TBHB 1937-09-13
Einführung
Der Artikel TBHB 1937-09-13 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 13. September 1937. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Montag, den 13. September 1937.
Der Sommer ist vorbei!
Dieser Betrieb war übermäßig anstrengend – aber sehr lohnend. Vor allem hat Maria zum Glück sehr rasch Einsicht bekommen u. hat sich in allem nach mir gerichtet. Die Geschäftszeiten wurden pünktlich eingehalten u. Sonntags schlossen wir überhaupt, obgleich uns vom Gemeindeamt mitgeteilt wurde, daß wir die polizeiliche Erlaubnis hätten, am Sonntag wie am Wochentage aufzuhalten. Wir verzichteten aber ganz darauf mit Ausnahme von 1 1/2 Stunden des Mittags, wo wir die Zeitungen u. sonstige Kleinigkeiten abgaben. Wir benutzten die Sonntagsruhe, um Bücher u. Rechnungen in Ordnung zu bringen, – u. das hat sich gelohnt. –
Die Saison war von sehr schönem Wetter begünstigt, besonders im August. Der Besuch der Badegäste war viel höher als sonst, es waren über 3000 Gäste hier. Diese Zahl ist früher noch nie erreicht worden. Dementsprechend war unser Umsatz viel höher als früher; aber das allein kann das gute Geschäft nicht rechtfertigen. Das Geschäft hatte im vorigen Jahre einen Umsatz von nicht ganz 20.000 Rm., während in diesem Jahre jetzt schon mehr als 30.000 Rm. umgesetzt sind. Dazu kommt noch eine kleine Einnahme von etwa 1000 Rm. für den Rest des September u. 600 Rm. Außenstände, die nach u. nach hereinkommen. Der Umsatz wird also in diesem Jahre um 11 bis 12000 Rm. höher sein, – u. das kann nicht allein am höheren Besuch liegen. Es muß eben in früheren Jahren sowohl vom Publikum, wie von Angestellten unerhört gestohlen worden sein u. dem habe ich einen Riegel vorgeschoben durch größte Aufmerksamkeit u. dadurch, daß ich Glasschränke angeschafft habe. Auf diese Weise ist der Umsatz an manchen Sachen, besonders an Cigaretten u. Schokolade, viel niedriger, als im vorigen Jahre; aber die Einnahmen sind viel höher. Dies ist der klarste Beweis, daß früher sehr viel gestohlen worden ist.
Die sehr teuren Glasschränke sind also rentabel gewesen u. haben sich in einer einzigen Saison bezahlt gemacht. Ich werde im nächsten Jahre noch mehr davon anschaffen. Auch baulich werden einige Veränderungen nötig sein, das Geschäft braucht für manche Artikel mehr Raum, u. einige ganz unrentable Sachen müssen abgestoßen werden. Es ist das eine recht große Arbeit, die bis zum nächsten Jahre geleistet werden muß u. die unmöglich von Berlin aus gemacht werden kann. So hat sich im Laufe der Saison immer mehr die Notwendigkeit herausgestellt, daß ich diesen Winter hindurch hier in Ahrenshoop bleiben muß.
Dieser Gedanke war mir zuerst recht unangenehm. Je mehr mir aber die Notwendigkeit bewußt wurde, um so mehr gewöhnte ich mich daran, u. nun bin ich schon daran gegangen mir mein Zimmer für den Winter herzurichten Morgen werde ich mit Maria u. Fritz nach Bln. fahren, werde meine Sachen im Christkönigshaus ins Auto packen u. werde mit Fritz sofort wieder zurückfahren, während Maria einige Tage dort bleiben wird.
Ich habe deshalb an P. Petrus geschrieben. Er hat mir sofort geantwortet, doch meint er – was auch meine Meinung ist, daß es so wohl Gottes Fügung sei u. daß das Christkönigshaus [2] auf meinem Wege nur eine Etappe der Vorsehung gewesen sei.
Damit ist dann wieder einmal ein kleiner Abschnitt meines Lebens beschlossen u. ich stehe an der Schwelle eines neuen Abschnittes. Möge Gott mir Seine Gnade nie vorenthalten, denn dieser neue Abschnitt wird stärkere Anforderungen an mich stellen.
Dieser Sommer war ein Uebergang u. eine Vorbereitung. Ich habe von morgens 8 Uhr bis nachmittags 1/2 2 Uhr täglich an der Registerkasse gesessen, dann Mittagessen u. Ruhe bis 3 Uhr, u. von da an wieder bis 8 Uhr Abends an der Kasse. Um 9 Uhr lag ist fast stets im Bett. Es war also keine Zeit zu irgend einer Besinnung außer am Sonntag. Am Sonntag fuhren wir morgens 7 Uhr hier fort nach Müritz, kamen kurz vor 8 Uhr dort zur stillen Messe zurecht, frühstückten dann dort bei den Schwestern, gingen um 10 Uhr ins Hochamt, fuhren um 11 Uhr nach Hause, dann rasch hier den Zeitungsverkauf, dann Mittagessen, dann Schlaf, dann Bücher u. Rechnungen.
Genau wie ich hat auch Maria gearbeitet. In früheren Jahren hat sie sich dabei stets völlig überanstrengt, weil sie unordentlich u. planlos arbeitete. Jetzt habe ich mit der Uhr in der Hand genau aufgepaßt, daß sie die Zeiten einhielt u. alles seinen regelmäßigen Gang ging, u. der Erfolg ist, daß sie gesund u. frisch ist u. fast nie Kopfschmerzen hat, die immer nur die Folge von Unruhe und Planlosigkeit sind.
Durch die höhere Einnahme des Geschäftes konnten in diesem Jahre endlich alle alten Warenschulden restlos abgedeckt werden. Allerdings ist kaum etwas als Überschuß übrig geblieben, u. das Leben im Winter muß von den Einnahmen bestritten werden, die aus der Zimmervermietung im großen Hause gekommen sind. Diese Einnahmen hätten viel großer sein können, wenn das Frl. Schmidt sich besser darum gekümmert hätte. Leider aber hat sich dieses Mädchen als ein ganz unfähiges, albernes u. vergnügungssüchtiges Ding entpuppt, sodaß wir froh waren, als sie uns am 1. September verließ. Trotzdem reicht das eingenommene Geld für den Winter, wenn nicht unvorhergesehene Dinge eintreten.
Vor solch unvorhergesehenen Dingen ist man freilich nie sicher u. schon sind sie eingetreten in einer besonders fatalen Form. –
Marias Tochter Ruth, welche in diesem Winter ihren medizinischen Doktor gemacht hatte, bereitete uns eben grade die Überraschung, daß sie ein Kind bekommen hat. Niemand hat davon eine Ahnung gehabt, – es war ein Blitz aus heiterem Himmel. Der Vater des Kindes ist ein junger Mensch von 23 Jahren – Ruth ist 28 Jahre. Wir alle stehen ziemlich fassungslos vor diesem Ereignis. Aus diesem Grunde fährt Maria morgen mit uns nach Bln. u. bleibt für einige Tage dort. –
Ein schwieriges Problem wird für mich hier die Erlangung der Missio canonica. Werner Ballin schrieb mir ins Laufe des Sommers, daß der Kursus bei P. Leder abgeschlossen sei u. daß P. Leder es jedem Einzelnen überließe, ob er sich zur Prüfung stellen wolle. Diese Prüfung soll jetzt im Herbst stattfinden. Ich kann nun dazu nicht in Berlin sein. [3] Ich sprach gestern mit Rektor Dütemeier in Müritz darüber u. er riet mir, den Antrag zu stellen, daß mir die missio auch ohne Prüfung erteilt werden solle.
Auf die Erteilung der missio lege ich großen Wert. Wir haben hier seit Jahren eine Schneiderin, die für uns in dem Schneider-Atelier arbeitet, das zum Geschäft gehört. Dieses Mädchen ist eine fromme Christin, was hierzulande eine Seltenheit ist. Nun hat sie sich verlobt mit einem Maurer, der irgend wann einmal hier hängen geblieben ist u. der aus Breslau stammt. Es hat sich herausgestellt, daß er Katholik ist u. katholisch getraut werden will. Ich habe mich des Mädchens angenommen u. ihr gut zugeredet, sodaß sie selbst jetzt dazu bereit ist. Nur ihre Familie ist dagegen. Ich hoffe, daß trotzdem alles gut gehen wird, denn die Leute hier sind nicht religiös u. sie werden nicht hartnäckig sein. Aber damit ist die Sache nicht getan, es muß unbedingt erreicht werden, daß das Mädchen, wenn sie verheiratet ist, Unterricht erhält u. katholisch wird. Das Mädchen u. ihr Verlobter wohnen nicht in Ahrenshoop, sondern in Wustrow, d.h. also in Mecklenburg in der Diözese Osnabrück, während Ahrenshoop in Preußen liegt u. zu Berlin gehört. Unser Pfarramt liegt in Barth 40 km. entfernt, jenseits des Darss u. des Bodden, man kommt nicht dorthin. Das Pfarramt für Wustrow liegt in Marlow, ebenfalls sehr weit, aber immerhin gibt es dort eine Chaussee. Für einen Religionsunterricht komme nur ich in Frage.
Auch gibt es in einem Kinderheim im benachbarten Dorf Althagen einen Jungen, der katholisch ist. Die Eltern sind geschieden. Der Vater ist der Maler Röhricht, der eine andere Frau geheiratet hat, die Mutter hat ihren Jungen in jenes Kinderheim gegeben, um die Last los zu sein, sie ist auf Reisen. Sie selbst ist protestantisch. Der Junge wächst ohne Unterweisung auf, hat aber Sinn u. Interesse für Religion. Wir hatten ihn einigemale mitgenommen nach Müritz, so auch gestern wieder, u. Rektor Dütemeier sagte mir, daß ich ihn doch unterrichten solle. – Das wäre also ein Anfang. Der Rektor meinte, ich könne den Unterricht ruhig geben, auch wenn ich nicht offiziell die missio besäße, aber es ist besser, wenn ich sie habe. –
Das alles wird sich in der nächsten Zeit entscheiden. Jetzt bin ich erst noch mit der Einrichtung meines Zimmers beschäftigt, was ich endgültig erst tun kann, wenn ich meine Sachen aus Berlin hier habe. Die Abschließung des Geschäftes erfordert ebenfalls noch tägliche Arbeit, besonders muß noch Inventur gemacht werden. Es ist vorläufig noch nicht an eine Konzentration zu denken.
Der Sommer mit seinen vielen Menschen hat von dieser Seite her nicht viel gebracht. Diese Menschen sind entsetzlich sittenlos u. oberflächlich. Als bemerkenswertes Ereignis steht mir ein häßliches Flugzeugunglück vor meiner Erinnerung. Der Fliegerhorst Pütnitz hatte sich unseren Küstenstrich dazu ausersehen, Schießübungen zu veranstalten u. täglich donnerten die Flugzeuge über unseren Ort, oft so niedrig, daß man Angst bekam. Eines Abends stürzte eine dreimotorige Maschine im Darss ab, von den 10 Insassen waren 8 Mann tot u. total verbrannt. [4] In diesen Tagen beginnen die Manöver u. man sagt, daß hier in dieser Gegend viel los sein wird, weil die Marine u. die Fliegerei daran beteiligt sein werden.