TBHB 1945-02-24
Einführung
Der Artikel TBHB 1945-02-24 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 24. Februar 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Gestern ein sehr interessanter u. inhaltsreicher Brf. v. Fritz, Nr. 10. v. 14.2. – Brief Nr. 9. fehlt also bisher noch.
Das Interessanteste ist Folgendes: Fritz hatte vor Weihnachten gebeten, an die Gattin seines Stabsarztes Dr. Kunze in Dresden ein Weihnachtspaket zu senden, was auch geschehen ist. Das Paket kam rechtzeitig an u. hat offenbar Beifall gefunden, denn Frau Dr. K. richtete ein sehr herzliches Dankschreiben an Martha u. auch die Kinder schrieben sehr niedlich. Diesen Brief sandten wir Fritz, der ihn wiederum seinem Stabsarzt zeigte. Als dieser meinen Namen las, fragte er, ob ich der Kunstmaler Hans Brass aus der Novembergruppe sei. Als Fritz dies bejahte, sagte er, daß sein bester Freund, ein Dr. Heinrich Issensee mit meiner Tochter Ruth Brass verheiratet sei. Es sei auch ein Sohn Thomas da, dessen Patenonkel er, Dr. Kunze, sei. Das Ehepaar habe zuletzt in Bln. mit meiner ehem. Frau zusammen gewohnt. Dr. K. hat sich über meine Tochter geäußert, sie sei sehr intelligent u. Fritz hat den Eindruck gehabt, als hätte Ruth oft über mich gesprochen, u. zwar in einem positiven Sinne, – Fritz meint: „vielleicht aus einem gewissen Ehrgeiz oder Stolz heraus“.
Die Welt ist klein u. rund, alles kommt wieder mal nach oben. Mein letzter, total gescheiterter Annäherungsversuch erfolgte, wenn ich mich nicht sehr ihre, im Jahre 1940. Meine Tochter lehnte damals eine Annäherung in äußerst brüsker Weise ab, sodaß damals kein Weg mehr offen blieb. Möglicherweise hat der Krieg u. die Liebe zu einem Mann nun doch ihr Herz berührt u. es ist eine Gemütswandlung eingetreten. Ich kann zwar auch jetzt noch nichts unternehmen, aber wenigstens bedeutet diese Sache doch irgend eine Fühlung, wenngleich Ruth davon auch garnichts weiß. Eine Annäherung wird ja wohl nicht möglich sein, solange meine ehem. Frau lebt, denn ihr Einfluß ist zu groß. Ich habe ja damals 1940 feststellen können, daß ihr Haß gegen mich immer noch nicht erloschen ist u. daß ihre sture Engstirnigkeit u. ihr arroganter Hochmut sich keinesfalls belehren läßt. Sie besitzt ja die ganze Gemütshärte u. Kälte ihrer eigenen Mutter, die sie ihr Leben lang deshalb gehaßt hat u. sie ist genau ebenso unversöhnlich wie jene, zumal sie sich in ihrer sturen Verstocktheit sehr wohl fühlt u. darin einen besonderen Vorzug für sich verbucht. – Ich sehe aber aus dieser Sache, daß Gott sie noch in der Hand hält u. nicht vergessen hat. –
Aber auch sonst ist Fritzens Brf. recht interessant. Er ist jetzt im Schwarzwalde, im „Höllental“, welches ja wohl in der Gegend von Freiburg zu sein scheint. Er schreibt, daß die Fahrt von Badenweiler dorthin sehr mühsam gewesen sei, weil kein Benzin vorhanden ist. Hinter Freiburg, also wohl südlich? – lag er 3 Tage auf der Straße fest, bis er mit 4 Pferden aus Ziel gebracht worden ist. Auch die anderen Fahrzeuge seiner Einheit stehen überall herum u. können nicht weiter, aber Fritz selbst ist nun wenigstens vorläufig in Sicherheit. –
„Freiburg sieht schrecklich aus“, schreibt er. Die Verluste der Zivilbevölkerung werden auf 20000 geschätzt. [2] Alles ist überfüllt u. der Raum ist knapp. Sein bisheriges Regiment ist nun aufgelöst worden. Der Reg=Stab u. die Stabskompanie sollen zum Volkssturm kommen, alles übrige zur 16. Inf-Division. Die San.=Staffel, mit dem Stabsarzt 9 Mann, gehören zum Regimentsstab. Wo u. wie dieser Volkssturm eingesetzt werden soll, ist noch nicht bekannt. Der Volkssturm soll ja doch eine bodenständige Einheit sein, also wird er wohl auch dort am Oberrhein bleiben.
Auch Feldw. Stegmiller, der sich offenbar wieder angefunden hat, kommt mit zum Volkssturm. – Die Leute im Schwarzwald sind sehr freundlich. Als Fritz mit seinem Wagen auf d. Straße lag u. nicht weiter konnte, holten sie ihn in ihr Haus u. verpflegten ihn.
Fritz schreibt, daß die Desorganisation dort einfach toll sei u. daß man sie auch nicht mehr vor der Bevölkerung verbergen könne. Alles ist vollgestopft mit Flüchtlingen, dazu militär. Einquartierungen, kein Benzin für die Autos, kein Hafer für die Pferde. Alles das sind also nicht mehr zu verbergende Zeichen beginnender Auflösung.
Vorgestern waren nicht weniger als 6000 Flugzeuge über Deutschland u. haben hauptsächlich unsere Eisenbahnen, Brücken u. Kanäle angegriffen. Es war der größte Luftangriff dieses Krieges bisher u. man kann sich kaum vorstellen, daß die Wucht dieser Angriffe noch gesteigert werden könnte. Das deutet nun zweifellos auf den baldigen Beginn einer neuen Großoffensive aus dem Westen hin, vielleicht in Verbindung mit einer neuen Landung in Dänemark. An den Fronten sind sonst keine besonderen Veränderungen. Fast rührend ist es, daß uns die Türken gestern „zum 1. März“ den Krieg erklärt haben. –
Gestern Abend wie gewöhnlich am Freitag Erich Seeberg. Sein Schwiegersohn, Dr. Schimpf, ist bei dem letzten schweren Luftangriff auf Dresden, der nun auch diese schöne Stadt in Trümmer gelegt hat u. der ungeheuer viele Opfer gekostet haben soll, weil die Stadt mit Flüchtlingen überfüllt war, verwundet worden. Näheres ist noch nicht bekannt. Seeberg ist nun sehr besorgt um seinen zweiten Sohn Ando, der in oder bei Graudenz ist, wo ja auch Kurt ist. –
Abends waren wir wieder bei Frau Longard, bei der wir bei einer von uns mitgebrachten Kerze saßen. Es war ziemlich kalt u. wir saßen in Decken gehüllt. Die alte Dame erzählte wie immer sehr lebhaft von der Zeit der franz. Besetzung in Kaiserslautern u. von der damaligen kurzen Separatistenherrschaft in der Pfalz.