Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-01-24
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: Sonntag, 24. Januar 1943.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 24. Januar 1943
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Einführung

Der Artikel TBHB 1943-01-24 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 24. Januar 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Sonntag, 24. Januar 1943.     

[1]      Die Lage im Osten verschlimmert sich von Tag zu Tag. Außerdem hat inzwischen auch Chile den Krieg erklärt. Die Türkei ist noch ruhig, ihr Ministerpräsident hat sogar erklärt, daß sich die Türken gegen jeden Angreifer wehren würden, – aber türkische Journalisten [2] befinden sich auf englische Einladung in Indien. – Vorgestern ist Woroschilowsk gefallen. Die Russen nähern sich Rostow immer mehr u. die Gefahr der Abschneidung unserer Kaukasus-Armee wird immer größer, weshalb unser Heeresbericht jetzt zugibt, daß sich unsere Armee „vom Feinde abgesetzt“ habe. In Afrika ist Rommel erneut zurückgegangen u. hat Tripolis kampflos den Engländern überlassen. Er zieht sich auf Tunis weiter zurück. Es ist kaum zu fassen, daß die Amerikaner es noch nicht fertig gebracht haben, eine Vereinigung Rommels mit unseren in Tunis stehenden Kräften zu verhindern, obgleich sie schon fast 3 Monate in Afrika sind. – Inzwischen geht der Kampf unserer bei Stalingrad eingeschlossenen Armee weiter. Jetzt wird von uns erstmalig überhaupt zugegeben, daß diese Armee eingeschlossen ist. An einen Entsatz ist nicht mehr zu denken u. es wäre das Klügste, wenn sich die Armee ergeben würde, denn ihr Kampf ist völlig nutzlos, – nur daß sie russische Kräfte bindet; aber um einer eingebildeten „soldatischen Ehre“ willen werden hunderttausend Menschenleben (oder mehr) geopfert. Gestern u. vorgestern wurde von uns zugegeben, daß den Russen breite u. tiefe Einbrüche in die Verteidigungslinien gelungen seien, woraus man schließen kann, daß diese grausige Tragödie nun bald ihr Ende erreicht habe. Vorgestern sprach Frau Siegert, die Frauenschaftsleiterin des Ortes, – ebenso dumm wie fanatisch, – mit Martha. Sie sagte, daß ein Sohn ihrer Schwester bei Stalingrad sei u. daß man seit dem 12. Dezember nichts mehr von ihm gehört habe. Martha wollte ihre Teilnahme ausdrücken, worauf Frau S. nur die Achsel zuckte u. mit dem gleichgültigsten Gesicht erwiderte: „Ja, das ist eben nicht anders.“ Diese Bestien haben die letzten Reste menschlichen Gefühl's längst verloren, – oder haben vielleicht nie welches gehabt. Alles geht bei ihnen in Eitelkeit, Ruhmsucht, Großmannssucht unter. Eine anerzogene sogenannte Vaterlandsliebe ist stärker als die Liebe zu den Mitgliedern der eigenen Familie. –

     Diese Frau S. schenkte Martha ein sehr schönes, altes, geschnitztes Kruzifix, ein Sterbekreuz. Sie meinte, daß sie früher einmal gläubig gewesen sei, jetzt aber kein Interesse mehr für solche Sachen habe. Sie hat früher einmal an Gott geglaubt, – jetzt glaubt sie an Adolf Hitler. Ich werde ja wohl bald erleben, an wen sie dann glauben wird. –

     Ich lese zum dritten Male den Paulus von Pascoaes. Es wäre ja denkbar, daß der Fanatismus dieses Apostels garnichts anders ist als der Fanatismus unserer Nazis; aber dann ist es doch noch einleuchtender, für einen nur eingebildeten Jesus Christus zu sterben, als für einen wirklichen Hitler. Jener ist ein hohes Ideal, dieser ein Gefreiter, der es immer noch nicht zum Unteroffizier gebracht hat. Dennoch ist dieser Mann ein unbegreifliches Wunder, das sich vor meinen Augen abspielt. Ich begreife, daß seine Kreaturen ihm folgen, – aber daß auch Generäle [3] so blind sind, ihn für einen großen Feldherrn zu halten, das begreife ich nicht. Immer klarer wird erkennbar, daß dieser Mann bei Dünkirchen den Krieg genau so verloren hat, wie Moltke 1914 an der Marne. Hätte er einen starken rechten Flügel gehabt, dann wären ihm die Engländer bei Dünkirchen nicht entkommen, – er hätte nachstoßen können, selbst wenn ihm die Russen in den Rücken gekommen wären, – was keineswegs wahrscheinlich war. So mußte er die Engländer abziehen lassen u. gab ihnen Zeit, die Materialverluste zu ersetzen u. Amerika heranzuziehen. Die Engländer bezeichnen Dünkirchen nicht umsonst als großen Erfolg, – er war kriegsentscheidend! –

     Generalfeldmarschall Rommel in Afrika u. Generaloberst Paulus, Kommandeur der bei Stalingrad eingeschlossenen 6. Armee sind die beiden Offiziere, auf deren Schultern heute die Ehre der ganzen Deutschen Wehrmacht liegt. Man hat dem amerikanischen General Mc. Artur in gemeinster Weise die Ehre abgesprochen, weil er s. Zt. im Flugzeug die Inselfestung Corregidor verließ, um in Australien den Befehl zu übernehmen, nachdem die Uebergabe dieser Festung nicht mehr zu vermeiden war. Jetzt wird sich bald zeigen, was Rommel u. Paulus tun werden! Es wäre freilich undenkbar, daß deutsche Generale nicht die Konseguenzen ziehen würden, besonders nachdem die Russen der 6. Armee zur Vermeidung von weiterem Blutvergießen eine ehrenhafte Kapitulation angeboten hatten, die aber vom Generaloberst Paulus abgehnt worden ist. Diese Ablehnung ist zwar sinnlos, aber von einem überspannten Ehrbegriff aus doch zu verstehen. Es wird sich bald zeigen, ob der Armeeführer diesen selben Ehrbegriff anwenden wird, wenn es sich um die Rettung seiner eigenen Person handelt. Tut er das nicht, dann versinkt freilich das ganze deutsche Offizierkorps in einen Abgrund von Ehrlosigkeit. Das aber kann ich mir nicht denken.

     Im Reich hat Dr. Goebbels wieder seinen Leitartikel demselben Thema gewidmet, wie in der vorigen Woche, nur daß er sich diesmal nicht gegen die sogenannten Nichtstuer wendet, sondern gegen die Lokale, in denen diese Leute gern zu sitzen – oder ihre Einkäufe zu machen pflegen. Er hat wieder wie im vorigen Artikel erklärt, daß man für solche Dinge keine Gesetze u. Verfügungen erlassen könne. Ich frage mich vergeblich, warum nicht? Es werden ja sonst so viele Gesetze erlassen, warum nicht hier, wo es doch so einfach wäre. Man brauchte z.B. bei Geschäften doch nur die Umsätze festzustellen u. danach ihnen die Anzahl der Angestellten zuzubilligen, bzw. sie ganz zu schließen, – u. wenn heute Luxusbars unerwünscht sind, dann bedarf es nur einer Polizeiverordnung, um solche Lokale einfach zu schließen. Warum tut man das nicht? – Und in den Winterkurorten, über deren Publikum sich Herr Goebbels scheinbar so aufregt, braucht man nur eine Streife mit der Gestapo zu machen um alle diejenigen festzustellen, die ohne zwingenden Grund dort sind. [4] Diese Leute braucht man dann nur dem Arbeitsamt zu überweisen. Warum tut man es nicht? – Nun, man tut es nicht, weil es die Frauen der Bonzen sind u. weil in den Luxuslokalen dieselben Leute herumsitzen. Herr Goebbels, Herr Göring, Herr Ley, Herr Funk usw. haben es allerdings selbst nicht nötig, denn sie alle haben so schöne Besitzungen, daß sie u. ihre Familien den Krieg dort noch lange aushalten können, zumal sie ein Vielfaches von unserer Lebensmittel-Zuteilung erhalten.