TBHB 1944-08-13
Einführung
Der Artikel TBHB 1944-08-13 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 13. August 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Gestern Nachmittag trafen Ruth, Erich mit Ortrun ein. Wir sprachen gestern Abend lange über den Tod des kleinen Hartmut. Dieser Tod ist für Ruth ein tief einschneidendes Ereignis gewesen u. über diesen Weg auch für Erich, doch wird sich das erst zeigen. Ruth hat damals von diesem jungen, gesunden Mann ein Kind haben wollen u. hat ihn dann als den Vater dieses Wunschkindes geheiratet. Es hat sich bald gezeigt, daß diese Basis für eine Ehe für Ruth zu schmal ist, während sie für Erich ausreichte. So hat sich Ruth von ihrem Mann im Laufe der Jahre immer mehr innerlich gelöst, jedoch nicht Erich von Ruth. Nun ist dieses Kind gestorben u. es scheint, daß damit auch die allerletzte Bindung Ruth's zerrissen ist. – Heute morgen nach der Andacht, an der Ruth teilnahm, brach das alles aus ihr heraus. Die Arme ist sehr unglücklich, denn sie ist gewissenhaft u. sieht, daß sie Schuld auf sich läd; aber dennoch wird sie nicht stark genug sein, eine Ehe weiter zu führen, an der sie, wie sie meint, zu ersticken droht. Man kann da wohl nur für sie beten.
An der Invasionsfront ist die Lage unklar, weil die Amerikan. Panzerverbände, die gegen Paris operieren u. längst weit im Rücken unserer Armeen stehen, ein strenges Funkverbot haben, sodaß man über ihren Standort u. über ihre Stoßrichtung im Unklaren ist. Gestern hieß es nur, daß sie bei Alençon kämpften, was auf eine Schwenkung nach Norden schließen läßt, also direkt in den Rücken unserer Armeen hinein. Da alle Seinebrücken zerstört sind u. die Straßen überdies unter pausenlosen Luftangriffen liegen, ist ein geordneter Rückzug für Rommel so gut wie unmöglich. Es besteht darum die Gefahr, daß sich hier eine Katastrophe von nie dagewesenem Ausmaß vorbereitet, die sich noch im Laufe dieser kommenden Woche erfüllen muß, wenn nicht ein Wunder geschieht. Hier zeigt sich jetzt die abgrundtiefe, strategische Unfähigkeit unserer Führung. Hitler, wie auch seine jungen Feldmarschälle u. Generale, verstehen wohl, eine Angriffsschlacht zu führen, wenn sie Material= u. Menschenüberlegenheit besitzen u. Herr Rommel mag auch im Rückzugsgefecht nicht ungeschickt sein, wie er in Afrika bewiesen zu haben scheint, aber sie verstehen nicht, weit vorausschauend künftigen Gefahren zu begegnen. Durch das sture Festhalten an den Stellungen ist jetzt die ganze Armeegruppe im Baltikum nördlich Riga eingekesselt. Die daran anschließende Gruppe bis Tilsit oder gar Königsberg ist mit Einschließung bedroht u. jetzt droht unserer ganzen Armeegruppe an der Invasionsfront Einkesselung u. völlige Vernichtung. – Gestern hieß es weiter, daß die Amerikaner auch die Loire nach Süden überschritten haben u. dort natürlich so gut wie garkeinen Widerstand finden. Damit werden dann auch sämtliche Besatzungen des vielgepriesenen Atlantikwalles abgeschnitten werden, wie es die der Bretagne bereits sind. Dieser Atlantikwall ist wirklich die größte Blamage der Weltgeschichte, größer noch als der U=Bootkrieg. Alles, was dort an Werten u. Volksvermögen zügellos verschwendet worden ist, ist verloren, u. zwar ohne daß die Amerikaner sich dazu übermäßig anstrengen müssen.
Abends: Es scheint nun so, als hätte Rommel nun [2] endlich begriffen, daß seine Position nicht länger haltbar ist u. daß er seinen Westflügel zurücknimmt. Man wird abwarten müssen, ob ihm eine geordnete Absetzbewegung noch gelingen wird. – In Italien haben sie nun Florenz kampflos besetzt. Die Russen scheinen in der Gegend von Warschau einen Rückschlag erlitten zu haben. Es hieß, daß die polnische illegale Armee in Warschau selbst kämpfte, doch war das wohl verfrüht. Da die Polen keine schweren Waffen haben, werden sie sich nicht haben halten können u. die Russen sind nicht gekommen, wie sie erwartet hatten. –
Nachmittags waren Küntzels da. Wir erwogen die Idee, daß Grete, wenn Paul fort ist, notfalls zu uns kommen soll. Durch das Gespräch angeregt, sagte ich, ich könne vielleicht in Zimmer 3 im kleinen Hause für mich ein brauchbares Atelier einrichten, da dort ein nach Norden gehendes Fenster ist. Später meinte Martha dann, ob ich dann nicht lieber mein früheres Atelier, in dem jetzt Fritz wohnt, wieder benutzen wolle. Das wäre natürlich ausgezeichnet u. schließlich habe ich es ja im Jahre 1922/23 für mich gebaut. Ich möchte nur nicht Fritz einfach vertreiben. Dennoch ist dieser Gedanke sinngemäß.