Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-07-31
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: Sonnabend, 31. Juli 1943.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 31. Juli 1943
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Einführung

Der Artikel TBHB 1943-07-31 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 31. Juli 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Sonnabend, 31. Juli 1943.     

     Gestern Abend waren bei uns zu Gast: Erzpriester Feige, Pater Dubis S. J., – u. uneingeladen kamen zu kurze Zeit dazu Dr. Krappmann u. Frau. Wir tranken den Nahewein, den Vater Bohner zu Fritzens Hochzeit besorgt hatte u. von dem noch ein paar Flaschen übrig waren. Bei der gegenwärtigen Hitze war das ein großer Genuß. – Die Gespräche galten natürlich ausschließlich der politischen Lage. Dr. K. gab dabei zum ersten Male einen auf wirklicher Beobachtung fußenden Bericht über den Fliegerangriff am letzten Sonntag. Danach sind es etwa 50 Flugzeuge gewesen, die sich über uns teilten u. in verschiedenen Richtungen weiterflogen. Eta 28 Flugzeuge flogen in Richtung Althagen u. warfen dort Brandbomen, die sämtlich in's Wasser fielen. Der Sinn dieses Abwurfs ist völlig unklar. Die Maschinen flogen dann nach Rostock-Warnemünde weiter, wo sie hauptsächlich auf die Arado-Werke Bomben warfen. Diese Detonationen, sowie die Flakabwehr waren die starken Detonationen, die wir hörten. Während dieser ganzen Zeit u. schon lange vorher lag im Süden eine schwere, gelbschmutzige Dunstschicht, die ich für ein Gewitter gehalten habe, die aber in Wahrheit der Rauch des brennenden Hamburg war.

     Inzwischen, besonders heute, sind Flüchtlinge aus Hamburg hier eingetroffen. Herbert Westerich, der z. Zt. in Dänemark irgendwo als Obergefreiter bei der Wehrmacht ist, hatte sich auf die Nachricht von dem Unglück Urlaub geben lassen u. war per Auto nach Hamburg gefahren. Er kam dann Mittags hier an u. verhinderte so rechtzeitig, daß seine Frau, die hier beim Bauunternehmer Helms wohnt u. natürlich sehr aufgeregt war, nach Hamburg fuhr. Zwar hatte sie ein Telegramm aus Bln. bekommen von ihrer Schwester, die gleich nach dem ersten Angriff nach Hmb. gefahren war u. den alten Vater von dort abgeholt hatte. Beide waren also vorläufig in Sicherheit. Aber nun glaubte Frau W. ihren Mann Herbert in Hmb. Als er ankam, war Frau W. grade bei uns. Herbert W. sah sehr verdreckt u. übermüdet aus. Er hatte in Hmb. festgestellt, daß alle Familienangehörigen in Sicherheit waren u. daß sein Engros=Lager zu den ganz wenigen, bis jetzt noch unbeschädigten Häusern gehörte; aber sonst ist nach seinem Bericht ganz Hamburg ein einziger Schutthaufen. Er erzählte grauenvolle Dinge. Am Nachmittag waren noch andere Flüchtlinge eingetroffen, die alle nur das nackte Leben gerettet haben u. die bei uns im Geschäft alle dasselbe erzählten. Es muß grauenvoll sein. Dazu geht hartnäckig das Gerücht um, daß im englischen Sender unserer Regierung ein auf Montag-Vormittag 11 Uhr befristetes Ultimatum gestellt worden sei, zurückzutreten, widrigenfalls Berlin dasselbe Schicksal treffen solle. – Unsere Nazis, – besonders Frau Siegert, sind plötzlich sehr klein geworden u. trauen sich nicht mehr, „Heil Hitler“ zu grüßen. Die Erbitterung im Publikum ist maßlos gestiegen, denn niemand glaubt daran, daß Hitler abdanken wird, sondern jedermann ist überzeugt, daß er u. alle übrigen Bonzen ihre Stellungen bis zum letzten Deutschen halten werden. – Und das ist in der Tat ein Verbrechen, das alle Vorstellungen übersteigt, denn es ist sonnenklar, daß wir diesen Krieg verloren haben. Diese Leute aber, die alles zu verlieren haben, [2] opfern das ganze Volk, um ihre eigene Katastrophe noch etwas hinauszuzögern. –

     Bei dieser Sachlage haben wir auch Dr. Birkenfeld veranlaßt, noch heute Vormittag nach Bln. zurückzufahren u. sind nun sehr erleichtert, daß er fort ist. Vor allem ist es ein Segen, daß die Enkelkinder fort sind. Auch die Schwester Oberin Gertrud van Beck von den Aquinaten ist heute früh nach Bln. zurückgefahren.

     Wir sind nun voller Spannung, was geschehen wird u. erwarten, daß Berlin sein unvorstellbares Schicksal erlebt. In Italien haben die Gegner verkündet, daß der Marschall Badoglio immer noch keine Kapitulation angeboten habe u. daß sie deshalb große Fliegerangriffe auf Italienische Städte erneut führen würden. Das Volk will Frieden u. demonstiert dafür. – Die Kämpfe auf Sizilien halten an, ohne daß die Gegner anscheinend große Erfolge erzielten. An unserer Ostfront geht der Kampf ebenfalls erbittert weiter. Zwar behauptet unser Heeresbericht, daß alle Angriffe abgewiesen würden, doch berichten die Russen von langsamen Fortschritten im Raume von Orel. Dort ist ihre strategische Position recht günstig u. sie hoffen wohl, uns dort doch noch eine schwere Niederlage beizubringen. Von uns wird die Verteidigung dieses sehr gefährdeten Punktes mit großer Zähigkeit geführt, doch ist bei der systematischen Zerstörung unserer Rüstungsindustrie durch die englisch=amerikanischen Luftangriffe u. bei dem ungeheuren Materialverschleiß in diesen Kämpfen der Tag errechenbar, wo unsere Kampfkraft nachlassen muß, denn auch unser Transportwesen leidet ja schon allein durch die Inanspruchnahme der Eisenbahn durch die Flüchtlinge aus den Bombengebieten schwer. Unser Widerstand im Osten kann unter diesen Umständen nicht mehr lange dauern. –