« Gebet beim Eintritt in das Gotteshaus Stunden der Andacht Am Abend »
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Am Morgen.
I.

„Herr! Früh wollest du mich hören,
Früh wende ich mich zu dir und harre.”
 (Ps. 5, 4.)


Allmächtiger, du führest herauf den hellen Morgen an die Stelle der dunklen Nacht, und Alles, was da ist, freuet sich des strahlenden Morgenlichtes, freuet sich des wiedererweckten Lebens. Die ganze Natur wird ein großer Gottestempel, der von feierlichen Hymnen, von lobpreisenden Hallelujahs wiedertönt, die dir, erhabener Weltenschöpfer! alles Geschaffene entgegenbringt. In den Tiefen rauschen Ströme dir ihr Lied, und von den Bergen steiget Dampf auf zu dir, als Weihrauch von riesigen Altären. – Auch ich, die Einzelne in diesem großen All, falte dankend meine Hände, und mein inbrünstiges Gebet steigt, als meine kindliche Opfergabe, mit auf zu deinem erhabenen Weltenthrone!

Als ich gefesselt im bewußtlosen Schlummer lag, finstere und bange Nacht um mich her, da warst du mein Hüter und Beschützer; dein Vaterauge sah voll Fürsorge auf mich herab, und deine Vaterhand war schirmend über mein Haupt gebreitet, um jegliche Noth und Gefahr von mir abzuwenden, und die Süßigkeit des friedlichen Schlafes mich ungestört genießen zu lassen. Und nun, da ich durch die nächtliche Ruhe neugestärkt und erquickt bin, da hast du mein Auge wieder befreit von des Schlummers Banden, [3] daß es der verjüngten Schönheit der Natur sich erschließe, und mich erweckt zu frischer Thätigkeit und Arbeit, zu neuer Lebenslust und Liebe.

Mein Gott! es ist mein fester Wille, diesen Tag in nützlicher Geschäftigkeit zuzubringen. Alle meine Pflichten und Aufgaben will ich still, anspruchslos und in regem Eifer erfüllen, nichts vernachlässigen, und in Allem den Geist der Ordnung walten lassen. Doch mein Gott, wie schwankend ist des Menschen Wille, und wie fruchtlos ist sein Thun und Schaffen, so du nicht deinen Segen darauf ruhen lässest! Drum flehe ich in Inbrunst zu dir, Allmächtiger: Laß wohlgelingen, was ich in Demuth und im Vertrauen auf dich beginne, daß meine Thätigkeit und mein Fleiß den Wohlstand und die Ehre meines Hauses mehre, mein Wirken und Walten ein heilsames sei, und stets das Nützliche und Wohlthuende für meine Lieben zu Tage fördere. Lege deinen Segen auf das Geschäft und den Beruf meines Gatten, daß seine Pläne und Entwürfe stets weise und glücklich, und seine Unternehmungen frucht- und gewinnbringend seien. Begnadige uns Alle mit deinem besten Gottessegen: einer festen Gesundheit, einem heitern Sinne und einem genügsamen Herzen, daß wir mit frohem Muth und voller Kraft unser Tagewerk vollbringen. Gib, o Gott, daß ich den Tag rein und sündenfrei verlebe, nie vergesse, daß es die Bestimmung jedes Tages ist, uns besser und vollkommner zu machen, und uns auf jenen großen Tag vorzubereiten, wo du uns in das Reich des höhern Lebens einberufst – damit nicht der Erwerb und der Gewinn irdischer Güter ganz und gar unser Sinnen und Denken gefangen nehme.

Laß, Allgütiger, stets Friede und Eintracht in meinem Hause herrschen. Erleuchte meinen Geist, daß ich es verstehe, mir die Liebe und die Achtung meiner Angehörigen zu erwerben, und wenn mir was Liebloses begegnen sollte, mit Gleichmuth und Geduld es aufzunehmen, und dem bittern Worte stets ein sanftes Schweigen entgegen zu setzen. Bewahre mich, daß ich in den Stunden der Freude und des Genusses, mich niemals dem Uebermuth und der Versündigung hingebe, und lehre mich, o Gott, in den Stunden des Schmerzes deinen Willen ergebungsvoll tragen, und deine Huld in jedem Verhältnisse erkennen. Segne mir diesen Tag, daß er einer der guten, einer der nützlichen, einer der glücklichen werde, heilbringend für mein ganzes Leben. Amen.

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II.

„Mit jedem Morgen neu
Ist Vater deine Treu.“
 (Klagel. Jerem. 3, 23.)


Mein Schöpfer und Erhalter! Abermals ist ein Tag angebrochen, von neuem durchdringt der freundliche Morgenstrahl die Welt, und neu belebt vom wohlthätigen Schlummer stehe ich hier vor dir, mein Gott, und weiß nicht, wofür ich zuerst dir danken, um was zuerst dich anflehen soll.

Dieses Weltall, so strahlend von Weisheit, Allmacht und Güte, ein Werk deiner unermeßlichen Vaterhuld und Liebe, hast du zum Wohnsitz für den bevorzugten Sohn der Schöpfung, für den Menschen hervorgerufen, und alle Schätze und Kräfte der Natur ihm dienstbar gemacht. Aus Staub hast du seinen Leib gebildet, der Scholle ihn entnommen, auf daß er die Vergänglichkeit und Nichtigkeit seines irdischen Wesens erkenne, und sich beeile, die Aufgabe und Bestimmung seines Lebens zu erfüllen; daß er das Gute, das er heute thun kann, nicht auf morgen verschiebe, damit ihn nicht, bevor er sein Werk vollendet, die letzte Stunde ereile. – Seinem Leibe hast du den Odem des Lebens eingehaucht, ihn mit einem Funken deines göttlichen Geistes begabt, damit er durch ihn deine Allmacht erkenne, durch ihn sich angefeuert fühle dir nachzustreben, und zu werden dein Ebenbild an Güte und Milde, an Langmuth und Versöhnlichkeit.

Der Erdensohn jedoch, wie oft vergißt er die hohe, weise väterliche Bestimmung, zu der du ihn berufen hast, vergißt in seinem Uebermuthe oder in seinem Leichtsinne über die Schöpfung den Schöpfer, über die Gaben den Geber. Er berauscht sich in den Vergnügungen des Lebens, und verabsäumt über die Erde den Himmel, über das Empfangen das Spenden, über das Wohlleben das Wohlthun, über den Genuß die Thätigkeit, verschließt sein Inneres den Anforderungen des Rechts und der Menschlichkeit, und verschließt sein Ohr dem Nothschrei seines Nächsten, dem Hilferuf seines Bruders!

Mein Gott und Herr, mögest du mich bewahren, daß mein Leben nimmer eine solche verfehlte Richtung annehme, daß mein Herz nicht so sehr am Irdischen und Weltlichen hange, um darüber die höhere Weihe des Daseins zu vergessen und aufzugeben. Mögest [5] du meinen Geist in dem Lichte deiner Weisheit erstarken lassen, daß ich alle Pflichten als Tochter, als Gattin, Mutter, Hausfrau und Mensch mit freudigem Herzen erfülle, und keine davon verabsäume und vernachlässige, daß ich liebend und ergeben das Schicksal meines Gatten theile, und in guten, wie in bösen Tagen der Schutzengel seines Lebens, sein Trost und seine Freude werde, daß ich meinem Hause vorstehe mit frommem, verständigem Sinne, und meine Kinder erziehe mit weiser Sorgfalt zu guten, gottgefälligen Menschen, zu treuen, thätigen und gerechten Mitgliedern des Vaterlandes. Mögest du mein Herz erwärmen und durchglühen mit Liebe und Erbarmen gegen meinen Nächsten, daß es mir zur Wonne werde seinen Kummer zu mildern und seine Schmerzen zu heilen, so oft und so viel ich vermag.

Mögest du, mein Gott, mich und die Meinen, meinen Gatten und meine Kinder theilnehmen lassen an den reichen Spenden deiner Huld, daß wir stets die Befriedigung alles dessen finden, was der Körper zu seiner Nahrung und Kräftigung, was die Seele zu ihrer Erhebung und Erheiterung und das Herz zu seiner Erquickung und Labung bedarf. Mögest du uns das Brod, das wir essen, und das Gewand, darin wir uns kleiden, in Ehre gewinnen lassen, frei von drückenden Sorgen und Schmerzen, gesegnet von einer festen, dauernden Gesundheit, daß wir niemals abhangen mögen von den Wohlthaten und der Gunst der Menschen, sondern jegliches empfangen aus deiner milden Vaterhand, die da stets offen ist, zu sättigen Alles, was da lebt, in Gnade und Erbarmen. Amen.