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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-09
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: September 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom September 1944
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Einführung

Der Artikel TBHB 1944-09 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom September 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 19 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Freitag, 1. September 1944.     

[1]      Die Amerikaner machen fantastische Fortschritte, sie scheinen auf fast keinen Widerstand zu stoßen. Heute melden sie die Eroberung von Verdun u. weiter nördlich stehen sie am Stadtrande von Sedan. An der Küste sind nun alle Abschußrampen zwischen Le Havre u. Amiens außer Gefecht gesetzt. Der Befehlshaber unserer 7. Armee ist in Gefangenschaft geraten.

     Die Russen haben Bukarest besetzt u. die bulgarische Grenze erreicht. Die Slowakei scheint in hellem Aufruhr zu sein u. die Aufständischen scheinen Herren der Lage zu sein. [2] Damit dürfte dann auch Ungarns Schicksal besiegelt zu sein. –

     Heute starker Sturm u. Regen, wie schon seit einigen Tagen. Kraftstrom war unterbrochen, konnten kein Mittagessen kochen. – Heute morgen Postschecks ausgeschrieben u. Punkte geklebt.

     Ich möchte noch einmal ein Engelbild malen, habe eine kleine Skizze gemacht.

Sonnabend, 2. Sept. 44.     

     Die Engelbild-Skizze in größerem Format nochmals durchgezeichnet. Sehr gut. Der Engel mit geneigtem Kopf als Andeutung der Unterordnung des eigenen Willens, hält einen Kreuzstab in der Linken, auf den er mit dem Finger der rechten Hand hinweist. Das Gewand denke ich mir tiefrot mit blauem Ueberwurf, die Flügel orange bis zinnoberrot wie Flammen.

     Im Westen geht es weiter. Der Rost. Anz. gibt heute zu, daß es dort eine Front überhaupt nicht mehr gibt. Alles ist im Fluß, d.h. in voller Flucht u. ein neuer Widerstand ist erst an der deutschen Grenze – oder erst am Rhein? – zu erwarten. Die Angloamerikaner stehen jetzt von südlich Nancy bis nach Amiens. Le Havre ist eingeschlossen.

     In Bulgarien ist die Regierung zurückgetreten u. neu gebildet worden, dadurch ist eine vorübergehende Verzögerung der Waffenstillstands-Verhandlungen, die seit einigen Tagen in Kairo stattfinden, eingetreten.

     Ueber die Slowakei u. die Vorgänge dort ist in unseren Zeitungen bisher nichts gesagt worden. Heute aber heißt es, daß Dr. Tiso eine Rundfunkansprache gehalten habe in der er davon spricht, daß Arbeiter, Bauern u. Geistliche ermordet u. ausgeplündert worden seien u. daß der Abschaum der Gesellschaft aufgeboten worden sei, um ein Chaos hervorzurufen. Das bedeutet doch also, daß der Bürgerkrieg in diesem Lande tobt. Er habe, sagt Dr. Tiso, Deutschland um Truppen zur Unterdrückung des Aufstandes gebeten, woraus doch wohl zu schließen ist, daß die eigene Armee sich auf Seiten der Aufständischen befindet. –

     Auch in Kroatien hat sich eine neue Regierung gebildet, es kriselt also überall. Heute ist auch der finnische Reichstag zu einer besonderen Sitzung einberufen worden, die ursprünglich erst am Dienstag stattfinden sollte. Man hat es also wohl eilig! Vielleicht wird dieses Land nun endlich den Weg zum Frieden finden, jedenfalls hat die finnische Regierung allen ihren Schiffen befohlen, sofort finnische oder schwedische Häfen anzulaufen. –

     Heute wieder Brief von Fritz, aber schon am 7. August geschrieben aus der Gegend von Clermont-Ferrant. Wo mag der Junge jetzt stecken? Gott möge ihn schützen.

     Vom Arbeitsamt Barth erhielt ich heute die Aufforderung, mich am 6. Sept. zwischen 8 u. 12 Uhr dort zur amtsärztl. Untersuchung einzufinden. Ich werde beantragen, daß Dr. Meyer mich untersucht, weil ich nicht nach Barth kommen kann. Vor einigen Tagen hatte ich das Formular zum verstärkten Kriegseinsatz ausgefüllt u. hingeschickt. Widerlich! –

     Es ist kalt und. regnerisch geworden, der Sturm ist vorüber. – Heute beginnt das 6. Kriegsjahr!

[3]
Sonntag, 3. Sept. 44.     

     Andacht: Martha, Grete, Frau Gantz. Nachher an Fritz geschrieben.

     Die Angloamerikaner dringen weiter auf Calais vor u. haben in breiter Front die belgische Grenze überschritten, sie sind weiter im Anmarsch auf unseren alten Westwall, die sog. Siegfriedlinie. In Italien haben sie am Ostflügel unsere Verteidigungslinie durchbrochen, sodaß nun der Einmarsch in die Po-Ebene zu erwarten ist.

     Die slowakische Armee hat sich den Aufständischen angeschlossen, Herr Dr. Tiso wird sich wohl nach Berlin in die Reichskanzlei begeben müssen, wo er ja zuhause ist. – Der deutsche Rundfunk soll heute früh bekannt gegeben haben, daß „das tapfere Volk der Finnen“, wie Herr Hitler früher zu sagen beliebte, seine Beziehungen zu Deutschland abgebrochen hat, womit sie den Beweis erbracht haben, daß sie wirklich tapfer sind. Von allen Vasallenstaaten ist nun bloß noch Ungarn übrig u. vertritt „die europäische Front“. –

     Ich hörte, daß Bremen durch die letzten Angriffe furchtbar mitgenommen sei. Ob dort eine Landung beabsichtigt wird?

     Nachmittags an Dr. Sinn u. Paul Küntzel geschrieben. Mit Otto Wendt telephoniert, er glaubt, Farben u. Pinsel besorgen zu können. An das Arbeitsamt geschrieben.

     Die Russen verhalten sich auffällig still, auch in Rumänien, an der bulgar. Grenze, scheinen sie jetzt nicht weiter zu gehen. Nachdem sich in Bulgarien eine neue Regierung gebildet hat, warten sie vielleicht die bulg. Waffenstillstandsverhandlungen in Kairo ab, um dann durch Bulgarien auf die Dardanellen los zugehen.

     Abends stehen die Angloamerikaner etwa 60 km. vor Brüssel. Eisenhower hat eine Botschaft an die Bevölkerung Westdeutschlands erlassen, die vor Luftangriffen warnt. Die Leute sollen aufs Land gehen. Aber wie sollen sie das? Diese Luftangriffe werden fürchterlich werden.

     Es bestätigt sich, daß Finnland die deutschen Truppen aufgefordert hat, das Land sofort zu verlassen.

     Gestern war Frau Krappmann bei Martha u. erzählte, daß ihr Mann nach Oslo führe, um dort einen Vortrag zu halten. Welche Wichtigkeit!

Montag, 4. Sept. 1944.     

     Die Amerikaner haben Brüssel kampflos besetzt u. stehen dicht vor Antwerpen.

     Vormittags das Verkündigungsbild abgemacht u. auf Pappe gelegt u. in Rahmen getan. In Marthas Schlafzimmer gehängt, dafür den Melchisedech ins Wohnzimmer. – Neues Papier aufgezogen. Nachmittags das neue Bild, den Engel, aufgezeichnet. Diesmal ist das Format etwas zu klein, aber ich muß mich nach dem Papier richten. Das Bild würde gern ein größeres Format vertragen. –

     Gegen Abend war Dr. Krappmann da, nach ziemlich langer Zeit. Er sah meine Bilder mit sehr großem Interesse u. war auch sonst nett. Er wollte sich verabschieden, ehe er nach Oslo fährt. Er wird vom 9. – 16. 9. fort sein u. hat Sorge, daß die Ereignisse ihn in dieser Zeit überraschen könnten.

[4]      Wir werden uns nun im Hause verändern müssen. Es werden Häuser beschlagnahmt u. bald auch einzelne Wohnräume, denn man wird die Menschen aus dem Westen evakuieren müssen. Die Pension St. Lukas ist bereits beschlagnahmt worden. Wir werden Paul u. Grete ins Haus aufnehmen, ich werde meine beiden Zimmer dazu hergeben u. dafür nun ganz in mein früheres Atelier im kleinen Hause umziehen, wo ich ja schon seit einiger Zeit provisorisch male. Ich werde mich dort ganz einrichten, Fritz muß dann einen anderen Raum bekommen. Nur schlafen werde ich im großen Hause oben im bisherigen Fremdenzimmer. Es wird dadurch eine Vereinfachung der Wirtschaft erreicht, denn Grete wird dann die ganze Ordnung des Erdgeschosses übernehmen u. wird auch für die Küche sorgen. –

     Heute Abend wird bekannt, daß die Alliierten die holländische Grenze überschritten haben.

     Uebrigens ist seit Freitag schon das Vergeltungsfeuer der V1=Waffe eingestellt worden.

Mittwoch, 6. Sept. 1944.     

     Wieder neue Aufregung im Dorf. Alle Wohnräume sind beschlagnahmt, sehr rigoros. Unser Entschluß, Paul u. Grete aufzunehmen, kam grade noch zur rechten Zeit, ich hätte sonst meine beiden Zimmer an Fremde abgeben müssen. So sind wir drum herum gekommen wenigstens im großen Hause. Im kleinen Hause ist das rechte Zimmer beschlagnahmt worden. Es handelt sich nicht um Evakuierte aus dem Westen, sondern um Ausgebombte aus Stettin, wo nach dem letzten Angriff 60000 Menschen obdachlos geworden sind.

     Als die sog. Kommission, bestehend aus Frau Both für die NSV u. Frau Gräff als Frau des Bürgermeisters zu uns kam, waren wir schon eifrig beim Umräumen. Letzte Nacht habe ich bereits in meinem neuen Schlafzimmer geschlafen. Es ist dort zwar etwas eng, aber es geht. Heute haben wir mein Atelier eingerichtet, so weit wir konnten, es ist sehr anstrengend u. wir können es nicht auf einmal machen. Die Bürosachen habe ich herübergebracht, auch einige Privatsachen, es fehlen noch die Bücher mit dem Regal u. a. Sachen. Ich benütze wieder mal die Gelegenheit, vieles wegzuwerfen, man hat zu viel unnötiges Zeug.

     Gestern Abend kam Grete spät noch einmal. Sie hatte einen höchst deprimierenden Brf. von Paul u. eine zweite Nachricht von ihrer Tochter Inge, nach der die jüngste Tochter Erika Prag verlassen muß. Der Mann hatte bisher dort studiert, wofür er beurlaubt war. Jetzt aber ist er plötzlich wieder eingezogen. Die Zustände in Prag sind nun aber so, daß er es nicht wagt, seine junge Frau mit dem 1/2jährigen Kinde dort zu lassen. Aber wohin mit ihr? Es bleibt nichts anderes übrig, als sie hierher kommen zu lassen, wenn uns das Zimmer im kleinen Hause wieder freigegeben wird. Erika muß ihre ganze Einrichtung, die sie sich angeschafft hatte, in Prag stehen lassen u. kann nur das Notwendigste mitnehmen. Ich kenne sie kaum, habe sie nur einmal vor einigen Jahren in Bln. gesehen, als wir auf der Durchreise nach Regensburg dort waren [5] Wir haben damals zusammen im Exzelsior gegessen u. ich hatte einen guten Eindruck von ihr, obgleich sie nationalsozialistisch gesinnt ist. Unglücklicherweise ist ihr Mann SS=Offizier. Ich kenne ihn garnicht. Paul meint, daß er abgesehen von seiner nationalsozialistischen Einstellung ein sehr ordentlicher u. sympatischer Mensch sein soll. Ich habe zur Bedingung gemacht, daß weder Erika noch ihr Mann sich jemals nationalsozialistisch betätigen dürfen, weder durch Handlungen, noch durch Reden u. daß vor allem der Mann sich hier niemals in SS=Uniform sehen läßt. –

     Im Westen gehen die Operationen weiter, die Alliierten sollen die Reichsgrenze überschritten haben, doch weiß man nicht genau, wo das ist. Auch Calais haben sie erreicht. Seit Montag sind wieder V1=Bomben über Südengland, nachdem 4 Tage lang eine Pause gewesen war. Wahrscheinlich sind noch einige Abschußrampen im Betrieb u. sie verschießen ihre letzten Bomben. – Die Russen haben den Bulgaren jetzt zum Schluß noch den Krieg erklärt, 5 Stunden darauf haben die Bulgaren um Waffenstillstand gebeten. Dies dürfte der kürzeste Krieg sein, den die Weltgeschichte kennt. Sonst sind die Russen entlang der Donau weiter vorgestoßen u. stehen jetzt dicht vor der Jugoslawischen Grenze.

     Der Waffenstillstand Rußland — Finnland ist abgeschlossen worden, die Kampfhandlungen sind eingestellt. Die deutschen Truppen müssen Finnland bis zum 15. September verlassen haben.

     Heute sollte ich eigentlich in Barth sein zur ärztl. Untersuchung, – bin neugierig, was daraus wird.

Donnerstag, 7. Sept 1944.     

     Gestern Abend half mir Carmen Grantz, meine Bücher im Waschkorb rüberschleppen. Ich habe nun alle Sachen im Atelier u. habe heute vormittag eingeräumt. –

An der Westfront nichts Neues. Im Osten gewinnen die Russen nordöstlich Warschau Boden, sie haben dort neue Angriffe begonnen. Im Süden haben sie die Jugoslawische Grenze überschritten u. sind im Anmarsch auf Belgrad.

     Gestern erschien in der DAZ u. im Rost. Anz. ein Artikel von Herrn Sündermann, in dem zum ersten Male zum Heckenschützenkrieg aufgefordert wird. Es heißt, daß im Hauptquartier eine große Konferenz der militärischen u. politischen Führer stattgefunden habe, in der der Guerillakrieg beschlossen worden sei. Es sollen dem Gerücht nach in den bayrischen Alpen bereits geheime Waffen= u. Lebensmittel=Lager eingerichtet werden. Man kann nur hoffen, daß die Alliierten so gründlich durchgreifen werden, daß diese Verbrecher bald dingfest gemacht werden.

Sonnabend, 9. Sept. 1944.     

     Bulgarien hat uns den Krieg erklärt, – gestern, – aber unsere Nachrichten wissen anscheinend davon noch nichts. Da die ganze Balkanbesetzung zu 2/3 aus bulg. Truppen bestand ist die Lage unserer Truppen dort jetzt aussichtslos. Es heißt, daß wir 20 Divisionen dort stehen haben. Die Russen sind über die Donau in Bulgarien einmarschiert u. haben weiter westlich die rumänisch=jugoslawische Grenze erreicht, sie sind nicht weit von Belgrad. Von italienischen Stützpunkten her werden [6] die Verkehrswege in Jugoslawien fortdauernd angegriffen u. es scheint, als ob auch angloamerikan. Truppen von der Adria her gelandet seien. Ganz Jugoslawien soll sich in Aufruhr befinden. Auch die Slowakei ist in ihrem Aufstand anscheinend erfolgreich.

     Im Westen ist Lüttich von den Alliierten genommen sowie verschiedene Orte an der Kanalküste, aber Wesentliches hat sich nicht ereignet. Offenbar wollen die Alliierten jetzt erst ihren Nachschub heran bringen, der ja immer noch über den kleinen Hafen Cherbourg gehen muß, da Le Havre von uns immer noch gehalten wird, ebenso wie Boulogne, Calais u. Dünkirchen. Auch Brest u. die anderen Häfen in der Bretagne werden immer noch von uns verteidigt. In Brest soll es zu einer Meuterei gekommen sein. Walter Papenhagen sitzt dort, hoffentlich kommt er heil heraus. Der Bruder unserer Trude Dade, Heinz, war in Toulon, er hat sich gerettet.

     Man sagt, daß Hitler jetzt eine illegitime Organisation aufgestellt habe. Diese soll die Aufgabe haben, nach der Niederlage Deutschlands geheimen Widerstand zu leisten. Es soll ein Netz von geheimen Zellen über ganz Deutschland gebreitet werden. Man wird sich also auch nach dem Kriege noch vor dieser Bande vorsehen müssen. – Frau Siegert u. Prof. Reinmöller werden ja Akteure dabei sein, bis ihnen nachdrücklichst das dunkle Handwerk gelegt sein wird.

     Die mit der Uebersiedlung von Küntzels in unser Haus verbunden gewesene Räumerei ist nun ziemlich abgeschlossen. Gestern habe ich zum ersten Male wieder in meinem Atelier malen können. Ich habe es sehr hübsch eingerichtet, es sieht viel besser aus als vorher, als Fritz hier wohnte. Es tut mir ja leid, daß er nun diesen Raum verlieren wird, aber ich werde hier nicht wieder rausgehen, – ich habe ja auch ältere Rechte auf diesen Raum, habe ihn selbst gebaut für mich als Atelier. So wie ich meine beiden Zimmer abgetreten habe, wird er mir diesen Raum auch abtreten müssen. – Grete hat sich in meinen Zimmern eingerichtet, sie wird heute zum ersten Male hier schlafen. –

Montag, 11. Sept. 1944.     

     Gestern an Ruth u. Fritz geschrieben. Am 8. Sept. bekamen wir kurze Nachricht von Fritz, datiert vom 30. Aug. Die vorletzten Nachrichten waren vom 7. u. 8. Aug. aus der Gegend von Clermont-Ferrant. Er hat in der Zwischenzeit sicher weitere Nachrichten gesandt, die aber nicht angekommen sind. Am 30. Aug. schrieb er, daß seine Truppe weiter nördlich gekommen sei, doch kann man sich kein Bild machen, wo er jetzt ist. Es scheint aber, daß seine Truppe schließlich der Gefangennahme entronnen ist.

     Gestern Abend bei Frau Longard. Sehr nett. Vorzügliche Birnen u. ein ebenso vorzüglicher Mosel. Diese Frau, die im nächsten Jahre 80 Jahre alt wird, ist noch ungemein frisch u. lebendig, sie erzählt anschaulich Dinge aus ihrem Leben, besonders aus Kaiserslautern. Auch ihre Tochter Frau Prof. Kemper, ist bei sich zu Hause weit netter als außerhalb. Sie zeigte ein Paßfoto von ihrem Mann als Soldat, er sieht furchtbar elend aus. Um 12 Uhr nachts gingen wir erst nachhause.

     Am Sonnabend hat der Prozeß gegen Dr. Goerdeler u. seine politischen Freunde stattgefunden, insgesamt sieben Personen unter ihnen Graf Helldorf, Polizeipräsident von Berlin. Heute wird bekannt gemacht, daß alle gehenkt worden sind. Goerdeler, auf dessen [7] Ergreifung nicht weniger als 1 Million Reichsmark ausgesetzt war, wurde vor einigen Wochen verhaftet. In der Berl. Illustr. Ztg. erschienen letzte Woche Bilder, die die Vorgänge der Verhaftung zeigten. Eine Nachrichtenhelferin hat sich dabei den Löwenanteil dieses Sündengeldes verdient, sie wird sich dessen kaum lange freuen.

     Churchill ist in Kanada. Auf den Kriegsschauplätzen keine wesentlichen Ereignisse.

Dienstag, 12. Sept. 44.     

     Nachts Fliegeralarm. Vormittags abermals.

     Die 1. amerikan. Armee hat die deutsche Grenze nördlich Trier überschritten u. ist 10 km. tief vorgedrungen. Dies ist also das erste Mal, daß deutsche Grenzen überschritten wurden. Der Krieg ist nun auf deutschem Boden. Der ganze Westwall von Trier bis Aachen liegt unter dem Alliierten Artilleriefeuer. –

     Gestern bekamen wir eine kurze Nachricht von Fritz, datiert vom 24. Aug. zu welcher Zeit er immer noch in der Gegend von Clermont-Ferrant war. Er schreibt von sehr schweren Kämpfen seiner Truppe, die auch verlustreich sind u. er wundert sich, daß sie keinen Ersatz bekommen. Daraus ist zu erkennen, daß die Soldaten keine Ahnung haben, wie es steht. Er hat große Anstrengungen zu ertragen, hat 36 Stunden am Steuer gesessen. Alles das ist sehr gut für ihn, wenn er nur heil durchkommt. –

     Gestern vollendete ich das Engelbild, es ist das achte Bild dieses Jahres. Es ist sehr schön geworden, fast plakathaft in seiner geschlossenen Einfachheit.

     Heute im Garten gearbeitet, weil endlich mal wieder schönes Wetter ist. Es war in der letzten Woche überaus kalt, stürmisch u. regnerisch. Die Arbeit hat mich sehr angestrengt, ich kann körperlich nichts mehr leisten.

     Gretes Anwesenheit im Hause wirkt sich sehr gut aus. Sie macht den ganzen Haushalt, besonders das Kochen, u. hält Ordnung u. große Sauberkeit. Von Paul hat sie freilich schlechte Nachrichten, er leidet unter den Verhältnissen, hat keine saubere Wäsche usw. – Martha hat nun wieder Dienstags u. Freitags Nachmittags das Geschäft auf.

     Vom Arbeitsamt habe ich auf meine Weigerung, dorthin zur ärztl. Untersuchung zu kommen, bis jetzt nichts gehört.

     Soeben heult die Sirene, 1/2 6 Uhr, Fliegeralarm, der zweite dieses Tages. Das wird nun wohl am laufenden Bande so fortgehen. Wie gut haben wir's, daß wir nicht jedesmal in den Keller müssen.

     Daß Hitler selbst nicht mehr glaubt, daß er noch lange am Ruder sein wird, erkennt man daran, daß die Lebensmittel-Rationen immer noch nicht herabgesetzt worden sind, obgleich wir doch nun mit Ausnahme von Ungarn sämtliche Agrargebiete verloren haben u. außerdem auf unseren Rückzügen ungeheure Mengen von Vorräten in die Hand des Feindes gefallen sind. Die Ernte dieses Jahres ist eine normale Mittelernte, die keinesfalls ausreichen kann, das ganze Volk, die Soldaten u. die 10 Millionen Fremdarbeiter zu ernähren, ganz abgesehen davon, daß bei diesen ständigen Luftangriffen immer neue Vorräte umkommen. Wenn Hitler noch Hoffnung hätte, am Ruder zu bleiben, würde er bestimmt die Lebensmittel-Zuteilungen einschränken, so aber läßt [8] er diese Sache laufen, wie sie will. Er erhält damit das Volk jetzt bei der Stange, denn eine Lebensmittel-Verkürzung würde natürlich die Stimmung noch mehr drücken. Wenn dann im Januar – Februar die Vorräte aufgezehrt sein werden u. die Hungersnot ausbrechen wird, dann können die Nazis die Schuld daran denen in die Schuhe schieben, die dann die Macht haben werden, – in erster Linie also den Engländern u. Amerikanern.

     Die Evakuierten aus Stettin, die schon am vorigen Mittwoch kommen sollten, sind bis heute noch nicht da. Es scheint mir das wieder einmal eine der zahlreichen Partei=Aktionen zu sein, die nur den Zweck haben, die Leute aufzuregen u. abzulenken von den wirklichen Tatsachen.

Mittwoch, 13. Sept. 1944     

     Gestern Abend war das junge Ehepaar Scheid bei uns. Der Mann ist Neurologe in Hamburg, die Frau lebt seit dem Frühjahr hier. Es soll heute dort Taufe sein, Erich Seeberg tauft, sie haben sich bei uns Altarkerzen und Kruzifix geholt u. uns eingeladen, 5 Uhr nachmittags. Es sind sehr nette, junge Leute, weshalb wir zusagten.

     Le Havre ist gefallen. Weder hiervon, noch vom Einmarsch der Amerikaner weiß bis jetzt unser Rundfunk etwas. Für die Angloamerikaner ist der Besitz von Le Havre natürlich von ganz großer Bedeutung, sie haben nun einen bedeutenden Hafen mitten hinter ihrer Front u. können ungestört beliebig viel Material herüberschaffen.

     Die Luftangriffe auf Deutschland haben sich sehr verschärft u. werden wahrscheinlich noch weit mehr gesteigert werden. Es werden furchtbare Leiden hereinbrechen besonders für die Menschen im Rheinland u. im Ruhrgebiet, die so wie so schon Furchtbares erduldet haben. Die einzige Rettung für Deutschland, die es noch gibt, liegt jetzt bei der Armee. Wenn diese meutert, dann kann das Schlimmste vermieden werden. Und es sieht fast so aus. Die Engländer meldeten gestern 12000 Gefangene, das müssen ja wohl Ueberläufer sein. Im Inneren Frankreichs meldeten sie 45000 Gefangene, – hoffentlich ist Fritz nicht dabei, – oder soll man lieber hoffen, daß er dabei ist?

     Es geht das Gerücht, daß der ehemalige Reichsbankpräsident Dr. Schacht, der bisherige preuß. Finanzminister Dr. Popitz u. der Regierungspräsident von Potsdam, Graf Bismarck=Schönhausen, in der Angelegenheit der Revolte gegen den Führer verhaftet worden seien. So würde sich die plötzliche Liquidierung des preuß. Finanzministeriums erklären. – Dr Popitz soll ein Freund Herm. Goerings gewesen sein, der mit seinen Freunden Pech hat, denn auch mit Graf Helldorf war er befreundet.

Donnerstag, 14. Sept. 1944.     

     Gestern Taufe bei Scheid's. Sie fand im Hause von Dr. Ziel statt u. wurde von Erich Seeberg vollzogen. Als Gäste waren außer dem Ehepaar Ziel u. der Tochter Marianne Clemens sowie Frau Seeberg nur wir beide zugegen. Die Taufe selbst ging, was den Ritus betraf, sehr einfach u. formlos vor sich, nicht zu vergleichen mit der Feierlichkeit des kathol. Ritus, dagegen hielt Seeberg eine wundervolle Ansprache über den Spruch: „Ich will dich segnen u. du sollst ein Segen sein.“ –

Nach der Taufe gingen wir alle in die Wohnung des Ehepaares Scheid, das nicht weit von Ziels bei der alten [9] Niemann wohnt, wo es guten Tee u. guten Kuchen gab. Ziel hielt eine etwas seichte Rede, nach Seebergs Ansprache besonders seicht. Im Anschluß daran entwickelte sich ein etwas schwieriges, wissenschaftliches Gespräch, bei dem Seeberg führte. Ziel war ein wenig gekränkt. Ich beteiligte mich nicht. – Seebergs gingen dann; auch wir wollten gehen, aber es stellte sich heraus, daß Frau Scheid eine Unmenge sehr appetitlicher Schnittchen aus Weißbrot gemacht hatte, es wäre verletzend gewesen, die guten Leute damit sitzen zu lassen. So blieben wir denn bis 1/2 10 Uhr. Gegen 10 Uhr war wieder Fliegeralarm, – auch gestern während der Taufe. –

     Gestern Mittag waren Herr + Frau Soehlke da u. sahen sich meine Bilder an. – Bei Ziels mußte auch ich ein Porträt bewundern, das Dr. Jaeger von Herrn Ziel im Sommer gemalt hat. Es war sehr ähnlich u. auch lebendig, aber grau u. bildmäßig ohne Komposition. –

     Herr Ziel wußte Bescheid über die Erlebnisse des Herrn Zelk, der nach dem 20. Juli mit anderen sozialdemokratischen Abgeordneten verhaftet worden war. Danach sind alle Verhafteteten, soweit Mecklenburg in Betracht kam, nach Güstrow verbracht worden, wo sie geschoren wurden u. Sträflingskleidung erhielten. Einer der Inhaftierten war schwer Herzkrank. Da alle gärtnerische Arbeiten leisten mußten, die dieser Herzkranke nicht leisten konnte, ging er zum Anstaltsarzt, der aber nichts unternahm. Der Herzkranke erklärte dann, daß er sterben würde, wenn er die geforderte Arbeit leisten müsse, worauf der Arzt geantwortet haben soll: „Das sollen Sie ja grade!“ – In der Tat war der Kranke nach drei Tagen tot. – Nach etwa 14 Tagen wurden alle Inhaftierten wieder entlassen. –

     An den Fronten keine wesentlichen Veränderungen, nur daß die Amerikaner jetzt auch hart südlich Aachen die Reichsgrenze überschritten haben. Im Westen scheinen jetzt sechs Armeen zu stehen, u. zwar vier amerikanische, eine kanadische u. eine britische. Es ist auffällig, daß die Engländer nur mit einem so geringen Prozentsatz beteiligt sind. Vor vielen Monaten sprach Churchill einmal von der bevorstehenden Invasion. Damals sagte er, daß die Hauptlast der Invasion anfangs von den Amerikanern getragen werden würde, erst später würden dann die Engländer ebenso starke oder gar stärkere Kontingente stellen. Die Tatsachen entsprechen dem. Aber man kann nicht einsehen, wo dieses zu erwartende stärkere englische Kontingent eingesetzt werden soll, denn die Front im Westen ist nun lückenlos vom Kanal bis zur Riviera. Soll man daraus schließen, daß die Engländer doch noch eine Landung in der deutschen Bucht vornehmen werden?

     Man spricht davon, daß Guderian dem Führer die Aussichtslosigkeit der allgem. Kriegslage vorgestellt habe. Man sagt, daß es unter den Führenden jetzt zwei Parteien geben soll, – eine Friedenspartei u. eine Untergangspartei. Man sagt, daß Herm. Goering ein führendes Mitglied der Friedenspartei sein soll. Er will sich wahrscheinlich ein Alibi verschaffen. Vor den Winkelzügen dieser Leute wird man sich hüten müssen, ich glaube aber nicht, daß sich die Alliierten davon dumm machen lassen werden.

[10]      Gestern wurde bekannt, daß der „Deserteur Lindemann“, ehemaliger General der Artillerie, der steckbrieflich gesucht wurde, in Berlin verhaftet worden sei. Der Denunziant soll ein Ingenieur gewesen sein. Lindemann war also nicht Generalfeldmarschall oder Generaloberst, wie ich früher annahm, sondern nur General der Artillerie. Man nahm an, daß er zu den Russen übergelaufen sei.

     Man wird grade hier in unserer entlegenen u. strategisch uninteressanten Gegend scharf aufpassen müssen, daß hier keine geheimen Waffenlager angelegt werden. Das Grundstück des Prof. Reinmöller würde für dergleichen sehr geeignet sein.

Freitag, 15. Sept. 1944.     

     An den Fronten nichts Neues. Nur wurde gestern eine amüsante Schilderung des Einmarsches der Amerikaner in ein kleines Städtchen südlich Aachen gegeben u. davon, wie die Einwohner des Städtchens in schüchterner Weise ihrer Freude über die Ankunft der Amerikaner Ausdruck gaben.

     Mit Ausnahme eines kaum 5 Min. währenden Alarms war gestern kein Fliegeralarm u. es scheinen auch sonst keine Flieger in Deutschland eingeflogen zu sein. Das ist nach den gesteigerten u. fast pausenlosen Angriffen der letzten Woche auffällig.

     Die Verhaftung des „Deserteurs Lindemann“ bestätigt sich. Ein Ingenieur war der Denuntiant.

     Von deutscher Seite wird bekannt gegeben, daß bei einem Fliegerangriff der kommunistische Reichstagsabgeordnete Thälmann u. der Sozialdemokrat. Abgeordnete Breitscheid ums Leben gekommen seien. Nun ist dieses Pack auch noch feige obendrein, – denn welches Interesse sollten unsere Gegner haben, ein Konzentrationslage zu bombardieren, u. wenn es versehentlich geschehen sein sollte, so wäre es ja wirklich ein sonderbarer Zufall, daß ausgerechnet diese beiden Reichstagsabgeordneten die Opfer des Angriffs geworden wären in einem Augenblick, da Himmler sämtliche Abgeordneten der Linksparteien verhaften ließ. –

     Gestern netter Brief von Ruth. Sie deutet an, daß wieder Gefahr bestünde, daß die Kranken der Heilanstalt abgeholt würden, um beseitigt zu werden.

     Abends unsere Nachbarinnen Dohna u. Frau Hipp, die sich verabschiedeten. Frau Hipp sah überaus elend aus.

     Wundervolles Herbstwetter. –

     Gestern Skizze eines neuen Engelbildes gemacht, – ganz in Blau u. Schwarz.

Sonntag, 17. Sept. 44.     

     Gestern ein ganz verfahrener Tag. Am Vormittag das neue Engelbild aufgezeichnet, aber Mittags erschien der Unteroffizier Richter von der Batterie mit einem Obergefreiten, um unsere Pumpe in Ordnung zu bringen. Beide arbeiteten angestrengt bis 6 Uhr Abends mit dem Erfolg, daß die Pumpe nun überhaupt nicht mehr geht u. wir ohne Wasser dasitzen. Am Nachmittag kamen dann noch zwei weitere Soldaten, um unseren Koks in den Keller zu bringen. Sie arbeiteten bis zum Abend, schafften aber nur die Hälfte. Die andere Hälfte wird nun bis zum Sonnabend liegen bleiben müssen. Gegen Abend kam dann noch Dr. Scheid, um meine Bilder zu sehen.

     Im Westen geht es langsam weiter. Aachen soll eingeschlossen sein, in den Außenbezirken wird gekämpft. Oestlich Aachen wollen die Amerikaner die Befestigungen des Westwalles durchstoßen haben, sie marschieren auf Köln.

[11]      Auch weiter im Süden an der Mosel wollen sie Fortschritte erzielt haben, doch scheint das nicht nennenswert zu sein. Die eigentlichen Operationen sind wohl noch immer im Anlaufen. – Im Osten haben die Russen Praga erobert u. bereiten den Sturm auf Warschau vor. – Vorgestern Nacht wurde Kiel schwer angegriffen, sonst aber scheint auch die verstärkte Luftoffensive gegen Deutschland noch nicht begonnen zu haben.

     Heute in der Andacht: Grete, Frau Krauß, Frau Boroffka und Carmen Grantz. Diese war in der Woche in Stuttgart gewesen u. erzählte schauerliche Sachen von den Angriffen der letzten Zeit auf diese Stadt. –

     Am Freitag abend hatten wir einen Gebetsabend, wir wollen das jeden Freitag wiederholen. Frau Krauss war da u. eine kleine Marine-Nachrichtenhelferin von der Batterie, Frl. Regina mit Vornamen.

Montag, 18. September 1944.     

     Gestern Nachmittag sind starke, alliierte Luftstreitkräfte in Holland am Rheindelta hinter unserer Front gelandet. Ueber viertausend Transport= u. Gleitflugzeuge sind eingesetzt gewesen, unsere Abwehr soll ganz unbedeutend gewesen sein. Es ist wieder typisch, daß der Radiodienst heute morgen darüber noch nichts zu melden wußte, nicht einmal die Tatsache selbst.

     Diese Taktik ist nun neu u. eröffnet weite Ausblicke. Solch eine Landung aus der Luft erfordert zunächst garkeinen Schiffsraum, sie kann deswegen verhältnismäßig leicht u. rasch durchgeführt werden, wenn man sicher ist, daß der Gegner keine starken Reserven hinter seiner Front hat, die solch einen Angriff abschlagen können. Das ist bei uns offenbar der Fall. Es ergibt sich, daß unsere Gegner diese Taktik beliebig ausbauen können, sie können landen wo sie wollen, wenn sie nur in der Lage sind, die gelandeten Truppen eine Zeit lang aus der Luft zu versorgen. Sie erreichen damit eine große Verwirrung u. eine Verzettelung unserer eigenen Streitkräfte. Ich könnte mir gut denken, daß nun auch an anderen Orten, z.B. bei Hamburg, solche Luftlandungen vorgenommen werden, vor allem aber in Dänemark, wo die einheimische Bevölkerung den gelandeten Truppen jede Hilfe angedeihen lassen wird. –

     Am 15. Sept. nachts 12 Uhr sollten unsere Truppen Finnland verlassen haben. Es war technisch unmöglich. Infolgedessen ist es zwischen deutschen u. finnischen Truppen bereits zu Kämpfen gekommen u. es ist nicht ausgeschlossen, daß es wie bei Rumänien u. Bulgarien zum Kriege kommen wird. Auch hiervon wissen die deutschen Nachrichten noch nichts. –

     Heute schickte mir Franz Triebsch durch seine Frau einige Oelfarben. So nett wie das von ihm ist, so ist es doch einigermaßen komisch, daß dieser Maler, der mich früher so leidenschaftlich bekämpfte, nun meine Malerei unterstützt.

Dienstag, 19. Sept. 44.     

     Gestern Nachricht von Fritz, Datum vom 7. Sept. Er schreibt, daß er Tag u. Nacht am Steuer sitzt u. sich etwa 120 km. vor der deutschen Grenze befindet. Es muß also die Gegend von Dijon sein. Ich glaube, daß zu dieser Zeit die burgundische Pforte noch nicht geschlossen war, sodaß man annehmen kann, daß sein Truppenteil die Grenze erreicht haben u. nun am Westwall stehen wird. [12] Er hat seit Wochen keine Post mehr empfangen. Seine Truppe hat mit den Resten einer SS-Division ihre Verluste seit drei Monaten aufgefüllt, auch Fliegersoldaten sind dabei, sodaß diese Truppe nun eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft geworden ist. Alle sind ganz gut gekleidet u. ernährt, da sie auf dem Rückzuge Bekleidungs= u. Verpflegungsdepots plündern konnten, ehe diese in die Luft gesprengt wurden. –

     Abends war Schmidt-Isserstett mit Frau bei uns. Wir tranken Schnaps u. es war ganz angeregt, obgleich Martha Kopfschmerzen hatte u. Schmidt-Isserstett ein reichlich ungeistiger Mensch ist. Die Frau dagegen ist sehr nett. –

     An den Fronten scheint sich nichts Wesentliches ereignet zu haben. Die Luftlandung in Holland soll sich erst auswirken. Unser Widerstand bei Warschau scheint nach wie vor sehr stark zu sein.

     Gestern das neue Engelbild untermalt.

Mittwoch, den 20. Sept. 1944.     

     Die Landung aus der Luft ist offenbar vollauf geglückt. Bei Arnheim scheinen jetzt starke Kräfte zu stehen, also jenseits des Rheins, sodaß dort ein Brückenkopf gebildet ist, von dem aus dann ein neuer Angriff von Norden nach Süden geführt werden kann. – Feldmarschall v. Rundstädt hat jetzt im Westen das Kommando wieder übernommen, nachdem er nach der Invasion durch Feldmarschall v. Kluge ersetzt worden war, der dann anscheinend eines mysteriösen Todes gestorben ist. Sein Nachfolger war Feldmarschall Model, wo dieser nun abgeblieben ist, ist nicht bekannt. Auch von Rommel hört man nichts mehr. –

     Im Osten haben die Russen eine Offensive von Mitau bis Dorpat begonnen. Nachdem sie Finnland erledigt haben, soll jetzt wohl das Baltikum an die Reihe kommen. Auch in Siebenbürgen sind sie voran gekommen.

     Unsere Pumpe ist immer noch nicht in Ordnung.

     Das neue Engelbild macht Schwierigkeiten.

Donnerstag, 21. Sept. 1944.     

     Heute Nachmittag trafen Gretes Tochter u. Schwiegersohn ein mit Kind. Sie hatten eine zwar anstrengende, aber verhältnismäßig günstige Reise. Wir tranken gemeinsam Kaffee auf der Terrasse, da immer noch herrliches Herbstwetter ist. Der neue Neffe in Uniform als Oberleutnant, ein ganz netter, aber herzlich unbedeutender Mensch, dessen SS=Abzeichen am Kragenspiegel mich indessen überaus stört. Er hat bis 2. Okt. Urlaub u. bleibt so lange hier. – Ich habe ein wenig den Eindruck, als wären wir von meiner Schwester überrumpelt worden, denn nach allem, was die jungen Leute erzählen, ist die Lage in Prag durchaus noch nicht so, daß die Deutschen Prag verließen, sondern sie sagten im Gegenteil, daß alle Deutschen sonst dort blieben. Ihre Wohnung haben sie an eine Deutsche vermietet. – Wir werden abwarten, wie sich diese Sache anläßt.

     An den Fronten keine wesentlichen Veränderungen. Die Russen scheinen allerdings Fortschritte zu machen im Baltikum.

[13]
Freitag, 22. Sept. 1944.     

     Gestern kam wieder eine Nachricht von Fritz, jedoch vom 3. September datiert, nachdem wir bereits am 18. Sept. eine Nachricht vom 7. Sept. hatten. Er hatte diese Nachricht gestern einem Verwundeten mitgegeben, der den Brief dann erst am 9. Sept. in Baden irgendwo aufgegeben hat. Er schreibt, daß er 300 km. zurückgelegt habe, daß diese Fahrerei überaus anstrengend sei, daß es ihm aber gesundheitlich gut geht.

     Wir haben Ostwind bekommen u. der Himmel bezieht sich jetzt am Vormittag. Mit dem schönen Wetter scheint es nun aus zu sein.

     Gestern Abend hörte ich, daß die Amerikaner in Frankreich einen Mann namens Claude verhaftet hätten, welcher der Erfinder unserer V1=Waffe sein soll u. diese Erfindung nach Deutschland verkauft haben soll. Wenn das stimmt, dann würde es also wieder einmal mit dem überragenden deutschen Erfindergeist, mit dem man anläßlich des Einsatzes dieser Waffe so viel Propaganda gemacht hat, nichts gewesen sein.

     Seit zwei Tagen ist wieder einmal fast vollkommene Luftstille, keine Angriffe, auch nicht im Westen hinter der Front. Das ist sehr auffällig, wahrscheinlich die Vorbereitung auf ein neues Unternehmen. –

     Langhinrichs ist gestern beerdigt worden. Lungenkrebs. Er war in meinem Alter.

Sonnabend, 23. Sept. 1944.     

     Heute ist das neue Engelbild fertig geworden, es hat mir sehr viel Mühe gemacht, ist nun aber gut.

     Gestern Abend zwei Briefe von Fritz, eine kurze Nachricht vom 15. u. ein ausführlicher Brief vom 16. Sept. Zu dieser Zeit war er, wie vermutet, in der Gegend von Belfort, wo man seine Truppe, eine zusammengewürfelte Horde ohne ausreichende Waffen, in den Kampf geworfen hat. Es muß sehr heiß hergegangen sein, Fr. schreibt von einer furchtbaren Artillerie-Ueberlegenheit der Amerikaner. Seine Truppe hat große Ausfälle an Toten, Verwundeten u. Gefangenen, letztere zumeist Ueberläufer, die sog. „Volksdeutschen“, die in seiner Truppe waren, sind wohl fast alle übergelaufen. Sein Oberarzt als sein direkter Vorgesetzter ist mit dem Auto verunglückt u. erlitt einen Unterschenkelbruch mit schwerer Gehirnerschütterung u. ist nun ins Reich in ein Lazarett gekommen. Mit diesem Vorgesetzten scheint sich Fr. in letzter Zeit besonders gut gestanden zu haben. Die Sanitätskraftwagen sind mitsamt den darin liegenden Verwundeten verbrannt, alle Sanitäter sind gefallen. Fr., der den San-Gerätewagen fuhr, bekam einen Granatsplitter in den Kühler, doch konnte er den Wagen noch dadurch in Sicherheit bringen, daß sein Beifahrer auf dem Kühler saß u. fortwährend Wasser nachgoß, sonst wäre Fr. in Gefangenschaft geraten. Die SS=Leute, die der Truppe zugeteilt waren, haben sich die Hoheitszeichen vom Arm u. den Totenkopf abgerissen u. ihre Soldbücher fortgeworfen, weil sie wußten, daß man sie schlecht behandeln würde, wenn sie in Gefangenschaft gerieten. Der Rest seines Bataillons besteht nur noch aus 52 Mann. – Ich nehme an, daß man dieses [14] Regiment nun aus dem Kampf herausziehen wird, aber Fr. weiß noch nicht, was werden wird. Er ist jetzt erst einmal einem Hauptverbandsplatz zugewiesen worden, wo er zunächst etwas Ruhe hat u. uns diesen ausführlichen Brief schrieb, den er wieder einem Verwundeten mitgegeben hat zum Einwurf in Deutschland. Er selbst hat seit zwei Monaten keine Post mehr von uns erhalten. Er hat nun den Krieg in seiner ganzen Furchtbarkeit kennen gelernt u. wir können nur Gott innig danken, daß er ihn behütet hat. –

     Die Russen haben Reval erobert. Dort oben scheint es nun wieder voran zu gehen. Die Luftinvasion bei Arnheim scheint jetzt ihre kritische Zeit durchzumachen. Nach unserem Heeresbericht ist der Kommandeur dieser gelandeten Division gefangen genommen worden u. eine Verbindung der gelandeten Truppen mit der eigentlichen Armee ist bis jetzt noch nicht hergestellt. Zwar haben sie Nymwegen erobert u. auch einen Flußübergang gesichert, aber sie scheinen da nicht weiter zu kommen. Es scheint sich also herauszustellen, daß solch eine Luftlandung doch nicht so gefahrlos ist, wie es anfangs aussah. Auch sonst kommen die Anglo-Amerikaner an der ganzen Front nicht recht vorwärts. –

     Zum Freitags-Gebetsabend war gestern wieder Frau Krauss, die kleine Marinehelferin Regine Treffer u. eine andere Dame zugegen, welche in der „Guten Laune“ wohnt, total ausgebombt von irgendwo her. –

     Unsere Pumpe immer noch nicht in Ordnung. Heute soll der Obermaat Richter noch einmal kommen. Habe gestern zusammen mit Grete's Schwiegersohn Wollesen den Brunnen geöffnet, es fand sich, daß der Brunnen ganz bedeckt war mit Wurzeln der Weiden, die dort stehen. Wir haben das Wurzelgewirr herausgezerrt mit einem Feuerhaken, doch saugt die Pumpe deshalb doch noch nicht. Möglicherweise ist der Boden des Brunnens verschlammt.

Sonntag, 24. Sept. 1944.     

     Gestern arbeitete der Obermaat Richter wieder bis abends 8 Uhr an der Pumpe, ohne jedes Ergebnis. – Ich vollendete das neue Engelbild, – es war sehr schwierig, ist es ist doch gut geworden, – überaus ernst.

     Die Russen haben Pernau am Rigaer Busen erobert u. haben damit die Nordgruppe unserer Armee in zwei Teile gespalten. In Siebenbürgen haben sie Arad genommen, unmittelbar vor der ungarischen Grenze. Der jetzige Ministerpräsident von Ungarn soll sich in der letzten Woche geäußert haben, er hoffe, sein Land bald aus dem Kriege herausführen zu können. Das wäre dann der letzte Vasallenstaat, der abfallen würde, mit Ausnahme der Slowakei, die aber praktisch schon längst abgefallen ist. – Die englischen Luftlandetruppen scheinen eine schwere Krise durchmachen zu müssen, man hat von uns aus alle verfügbaren Kräfte gegen sie aufgeboten mit einigem Erfolg. Dennoch kann man erwarten, daß die Gegner dieser Krise Herr werden u. der Rückschlag wird um so gefährlicher werden, denn diese Aktion kostet uns gewaltig viel Material.

     Gestern sprach in kurz Dr. Krappmann, der von seiner Osloer Reise zurück ist u. auf dem Rückwege in Dänemark Station gemacht hat. Er erzählte von tollen Zuständen dort: Sabotage wird getrieben, Attentate auf Eisenbahnen, Fabriken u. öffentl. Einrichtungen, Soldatenmorde auf offener Staße bei hellem Tage. Er meinte, der Unterschied zwischen Norwegen u. Dänemark sei [15] sehr groß. Die Norweger haben niemals einen Hehl aus ihrem Haß gegen die Deutschen gemacht, u. das tun sie auch heute nicht. Die Dänen dagegen seien gegen die Deutschen freundlich gewesen, solange es den Deutschen gut ging, jetzt aber sind sie in jeder Weise gemein. Man könne in Dänemark nichts mehr kaufen, außer minderwertigem Zeug. –

     Gestern ein sehr netter Brief von Ruth als Antwort auf einen von mir kürzlich geschriebenen. Ich habe nun, Gott sei Dank, dieses Kind wohl endgültig zurückgewonnen, ein schon längst nicht mehr erwarteter Erfolg. –

     In der Andacht heute früh außer Grete noch Frau Krauss, die jetzt anscheinend immer eifriger wird, u. Frau Boroffka. Carmen Grantz ist leider krank, ihre Reise nach Stuttgart u. zurück ist wohl zu viel gewesen für sie, was nicht zu verwundern ist.

     Heute Nachmittag müssen wir zu Trude Dade's Eltern nach Althagen zum Kaffee.

     Mittags im Kurhaus mit Grete u. dem jungen Paar als unsere Gäste. Ich fürchte, daß es das letzte Mal war, das Kurhaus will schließen.

Montag, 25. Sept. 44,     

     Der Nachmittag bei Dades war ganz nett. Sie hatten sich große Mühe gegeben, – im Kaffee war echter Bohnenkaffee, dazu gab es selbstgebackenen Apfelkuchen und anderen Kuchen, sehr reichlich. Die beiden Töchter Lieschen u. Elli waren auch da, später kam noch die Frau von Heinz, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Besonders die Alten waren einfach u. herzlich, während Lieschen ja immer voller Hintergedanken ist.

     Die Krisis der engl. Luftlandetruppen scheint überwunden zu sein, wie zu erwarten war. Unsere Truppen, denen durch Massierung starker Panzerkräfte an einem Punkt eine Abschnürung gelungen war, haben diesen Erfolg nicht halten können. Das war zu erwarten. Es wird immer einmal möglich sein, starke Panzerkräfte auf einen Punkt zu konzentrieren u. damit einen Augenblickserfolg zu erzielen, aber die Materialüberlegenheit unserer Gegner ist so ungeheuer, daß solche Erfolge auf die Dauer eben nicht zu halten sind. Die Engländer haben im Raume Arnheim nochmals sehr starke Luftlandungen vorgenommen, sodaß nun zu erwarten ist, daß sie in der Lage sein werden, von Norden her über Wesel mitten in das Ruhrgebiet hineinzustoßen.

     Die Russen machen im Baltikum rasch weitere Fortschritte. Baltischport, westlich Reval, ist genommen. Wir werden dort wieder starke Menschen= u. Materialverluste erleiden, zumal die Russen auch gegen Riga Fortschritte machen. Wieder einmal werden wir hier große Verluste erleiden, die erspart werden konnten, wenn der Gefreite Hitler das Baltikum rechtzeitig aufgegeben hätte. Jetzt scheint der angloamerikan. Angriff in Italien ebenfalls Fortschritte zu machen, nachdem Rimini erobert ist u. gleichzeitig ein Durchbruch nördlich Florenz gelungen zu sein scheint. Damit würde dann das schwierige Gelände des Apennin überwunden sein u. die Po-Ebene liegt offen da. Das würde für uns eine gewaltige Frontverlängerung bedeuten, die zu halten wir nicht genügend Kräfte haben. Kesselring wird nicht anders können, als sich in die Alpen zurückzuziehen. Damit wird die Front dann auch im Süden die Reichsgrenze erreicht haben, sie würde dann von Holland an [16] bis zur Schweiz, von dort durch die Alpen, Jugoslawien, Ungarn, Polen bis Riga eine einzige, ununterbrochene Linie bilden, – vorausgesetzt, daß bis dahin diese Linie überhaupt gehalten werden kann u. nicht vorher noch neue Einbrüche eintreten. Dies dürfte vielleicht in Ungarn u. der Slowakei zuerst der Fall sein. –

     Es ist Regenwetter geworden u. recht kühl.

Dienstag, den 26. Sept. 1944.     

     Gestern Nachmittag tauchte plötzlich Herr Lorenz auf mit einem schnittigen, tadellos gepflegtem Auto in SS=Generalsuniform. Ich sah ihn vom Fenster meines Schlafzimmers aus, er hielt vor der Bunten Stube. Ich hütete mich, rüber zu gehen. Martha erzählte später, er habe gewaltig angegeben. Er hat erzählt, daß er den Forstmeister Mueller in Born besucht habe, der krank gewesen sein soll. Ein Arzt aus Greifswald habe sich um ihn bemüht, er, Lorenz, habe aber dafür gesorgt, daß ein Professor aus Berlin im Flugzeug nach Born geschickt worden sei. – Hier auf dem Lande hat nicht einmal der Arzt mehr genug Benzin, um seine Krankenbesuche zu machen, aber wenn dieser Forstmeister krank ist, genügt nicht ein Arzt, sondern es müssen Professoren sein, die im Flugzeug rangeschafft werden, – u. Herr Lorenz fährt im Auto von Berlin nach Born, – bloß weil dabei ein Rehbock abfällt. Auf dem Rückwege werden natürlich noch die mecklenburgischen Güter abgeklappert, wo es noch überall gut zu essen u. zu trinken gibt. Herr Lorenz hat weiter erzählt, daß er in Berlin sehr angenehm lebe, seine Frau ist irgendwo in Süddeutschland gut untergebracht. Die ältere Tochter hat vor einigen Monaten einen mecklenburgischen Gutsbesitzer geheiratet. Irgendwer hat als Hochzeitsgeschenk einen kostbaren Schimmel geschenkt, der während des Hochzeitsfestes in den Festsaal geführt worden sei. Unser Fuhrmann Spangenberg konnte zur selben Zeit monatelang kein zweites Pferd kaufen, als ihm das eine Pferd im Sommer eingegangen war u. alle Fracht u. andere Fuhren konnten nicht gefahren werden, weil nirgends ein zweites Pferd aufzutreiben war. – Herr Lorenz erzählte weiter, daß er für sich persönlich zwei Burschen u. einen Koch zur Verfügung habe, – uns aber werden alle Hausgehilfinnen fortgenommen u. in die Rüstungsbetriebe gesteckt. Alle Männer sollen an die Front u. wer nicht Soldat sein kann, soll sonst für die Rüstung arbeiten, alle Behörden u. militärischen Schreibstuben werden ausgekämmt, um alle Kräfte für den Krieg frei zu bekommen, – aber dieser Kerl hat zwei Burschen u. einen Koch für sich persönlich, – seine Frau wird natürlich außerdem für sich die nötige Bedienung haben, das ist selbstverständlich. – Herr L. erklärte in der Bunten Stube, es sei ihm im ganzen Leben noch nie so gut gegangen wie eben jetzt! – So wird es wohl auch sein. Ihm u. all den anderen Bonzen ist es nie so gut gegangen wie jetzt, – obwohl sie schon vorher herrlich u. in Freuden lebten, u. deshalb geht der Krieg weiter. Mag auch ganz Deutschland in Schutt u. Asche sinken, – diesen Herren geht es ausgezeichnet!

     Fast bewunderungswürdig aber ist die Dummheit dieser Leute, die nicht sehen, daß das bittere Ende auch für sie [17] immer näher kommt. Gestern Abend wurden Richtlinien für die 12 Millionen ausländischer Arbeiter ausgegeben. Es wurde da von den organisierten Zellen unter diesen Arbeitern gesprochen u. daß die nichtorganisierten Arbeiter sich dort ihre Weisungen holen sollten. Es wurden von den aus Flugzeugen abgeworfenen Sprengmitteln u. Waffen gesprochen u. von ihrer sachgemäßen Verwendung u. es wurden die deutschen Arbeiter aufgefordert, sich diesen geheimen Organisationen anzuschließen. Es wird nun also bald los gehen wie in Dänemark u. dann wird ja wohl auch Herrn „General“ Lorenz eine Kugel erreichen.

     An den Fronten ist nichts Entscheidendes geschehen. Die Luftlandung bei Arnheim hat sich weiter gefestigt, östlich Nymwegen haben die Amerikaner (oder Engländer?) die Reichsgrenze überschritten in Richtung Cleve, aber unser Widerstand ist an allen Punkten sehr stark. Die Russen haben nun fast ganz Estland besetzt u. gehen auf Riga los. In Italien ist Bologna bedroht. –

     Das Wetter ist sehr schlecht geworden, kalt, regnerisch u. stürmisch. Ich habe gestern Abend zum ersten Male das große Haus geheizt. – Heute wollte der Klempnermeister Schüler aus Ribnitz kommen, um unsere Pumpe in Ordnung zu bringen. Wir werden sehen. –

Mittwoch, 27. Sept. 44     

     Vormittags für Grete Gesuch geschrieben zur Rückkehr Pauls. Abschrift seines letzten Zeugnisses bei der TN. beigefügt, von Bürgermeister beglaubigt. Gesuch von Deutschmann befürwortet. Hoffentlich klappt es. Es hat nun schon die siebente Woche begonnen, seitdem er fort ist. Bei dem naßkalten Wetter muß man für seine Gesundheit fürchten.

     Gestern Nachmittag mußte ich wieder einmal an der Kasse sitzen, Carmen Grantz ist immer noch krank. Frl. Hindemith, Nachrichtenhelferin bei der Batterie, brachte uns rührenderweise Pilze, die sie gesammelt hatte u. die wir heute aßen.

     Gestern u. heute Versuch zum Entwurf eines Stillebens. Ich wählte die kleine Madonnenfigur, die auf unserem Altar steht, zusammen mit Blumen aus dem Garten, – aber das Ganze ist sentimental. –

     Immer noch stürmisch, regnerisch u. kalt, habe heute wieder geheizt.

     Gestern Abend Frau Dr. Müller-Bardey. Sie hilft bei den Bauern Kartoffeln kratzen, sah schlecht aus, behauptete aber, es bekäme ihr gut.

     Nachmittags gestern in der Bunten Stube der Maler v. Kardorf, der furchtbar elend aussah u. sehr alt geworden ist.

     Ich fürchte, daß die Luftlandetruppen bei Arnheim sich ergeben haben, – heute hieß es, daß von dort keine Nachrichten vorlägen.

Donnerstag, 28. Sept. 1944.     

     Heute wieder Brief von Fritz, Datum 21. 9. Er ist immer noch in der Gegend von Belfort u. muß oft als Kompanie-Sani vorn in der Stellung sein, wo es nach wie vor scharf hergeht. Sein Bataillon ist aufgerieben, die Reste sind einem anderen Bataillon zugeteilt, er fährt aber den San-Gerätewagen weiter. Der Hauptverbandplatz liegt hinter der Feuerlinie, Feldpost haben sie [18] immer noch nicht bekommen. –

     Ferner Brief von Schwester Gertrud Dobzynski. Der Pfarrer ist immer noch nicht gesund, sein Zustand wechselt stark, eines Nachts glaubte sie, daß das Ende käme. Gott sei Dank war der Arzt diesmal zur Stelle u. gab Spritzen. Er soll 4 – 6 Wochen nach Greifswald ins Krankenhaus, aber es findet sich in der ganzen Diözese keine passende Dauervertretung für ihn. –

     Es bestätigt sich, daß die Engländer bei Arnheim eine Niederlage erlitten haben. Es waren etwa 8000 Mann gelandet, von diesen sind jetzt 2000 zur Frontlinie zurückgelangt, 1200 Verwundete haben sie in Arnheim zurücklassen müssen, die übrigen sind gefallen oder in Gefangenschaft geraten. Es ist eine arge Schlappe.

     Das Wetter ist besser geworden, aber es ist kalt. Ich habe heute zum ersten Male das Atelier geheizt. Habe eine neue Studie gemacht für ein Stillleben, nämlich die Dahlien, die ich gestern zusammen mit der Madonna verwendete nun allein in einer Glasvase, auf der Ecke meines Maltisches stehend, davor noch eben grade ein Stück des Malkastens mit einigen Tuben, dahinter eine Flasche Terpentin. Es kann sehr gut werden: gelbe Töne aus tiefstem Braun heraus, die ihren Höhepunkt in den Dahlien erreichen. Nebenher das Grün der Blätter, das Silbergrau der Tuben u. des Glases u. dazu der Malkasten, den ich in kräftigem Lackrot denke. Räumlich ist der Entwurf sehr reizvoll, da im Hintergrunde links noch die scharfe Kante des Schreibtisches u. ein Stück des Fußbodens angedeutet ist, ganz kubisch.

     An den Fronten ist sonst nichts von Belang geschehen.

     Der Obermaat Richter war heute wieder da u. bemühte sich nochmals vergeblich um die Pumpe. Er hat sie nun abmontiert, um sie morgen früh nach Ribnitz mitzunehmen u. sie von Schüler untersuchen zu lassen. Ich glaube aber nicht recht, daß der Fehler an der Pumpe liegt.

Freitag, 29. Sept. 1944.     

     Gestern hielt Churchill im Unterhaus eine umfassende und überaus inhaltsreiche Rede, aus deren Fülle mir leider nur einige Punkte im Gedächtnis geblieben sind. Schade, daß man eine solche Rede nicht im Wortlaut gedruckt lesen kann. – Er sprach anfangs von der Kriegslage, dann von der Zeit nach dem Kriege. Ueber das vermutliche Ende des Krieges wollte er nichts sagen, doch meinte er, daß es in England viele Leute gäbe, die auf Grund ihrer gründlichen Sachkenntnis u. Einsicht in die verborgenen Hintergründe des unerschütterlichen Glaubens wären, daß dieser Krieg noch im Jahre 1944 sein Ende finden werde, daß es aber dennoch möglich sei, daß noch einige Monate des Jahres 1945 dazu nötig seien. Er sprach von der Besetzung Deutschlands nach dem Kriege durch Amerika, England u. Rußland, doch würden dazu auch solche von den kleineren Staaten herangezogen werden, die sich aktiv am Kriege gegen Deutschland beteiligt hätten. Es kämpfe z.B. in Italien jetzt schon eine palästinensische Gruppe, welche in nächster Zeit eine eigene Armee bilden werde, sodaß also auch diese Juden zur Besetzung Deutschlands mit herangezogen werden würden! – Sodann sagte er, daß von Seiten der Neutralen Zusicherungen vorlägen, den Nazis kein Asylrecht zu gewähren, – mit Ausnahme von Portugal [19] und Argentinien. Ueber Hitler sprach Ch. in auffallend agressivem Ton, er sprach von der Strategie des Gefreiten Schüttelhuber. – Von den Friedensverträgen, bzw. Waffenstillstandsverträgen zwischen Rußland einerseits u. Finnland u. Rumänien andererseits sagte er, daß diese in hervorragender Weise großmütig seien, daß jedoch ein Land wie Bulgarien solche Großmut nicht erwarten könne, denn dort hätten von je her die größten Kriegshetzer gesteckt. Interessant war auch, daß Ch. nur immer von Amerika, England u. Rußland sprach, während früher immer noch China als Nachkriegs-Großmacht genannt wurde. Dieses Land scheint nun abgeschrieben zu sein. Zum Schluß sprach Ch. auch vom Kriege gegen Japan, der nun in eine entscheidende Phase treten würde. Jetzt schon sei die englische Flotte im indischen Ozean versammelt in einer Stärke, die der ganzen japanischen Flotte gleich sei, während die amerikan. Flotte im Pazifik operiere. –

     Ueber das Ende des Krieges sagte er noch, daß das offizielle Ende nicht zusammenfallen brauche mit dem tatsächlichen Ende, denn man könne mit dem offiziellen Ende nicht so lange warten, bis der letzte Nazi wirklich dingfest gemacht oder vernichtet sei. Ch. nimmt als sicher an, daß diese Nazis noch eine Weile lang Bandenkriege führen würden u. daß zu deren Beseitigung eben noch eine weitere Zeit nötig sein würde. –

     Dies sind die Punkte, die mir hauptsächlich im Gedächtnis geblieben sind, er hat aber noch Vieles sehr Interessantes gesagt. Auch dem heldenhaften Kampf der Luftlandedivision bei Arnheim widmete er ehrende Worte.