TBHB 1945-01-31
Einführung
Der Artikel TBHB 1945-01-31 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 31. Januar 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Gestern Abend Nachricht von Fritz, der nun begonnen hat seine Briefe zu nummerieren. Dieser Brief ist Nr. 3, sodaß also ersichtlich ist, daß zwischendurch Brief Nr. 2 noch nicht hier eingetroffen ist. – Dieser Brf. Nr. 3 ist vom 14.1.45 datiert u. es ist bemerkenswert, daß er an diesem Tage noch nichts von der am 12.1. begonnenen russischen Offensive wußte. Er schreibt im Gegenteil, daß er dort eine ruhige Woche hinter sich hatte, da er 2 km. hinter der Hauptkampflinie in Ruhe liegt, bis der Ersatz in Form eines Marschbataillons eintrifft. Fr. schreibt, daß er aus den Resten einer Volksbibliothek eine Bibliothek für seine Einheit beim Tross eingerichtet habe u. daß sie auch ihre früheren Motorfahrzeuge wieder zurückbekommen haben, wenigstens einen Teil davon. – Feldw. Stegmiller ist in Kolmar, der Stabsarzt scheint im Augenblick besserer Laune zu sein. Fr. liegt mit seiner Einheit offenbar in einem Dorf in der Nähe von Kolmar, darüber wird er sicher in Brf. Nr. 2. geschrieben haben, sie liegen in Höhlen u. zerschossenen Häusern, auch Zivilbevölkerung gibt es noch, die in zerfallenen Kellern haust. Auch in Kolmar sind Flüchtlinge wieder zurückgekehrt, es erscheint sogar eine Zeitung u. auch die Post funktioniert wieder. –
Gestern Abend um 1015 Uhr hielt der Führer ganz unerwartet eine Rede zum 12. Jahrestag der Machtergreifung. Er sprach nur kurz, seine Stimme klang müde u. er sprach wie einer, der böse ist. Er stellte zuerst seine sogenannten Erfolge seit der Machtergreifung in den Vordergrund, in der Hauptsache also die Aufrüstung, u. sprach dann vom jüdischen Bolschewismus, der seiner friedlichen Aufbauarbeit nur 6 Jahre Frieden gegönnt habe u. vom Haß der Plutokratien. Dann schimpfte er auf die „Pazifisten“, die er Strohköpfe nannte u. mit Schafen verglich usw., u. er schloß mit der Erwartung, daß die wehrfähigen Männer tapfer kämpfen, die Kranken aber um so mehr arbeiten sollten, besonders Frauen, Mädchen u. Kinder. Zwischendurch sagte er auch, daß jeder, der sich dieser Politik des Weiterkämpfens widersetze, erschossen [2] werden würde. Auch den Herrgott u. die Vorsehung bemühte er ausgibig; aber leider wußte er außer dem schon so oft ausgesprochenen Argument, daß die Vorsehung uns bestimmt helfen würde, nichts zu sagen, wie dieser Krieg für uns siegreich zu beenden sein würde. Es war das wohl die flachste u. schwächste Rede, die er überhaupt je gehalten hat. Er sprach aus dem Führerhauptquartier am Mikrophon, offenbar aus einem großen, leeren Saal, was deutlich an der Akustik zu hören war. So hatte diese ganze Rede etwas Gespenstisches, erhöht durch den dumpfen u. bösen Ton seiner Stimme. Man hatte den Eindruck, daß der Mann völlig allein in einem großen, leeren Saal stand u. seinen bösen Groll in's Leere rollen ließ. –
Frau Dr. Scheid will Ahrenshoop verlassen. Ihr Mann hat für sie eine gute Unterkunft in einem Sanatorium in der Nähe von Cuxhafen, wo er selbst ärztlich praktiziert, wo Schwestern sind u. wo die Ernährung u. Heizung sicher gestellt sind. Die Schwierigkeit besteht nur darin, dorthin zu kommen. Um diese Schwierigkeit zu beheben, hat Herr Dr. Scheid den Mann von Marianne Clemens-Ziel überredet, auch Marianne mit den Kindern nach Hmb. kommen zu lassen, denn Herr Dr. Clemens hat die Möglichkeit, ein Lastauto nach Rostock zu schicken u. die beiden Frauen mit ihren Kindern u. Kisten u. Kasten dort abzuholen. Marianne war gestern Nachmittag bei uns u. erzählte uns davon. Es ergab sich, daß ihre Eltern, die nun ja wirklich alt u. gebrechlich u. sehr pflegebedürftig sind, über diesen Plan sehr traurig sind; aber daß auch Marianne selbst unschlüssig ist, ob sie diesen Plan durchführen soll, zumal sich telephonisch herausgestellt hat, daß auch ihr eigener Mann unschlüssig ist, obgleich Herr Dr. Scheid vorher telephon. behauptet hatte, Herr Dr. Clemens sei sehr für diesen Plan. Es stellte sich weiter heraus, daß für Marianne nur eine sehr ungenügende Unterkunft vorhanden sei, nämlich ein Jagdhaus in der Nähe von Lübeck, in dem weder Heizung, noch irgend welche Möbel vorhanden sind. Die Nahrungsbeschaffung ist sehr fraglich. Daraufhin bot ich alles auf, Marianne diesen ganzen unsinnigen Plan auszureden u. es gelang mir auch, sie zur Einsicht zu bringen. Später am Abend kam dann Frau Dr. Scheid, mit der Marianne inzwischen gesprochen hatte. Sie war überaus aufgeregt u. offensichtlich wütend auf mich. Das erste, was sie sagte, nachdem ich ihr bestätigt hatte, daß ich Marianne die Sache ausgeredet hätte, war: „ja, dann kriege ich ja kein Auto!“ – Damit zeigte sie, daß dieser ganze Unsinn eben nur dazu in Szene gesetzt worden ist, damit sie auf diese Weise zu einem Auto kommt. Ich antwortete ihr, daß ich es für sie selbst ja sehr richtig fände, wenn sie mit ihren Kindern von hier fort in die angenehme Sicherheit jenes Sanatoriums ginge, daß aber für Marianne die Sache doch gänzlich anders aussähe, ja, daß überhaupt garkein Grund dazu vorläge, eine Sicherheit, die M. hier hat, aufzugeben u. gegen eine völlige Unsicherheit einzutauschen, zumal da auch ihr Mann von sich aus garnichts derart verlangt. – Damit dürfte ich mir nun wohl die Feindschaft dieser Frau erworben haben. –
Paul's Schwester ist nun ebenfalls aus einem kleinen Ort in der Nähe von Stettin, wo sie die Stellung als Wirtschaftslehrerin inne hatte, nachdem sie schon vorher von Berlin [3] dorthin geflohen war, wieder nach Bln. zurückgeflüchtet. Sie hat 52 Stunden für diese Reise gebraucht. Es ist nun die Idee aufgetaucht, diese Schwester zusammen mit Eva hierher kommen zu lassen. Eva sollte ja ihr Kind in einem Krankenhause in der Nähe von Stettin bekommen, woran nun nicht mehr zu denken ist, nachdem die Russen bereits 90 km. vor Stettin u. 80 km. vor Frankfurt stehen. Sie kann das Kind ja auch hier bekommen, obgleich das nicht sehr angenehm ist. Man müßte die beiden dann hier irgendwie unterbringen. Paul telephonierte deshalb heute früh mit Eva. Die Schwierigkeit der Reise ist freilich sehr groß, es fragt sich, ob sie die Reiseerlaubnis überhaupt bekommen. –
Gestern schrieb ich an Else, – möglichst vorsichtig. – Von Ruth kam gestern ebenfalls gute Nachricht.