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Andacht. Ich fühle mich reiner und besser, denn die Tugend und die Religion erscheinen mir hier in ihrer hehren, himmlischen Gestalt, in ihrer ewigen, unvergänglichen Majestät. Es erweitert sich mein Herz, es wird hell in meinem Innern, es heiligen sich alle meine Gedanken und Gefühle, es fliehen die sündigen Neigungen, und machen Platz den Trieben zum Guten, Edlen und Hohen. O, daß diese Gefühle, dieser lichtvolle Aufblick zu dir, mein Schöpfer, nimmer in mir sich trüben, und die Weihe und Heiligung, die hier in mein Herz sich ergießt, auch auf mein Leben in der Außenwelt sich erstrecken möge, daß diese Stunde mir werde eine Stunde der Segnung und Begnadigung, eine Stunde der Erhörung und Gewährung, vor dir, Gnadenvoller, Allerbarmer! Amen.



Am Morgen.
I.

„Herr! Früh wollest du mich hören,
Früh wende ich mich zu dir und harre.”
 (Ps. 5, 4.)


Allmächtiger, du führest herauf den hellen Morgen an die Stelle der dunklen Nacht, und Alles, was da ist, freuet sich des strahlenden Morgenlichtes, freuet sich des wiedererweckten Lebens. Die ganze Natur wird ein großer Gottestempel, der von feierlichen Hymnen, von lobpreisenden Hallelujahs wiedertönt, die dir, erhabener Weltenschöpfer! alles Geschaffene entgegenbringt. In den Tiefen rauschen Ströme dir ihr Lied, und von den Bergen steiget Dampf auf zu dir, als Weihrauch von riesigen Altären. – Auch ich, die Einzelne in diesem großen All, falte dankend meine Hände, und mein inbrünstiges Gebet steigt, als meine kindliche Opfergabe, mit auf zu deinem erhabenen Weltenthrone!

Als ich gefesselt im bewußtlosen Schlummer lag, finstere und bange Nacht um mich her, da warst du mein Hüter und Beschützer; dein Vaterauge sah voll Fürsorge auf mich herab, und deine Vaterhand war schirmend über mein Haupt gebreitet, um jegliche Noth und Gefahr von mir abzuwenden, und die Süßigkeit des friedlichen Schlafes mich ungestört genießen zu lassen. Und nun, da ich durch die nächtliche Ruhe neugestärkt und erquickt bin, da hast du mein Auge wieder befreit von des Schlummers Banden,

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Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)