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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-08
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: August 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom August 1944
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Einführung

Der Artikel TBHB 1944-08 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom August 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 20 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Dienstag, 1. August 1944.     

[1]      Die Amerikaner haben Granville genommen u. sind weiter im Vormarsch. Es scheint, als sei unsere Front dort ernsthaft im Wanken.

     Die Russen haben den Stadtrand von Warschau erreicht, Mitau haben sie erobert. Damit ist die Hauptrückzugsstraße für alle in Lettland u. Estland stehenden Truppen endgültig verriegelt. – Mitau, – Erinnerung an den 1. Weltkrieg. Welch reizendes Städtchen mit einem erstklassigen Hotel von alter, schöner Kultur. Diese ganze Gegend dort mit sanften Hügeln, Wäldern u. Sumpfniederungen ist leicht zu verteidigen, – der rasche Vormarsch der Russen läßt sich m. E. nur mit Sabotage des Generalfeldmarschalls Lindemann erklären. –

     Morgen tritt in Ankara die Nationalversammlung zusammen u. wird wahrscheinlich beschließen, die diplom. Beziehungen zu Deutschland abzubrechen. Welche Wirkung dieser Schritt auf Bulgarien, Rumänien u. Ungarn haben wird, wird sich bald zeigen. Wir werden natürlich wieder einmal gänzlich davon überrascht, denn unsere Propaganda hat immer erzählt, wie freundlich die Türken uns gesinnt seien. Aber was macht das schon, – das Volk ist stumpf u. schaut nicht einmal auf. Man achtet ja nicht einmal mehr auf die Lage an der Invasionsfront, an der die Angloamerikaner nach den Worten des Führers doch innerhalb von neun Stunden restlos vernichtet sein sollten. Jetzt stehen die Amerikaner bereits an der Grenze der Bretagne. –

     Die im Garten blühenden Malven haben mich gereizt. Ich habe eine Skizze gemacht, die jedoch nichts erreichte. Heute habe ich es von Neuem versucht, es scheint besser zu werden.

[1]
Mittwoch, 2. August 1944.     

[1]      Die Türken haben also die diplomat. u. wirtschaftl. Beziehungen zum Deutschen Reich abgebrochen. Die schon vorher sehr eingeschränkte Lieferung vom Chromerz hört nun also ganz auf. Ferner wird die Türkei den Alliierten Stützpunkte [2] zur Verfügung stellen, d.h. wohl in erster Linie die Dardanellen.

     Noch überraschender ist der Rücktritt des Präsidenten Ryti in Finnland, für den der Marschall Mannerheim die Präsidentschaft übernommen hat. Es scheint, daß Mannerheim über unsere Generalsrevolte eingeweiht gewesen ist, u. von hier aus erhält auch der plötzliche Tod des Generaloberst Dietl, angeblich durch Flugzeugunglück, ein eigentümliches Licht. Es heißt, daß Ryti mit den Russen keinen Frieden machen konnte, weil er Hitler bindende Versprechungen gegeben hätte, Mannerheim dagegen sei frei in seinen Entschlüssen. Er wird also zweifellos sofort Frieden mit Rußland machen, was ja auch das Vernünftigste ist, was er tun kann, denn Deutschland kann ihm nichts mehr helfen. Die Russen haben gestern Tukkum genommen. Damit sind sie bis zur Ostseeküste vorgestoßen u. die ganze, nördlich davon stehende Armee ist damit vom Landwege nach der Heimat abgeschlossen. Es scheint mir, als machten Mannerheim u. Feldmarschall Lindemann gemeinsame Sache.

     Daß die sog. Generalsrevolte sehr viel weitere Kreise umfaßt hat, wird immer deutlicher. In Schlesien besonders sollen Zivile Kreise dahinter gestanden haben u. jetzt wird der Oberbürgermeister von Leipzig, Goerdeler, steckbrieflich verfolgt. Es wird immer deutlicher, daß das Attentat auf Hitler nur der Auftakt war zu weiteren Ereignissen.

     Der amerikan. Vormarsch an der Invasionsfront nach Süden geht weiter.

     Eben höre ich von einer Seite, die gut informiert sein dürfte, daß der Generalfeldmarschall Lindemann ebenfalls in die Generalsrevolte aktiv verwickelt sein soll. Es hieß ja von Anfang an, daß Hitlers Befehl, das Baltikum unter allen Umständen zu halten, der eigentliche Anlaß der Revolte gewesen sein soll. Lindemann soll sich nun aber nicht bei seiner Armee befinden, sondern soll sich sonst irgendwo verborgen halten, ebenso wie Goerdeler. – Von derselben Seite höre ich auch, daß am 20. Juli sehr viele Truppen mobilisiert gewesen sein sollen, so habe der Fehrbelliner Platz einem Heerlager geglichen. Aber dennoch hat irgendetwas nicht geklappt, es muß wohl ein Verrat dabei im Spiele gewesen sein. – Man sagt, daß die ganze Familie des Grafen Stauffenberg umgebracht worden sei. – Es gibt übrigens Leute, die an das ganze Attentat nicht glauben. – Jedenfalls würde das Gerücht über Lindemann meine Auffassung bestätigen.

Donnerstag, 3. August 1944.     

     Die Amerikaner haben Rennes erobert u. stehen nördich davon bei Dinan. Somit haben sie die Hauptstadt der Bretagne im Besitz u. die ganze Halbinsel ist bedroht, abgeriegelt zu werden. Nach unserem Heeresbericht werden trotzdem alle ihre Angriffe dauernd abgewiesen.

     Herr Himmler hat einen Tagesbefehl an das Heimatheer erlassen u. befohlen, daß in den Garnisonen u. Stäben zumindest solange ausgebildet, Dienst geleistet u. Pflicht erfüllt wird, wie die Fabrikarbeiter in den Rüstungsbetrieben arbeiten u. daß kompromißlos u. ehrlich Absage getan wird jeder Selbstsucht u. dem verfluchten Etappengeist, damit das Heimatheer des Führers nationalsozialistische Volksarmee werde. – Na schön!

     Heute bringt die Presse den Abbruch der diplomatischen u. wirtschaftlichen Beziehungen der Türkel, sowie auch den [3] Rücktritt Ryti's. Dieser wird damit begründet, daß Ryti die Konzentrierung der ausübenden Gewalt sowohl auf dem Gebiete der militärischen als auch auf dem der Zivilverwaltung in einer Hand gewünscht habe. Das klingt für den ahnungslosen Leser so, als handele es sich um eine finnische Art der totalen Mobilisierung u. Konzentration aller Kräfte auf den Sieg. –

     Auch Rommels Verwundung infolge eines Luftangriffes, die bereits am 17. Juli erfolgte, wird heute zugegeben, jedoch heißt es, er sei mit dem Kraftwagen verunglückt. Sein Befinden soll befriedigend sein. –

     Als weitere Person, die sich an der Generalsrevolte beteiligt hat, spricht man jetzt auch von Feldmarschall v. Witzleben. Heute wieder ausführlicher Brief von Fritz. Seine Truppe zieht atemlos im Lande umher, ohne irgend etwas zu erreichen. Die Treibstoffknappheit ist bereits so groß, daß kürzlich Fahrräder beschlagnahmt wurden u. die Truppe auf Fahrrädern, anstatt auf Motorwagen, fuhr. Dieser Ausweg aber war ein Mißgriff, denn die meisten Räder waren minderwertig u. gingen kaputt. – Die Kampftaktik scheint sich geändert zu haben, indem die Gefangenen nicht mehr erschossen werden. Fritz klagt über den mangelhaften Geist in der Truppe, zwischen Offizieren u. Mannschaften besteht, wie er schreibt, eine Kluft, wie er es vordem nie erlebt hat. Das ist denn also „des Führers nationalsozialistische Volksarmee“ Besonders von den Aerzten schreibt er, daß sie einen guten Tag lebten u. möglichst wenig täten, die Arbeit überlassen sie den Sanitätsdienstgraden.

     Heute habe ich das neue Malvenbild untermalt, – es verspricht, sehr schön zu werden.

Freitag, 4. August 1944.     

     Die Amerikaner finden offensichtlich bei ihrem Vormarsch durch die Bretagne nach Süden so gut wie keinen Widerstand. Es ist ein Spaziergang. Was sie dort an deutschen Truppen treffen, werden Formationen sein wie die, bei der Fritz ist, minderwertige Soldaten, minderwertige Offiziere, die wohl grade noch gegen Banden zu gebrauchen sind, aber nicht zum Kampf. Es scheint in der Tat so zu sein, daß die meisten dieser Soldaten sich kampflos ergeben, d.h. einfach überlaufen. Auf diese Weise stehen die Amerikaner heute schon dicht vor St. Nazaire u. haben damit die ganze Halbinsel praktisch abgeschlossen. Rommel wird sich nun entschließen müssen, ob es es wagen darf, seinen rechten Flügel zu schwächen u. Truppen zum linken Flügel zu verschieben. Er wird es wohl tun müssen, obgleich er damit dem linken Flügel kaum noch nutzen wird, dagegen aber seinen rechten Flügel gefährdet.

     In Litauen scheinen die Russen ihren Vormarsch auf Tilsit zu konzentrieren u. nicht auf Königsberg, wie es anfangs aussah. Gelingt ihnen der Durchstoß nach Tilsit, dann haben sie diese ganze Armeegruppe Lindemann in zwei Kesseln eingekesselt, der eine nördlich Riga bis zum finnischen Meerbusen, der andere südlich davon bis Tilsit. – In Polen haben sie die Weichsel in breiter Front südlich Warschau überschritten, in Warschau selbst ist ein Aufstand ausgebrochen u. es scheint, daß die Aufständischen, die militärisch geführt werden, gute Erfolge haben. So wird sich Warschau nicht halten können. Uebrigens bestätigt sich, daß der Oberbefehlshaber Nord, Feldmarschall (oder Generaloberst?) Lindemann flüchtig ist u. daß Generaloberst Schörner, der bisher die Armeegruppe [4] in Rumänien befehligte, die Nordgruppe übernommen hat. Er soll ein treuer Nazi sein, aber damit ist es heute auch nicht mehr getan.

     In Italien scheint Florenz unmittelbar vor dem Fall zu stehen.

     Heute Nachmittag gegen 2 Uhr Fliegeralarm, Entwarnung erst gegen 4 Uhr. Es kamen überaus zahlreiche Fliegerverbände über uns hinweg. Der Angriff soll Flensburg, Kiel, Rostock u. wieder Peenemünde gegolten haben, Näheres habe ich noch nicht gehört.

     Nachmittags Herr u. Frau Dr. Jaeger, sahen sich meine Bilder an. Herr Dr. J., ist unter die Maler gegangen. Er zeigte mir Fotos einiger seiner Bilder. Das reifste war ein Bildnis von Schmidt-Rotloff, der in Chemnitz lebt, seit er in Bln. ausgebombt ist, ferner sehr gut das Bildnis zweier Negermädchen, tragischer Gesichtsausdruck. Dr. J. gab mir ein Gedicht von Gottfried Keller aus dem Jahre 1844, eine seltsame Prophezeiung Adolf Hitlers u. seiner Leute. Es lautet:

Ein Ungeziefer ruht
In Staub und trocknem Schlamme
Verborgen, wie die Flamme
In leichter Asche tut.
Ein Regen, Windeshauch
Erweckt das schlimme Leben,
Und aus dem Nichts erheben
Sich Seuchen, Glut und Rauch.

Aus dunkler Höhle fährt
Ein Schächer, um zu schweifen;
Nach Beuteln möcht' er greifen
Und findet bessern Wert:
Er findet einen Streit
Um nichts, ein irres Wissen,
Ein Banner, das zerrissen,
Ein Volk in Blödigkeit.

Er findet, wo er geht,
Die Leere dürft’ger Zeiten;
Da kann er schamlos schreiten;
Nun wird er ein Prophet.
Auf einen Kehricht stellt
Er seine Schelmenfüße
Und zischelt seine Grüße
In die verblüffte Welt.

Gehüllt in Niedertracht
Gleichwie in einer Wolke,
Ein Lügner vor dem Volke,
Ragt bald er groß an Macht
Mit seiner Helfer Zahl,
Die hoch und niedrig stehend,
Sich bieten seiner Wahl.

Sie teilen aus sein Wort,
Wie einst die Gottesboten
Getan mit den fünf Broten,
Das klecket fort und fort!
Erst log allein der Hund,
Nun lügen ihrer tausend;

[5]

Und wie ein Sturm erbrausend,
So wuchert jetzt sein Pfund.

Hoch schießt empor die Saat,
Verwandelt sind die Lande,
Die Menge lebt in Schande
Und lacht der Schofeltat!
Jetzt hat sich auch erwahrt,
Was erstlich war erfunden:
Die Guten sind verschwunden,
Die Schlechten stehn geschart.

Wenn einstmals diese Not
Lang wie ein Eis gebrochen,
Dann wird davon gesprochen,
Wie von dem schwarzen Tod;
Und einen Strohmann baun
Die Kinder auf der Heide,
Zu brennen Lust aus Leide
Und Licht aus altem Graun.

Sonnabend, 5. Aug. 1944.     

     Es ist ein „Ehrenhof“ begründet worden von Feldmarschällen u. Generalen, um zu prüfen, wer an dem Anschlag gegen den Führer beteiligt gewesen ist. Der Ehrenhof besteht aus Feldmarschall Keitel, dem sog. Gummilöwen, dem Generalfeldmarschall v. Rundstedt, Generaloberst Guderian, General d. Inf. Schroth, Generalleutn. Specht, General der Inf. Kriebel u. Generalleutn. Kirchheim. Diese haben ein Verfahren eröffnet, aus dem hervorgeht, daß keineswegs, wie es anfangs hieß, zwei oder drei Generale eine Verschwörung angezettelt hätten, sondern vielmehr handelt es sich um einen Generalfeldmarschall (v. Witzleben) zwei Generalobersten (Beck u. Hoeppner) vier Generale, einen Generalleutnant, zwei Generalmajore, vier Obersten, zwei Oberstleutnants, zwei Majore u. je ein Hauptmann, Oberleutnant u. Leutnant, insgesamt 21 Offiziere, darunter, davon 10 in Generalsrang. Aber auch das reicht nicht, denn der Generaloberst Fromm ist nicht dabei genannt, wie auch der Generaloberst (oder Feldmarschall?) Lindemann. Es ist also ein recht beachtlicher Kreis mindestens 13 davon sind in Generalsrang, denn auch Generaloberst Zeitzler ist nicht genannt, – u. es sind alles Leute, die die wirkliche Lage Deutschlands kennen. –

     Die Amerikaner haben in der Bretagne den halben Weg zwischen Rennes u. Brest zurückgelegt. – An der Ostfront scheint sich jetzt unser Widerstand versteift zu haben. Florenz steht vor dem Fall.

     Heute Nachmittag war Prof. Enking da, um meine Bilder zu sehen. Er war sehr begeistert, besonders vom betenden Engel.

Sonntag, 6. Aug. 1944.     

     Die Amerikaner haben mit unglaublicher Geschwindigkeit die ganze Bretagne besetzt u. sind bis vor Brest vorgestoßen, gleichzeitig haben sie die Südküste erreicht u. sind nach Osten in Richtung Paris vorgegangen. Es ist bewunderungswürdig, welche Massen an Menschen u. Material sie über Cherbourg gelandet haben müssen, um diesen Vormarsch allein mengenmäßig durchführen zu können. Wenn es so weiter geht, können sie leicht in drei Tagen Paris erreicht haben.

Im Osten scheinen die Russen Warschau zunächst umgehen [6] zu wollen während in der Stadt selbst Kämpfe zwischen Polen u. Deutschen stattfinden. An den übrigen Teilen der Ostfront sind keine wesentlichen Veränderungen zu bemerken. – In Italien wird um Florenz gekämpft. Heute wieder Fliegeralarm, starke Einflüge, aber nicht über uns. Hamburg soll wieder angegriffen sein, auch Berlin. –

     An Fritz geschrieben. Nachmittags auf der Terrasse Besuch von Küntzels, abends im Seezimmer langer Schwatz mit Frl. Sinn.

Montag, 7. Aug. 1944.     

     Das Dorf ist in Aufregung. Es geht das Gerücht, die ganze weibliche Bevölkerung bis zum 55. Lebensjahre würde nach Ostpreußen gebracht werden, um dort zu schanzen. Diese Maßnahme soll für ganz Pommern u. Schlesien gelten. Woher das Gerücht kommt, konnte ich nicht feststellen, denn die pommerschen Zeitungen, in denen diese Verfügung stehen soll, sind heute nicht eingetroffen. Es soll ein Haus beschlagnahmt sein, das Haus v. Steinäcker, in dem alle Kinder untergebracht werden sollen. –

     Abends kam kurz Frau Pastor Müller, die erzählte, daß ihr Mann von Neubrandenburg nach Stettin gekommen sei. Der sechzigjährige, kränkliche Mann hat den Dienst natürlich nicht aushalten können u. wurde deshalb av. geschrieben, während er bisher Kv. war. Der Erfolg ist, daß er nun Latrinen, reinigen muß. Es ist das Ganze ein toller Fall von Gemeinheit. Der Mann war politisch unzuverlässig u. man hat ihm deshalb von der Partei seine Pastorstelle in Anklam gekündigt. Dagegen hat er Einspruch erhoben. Um ihn los zu werden, hat man ihn Soldat werden lassen, weil man wußte, daß er im Recht war u. man ihm nicht kündigen konnte. –

     An der Ostfront ist unser verstärkter Widerstand fühlbar u. die Russen sind in den letzten Tagen zum Stehen gekommen. Dagegen setzten die Amerikaner ihren Vormarsch auf Paris ungehemmt fort.

     Täglich starke Fliegerangriffe auf unsere synthetische Treibstoffproduktion u. Flugzeugwerke. Auch Berlin soll wiederum stark betroffen sein. Frau Eitner, die heute aus Bln. hier eintreffen wollte, ist nicht angekommen.

     Es bestätigt sich, daß auch der Polizeipräsident von Bln., Graf Helldorf, der einst ein übel berüchtigter Nazi war, in die Attentats-Affäre verwickelt ist. Er ist abgesetzt u. durch den bisherigen Polizeichef in Dänemark ersetzt worden. Dieser hat sich durch seine Brutalität in Dänemark einen Namen gemacht. Auch ein weiterer General, der bisher ein Armeekorps in der Normandie befehligte, ist abgesetzt. – Gestern wurde mir von einer höheren Befehlsstelle in der Heimat erzählt, daß sämtliche Offiziere vom Kommandeur bis zum jüngsten Leutnant bedauert hätten, daß das Attentat auf den Führer mißglückt sei. Es scheint doch so, daß dieses Attentat sehr dazu beigetragen hat, die Fronten zu klären.

Mittwoch, 9. August 1944.     

     Gestern wurden Generalfeldmarschall v. Witzleben u. sieben andere Offiziere durch den Strang hingerichtet.

     Abends war Frau Wolsdorf bei uns, eine ziemlich unbedeutende Frau, die uns langweilte, doch ist sie wenigstens gutartig. Sie erzählte von ihrem 20jährigen Sohn, der an der Ostfront [7] als Leutnant bei der Panzerwaffe steht. Er u. seine Leute müssen jetzt schanzen, weil sie keine Panzer haben. Auch von der Invasionsfront hörte ich vor einigen Tagen, daß ein Teil unserer Einheiten dort mit alten Holländischen u. Französischen Gewehren ausgerüstet ist. Im 1. Weltkrieg hat mein Regiment auch bloß russische Gewehre gehabt u. wir suchten uns die Munition zusammen; aber damals hat man uns auch nicht erzählt, daß die Rüstung immer ist Steigen sei.

     Die Amerikaner waren gestern 160 km. vor Paris.

     An der Ostfront nichts Neues, ebenso in Italien, doch wird das nur Vorbereitung eines neuen Angriffs sein.

     Von Generaloberst Lindemann sagt man jetzt, daß er zu den Russen übergegangen sei.

Mittwoch. Abend.

     Feldmarschall Kesselring scheint des Kommandos in Italien enthoben zu sein u. Marschall Graziani hat das Kommando übernommen. – Ein italienischer Marschall kommandiert also deutsche Truppen u. ein deutscher Generalfeldmarschall baumelt am Galgen. Es ist eine Schande für die deutsche Armee u. für das ganze deutsche Volk. „Die Menge lebt in Schande und lacht der Schofeltat.“

     Heute ein Bild in der DAZ: „Die Reichs= u. Gauleiter beim Führer.“ Hitler begrüßt Dr. Ley, Himmler, Goebbels, Amann u. Dr. Frick. Auf diesem Bilde ist deutlich zu sehen, daß der Führer die linke Hand gibt u. daß der rechte Arm herunterhängt, als sei er bandagiert. Irgend etwas hat er bei dem Attentat doch abbekommen.

     Die Amerikaner haben Le Mans eingenommen u. kämpfer vor Angers, vor St. Malo, vor Brest u. vor Lorient. Vor Brest ist wieder ein Divisionskommandeur gefangengenommen worden, d. h. er ist übergegangen, – die einzig richtige Antwort eines Generals auf das schmachvolle sog. Volksgerichtsurteil. Möchten doch recht viele diese Antwort geben.

     Heute Abend Paul u. Grete, beklagten sich über Frau Syamken. Es ist sicher unerfreulich, mit ihr unter einem Dach zu leben.

     Der Maler v. Perfall will mir Pinsel + Farben besorgen. Mein Malvenbild wird sehr schön.

Donnerstag, 10. Aug. 1944.     

     Große Aufregung Fünfundsiebenzig Frauen u. Mädchen haben heute Order bekommen, sich bis Sonnabend bereit zu halten zum Abtransport irgendwohin zur Schanzarbeit. Unter diesen auch unsere Trude Dade u. auch die Martha von Irmingard Wegscheider, die mit Jens u. Peter hier ist. Wir wollten daraufhin diese Martha morgen mit den Kindern nach Bln. zurückschicken, aber sie braucht dazu eine Reisebescheinigung vom Bürgermeister u. dieser gibt sie nicht, weil er Angst hat vor dem polit. Leiter in Prerow, der diese Verfügung erlassen hat u. zwar zu Unrecht, wie der Bürgermeister selbst einsieht. Wir wissen nicht, was tun. Unsere Trude sind wir jedenfalls los. Unter diesen 75 Frauen befinden sich natürlich überwiegend ausgebombte Frauen, die hier wohnen, durchweg Damen besseren Standes. Jede hat eine Lister erhalten, was sie mitzubringen hat, – aber diese Sachen besitzt kein ausgebombter Mensch, nicht einmal ein Nichtausgebomter. – Die Sache hat wenigstens das Gute, daß die Liebe zum Führer dadurch immer größer wird. –

Abends

Martha war beim Bürgermeister, der nun endlich [8] eingesehen hat, daß das Mädchen Martha zu unrecht ihre Order bekommen hat, doch hat er Angst, selbständig etwas zu tun, er meint, erst den polit. Beamten in Prerow fragen zu müssen. Er will das tun u. uns dann Bescheid geben, doch hat er das bis jetzt nicht getan. Sobald das Mädchen frei ist, werden wir es mit Jens u. Peter nach Bln. zurückschicken.

     Im Dorf ist ungeheure Aufregung. Es soll im Gasthof von Knecht eine Gemeinschaftsküche aufgemacht werden für die Kinder, die mutterlos hier bleiben u. die sonst im Hause Strandheim untergebracht werden sollen. Für Pflege dieser Kinder ist die Frauenschaftsleiterin Frau Siegert bestellt, ferner deren Nachbarin Frau Schmitt u. die Frau des Lehrers. Diese haben sich also einen Druckposten zu verschaffen gewußt. Die Frau des Bürgermeisters hat zwar keinen besonderen Druckposten, braucht aber nicht fort. Dagegen hat Schwager Paul ebenfalls Order bekommen, er ist 62 Jahre.

     Unter der Schlagzeile „Vom Volke gerichtet“ bringt der Rost. Anz. heute den Verhandlungsbericht gegen die Attentäter. Es handelt sich um den Generalfeldmarschall v. Witzleben, Generaloberst Höppner, Generalmajor Stieff, Oberlt. v. Hagen, Generalleutnant v. Hase, Oberstlt. Bernardis, Hptm. Klausing u. Lt. Graf York v. Wartenburg. –

     In all dieser Aufregung habe ich heute das Malvenbild vollendet. Es ist sehr schön geworden.

Freitag, 11. Aug. 44.     

     Die Amerikaner haben in ihrem Vorstoß in Richtung Paris jetzt Chateaudun u. Chartres erreicht, ihre äußerste Angriffsspitze steht somit etwa 75 km. vor Paris. Damit gerät unsere bei Caen kämpfende Armee in ernste Gefahr, ihre Rückzugstraße zu verlieren. Sie ist nur noch auf die Straßen angewiesen, die über die Seine führen, falls die Amerikaner nahe genug an Paris herankommen, um die Verbindungen zu stören. –

     Die Aufregung im Dorf ist noch die gleiche. Von den 75 betroffenen Frauen u. Mädchen haben 50 Revision eingelegt. Es scheint in der Tat so, als hätte man vorwiegend Evakuierte ausgewählt, also Damen besserer Stände, während man die einheimische Bevölkerung weitgehend geschont hat. – Ich habe bis jetzt nur von zwei Männern gehört, die Order bekommen haben: Paul u. Gess. Ich rede Paul zu, Berufung einzulegen, aber er zögert.

     Heute habe ich eine Kohlezeichnung, die ich vor Jahren noch in der Wilhelmshöher Straße in Friedenau gemacht habe, neu gezeichnet u. streng durchstilisiert. Damals wollte ich ein Bild des Pfarrers von Ars machen, doch kam ich nicht weiter. Die Zeichnung fiel mir neulich in die Hände, als ich die Bilderkammer einrichtete u. sie gefiel mir sehr. Zwar kann ich das, was ich heute gezeichnet habe, wohl kaum „Pfarrer von Ars“ nennen, die Katholiken wurden mich steinigen; aber als Bildnis eines geistlichen Herrn kann es wohl gehen.

     Frau Eitner heute wieder abgefahren.

     Eva Küntzel heute gekommen.

[9]
Sonntag, 13. Aug. 1944.     

     Gestern Nachmittag trafen Ruth, Erich mit Ortrun ein. Wir sprachen gestern Abend lange über den Tod des kleinen Hartmut. Dieser Tod ist für Ruth ein tief einschneidendes Ereignis gewesen u. über diesen Weg auch für Erich, doch wird sich das erst zeigen. Ruth hat damals von diesem jungen, gesunden Mann ein Kind haben wollen u. hat ihn dann als den Vater dieses Wunschkindes geheiratet. Es hat sich bald gezeigt, daß diese Basis für eine Ehe für Ruth zu schmal ist, während sie für Erich ausreichte. So hat sich Ruth von ihrem Mann im Laufe der Jahre immer mehr innerlich gelöst, jedoch nicht Erich von Ruth. Nun ist dieses Kind gestorben u. es scheint, daß damit auch die allerletzte Bindung Ruth's zerrissen ist. – Heute morgen nach der Andacht, an der Ruth teilnahm, brach das alles aus ihr heraus. Die Arme ist sehr unglücklich, denn sie ist gewissenhaft u. sieht, daß sie Schuld auf sich läd; aber dennoch wird sie nicht stark genug sein, eine Ehe weiter zu führen, an der sie, wie sie meint, zu ersticken droht. Man kann da wohl nur für sie beten.

     An der Invasionsfront ist die Lage unklar, weil die Amerikan. Panzerverbände, die gegen Paris operieren u. längst weit im Rücken unserer Armeen stehen, ein strenges Funkverbot haben, sodaß man über ihren Standort u. über ihre Stoßrichtung im Unklaren ist. Gestern hieß es nur, daß sie bei Alençon kämpften, was auf eine Schwenkung nach Norden schließen läßt, also direkt in den Rücken unserer Armeen hinein. Da alle Seinebrücken zerstört sind u. die Straßen überdies unter pausenlosen Luftangriffen liegen, ist ein geordneter Rückzug für Rommel so gut wie unmöglich. Es besteht darum die Gefahr, daß sich hier eine Katastrophe von nie dagewesenem Ausmaß vorbereitet, die sich noch im Laufe dieser kommenden Woche erfüllen muß, wenn nicht ein Wunder geschieht. Hier zeigt sich jetzt die abgrundtiefe, strategische Unfähigkeit unserer Führung. Hitler, wie auch seine jungen Feldmarschälle u. Generale, verstehen wohl, eine Angriffsschlacht zu führen, wenn sie Material= u. Menschenüberlegenheit besitzen u. Herr Rommel mag auch im Rückzugsgefecht nicht ungeschickt sein, wie er in Afrika bewiesen zu haben scheint, aber sie verstehen nicht, weit vorausschauend künftigen Gefahren zu begegnen. Durch das sture Festhalten an den Stellungen ist jetzt die ganze Armeegruppe im Baltikum nördlich Riga eingekesselt. Die daran anschließende Gruppe bis Tilsit oder gar Königsberg ist mit Einschließung bedroht u. jetzt droht unserer ganzen Armeegruppe an der Invasionsfront Einkesselung u. völlige Vernichtung. – Gestern hieß es weiter, daß die Amerikaner auch die Loire nach Süden überschritten haben u. dort natürlich so gut wie garkeinen Widerstand finden. Damit werden dann auch sämtliche Besatzungen des vielgepriesenen Atlantikwalles abgeschnitten werden, wie es die der Bretagne bereits sind. Dieser Atlantikwall ist wirklich die größte Blamage der Weltgeschichte, größer noch als der U=Bootkrieg. Alles, was dort an Werten u. Volksvermögen zügellos verschwendet worden ist, ist verloren, u. zwar ohne daß die Amerikaner sich dazu übermäßig anstrengen müssen.

     Abends: Es scheint nun so, als hätte Rommel nun [10] endlich begriffen, daß seine Position nicht länger haltbar ist u. daß er seinen Westflügel zurücknimmt. Man wird abwarten müssen, ob ihm eine geordnete Absetzbewegung noch gelingen wird. – In Italien haben sie nun Florenz kampflos besetzt. Die Russen scheinen in der Gegend von Warschau einen Rückschlag erlitten zu haben. Es hieß, daß die polnische illegale Armee in Warschau selbst kämpfte, doch war das wohl verfrüht. Da die Polen keine schweren Waffen haben, werden sie sich nicht haben halten können u. die Russen sind nicht gekommen, wie sie erwartet hatten. –

     Nachmittags waren Küntzels da. Wir erwogen die Idee, daß Grete, wenn Paul fort ist, notfalls zu uns kommen soll. Durch das Gespräch angeregt, sagte ich, ich könne vielleicht in Zimmer 3 im kleinen Hause für mich ein brauchbares Atelier einrichten, da dort ein nach Norden gehendes Fenster ist. Später meinte Martha dann, ob ich dann nicht lieber mein früheres Atelier, in dem jetzt Fritz wohnt, wieder benutzen wolle. Das wäre natürlich ausgezeichnet u. schließlich habe ich es ja im Jahre 1922/23 für mich gebaut. Ich möchte nur nicht Fritz einfach vertreiben. Dennoch ist dieser Gedanke sinngemäß.

Montag, 14. Aug. 44.     

     Es bestätigt sich, daß die 7. Armee in der Normandie in vollem Rückzug ist. Sie versucht, hinter die Seine zu gelangen. Dieser Versuch dürfte zu spät sein, denn es wird von der anderen Seite die volle Ueberlegenheit der Luftstreitkräfte eingesetzt, um unsere zurückweichenden Truppen pausenlos zu bombardieren. Es werden sich höchstens Einzelne retten können.

     Generalfeldmarschall Paulus, der die bei Stalingrad gefangen genommene 6. Armee führte u. von dem man von unserer Seite niemals mehr etwas gehört hatte, hat jetzt von Moskau aus einen Aufruf an alle deutschen Armeen erlassen mit der Aufforderung, Hitler zu beseitigen u. den Kampf sofort einzustellen. Paulus hat bisher noch nie von sich hören lassen. Er genießt bei der Armee großes Ansehen, wie auch im Hinterlande. Dieser Aufruf dürfte eine starke Wirkung haben.

     Heute wurde bekannt, daß die zum Schippen aufgebotenen Frauen morgen früh 4 Uhr abmarschieren sollen nach Prerow. Die Erbitterung im Orte ist groß, – in Stalsund soll es bereits aus gleichem Anlaß zu Krawall gekommen sein. Ferner ist verfügt worden, daß sofort alle Pensionen u. Gasthäuser geschlossen werden sollen u. daß alle Fremden sofort den Ort zu verlassen haben. Das Mädchen Martha sollte morgen mit Jens u. Peter nach Bln. zurückkehren, wir werden sie aber hier behalten, da zu erwarten ist, daß die Eisenbahnen maßlos überfüllt sein werden u. daß ein lebensgefährliches Gedränge entstehen wird. – Die Symtome des Zusammenbruchs steigern sich immer mehr, – es wird noch unvorstellbar werden. –

     In Italien scheinen sich neue Dinge vorzubereiten. Churchill war dort oder ist noch dort u. hatte Konferenzen. Es scheint, als träte man dort zu einem großen Sturm an, vielleicht mit einer neuen Landung in Südfrankreich.

[11]
Dienstag, 15. August 1944.     

     Heute früh um 4 Uhr hatten sich die zum Schippen Kommandierten vor dem Kaffee Namenlos zu versammeln. Es war eine merkwürdig stimmung= u. charakterlose Versammlung. Es war noch ganz dunkel, der abnehmende Mond stand am nordöstlichen Himmel. Im Kaffee Namenlos wurden durch den Bürgermeister Gräff u. den polit. Zellenwart, den Lehrer Deutschmann die letzten Formalitäten der Lebensmittelkarten erledigt, die übrigen standen auf der Straße herum, jeder bei seinem kleinen Gepäck. Da es dunkel war, konnte man die Gesichter nicht erkennen. Als ich mit Martha hinkam, traf ich erst wenige Menschen an. Mit uns kam grade auch Frau Siegert dazu. Ich rief in das kleine Häuflein Menschen mit sehr lauter Stimme „Heil Hitler“, – aber es wurde nur zaghaft geantwortet, auch Frau S. antwortete nicht. Kurz vor 5 Uhr fuhren alle los, es war inzwischen eine Ansammlung von 55 bis 60 Menschen geworden oder noch mehr, weil ja viele Angehörige mit dabei waren. Als Erster fuhr Spangenberg mit seinem Leiterwagen. Mit ihm fuhren Paul u. Trude Dade, die von ihrer Mutter gebracht worden war. Danach fuhr Paetow's Leiterwagen u. dann noch ein dritter Wagen, wie ich glaube, doch wartete ich diese nicht ab. Die jüngeren Mädchen, besonders die ortsfremden Dienstmädchen, markierten Lustigkeit. Der Bürgermeister klagte mir gegenüber, daß niemand dabei sei, der Mundharmonika spielte, – dann wäre die Stimmung besser.

     Nachmittags. Heute früh sind französische, amerikanische, englische u. kanadische Truppen in Südfrankreich gelandet. Der Widerstand von deutscher Seite ist schwach. In der Normandie ist nun auch eine französische Panzerdivision im Einsatz. General de Gaulle hat einen Aufruf zur Erhebung des ganzen französischen Volkes erlassen.

     Generalfeldmarschall Paulus ist mit sieben anderen Generalen dem Komitee Freies Deutschland u. dem Bunde kriegsgefangener deutscher Offiziere in Moskau offiziell beigetreten. Der Präsident, General v. Seydlitz, hat dazu eine Erklärung erlassen.

     In der Normandie sind die zurückweichenden Deutschen weiter eingeengt worden.

     Abends. Neues ist nicht bekannt geworden. Die Landung an der südfranz. Küste ist in etwa 150 km. Breite erfolgt im Raum zwischen Marseille u. Nizza, anscheinend ohne jede Schwierigkeit. – In der Normandie scheint die Einkesselung der 7. Armee ziemlich vollendet zu sein. Die Russen versuchen wieder in Richtung Lyck vorzustoßen. Auch in Estland scheinen sie in Richtung Dorpat vorzugehen. – Gestern u. heute haben sehr schwere Luftangriffe gegen Flugplätze in Belgien, Holland u. der deutschen Westgrenze stattgefunden, deren Sinn mir nicht klar ist. Ob es sich um die Vorbereitung neuer Landungen handelt? nicht ausgeschlossen!

     Uebrigens scheint Kesselring doch noch in Italien zu sein u. Marschall Graziani hat nur den Oberbefehl über die neuen italienischen Divisionen, die nach dem italienischen Zusammenbruch in Deutschland neu aufgestellt u. ausgebildet worden sind u. die nun in Italien neu eingesetzt zu sein scheinen.

[12]
Freitag, 18. Aug. 44.     

     Heute habe ich das Bildnis des alten Geistlichen fertig gemacht. Es ist sehr schön. Ein vom Leid durchpflügtes lächelndes Greisengesicht, das kaum noch etwas Irdisches hat. Der Maler Dr. Jaeger sah es heute, als er sich verabschiedete u. war sehr begeistert. Was mich freute, war, daß seiner Meinung nach von anderen Malern nichts Aehnliches gemalt würde, es sei, wie alle meine neuen Bilder, absolut orignal.

     Die Schlacht in der Normandie ist immer noch nicht beendet. Nach unseren Berichten werden stets alle Angriffe abgewehrt, aber die Engländer sprechen von einer vollständigen Einkesselung der 7. Armee bei Falaise u. daß sich östlich davon bis zur Seine ein zweiter Kessel bilde. Die Amerikaner stehen heute im Vorfelde von Paris u. werden morgen vielleicht den Stadtrand erreichen. In Paris selbst sollen Streiks ausgebrochen sein, auch die Polizei soll streiken u. überhaupt scheint in ganz Frankreich der Aufruhr begonnen zu haben. Besonders im Süden, wo die neue Landung offenbar rasche Fortschritte macht, scheint die Aufstandsbewegung sehr aktiv zu sein, ebenso in der Gegend von Clermont. Das ist die Gegend, in der Fritz sich befindet u. man kann oder muß in Sorge um ihn sein. Hoffentlich gelingt es ihm, unbeschädigt in Gefangenschaft zu geraten, das wird das Beste sein, was ihm passieren kann, denn es ist nicht zu erwarten, daß die dort stehenden Truppen den Anschluß an die Heimat finden.

     Im Osten haben die Russen nun die ostpreußische Grenze von Litauen her bei Wirballen erreicht. Damit wird der Krieg jetzt auf deutschen Boden getragen. Von Kurt traf heute ein Brief ein, in dem er die Erfolge der Russen auf die Ueberlegenheit an Menschen, Material u. Fliegern zurückführt. Das dürfte natürlich stimmen. Daß er aber der Zuversicht Ausdruck gibt, daß sich dieses Mißverhältnis nun bald zu unseren Gunsten ändern wird, ist eine unverzeihliche Dummheit.

     Eva Küntzel, die morgen wieder abreist, sagte heute, daß eine Nachricht von ihrem Vater eingetroffen sei. Nach dem verschlüsselten Wort, das wir verabredet haben, ist die Situation sehr schlecht.

     Ruth Bauknecht ist sehr unglücklich. Es ist kaum Hoffnung vorhanden, daß die Entfremdung gegenüber Erich überbrückt werden kann, besonders, da Erich den Ernst der Situation garnicht erkennt, sondern in seiner schwäbischen Oberflächlichkeit glaubt, es handele sich um eine vorübergehende Laune. So erlebt Ruth heute genau das Gleiche, was einst ihre Mutter erlebt hat. Sie wird sehr schweren Zeiten entgegengehen. –

     Es ist ein Segen, daß wir wenigstens das Geschäft geschlossen haben, so hat Martha wenigstens etwas Ruhe.

     Erich hat den Koks in den Keller gebracht, den man uns vor die Türe geschüttet hatte u. hat die Bäume im Hintergarten geschnitten, so daß der Blick aufs Meer wieder frei ist.

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Sonntag, 20. Aug. 44.     

     Gestern Nachricht von der Schwester des Pfr. Dobczynski, Gertrud, daß ihr Bruder krank geworden ist u. infolge dessen am 27. Aug. nicht herkommen kann, wie es verabredet war. Am 17. Aug. ist er den ganzen Tag über per Rad draußen gewesen zu Taufen u. sonstigen Amtshandlungen u. Krankenbesuchen usw. Es war u. ist in diesen Tagen überaus heiß. Abends bekam der Pfr. krampfartige Herzanfälle. Ein Arzt war erst am nächsten Morgen zur Stelle. Jetzt geht es ihm besser, aber er muß absolute Ruhe bewahren. – Habe ihm heute geschrieben.

     An Fritz geschrieben, von dem wir ebenfalls gestern Nachricht erhielten, Poststempel 12. Aug. – Er schreibt, daß sein Btl=Kommandeur durch Kopfschuß eines Heckenschützen beim Durchfahren eines Dorfes im Beiwagen=Krad gefallen ist. – Seit dem 20. Juli ist in der Armee der deutsche Gruß eingeführt worden, Fritz schreibt, es sei stillschweigend hingenommen worden. – Nachdem man eine Zeit lang anscheinend den Terroristen die Genfer Konvention zugestanden u. die Gefangenen nicht mehr erschossen hatte, ist jetzt diese Ansicht wieder aufgegeben worden. Es ist das schlimm für unsere Soldaten, die in die Hände der Terroristen fallen. – Fritz schreibt von größeren Ausfällen an Verwundeten, sie scheinen jetzt in einer besonders gefährlichen Gegend zu sein, – die Gegner fassen sie aber nie. – Er traf unterwegs mit dem San-Feldwebel Stegmüller vom anderen Bataillon zusammen, der Kaplan ist. Fritz hat sich eine Stunde mit ihm unterhalten u. schreibt: „Ach, war dieses Gespräch wohltuend“. – Mehrere Offiziere, Feldwebel u. Unteroffiziere seiner Einheit sind nach Clairmont-Ferrant in Untersuchungshaft wegen Plünderung u. Lebensmittel-Schiebung gekommen. Siebzig Mann seines Bataillons, sog. Beutesoldaten, Tartaren, Wolgadeutsche usw. sind zu den Terroristen übergelaufen. Die Einheit liegt still, weil sie kein Benzin haben. – Herr Goebbels hat die Stirn, in seinem Artikel im Reich zu schreiben, daß wir seit dem 20. Juli dem Siege erneut einen Schritt näher zum Siege getan hätten. Wohl, – aber nicht zu unserem Siege!

     Die Amerikaner stehen jetzt vor Paris, das sie anscheinend umgangen haben u. von Osten her kommen. Andere Abteilungen haben die Seine erreicht. Der Kessel bei Falaise scheint jetzt liquidiert zu sein. In Bulgarien scheinen jetzt ernsthafte Friedensverhandlungen in Gang gekommen zu sein.

     Gestern Abend waren Herr + Frau Bender bei uns. Heute Abend Grete, die uns Zander gebacken hatte.

Mittwoch, 23. Aug. 44.     

     An den Fronten nur Auswirkungen, keine neuen Entwicklungen. Die Umfassung unserer 7. Armee bei Falaise ist den Amerikanern nicht restlos gelungen, etwa die Hälfte der Armee ist ostwärts durchgebrochen, doch dürfte diese Hälfte sehr hohe Materialverluste gehabt haben. Es hat nun ein Wettrennen nach Osten begonnen, wobei die Amerikaner Paris im Norden u. Süden umgangen u. die Seine überschritten haben, während unsere Truppen über Rouen zurückströmen. Südlich der Loire sind die Amerikaner schon weit über Angoulème hinaus vorgestoßen. An der Südfront Vormarsch der Amerikaner [14] auf das Rhône-Tal. Truppen der franz. inneren Front haben Toulouse u. viele andere Städte Südfrankreichs in der Hand. – Im Osten keine wesentlichen Veränderungen. –

     Gestern kamen Herr + Frau Dr. Petersen u. brachten Grüße von P. Dubis u. P. Jaeger. Sie sahen meine Bilder.

     Es herrscht große Hitze u. Trockenheit, im Garten ist alles verdorrt.

     Gestern Unterredung mit Ruth. Sie wird es nicht leicht haben, ihr Lebensschiff durch die gegenwärtige Krise hindurch zusteuern.

     Ein neues Bild begonnen: „Verkündigung“ Es war im Entwurf schwierig, die erste Zeichnung machte ich bereits vor mehreren Wochen, doch war sie unbefriedigend. Habe viel daran geändert. Auch die letzte Zeichnung hatte große Mängel, bis ich zur jetzigen Fassung kam, von der ich glaube, daß sie einwandfrei ist.

Nachmittags:

     Paris ist nach viertägigen Kämpfen durch Streitkräfte der franz. inneren Front von den Deutschen befreit worden. An der Küste sind Engländer bis Trouville vorgestoßen. – Generalfeldmarschall v. Kluge, bisher Oberkommandierender im Westen ist abgesetzt, für ihn ist Generalfeldmarschall Modl eingesetzt, bisher an der mittleren Ostfront (Warschau). Dor soll Generalfeldm. v. Brauchitsch mit Generaloberst Halder wieder eingesetzt sein, es heißt, daß er Befugnis habe, seine Entschlüsse ohne Verständigung mit dem Führerhauptquartier zu fassen.

     Die Russen haben Jasi genommen.

[15]
Tagebuch.
Heft 15.

     Begonnen: 24. August 1944

     Geschlossen: 20. Januar 1945.

[16]
Donnerstag, 24. Aug. 1944.     

     Dieses Heft beginne ich mit der Nachricht von der Kapitulation Rumäniens. Es scheint, daß die Alliierten, die über dieses Ereignis bisher strengstes Stillschweigen bewahrt haben, weshalb die Nachricht einschlägt wie ein Blitz aus heiterem Himmel, den Rumänen sehr günstige Bedingungen gemacht haben. Besonders haben sie ihnen den Besitz von Siebenbürgen wieder zugesprochen, das ihnen durch unseren Schiedsspruch von Wien genommen worden war. – Mit der Kapitulation Rumäniens bricht die ganze Ostfront zusammen, – zunächst im Süden, denn die Rumänen wenden sich nun gegen Ungarn, um Siebenbürgen zu besetzen. Bulgarien wird jetzt keine andere Wahl mehr haben, als ebenfalls Frieden zu schließen, u. zwar so rasch wie möglich. Damit ist dann der ganze Balkan offen. Ungarn kann an unserer Seite einen aussichtslosen Krieg weiterführen, dann wird die neue Front an der Donau verlaufen; tut es das aber nicht, dann wird die neue Front dicht südlich Wien liegen. –

     Heute morgen wußten die deutschen Nachrichten noch kein Wort vom Fall von Paris, selbstverständlich noch weniger von der Kapitulation Rumäniens. Man darf annehmen, daß diese Nachrichten auf das ganze deutsche Volk äußerst deprimierend wirken werden.

     Heute von Fritz wieder Nachricht vom 12. Aug. Seine Truppe ist Gott sei Dank von der Terroristen=Bekämpfung zurückgezogen, sie liegt in einem Orte, [17] den er nur mit „I“ bezeichnet in einer Kaserne u. wartet auf Marschbefehl. Sie glauben, es ginge zur Verteidigung von Paris, – demnach wußten sie also am 12. Aug., daß Paris bedroht war. Hoffentlich ist die Truppe auf diese Art wenigstens aus dem mittelfranz. Gebiet heraus u. mehr nach Osten gekommen.

     Die Amerikaner haben Marseille genommen, sodaß sie nun einen großen Hafen haben. Sie sind jetzt nach Norden bis dicht vor Lyon gekommen. Eine Vereinigung der von Norden nach Süden vorstoßenden Amerikaner mit den von Süden kommenden muß in diesen Tagen stattfinden.

Sonnabend 26. Aug. 44.     

     Der deutsche Rundfunk hat uns die Nachricht von der Kapitulation Rumäniens in der Form gebracht, daß gesagt wurde, es sei in Rumänien eine nationale Regierung gebildet worden. Erst dann wurde gesagt, das der König von R. uns verraten hätte, aber es wurde so dargestellt, als wenn das ganze rumän. Volk diesen Verrat nicht mitmachte sondern treu zu Deutschland, sprich Hitler, stehe u. als ob das Ganze nicht weiter von Bedeutung wäre. – Inzwischen ist es zu Zusammenstößen deutscher u. rumän. Truppen gekommen, da die deutschen Truppen versuchten, die Rumänen zu entwaffnen, wie sie es s. Zt. in Italien gemacht haben. Infolgedessen hat Rumänien jetzt Deutschland den Krieg erklärt. Dieser Zusammenbruch ist nun wirklich total, denn es wird nicht gelingen, auch nur einen Offizier oder Soldaten von der Südfront nach Deutschland zu bringen, geschweige denn die Panzen, Kanonen u. sonstigen Waffen.

     In Nordfrankreich sind nun die Reste der 7. Armee, die sich aus dem Kessel von Falaise noch gerettet hatten, am Unterlauf der Seine von Neuem eingekesselt. Weiter südlich haben die Amerikaner Troyes erreicht u. nähern sich damit immer mehr der deutschen Grenze. –

     Gestern Abend waren Herr u. Frau Dr. Petersen bei uns. Schade, daß dieser sonst recht intelligente Mensch so furchtbar eitel ist. – Heute Mittag besuchte mich Tommy Abeking. Ich zeigte ihm meine Bilder u. er freute sich. –

     Gestern Vormittag fuhren Ruth u. Erich mit Ortrun wieder ab. Eine Stunde später flogen starke amerikan. Verbände ein, auch Rostock wurde angegriffen. Wie ich höre, ist wegen des Alarms der Dampfer erst gegen 3 Uhr aus Wustrow ausgefahren, sodaß Bauknechts wohl die Nacht in Berlin geblieben sein werden. Berlin hat aber in der Nacht auch wieder Alarm gehabt.

     Seit gestern bin ich wieder mit meiner Staffelei in mein altes Atelier gezogen u. freue mich des guten Lichtes dort. Leider habe ich kein Malmittel mehr.

Sonntag, 27. Aug. 1944.     

     An der Andacht nahmen Herr u. Frau Dr. Petersen teil, außerdem Carmen Grantz u. Grete. Frau Dr. Petersen, die übrigens immer noch nicht katholisch geworden ist, bat nach der Andacht um eine persönliche Unterredung. Wir verabredeten morgen Nachmittag zwischen 5 – 6 Uhr.

     Gestern Nachmittag war übrigens Lore Ziel bei uns. [18] Sie hatte viele religiöse Fragen, über die ich nicht wenig erstaunt war, – ich hatte nicht gewußt, daß dieses Mädchen sich so ernsthaft mit dergleichen abgibt. Sie bat um die Erlaubnis, jedesmal wieder zu mir kommen zu dürfen, sooft sie von Berlin herüberkommt. –

     In der letzten Woche sind anscheinend sämtliche früheren Abgeordneten der Linksparteien aus dem Reichstag wie aus den Landtagen, sowie anscheinend auch aus den Kreistagen u. Kommunalparlamenten verhaftet u. hinter Schloß u. Riegel gesetzt worden. In Ribnitz allein sollen fünfzehn Verhaftungen vorgenommen worden sein. Hier bei uns hat man Herrn Jesse aus Rostock verhaften wollen, doch heißt es, daß er vorher ausgerissen wäre. Sein Haus liegt dicht am Walde, sodaß er bloß über seinen rückwärtigen Zaun klettern brauchte, um zu verschwinden, jedoch weiß ich nicht, wie u. wo er sich dauernd verbergen will. In Althagen haben sie Herrn Zelk verhaftet, der dort schon seit mindestens 2 Jahren lebt, seitdem er ausgebombt ist.

     Heute Nacht wieder Fliegeralarm, sehr früh, schon gegen 11 Uhr, Entwarnung gegen 12 Uhr. Man hörte nichts, jedoch rüttelten lange Zeit meine Fensterrahmen. Man sagt, Königsberg u. Kiel seien angegriffen worden. Heute Mittag 1 Uhr wieder Alarm, bis jetzt 1/2 3 Uhr, noch keine Entwarnung. Die Luftlagemeldung lautete um 1 Uhr einen Feindverband über Nordwestdeutschland u. einen zweiten im Anflug auf Westdeutschland. Um 2 Uhr hieß es, daß der erste Verband über Nordwestdeutschld. jetzt über Dänemark sei, der zweite Verband habe nach Nordwestdeutschland abgedreht, ein dritter, schwächerer Jagdverband sei über Südwestdeutschland. Es scheint demnach ein beängstigendes Interesse für die Deutsche Bucht u. Dänemark vorzuliegen. Ist es der Auftakt einer Landung in Dänemark? –

     Bulgarien hat nun offiziell ein Gesuch um Waffenstillstand überreicht. Churchill ist in Rom vom Hl. Vater in Audienz empfangen worden, die Unterredung hat 3/4 Stunden gedauert. –

     Mittags im Kurhaus trafen wir Dr. Meyer, der wie wir sonntags mit seiner Familie dort ißt. Er meinte scherzhaft, er wundere sich, mich noch zu sehen. Ich verstand, daß er sagen wollte, er wundere sich, daß ich noch nicht irgendwie vom totalen Kriegseinsatz erfaßt worden sei, – aber nein, – er spielte auf die zahlreichen Verhaftungen aller ehemaligen, links gerichtet gewesenen Politiker an.

     Ich hörte heute, daß Herrn Jesses Haus unter ständiger Bewachung liegen soll. –

     Im Westen scheinen unsere Armeen in vollem Rückzug auf die Rheingrenze zu sein, im Südosten stehen die Russen an der Donaumündung u. dicht vor Galatz.

Mittwoch, 30. August 1944.     

     Montag Abend Gewitter mit Sturm u. viel Regen, sodaß die Lichtleitung kaputt ging u. erst Dienstag Nachmittag wieder in Ordnung gebracht werden konnte. Inzwischen sind die Amerikaner weiter vorgedrungen, haben Laon besetzt, sind östlich über Reims hinaus u. auch Chalons an der Marne ist in ihrer Hand. Offenbar wiederholen sie das Manöver, was sie schon westlich der Seine exerziert haben. Sie werden auf St. Quentin u. Amiens vorstoßen, um so die [19] letzten Reste unserer Armee, die sich noch über die Seine gerettet hatte, vor der Somme abzufangen, wobei Amiens dieselbe Rolle spielen wird, wie Rouen an der Seine. Nur daß bei diesem Manöver der große Hafen Le Havre in die Hände unserer Gegner fallen wird, wodurch sie dann die wirklich leistungsfähige Verbindung mit England haben. Bei ihrem Vormarsch fallen unseren Gegnern natürlich auch mehr u. mehr Abschußrampen unserer V1=Waffe in die Hände, sodaß der Beschuß bereits nachgelassen hat. Sobald die Amerikaner die Somme überschritten haben werden, wird es damit überhaupt vorbei sein u. diese „kriegsentscheidende“ Waffe ist wieder mal am Ende.

     In Rumänien haben die Russen Konstanza besetzt u. stehen dicht vor Ploesti. In unseren Berichten wird nach wie vor so getan, als wären wir in Rumänien Herren der Lage. – Die Bulgaren sind gegenwärtig dabei, ihre Truppen aus Griechenland u. Jugoslawien zurückzuziehen. Der Waffenstillstand dürfte unmittelbar bevorstehen. Man kann gespannt sein, in welcher Art uns das beigebracht werden wird, – bis jetzt nehmen die Zeitungen noch garkeine Notiz davon. – In Ungarn, das wir ganz mit SS=Truppen besetzt haben, soll die Regierung zurückgetreten sein u. in der Slowakei soll es ebenfalls bereits zu Zusammenstößen gekommen sein.

     In der letzten Nacht griffen amerikan. Flugzeuge Königsberg u. Stettin an, auch Kiel. Diese Stadt wurde auch heute Vormittag wieder angegriffen, dazu Bremen. Das alles sieht sehr danach aus, als bereite man langsam die neue Landung in Dänemark vor.

     Heute habe ich das Bild „Verkündigung“ vollendet. Es ist nicht ganz nach meiner Zufriedenheit, die Maria ist mir zu konventionell, ich werde dieses Bild gelegentlich noch einmal malen müssen, aber ganz anders. Der verkündende Engel ist schon besser.

     Hier im Dorf fangen nun die Nazis an, sich gegenseitig anzupöbeln u. sich mit Verhaftung zu bedrohen. Der Prof. Dr. Reinmöller, dieser blutrünstige Obernazi, ist wütend, weil seine sogenannte Hausdame, Frl. Schröder, nach Schneidemühl zum Schippen gekommen ist. Er hat sich deshalb mit dem Bürgermeister angepöbelt u. hat ihn beleidigt, wie das bei diesem Kerl nicht anders zu erwarten ist. Herr Gräff hat ihm erwidert, daß er ihn verhaften lassen würde. Es ist sehr belustigend, zu sehen, wie diese beiden politischen Freunde den Dorfbewohnern ein Schauspiel geben. – Wäre es nicht grade die Bettgenossin des Herrn Professor gewesen, die zum Schippen gehen mußte, dann hätte dieser Herr an dieser ganzen Schipperei u. der Drückebergerei sämtlicher Nazis im Ort nicht den geringsten Anstoß genommen, – aber so ist das natürlich etwas anderes.

     Gestern Abend besuchte uns Frau Boroffka u. langweilte uns zwei Stunden lang entsetzlich.

     Nachmittags war abermals Fliegeralarm, doch ist nicht bekannt, wo sie waren.

     Von Ruth + Erich bekamen wir Montag telegraphische Nachricht, daß sie am Sonntag um 3 Uhr früh endlich in Regensburg angekommen sind. Sie fuhren Freitag um 10 Uhr Vormittags hier ab, waren also 41 Stunden unterwegs u. das mit der kleinen Ortrun.

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Donnerstag, 31. Aug. 44.     

[20]      Heute Vormittag nochmals an der „Verkündigung“ gearbeitet, den Kopf der Maria farbiger gemacht u. sonst noch einige Unebenheiten ausgeglättet, wodurch der Gesamteindruck nun doch wesentlich verbessert worden ist, sodaß ich jetzt mit dem Bilde ganz zufrieden bin. Daß die Maria in der Haltung konventionell ist, braucht kein Fehler zu sein. Diese Haltung ist nun einmal festgelegt. Der Verzicht auf eine individuelle Auffassung kommt schließlich dem Eindruck der Einfachheit zugute u. diese schlichte Einfachheit ist hier doch etwas Wesentliches. –

In der DAZ ist heute ein Artikel des SS=Kriegsberichterstatters Fernan (oder Fernau) über „Das Geheimnis der letzten Kriegsphase“. Man faßt sich an den Kopf. Dieser Mann betrachtet den Krieg nach dem Prinzip der Schaukel: erst waren wir oben, jetzt sind es die anderen, folglich wird die Zeit kommen, wo wir wieder oben sein werden. In diesem Sinne deutet Herr F. die neuen Waffen an, also V2, die demnächst kommen werden. – Von V1 hatten die Leute bereits die entscheidende Wendung des Krieges erwartet, – sie ist ausgeblieben; also wird es nun V2 sein. – Es mag wohl sein, daß Hitler, der ja schließlich wissen muß, daß er mit dem Rücken an der Wand kämpft, jetzt jegliche Scham verliert u. den Gaskrieg beginnen wird. Es wird darüber ja schon allerhand gemunkelt. Es wäre grauenhaft. Es ist natürlich einfach, die V1=Bombe mit Gas zu füllen, aber eine entscheidende Wirkung kann das nicht haben. Gasbomben sind nur wirksam, wenn sie konzentriert verwendet werden, das aber können wir nicht, – die andern aber können es, u. sie werden es tun.

     Man sagt, Herr Jesse wäre in Güstrow verhaftet worden. Wullenbecker erzählt mir, Jesse habe seinen Wagen hier stehen gehabt u. er sei mit dem Wagen gefahren, so lange er Benzin gehabt habe. Er hat das Fahrrad mit auf dem Wagen gehabt. Als das Benzin alle war, hat er den Wagen stehen lassen u. ist per Rad weitergefahren. Wullenbecker hat ihn im Wagen gesehen. Der Mann muß total den Kopf verloren haben, – er hätte sich doch einfach verhaften lassen müssen.

     Am Abend wird bekannt, daß die Angloamerikaner bereits Amiens besetzt u. die Somme überschritten haben.

     Abends waren Herr + Frau Dr. Petersen bei uns zum Abschied, sie reisen Sonnabend nach Berlin zurück, sehr voll Sorge um die Zukunft. Dr. P. will wissen, daß V2 darin besteht, daß der Luft in sehr großem Umkreis der Sauerstoff entzogen wird, sodaß alles erstickt. Ein wahrhaft teuflischer Gedanke.