TBHB 1945-01-19
Einführung
Der Artikel TBHB 1945-01-19 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 19. Januar 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über eine Seite.
Tagebuchauszüge
[1] Gestern Abend erhielt Paul Nachricht vom Kreisleiter in Schneidemühl, er habe sich sofort dorthin zurück zu begeben. Paul erregte sich sehr. Es gelang uns, Dr. Meyer zu erreichen, der zufällig in Ahrenshoop war. Er kam noch um 10 Uhr Abends zu uns. Er wird nun eine Bescheinigung ausstellen, daß Paul krank u. nicht reisefähig ist. Diese Bescheinigung wird dann erst einmal nach Schneidemühl geschickt werden. Bis dann wieder eine Antwort hier ist, ist wieder etwas Zeit gewonnen u. die Russen sind näher. Wenn die Russen nur bis Bromberg kommen, so wird der Herr Kreisleiter ja ausreißen. Diese ganze Sache hat Paul jedoch so aufgeregt, daß er heute nicht imstande ist, das Bett zu verlassen.
Gestern Abend hieß es, daß die Russen Lowitzsch genommen haben, also werden sie auch bald Lietzmannstadt, sprich Lodz, haben. Es macht nicht den Eindruck, als wäre unsere Front im Osten auch nur annähernd in der Lage, Widerstand zu leisten, es scheint vielmehr, als wäre jeder Wille zum Widerstand erloschen. Ich kann mir nur denken, daß dies die Antwort der Soldaten, besonders der Offiziere, auf die Politik seit dem 20. Juli ist. Die Partei hat sich seitdem die Führung über die Wehrmacht angemaßt. Man hat den Truppen politische Kommissare beigegeben unter dem Namen: NS=Führungs=Offiziere. Nachdem man den ganzen Krieg hindurch diese politischen Kommissare, wie sie in Rußland eingerichtet sind, verächtlich gemacht hat, kann man jetzt nicht gut erwarten, daß dieselbe Einrichtung bei uns freudig aufgenommen wird, zumal diese sog. „Offiziere“ teilweise einfach aus dem Mannschaftsstande entnommen sind u. ohne jede militärische Qualifikation sind. Nur ihre Parteizugehörigkeit ist Maßgebend. So schrieb ja auch Kurt schon vor langer Zeit, als wir noch garnicht wußten, was ein „NS=Führungsoffizier“ sein soll, daß er Aussicht hätte, ein solcher zu werden. Es scheint aber, daß er doch nicht genügend politisch sicher ist, denn er ist ja nicht PG., u. bei seinen Personalakten dürften ja die üblen Streitigkeiten, die er zu Anfang des Krieges mit seiner ehemaligen Prokuristin Moßgraber gehabt hat, eine nicht sehr empfehlende Rolle spielen. Wäre das nicht, dann würde der so völlig unmilitärische Kurt, der es gerade zum Obergefreiten gebracht hat u. keine Qualifikation zum Unteroffizier besitzt, jetzt gewiß solch ein politischer Offizier geworden sein. Es läßt sich denken, daß die Regimentskommandeure nicht erbaut sein werden, wenn man ihnen solche Leute vor die Nase setzt.