Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1940-04-13
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Entstehungsdatum: 1940
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Originaltitel: Sonnabend, den 13. April 1940.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 13. April 1940
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Einführung

Der Artikel TBHB 1940-04-13 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 13. April 1940. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Sonnabend, den 13. April 1940.     

[1]      Seit der letzten Eintragung ist fast ein Jahr vergangen. Der Sommer brachte viel anstrengende Arbeit im Geschäft bei geschwächter Gesundheit. Der Herbst war angefüllt mit Schmerzen im gebrochenen Bein – u. dann kam dieser schreckliche Krieg mit den grausamen Ereignissen in Polen. Der ungewöhnlich strenge u. lange Winter mit Kohlennot u. Ernährungsschwierigkeiten war schlimm; doch war das Schlimmste, daß seit Kriegsausbruch unser Wagen wegen Benzinmangels still liegt u. wir zu keinem Gottesdienst mehr nach Müritz kommen konnten. Auch die Exerzitien fielen aus.

     Dafür waren aber etwa 4 – 6 Wochen lang Flüchtlinge aus dem Saargebiet in Wustrow untergebracht u. mit ihnen ein junger Kaplan Günther aus Saarbrücken, der eine Woche lang bei uns wohnte u. täglich im Seezimmer eine stille Messe zelebrierte, bei der ich als Ministrant dienen durfte. Der Kaplan mußte dann aber auch nach Wustrow ziehen, doch konnten wir wenigstens Sonntags am Gottesdienst, der im Saal von Voß' Hotel eingerichtet war, teilnehmen. Leider dauerte es [2] nicht sehr lange, die Füchtlinge wanderten zurück u. mit ihnen der Kaplan. – Nur in der hl. Weihnachtsnacht riskierten wir es, ohne Nummer in der Dunkelheit nach Müritz zur Mitternachtsmesse zu fahren u. kamen unangefochten wieder zurück.

     Auch das Osterfest konnten wir in diesem Jahre nicht in Müritz verleben, denn es sind im Erholungsheim Flüchtlinge untergebracht u. es war für uns kein Platz. Ich nahm es als Gottes Fügung, die wollte, daß ich nach Bln. führe, um meine Mutter zu besuchen, eine Pflicht, die mir schon lange auf der Seele brannte. Ich bin eben heute von dort zurückgekehrt. In Bln. traf ich Maria, die vorher zur Leipziger Messe u. dann nach Regensburg zu ihrer Tochter gefahren war u. in Bln. in Behandlung beim Zahnarzt war. Ich fuhr heute, nachdem ich drei volle Wochen in Bln. gewesen war, mit ihr zusammen zurück.

     In Bln. wohnte ich bei Dr. Tetzlaff, der jetzt Pfarrer von St. Marien in Friedenau ist. Das Osterfest in seiner Kirche war besonders schön, doch fehlte es mir in der ganzen Zeit an der Konzentration, die mir Müritz sonst bietet. – Meine alte Mutter war dafür um so glücklicher, mich zu sehen. Auch das bisher aus völlig unbekannten Gründen gespannt gewesene Verhältnis zwischen mir u. dem Mann meiner Schwester glich sich aus, sodaß ich eines Tages sogar dort zu Gast war. Nur schlug auch diesmal wieder ein so oft wiederholter Versuch fehl, mit meiner Tochter in Verbindung zu kommen. Offenbar ist der Haß meiner früheren Frau gegen mich unauslöschlich, was übrigens meinen Erwartungen durchaus entspricht. Auch ihre Mutter besaß diese sture Fähigkeit unauslöschlichen Hasses, der stets alle Schuld bei dem anderen sieht, aber sich selbst das Zeugnis völliger Schuldlosigkeit ausstellt. Ich habe die Angelegenheit mit Dr. Tetzlaff besprochen, der mir den Rat gab, den ich selbst bereits erwogen hatte, an meine Frau einen letzten Brief zu richten, der gewissermaßen ein letztes Vermächtnis an Frau u. Tochter darstellen soll, – in dem nicht von Schuld u. Sühne die Rede sein soll, sondern der nur eine letzte Darstellung meiner Anschauung gibt. Ich werde es tun.

     Ich hatte von dieser berliner Reise, die mich drei Wochen dort hielt, den bestimmten Eindruck, daß sie Gottes Wille war. Wenngleich ich jetzt auch nicht erkenne, welchen größeren Zweck sie hatte, so glaube ich doch, daß sie ihren Sinn gehabt haben wird, außerdem einen Sinn, meiner Mutter eine Freude gemacht zu haben. Dr. T. hat mir zwei Bücher gegeben, nämlich das eine „Nur für Sünder“, von Russell, welches die Oxford=Bewegung behandelt, und das andere: „Der Christ als Christus“ von Dr. Karl Pelz, Pfarrer von St. Augustinus in Bln., welches die Gedanken über das menschliche Verhältnis zu Christus als Mensch u. als Gott enthält, die mich besonders interessieren, nachdem ich mich in diesem Winter sehr viel mit der Lehre des hl. Paulus beschäftigt habe. Letzteres Buch ist als [3] Manuscribt gedruckt u. noch nicht im Buchhandel erschienen. Ich habe es Dr. T. abgekauft u. mitgebracht. Ersteres habe ich in Bln. zweimal gelesen u. Notizen darüber gemacht, die ich hier nochmals gründlich durcharbeiten will. Es ist ein gradezu atemberaubendes Buch u. mutet an wie eine Fortsetzung der Apostelgeschichte in heutiger Zeit. Es mag sein, daß davon eine starke Wirkung ausgehen wird, denn es gibt mir Anregung für eine neue Lebensauffassung, nach der ich in diesem Winter suchte. Die Unmöglichkeit, an einem Gottesdienst teil zu haben, hat mich auf mich zurückgeworfen. Ich sehe, daß mein christliches Leben, wie es bisher war, nämlich das Warten von einem Sonntag zum anderen, allzusehr, „genießerisch“ gewesen ist. Ich freute mich der sonntäglichen Gottesdienste und gab meinem Leben die Woche hindurch ein möglichst christliches Gepräge, aber kümmerte mich kaum um andere Menschen. Von Zeit zu Zeit machte ich mir deshalb wohl Gedanken, tröstete mich aber damit, daß mein christliches Leben als solches anderen Vorbild sein würde u. dadurch von selbst werbend wäre. In Wahrheit aber lebe ich ja so zurückgezogen, daß dies kaum wirklich der Fall ist. Nun lese ich in jenem Buche den Gedanken, daß nur ein werbender Christ ein wirklicher Christ ist u. es werden Hinweise gegeben, wie dies geschehen kann. Vielleicht ist es dieses, daß Gott mich nach Berlin führte.