friedhof brachte, von wo sie dann noch in der Nacht von Frau Garloff abgeholt wurde. Die Butterkiste blieb verschwunden. – Gräff benachrichtigte die Gendarmerie. Einer der Zollbeamten traf dann – ich weiß nicht wann – zwei Leute im Darss, die mit Geldzählen beschäftigt waren. Es kam ihm verdächtig vor u. da die Leute keine genügende Auskunft geben konnten, beschlagnahmte er das Geld, etwa 400,– Rm. Diese beiden Leute sind Flüchtlinge, die hier im Orte wohnen. Später sah derselbe Zollbeamte einen Althäger Fuhrmann mit einer Holzfuhre durch das Dorf kommen. Er hielt ihn an u. fand auf dem Wagen die Butterkiste, die der Fuhrmann mit seinem Rock zugedeckt hatte. Er gab an, dieselbe im Darss in der Gegend gefunden zu haben, wo die Ahrenshooper ihr Holz werben, wobei auffällig ist, daß der Althäger Fuhrmann in dieser Gegend nichts zu suchen hatte, da die Althäger in einer ganz anderen Gegend Holz werben. In der Butterkiste fehlten bereits etwa 8 Pfund Butter.

     Es kann nun ganz gut so sein, daß der alte Garloff einen Schlaganfall bekommen hat u. vom Wagen gefallen ist. Oder es kann auch sein, daß das neue, sehr wilde Pferd durchgegangen ist u. Garloff heruntergestürzt ist u. sich das Genick gebrochen hat. Es könnte dann die Kiste herabgefallen sein, irgend jemand hat sie gefunden u. versteckt, um sie später zu holen. Woher die Leute mit dem Gelde aber zu diesem Gelde gekommen sind, weiß man nicht. Jedenfalls ist die Geschichte noch sehr unaufgeklärt.

     Grete wollte heute früh 4 Uhr mit dem Batterie-Auto nach Rostock fahren, um ihre Tochter Eva mit dem Kinde abzuholen, aber aus irgend einem Grunde fuhr bloß ein kleiner Wagen u. sie kam unverrichteter Dinge wieder zurück. Sie wurde auf Freitag vertröstet. Es heißt, daß [3] ab heute Nacht jeglicher Personenverkehr auf der Eisenbahn eingestellt worden sei. –

     Die NSV u. die Partei haben gestern das letzthin gesammelte sog. Volksopfer, dessen Ertrag bisher auf der Gemeinde lag, weil niemand es abtransportieren konnte, der Bu Stu übergeben, damit die Sachen in der von Martha eingerichteten Schneiderstube für die notleidenden Flüchtlinge verwendungsfähig gemacht werden sollen. Das ist für Martha wieder eine neue, sehr umfangreiche Arbeit, bei der Paul sehr gut helfen kann, damit alles ordnungsmäßig organisiert wird. Die NSV versagt ja vollständig, da Frau Booth der Sache nicht gewachsen ist u. Geld ist auch nicht vorhanden. Das Elend unter den Flüchtlingen ist teilweise furchtbar. Martha hat da schon längst von sich aus angefangen, praktisch zu helfen u. zwar mit so gutem Erfolg, daß die NSV sich nun endlich entschlossen hat, ihr diese ganze Sache zu übergeben. Der einzige der hier wirklich etwas für die Flüchtlinge tut, ist Herr Deutschmann u. er ist wohl auch die treibende Kraft dafür, daß man Martha die Sache übergeben hat. Diejenige von all diesen Nazi=Weibern, die in all diesen Jahren den Mund am weitesten aufgerissen haben, die Frau Siegert, ist jetzt, wo es sich um tatkräftige Hilfe handelt, überhaupt nicht mehr zu sehen. –