Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-10
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: Oktober 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Oktober 1943
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Einführung

Der Artikel TBHB 1943-10 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Oktober 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 6 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Sonntag, den 3. Oktober 1943.     

[1]      Am Mittwoch kam überraschend Fritz, nachdem er schon am Montag von Berlin aus angerufen hatte. Er hat es ermöglicht, einen Sonderurlaub zu erhalten zur Regelung seiner Ehe-Angelegenheit. In Berlin konnte er feststellen, daß Bohners bereits einen Rechtsanwalt genommen u. eine Ehescheidungsklage vorzubereiten begonnen hatten. Da es ihnen an jeglichen stichhaltigen Gründen fehlte, machte Herr Dr. B. Fritz gegenüber Einschüchterungsversuche, indem er mit der Anzeige gewisser innerer Vorgänge in der Bunten Stube drohte, in die Margret im Sommer Einblick bekommen hatte. Fritz, der nach Berlin gekommen war in der Hoffnung, doch noch alles wieder einränken zu können, war wie aus den Wolken gefallen. Nachdem er mit Margret gesprochen u. diese ihn kalt u. verletzend behandelt hatte, überzeugte er sich, daß eine Aufrechterhaltung dieser Ehe unmöglich war u. erklärte sich bereit, in die Scheidung einzuwilligen. Er ging mit seinem Schwiegervater zu dessen Rechtsanwalt, der die Sache bereits bearbeitet hatte u. der Fritz einen Kollegen benannte, welcher seine Interessen wahrnehmen sollte. Nach Fritzens Schilderung sind diese beiden Anwälte die einzigen anständigen Menschen in diesem ganzen Spiel. Fritz erklärte sich bereit, eine formelle Schuld auf sich zu nehmen, indem er zugab, mit einer nicht genannten und erfundenen Nachrichten-Helferin in Frankreich inzwischen Beziehungen angeknüpft zu haben. Herr Dr. B. erklärte, die sämtlichen Kosten tragen zu wollen u. seine Tochter solle nicht das Recht haben, den Namen Wegscheider weiter zu tragen. – Ob das Gericht sich damit begnügen wird, die angebliche Beziehung zu dieser nicht genannten Nachrichten-Helferin als einzigen Scheidungsgrund gelten zu lassen, ohne darauf zu bestehen, daß diese fingierte Person als Zeugin vernommen wird, bleibt abzuwarten. Früher wäre das unmöglich gewesen, aber im nationalsozialistischen Staat mag das ja gehen. – Nachdem Fritz das geregelt hatte, kam er zu uns u. reiste gestern Vormittag wieder ab. Der arme Kerl ist wirklich zu bedauern. Er war überaus niedergeschlagen. Aber es ist das erste Mal, daß ihm etwas wirklich bis in die innerste Seele gegangen ist u. wir erhoffen davon, daß es eine Wendung für ihn bedeuten möge. Er wird vielleicht dadurch zu einer ernsteren u. tieferen Lebensauffassung gelangen – u. dann möge dieses Unglück gesegnet sein. – Ich habe ihm die Bekenntnisse des hl. Augustin als Lektüre mitgegeben.

[2]      Unsere Andacht heute morgen war wieder sehr schön, meine Ansprache war vielleicht etwas zu lang. Es waren da: Frau Monheim mit ihrer Tochter u. Berni, Frau Marianne Clement, geb. Ziel u. die beiden Kinder Bierwirt, außerdem Schw. Maria, die in dieser Woche endgültig abreisen wird. – Frau Vogt, die das letzte Mal so begeistert war, erschien nicht. Sie ist eben doch sehr unzuverlässig. Ebenso kam Frau Sommerhof nicht, sie kam vorher u. sagte, sie müsse die Milch für ihre Kinder holen, was ziemlich lange Zeit in Anspruch nimmt. Sie wollte dann noch kommen, aber es gelang ihr dann wohl nicht. – Heute Nachmittag werden wir bei Frau Monheim Kaffee trinken.

Freitag, den 8. Oktober 1943.     

     Am Dienstag den 5. Okt. war Pfr. Dobzcynski hier u. las eine hl. Messe. Wir haben jetzt den Altar der Aquinata=Schwestern hier, der dauernd im Wohnzimmer steht, denn die Schwestern sind nun am Mittwoch endgültig fort. Schw. Marie=Luise war hier u. hat alles zusammengepackt, die Sachen stehen noch in einem Zimmer des Hauses, weil ein Abtransport gegenwärtig nicht möglich ist. Außer dem Altar haben wir den Koffer mit den Paramenten u. den Kelch u. den Altarstein. –

     Zur Messe waren ziemlich viele Menschen. Frau Monheim mit Ingrid, die alte Frau Longard mit ihrer Enkelin, Frau Krappmann, Frau Vogt, Frau Sommerhof, Frau Beichter mit der kleinen Marianne, die beiden Aquinataschwestern Marie-Luise und Maria u. das Mädchen Viktoria. – Der Pfarrer will Anfang November noch einmal wiederkommen, nachdem er diese rege Beteiligung gesehen hat. Es waren fünf Kommunionen. Frau Vogt hat nach der Messe mit ihm gesprochen u. hat dann gebeichtet, – so ist sie nun endlich wieder fest an die Kirche gebunden. –

     Gestern Abend war Prof. Heydenreich u. seine Frau bei uns. Leider kommen diese Menschen immer so spät, daß sie dann bis tief in die Nacht dableiben. Prof. H. war sehr erschüttert über die eben erhaltene Nachricht, daß sein bester Freund, der als Kunsthistoriker am deutschen Institut in Florenz tätig ist, bei einem Bombenangriff umgekommen ist, mit ihm ebenfalls der Direktor am deutschen Institut in Rom. Näheres wußte er nicht; aber aus dem Umstande, daß diese beiden Herren anscheinend zugleich den Tod gefunden haben, scheint hervorzugehen, daß dieses Unglück wahrscheinlich in Bozen passiert ist, wohin die ganze deutsche Gesandtschaft sich damals zurückgezogen hatte, als der Umschwung in Italien eintrat. Bozen ist dann von den Engländern mehrfach schwer bombardiert worden. – Merkwürdigerweise hatte, jener Professor aus Florenz seinem Freunde H. vor nicht langer Zeit eine Art letzte Verfügung gesandt, in der er ihm seine Verfügungen über seine Bücher etc. u. über noch nicht vollendete Arbeiten mitteilte.

Sonntag, den 10. Oktober 1943.     

     Gestern Vormittag, etwa 1/2 11 Uhr, flog ein Geschwader von 120 schwerer, amerikanischer Bomber über unseren Ort, von Westen kommend, nach Osten, also Richtung Stettin. Bis jetzt ist Näheres noch nicht bekannt geworden. Die Maschinen flogen garnicht sehr hoch bei klarstem Wetter u. Sonnenschein, sodaß man sie vorzüglich sehen konnte.

     Heute früh war unsere Andacht schwach besucht nur Frau Monheim mit Ingrid u. Berni u. die kleine Marianne. Ich hatte bestimmt angenommen, daß Frau Smith kommen würde, nachdem sie seit einigen Tagen hier ist u. uns zu heute Nachmittag zum Kaffee eingeladen hat; aber weder sie noch Frau Krappmann war da. – Martha ist schwer erkältet, lag gestern im Bett, heute geht's etwas besser.

     Man hatte angenommen, daß die russische Offensive am [3] Dnjeper zum Stehen kommen würde, doch scheint das nicht der Fall zu sein. Es ist ihnen gelungen, nördlich u. südlich von Kiew u. unterhalb von Krementschug Brückenköpfe zu bilden. Wir haben unseren Kuban-Brückenkopf gegenüber Kertsch aufgegeben u. falls es den Russen gelingt, über die gebildeten Brückenköpfe hinaus weiter vorzustoßen, dann ist die ganze Krim verloren. Es kann dann leicht geschehen, daß dann eine planmäßige Räumung der Krim garnicht mehr möglich ist. Gleichzeitig scheinen die Russen nun einen Angriff auch im Norden in Richtung Pleskau zu beginnen. Ein Durchstoß an dieser Stelle zum Peipussee würde dann die ganze Armee bei Petersburg abschneiden u. könnte eine große Katastrophe werden. Zum Winter, wenn erst die Sümpfe zugefroren sein werden, ist mit einem solchen Versuch bestimmt zu rechnen.

     Die Engländer kommen in Italien nur langsam vorwärts. Sie haben sich das wohl anders gedacht.

Montag, 11. Oktober 1943.     

     Gestern Nachmittag bei Frau Smith zum Kaffee. Außer Krappmanns war ein Graf Suroff oder so ähnlich da, ein Freund von Frau S., Kunsthistoriker, Russe, ein fein gebildeter, intelligenter u. äußerst sympathischer Herr. Bohnenkaffee u. vorzüglichen Kuchen, – Käsekuchen, Apfelkuchen, Streußelkuchen. Nachher tranken wir eine Flasche Sekt mit Rotwein, den wohl Dr. Krappmanm spendierte. Es war wie immer bei Frau Smith überaus anregend u. unterhaltsam, diesmal besonders durch den Grafen. Frau Smith hatte den großen Angriff der Engländer gegen Simensstadt miterlebt, da ihr berliner Haus in Westend dicht neben Simensstadt liegt. Sie erzählte sehr lebendig von dieser Schreckensnacht, die furchtbar gewesen sein muß. Ihr Haus gehört zu den wenigen, die nicht total vernichtet sondern bloß demoliert sind. – Graf S. erzählte aus Rußland. Abgesehen davon, daß der Bolschewismus dort eben ein ausgesprochen asiatisches Gesicht hat, scheint mir das Ganze nicht viel anders als bei uns in Deutschland zu sein. – Wir waren erst 1/4 nach 8 Uhr wieder zu Hause. – Die anregende Unterhaltung, der Bohnenkaffee u. die schön geheizten Zimmer bei Frau Smith haben Marthas Erkältung recht gut getan.

Sonnabend, den 16. Oktober 1943.     

     In dieser Woche habe ich seit vielen Jahren wieder einmal zu malen versucht. Durch Hülsmann habe ich gutes Aquarellpapier bekommen und auch Aquarellfarben. Der erste Versuch mißlang vollständig, einen zweiten Versuch habe ich gleichfalls aufgeben müssen. Die Technik ist schwierig – aber vor allem schlage ich mich noch mit Kompositionsproblemen herum. Wenn man in Oel malt, kann man das während dem Malen tun, beim Aquarell soll aber alles gleich sitzen. Gestern betrachtete ich Reproduktionen nach Picasso u. es wurde mir einigermaßen klar, woran ich gescheitert bin, nämlich an den Formen, die in's Bild hineingehen, also hier hauptsächlich am Vorder= u. Mittelgrund. Es handelte sich um einen Weg u. eine Wiese, die vom Vordergrund in den Mittelgrund reichen. Dergleichen kann Picasso offenbar auch nicht lösen.

     Gestern feierten Martha u. ich unseren einjährigen Hochzeitstag. Wir hatten Dr. Krappmann + Frau eingeladen, die vor einem Jahre auch unsere Gäste waren. Dr. K. war Trauzeuge gewesen. Dazu hatten wir Frau Monheim gebeten u. Frau Smith. Letztere kam nicht, weil sie erkältet war. – Ich hatte sehr viel Blumen aus dem Garten geholt, – es waren so ziemlich die letzten. Wir gaben echten Tee mit Kognak, dazu zwei Apfeltorten, die unsere Trude sehr schön gemacht hat. Frau Krappmann brachte ebenfalls eine Apfeltorte mit. Wie tranken dann eine Flasche Pommery mit Rotwein gemischt. Es war sehr angeregt, die Gäste gingen erst um 1/2 1 Uhr.

[4]
Sonnabend, den 23. Okt. 1943.     

     Am Mittwoch Abend war Frau Boroffka bei uns, offenbar, um von mir etwas über Religion zu hören. Am Donnerstag Abend dasselbe mit Frau Marianne Clemens, geb. Ziel, deren Junge bei mir im Religionsunterricht ist. Sie war auch schon zweimal bei unserer Sonntags-Andacht zugegen u. es scheint so, als sei sie überaus begierig, über Religion unterrichtet zu werden. Sie stammt aus einem sehr liberalen Elternhause u. hat dort niemals religiöse Unterweisungen erhalten. Sie weiß also überhaupt garnichts. Der Mann ist Rechtsanwalt in Hmb. u. so weit ich ihn kenne, ist er ein überaus anständiger Kerl. Ich habe mich bereit erklärt, ihr wöchentlich einmal Abends religiöse Unterweisungen zu geben. –

     Heute soll die Mutter von Jens Wegscheider herkommen, sie will wohl 8 Tage bleiben u. wir werden dann besprechen, was aus dem Jungen werden soll. Wie ich aus den Reden von Jens entnehmen kann, ist sie überaus nationalsozialistisch gesinnt. Das kann gut werden!

     Dr. Wessel soll mir heute einen Zahn ziehen u. auch sonst meine Zähne in Ordnung bringen. Ich werde 14 Tage ohne Zähne auskommen müssen, weil an meiner Prothese ein Stück angesetzt werden muß.

     Gestern Mittag kamen Erich Seeberg + Frau. Erich wollte wissen, wie die Sache zwischen Fritz + Margret steht, er wußte noch nicht, daß die Ehe bereits am 7. Oktober rechtskräftig geschieden worden ist. Er ist nach wie vor voll hellster Empörung über Bohners u. hat seiner Schwester gegenüber brieflich dieser Empörung Ausdruck gegeben.

     Es ist mir zu Ohren gekommen, daß einige Klatschweiber im Dorfe sich die Mäuler zerschlagen über den Religionsunterricht, den ich den Kindern gebe. Vor allem scheint es diese Frau Siegert zu sein, die als Nationalsozialistin eine Rolle spielt u. furchtbar angibt. Was die Weiber das bloß angeht?

Sonntag, den 24. Oktober 1943     

     Wieder sehr schöne Andacht, auch Frau Marianne Clemens war da u. schien sehr aufgeschlossen zu sein. Die treueste Mitarbeiterin ist aber Frau Monheim, die keinen Sonntag vergehen läßt, ohne zur Andacht zu kommen.

     Der Klatsch im Dorf über den Religionsunterricht geht fröhlich weiter. Martha hat mit dem Lehrer Deutschmann gesprochen, dem die Sache auch bereits zu Ohren gekommen ist. Wir hatten ihn vorsichtshalber gleich zu Beginn des Unterrichts über die Sache informiert u. er hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt; aber nun war doch zu merken, daß er Angst hatte u. vor dem Klatsch u. Frau Siegert zurückweichen wollte. Gestern Nachmittag war aber Frau Prof. Marie Seeberg bei Martha. Sie ist Nationalsozialistin, oder wenigstens steht sie dieser Bewegung positiv gegenüber u. verkehrt darum mit Frau Siegert. Martha hat ihr von diesem Klatsch erzählt u. hat ihr gesagt, daß es sich dei dem Unterricht nur darum handele, daß der Vater von Jens mich gebeten hat, seinem Jungen Religionsunterricht zu geben u. daß daraufhin andere Mütter mich gebeten hätten ihre Kinder daran teilnehmen zu lassen, – daß also diese Sache keinen anderen Menschen etwas anginge. Frau S. rief dann noch am Abend bei uns an u. teilte mit, daß sie bei Frau Siegert gewesen wäre u. daß nun alles in Ordnung sei. Es scheint also, als ob diesem übelsten u. gehässigsten Weibe erst mal der Mund gestopft wäre. –

Jens' Mutter kam gestern Nachmittag. Sie ist, Gott sei Dank, keine Nationalsozialistin, wie ich geglaubt hatte. Sie gehört zu den Vielen, deren Leben völlig verfahren ist, es erscheint alles ziemlich auswegslos. Furchtbar ist dieses Elend der Menschen, die dem Zeitgeist verfallen sind u. nun vor völliger Ausweglosigkeit stehen.

[5]
Sonnabend, 30. Oktober 1943     

     Jens Mutter ist Freitag früh wieder abgereist. Sie war uns als Gast nicht störend. Sie ist eine ganz problemlose Frau, von bestem Willen beseelt u. hat auch anscheinend keine unmöglichen Vorstellungen vom Leben. Sie scheint auch eine gute Hausfrau zu sein, verschwendet nicht u. gibt sich große Mühe um ihre Kinder. Wenn Klaus mit ihr nicht ausgekommen ist, so muß wohl die größere Schuld an ihm selber liegen. Leider scheint die Sache jetzt so verfahren zu sein, daß ein Einränken schwer ist. Nach dem, was ich herausgehört habe, hat Klaus in der Tat Erziehungsprinzipien, die wirklich unmöglich sind, – u. das ist sicher nicht übertrieben. Er betrachtet die Erziehung ganz vom Standpunkt des Nervenarztes u. ist von seinen wissenschaftlichen Vorurteilen u. Theorien so besetzt, daß er das Einfache u. Natürliche nicht mehr sieht. Der Fall liegt wieder einmal so, daß das Problem mit natürlichen Mitteln überhaupt nicht zu lösen ist, sondern nur vom Glauben her. Es müssen Opfer gebracht werden, deren Sinn der natürliche Verstand nicht einsieht.

     Gestern Nachmittag trafen wir Erich Seeberg. Wir machten bei dem herrlichen Wetter, das wir gegenwärtig haben, einen kleinen Spaziergang. S. erzählte mir, daß er einen Brief von seiner Schwester erhalten habe, der verschiedene Anklagen gegen Fritz enthalte. Ich muß heute Vormittag zu ihm gehen, da diese Anschuldigungen offensichtlich erlogen sind.

     Frau Siegert hat ihren Klatsch gegen den Religionsunterricht trotz der Einmischung von Frau Marie Seeberg fortgesetzt u. hat dabei nun auch den politischen Leiter, den Lehrer Deutschmann, mit Drohreden bedacht. Dieser hat nun Angst bekommen. Er war gestern Abend bei mir, um mich zu bitten, den Unterricht einzustellen. Er beruft sich auf ein Gesetz aus dem Jahre 1872, nach welchem jeder, der irgend einen Unterricht erteilen will, dazu einen Erlaubnisschein haben muß. Einen solchen habe ich natürlich nicht u. es ist aussichtslos, einen solchen zu beantragen. Auf jeden Fall liegt die Sache so, daß diese Frau Siegert den weiteren Unterricht verhindern kann, wenn sie sich dieserhalb an die politische Behörde bzw. an die Partei, wendet, denn dann wird der Unterricht glatt verboten, ob mit oder ohne Erlaubnisschein, denn es genügt, wenn auch nur Einer daran Anstoß nimmt. Es wird dann daraus sofort eine öffentl. Volksmeinung gemacht. – Herr D. war überaus wohlwollend, aber da er Angst hat, kann man nichts machen. Wenn ich den Unterricht trotzdem fortsetze, dann kann er sagen, er hätte es mir verboten u. man könnte mich dann im Gefängnis festsetzen. – Es wird ja wohl nicht mehr allzu lange dauern! –

     Unsere Front im Osten sieht sehr böse aus. Es ist nicht gelungen, die Dnjeprlinie zu halten. Die Russen stehen jetzt dicht nördlich von Krivoi Rog, bis wohin sie von Krementschug von Norden her durchgebrochen sind u. am Asowschen Meer sind sie, nachdem sie Melitopol genommen haben, ebenfalls stark im Vordringen auf die Krim zu. Es scheint kaum möglich, diese Stellungen jetzt zu halten, es wird eine neue „Frontverkürzung“ am Bug nötig sein. – In Italien dagegen scheinen wir unsere Stellungen gut zu halten. Die Engländer u. Amerikaner sind doch minderwertige Soldaten. Zwischen dem Befehlshabern im Süden, Kesselring, u. im Norden, Rommel, scheint es Differenzen gegeben zu haben, jedenfalls sagt man, daß Kesselring abberufen worden sei. –

Sonntag, den 31. Oktober 1943.     
Christkönigsfest     

     Unsere Andacht heute Morgen war spärlich besucht. Frau Monheim, die allzeit Treue, konnte nicht, da sie Besuch hatte, ihr Junge Herbert krank ist u. das Mädchen sich die Füße verbrüht hat. Frau Marianne Clemens konnte nicht, da ihr Mann auf 3 oder 4 Tage auf Urlaub war. So kam nur Frau Birwirth mit ihrer Tochter Marianne. Trotzdem war es schön. Die letzten Blumen aus dem Garten. Es ist plötzlich kalt geworden, nachdem wir bis gestern fast Sommerwetter hatten.

     Gestern Vormittag bei Erich Seeberg. Klärte verschiedene Dinge auf, die Frau Bohner total falsch dargestellt hat. Ich erfuhr dort, daß [6] Margrets Schwester Christa Schmitthals am Nachmittag kommen würde, um Margrets Sachen zu holen. Sie hatte zuerst bei Frau Prof. Marie Seeberg angefragt, ob sie dort wohnen könne. Nachdem ihr das abgelehnt worden war, fragte sie dasselbe bei Erich Seeberg mit demselben Erfolg. Sie wohnt nun, so viel ich weiß, bei Frau Garthe. Heute Mittag rief sie bei uns an u. meldete sich für 3 Uhr an. Martha ging rüber in's kleine Haus u. hat ihr das Notwendigste gesagt, sonst aber jede Unterhaltung abgelehnt. Ich habe sie nicht gesprochen, doch wird sie wohl noch 3 – 4 Tage hier bleiben.

     Nachmittags waren Herr u. Frau Söhlke zum Tee bei uns. Diese sonst sehr gleichgültigen, uninteressanten Leute geben sich große Mühe um uns. – Mittags an Klaus geschrieben u. ihm über seine Frau u. deren Besuch berichtet. –

     Von Dr. Krappmann bekam ich ein Buch von Jacques Bainville: Geschichte zweier Völker, geliehen. Es hat mich ungemein interessiert, da es alle meine Gedanken über die Politik Deutschlands seit Friedrich d. Gr. u. schon früher, besonders über Bismarck, enthält, dieselben aber sehr klar u. wissenschaftlich unterbaut, wozu ich mangels genügender Kenntnisse nicht in der Lage bin. Um so mehr hat mich die Lektüre erfreut.